Spielanalyse

Teamanalyse: Leeds United

Wie Leeds United mit Tempo-Fußball am Tor zum "Oberhaus" klopft

Die Spieler vopn Leeds United finden sich in einer Gruppe zusammen, um ein Tor zu feiern. © 2019 Getty Images / CCONLINE LTD
  1. Christopher Toetz

    Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert mit Hilfe der Leitlinien der DFB-Spielauffassung diverse Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Die Championship (zweite englische Liga) ist ein kräftezehrender und unnachgiebiger Wettbewerb, in dem 24 Teams in einem Zeitraum von 9 Monaten um 3 Aufstiegsplätze spielen. Die meisten Vereine dieser Liga blicken auf eine Zeit zurück, in der sie zur Elite des englischen Fußballs gehörten. Einer dieser Vereine ist Leeds United, der nach 15 Jahren Abstinenz erstmals wieder an der Premier League schnuppert. Vater des Erfolgs: Marcelo Bielsa. Der eigenwillige Argentinier hat in kürzester Zeit eine unvergleichbare Spielphilosophie implementiert, die sich über große Angriffslust und Intensität definiert.

Maximale Intensität

Im geordneten Spiel gegen den Ball praktiziert Leeds United ein intensives Pressing im Angriffsdrittel. Dabei soll der Gegner im Idealfall über einen freien Innenverteidiger aufbauen, der im weiteren Verlauf entweder direkt attackiert oder durch das Zustellen der Anspielstationen isoliert wird. Zur Umsetzung des Pressings nutzt Leeds eine durchgehend strikte Manndeckung, eine im modernen Spitzenfußball kaum noch existente Defensivstrategie. Zwar gibt es einige wenige Mannschaften, die mit Manndeckung agieren, aber im Normalfall beschränkt es sich auf einzelne Zonen, Positionen oder Gegenspieler sowie situative Mannorientierungen aus einer Raumdeckung heraus. Einzig in Südamerika und den Niederlanden ist diese Art der Umsetzung noch weit verbreitet, wird aber auch dort kaum so extrem interpretiert wie bei Bielsa. Ziel der Manndeckung ist es, ständig Druck auszuüben und bei jedem Zuspiel den Passempfänger direkt in einen Zweikampf zu verwickeln. Allerdings birgt diese Defensivstrategie das Risiko, dass der Gegner mit abgestimmten Laufwegen und intelligenter Spielweise bespielbare Räume öffnen kann. Daher funktioniert das Ganze nicht ohne Absicherung, sodass Leeds oftmals mit einem freien Mann in der zentralen Verteidigung spielt. Je nach gegnerischer Angriffsreihe wählen sie in der Absicherung zwischen einer Vierer- oder Dreierkette, um diese lokale Überzahl zu gewährleisten.

    1. Klich stellt den ballführenden defensiven Mittelfeldspieler (ZDM). Seine Mitspieler orientieren sich bereits an den ballnahen Anspieloptionen, abgesehen vom rechten Innenverteidiger (IV).

    2. Der ZDM spielt einen Pass auf den zentralen offensiven Mittelfeldspieler (ZOM), der eng von Phillips verfolgt wird. Durch den Druck spielt der ZOM direkt auf den freistehenden IV.

    3. Sowohl Phillips als auch Klich bleiben eng an den Gegenspieler dran und nehmen damit die Anspielstationen für den ballführenden IV aus dem Spiel.

    4. Durch die enge Manndeckung öffnet sich für den IV ein Passweg auf den Mittelstürmer (MS) (nicht im Bild), den er sofort nutzt. Klich erkennt die Situation, versucht aber vergeblich, einzugreifen.

    5. Der MS, eng gedeckt von Jansson, legt auf den nachstartenden ZOM ab, der durch Klichs Voraktion anspielbar ist. Der überspielte Klich nimmt bereits wieder Tempo auf und sprintet hinterher.

    6. Mit Druck im Rücken dribbelt der ZOM durch die Halbspur. Jansson löst sich vom direkten Gegenspieler, schiebt an den Ballführenden heran und gewinnt gemeinsam mit Alioski den Ball.

    1. Der gegnerische Innenverteidiger (IV) dribbelt an. Die ballnahen Anspielstationen sind bereits manngedeckt. Einzig Hernández entfernt sich von seinem Gegenspieler (nicht im Bild) und läuft den IV an.

    2. Unter Gegnerdruck spielt der IV einen langen Pass auf den entgegenkommenden Außenstürmer (AS) (nicht im Bild).

    3. Ayling ist zwar eng am AS dran, kann jedoch den Pass auf den linken Verteidiger (LV) nicht verhindern. Der überspielte Hernández ist bereits mit Tempo in Richtung Ball unterwegs.

    4. Ayling folgt dem Pass und setzt den LV sofort unter Druck. Mitspieler Hernández hat mittlerweile aufgeholt und nimmt die Situation wahr.

    5. Da Ayling dem Passweg gefolgt ist, entscheidet sich Hernández für den Sprint zum vorherigen Passgeber. Dabei antizipiert er die Aktion des LV und kann den anschließenden Pass in die Tiefe abfangen.

Variables Ballbesitzspiel

Die eigentliche Stärke von Leeds United ist der eigene Positionsangriff. Mit fast 60% Ballbesitz sind sie das dominanteste Team der Championship, aus dem sie im Schnitt 17 Torschüsse pro Spiel (die meisten der Liga) herausspielen. Ihr schnelles Bewegungs- und Kombinationsspiel ist hochwertig, die Rollenverteilungen der einzelnen Spieler den Stärken entsprechend und trotz einer sehr weiträumigen Spielweise und vielen Positionswechseln können sie stets die Verbindungen zueinander halten. Dabei sind zahlreiche kurze Spielverlagerungen, das Spiel über den Dritten und das Schaffen von Überzahl-Situationen besonders prägende Angriffsmittel, um hinter die gegnerische Abwehrreihe zu gelangen.

    1. Jansson wird angelaufen und spielt daraufhin einen Pass auf den freistehenden Ayling.

    2. Ayling wird entlang der Seitenlinie angelaufen und dribbelt mit der Annahme quer zur Spielrichtung. Phillips bietet sich in der Halbspur an, wird jedoch eng verfolgt.

    3. Ayling dribbelt weiterhin quer zur Spielrichtung und sucht eine Anspielstation in der Spielfeldmitte. Phillips erkennt die Situation, zieht seinen Gegenspieler mit und öffnet einen Raum in der Zentrumsspur.

    4. Den freigezogenen Raum besetzt Hernández, der anschließend ein präzises Zuspiel von Ayling erhält. Nach dem Pass startet Ayling direkt in die Tiefe und bietet sich an.

    5. Hernández passt zurück auf Ayling, der das Spiel mit einem Dribbling in die gegnerische Hälfte fortsetzen kann.

    1. Nach einem Zuspiel von Phillips, der sich zuvor aus dem Mittelfeld zwischen die Innenverteidiger hat fallen lassen, dribbelt Jansson in der Halbspur an.

    2. Mit nahendem Gegnerdruck passt Jansson zu Ayling. Dieser wird von der Außenspur sofort unter Druck gesetzt, wodurch er den Ball zur Spielfeldmitte an- und mitnimmt.

    3. Hernández hat die Situation frühzeitig wahrgenommen und sich in der Halbspur anspielbar gemacht. Dort erhält er einen Pass von Ayling, den er sofort zu Phillips weiterleitet.

    4. Phillips verlagert das Spiel direkt auf den im linken Halbraum freistehenden Berardi.

    5. Dieser spielt anschließend zu Klich, der sich für einen kurzen Pass in die Tiefe anspielbar macht.

    6. Nach der schnellen Spielverlagerung kann Klich die Lücken im gegnerischen Verbund nutzen und Hernández im Raum zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldreihe anspielen.

    1. Baker passt aus dem Zentrum zum freistehenden Shackleton in die Außenspur.

    2. Shackleton dribbelt den Außenverteidiger (AV) an. Saíz erkennt das potentielle 1-gegen-1-Duell gegen den AV und bewegt sich weg. Der zentrale Mittelfeldspieler (ZDM) verschiebt weiter auf die Ballseite.

    3. Durch Saíz’ Laufweg muss der ZDM jedoch abstoppen und sich umorientieren. Dadurch kann Shackleton ein 1 gegen 1 gegen den AV bestreiten.

    4. Auf Höhe der 5-Meter-Linie bringt Shackleton eine flache Hereingabe auf den ballfernen Pfosten, die erfolgreich verwertet wird.

    1. Klich erhält ein Zuspiel und orientiert sich bereits vor der Annahme in die Tiefe. Dabei erkennt er den freien Raum in der Zentrumsspur.

    2. Bamford bietet sich im freien Raum an und zieht seinen Gegenspieler mit. Auch Hernández nimmt die Situation wahr und erhält ein Zuspiel in den Lauf.

    3. Hernández dribbelt in Richtung Innenverteidiger, bindet diesen und „befreit“ Bamford. Dieser erkennt die Situation und sprintet in die Tiefe.

    4. Hernández „bespielt“ das Abwehrdreieck mit einem Pass auf Bamford, der die Vorlage mit einem flachen Torschuss in die ballnahe Ecke verwertet.

    1. Hernández dribbelt quer zur Spielrichtung und nimmt die Spielsituation wahr. Forshaw startet in die Tiefe und öffnet die Zentrumsspur, die Saíz mit einem gegengleichen Laufweg besetzt.

    2. Hernández passt auf den nun freistehenden Saíz und startet sofort in die Tiefe.

    3. Saíz erkennt die Bewegungsdynamik von Hernández und spielt nach dem Aufdrehen einen präzisen Chipball hinter die Abwehrreihe.

    4. Diesen kann Hernández aufgrund seines Bewegungsvorsprungs gegenüber dem Gegenspieler mit einem Kopfball in die ballferne Ecke erfolgreich verwerten.

    1. Nach einem Zuspiel von der linken Spielfeldseite kann Hernández auf den freistehenden Klich weiterleiten und anschließend in die Tiefe starten. Ayling nimmt die Situation wahr.

    2. Mit einem Dribbling bindet Klich den Außenverteidiger (AV), während Ayling bereits in die Tiefe startet. Im richtigen Moment passt Klich hinter die Abwehrreihe zum so breit wie nötig agierenden Ayling.

    3. Bamford sprintet zum ballnahen Pfosten und zieht zwei Gegenspieler mit. Ayling erkennt die Situation und passt entgegen der Bewegungsdynamik der Abwehrreihe in den nun freigezogenen Rückraum.

    4. Hernández, der die Situation eingeleitet hat, kann das Zuspiel ohne Gegnerdruck mit einem Torschuss in die ballferne Ecke verwerten.

    1. Nach einem langen Pass ist Alioski direkt unter Druck. Douglas sprintet bereits entlang der Seitenlinie in die Tiefe und Saíz bietet sich für ein kurzes Zuspiel an.

    2. Kurz bevor Douglas mit dem hinterlaufenden Sprint ein 2 gegen 1 kreieren kann, passt Alioski auf den freistehenden Saíz.

    3. Saíz erkennt den Bewegungsvorsprung von Douglas und passt präzise in den Raum hinter der Abwehrreihe.

    4. Anschließend spielt Douglas von der Grundlinie in den Rückraum auf Roofe, der sich bereits mit einem Sprint in Position gebracht hat. Der Torschuss scheitert jedoch am Torwart.

    1. Alioski dribbelt quer zur Spielrichtung und passt auf Klich. Der orientiert sich bereits vor dem Zuspiel in die Tiefe vor und nimmt die Situation von Bamford und Roberts wahr.

    2. Durch die Vororientierung kann Klich zügig auf Roberts weiterleiten, der sich wie Bamford entgegen der bisherigen Bewegungsdynamik anspielbar macht.

    3. Nach der An- und Mitnahme passt Roberts in den Lauf von Bamford, der aufgrund seiner Voraktion im Rücken seines Gegenspielers und damit in einer vorteilhaften Situation ist.

    4. Anschließend kann Bamford unter geringem Gegnerdruck erfolgreich in die ballferne Ecke abschließen.

Pressing nach Ballverlust

Trotz des stabilen und dynamischen Offensivspiels hat Leeds United auch vereinzelte Probleme im Positionsangriff. Beispielsweise schlagen sie durch die flügellastige Spielweise enorm viele Flanken (die zweitmeisten der Liga), die jedoch nicht effizient an den Mann gebracht werden. Darauf reagieren sie mit gedankenschnellen und intensiven Gegenpressing, mit dem sie nach schlecht gespielten Hereingaben die Möglichkeit auf einen Torabschluss aufrechterhalten. Ein Mittel, das der Mannschaft auch nach langen Pässen im Spielaufbau, die durchaus keine Seltenheit sind, eine Spielfortsetzung in den vorderen Bereichen des Spielfelds ermöglicht. Eine gelegentlich auftretende Problematik ergibt sich aus der weiträumigen Spielweise, durch die das Pressing nach dem Ballverlust nicht „griffig“ genug ist und einfach überspielt werden kann. Diese Momente werden oftmals durch die hohe Intensität und der erkennbaren Willensstärke, den Ball zu erobern, kaschiert.

    1. Nach einem langen Pass setzt Bamford den rechten Innenverteidiger (RIV) unter Druck. Harrison schiebt bereits nach, um den Druck zu erhöhen.

    2. Mit einem Dribbling kann sich Bamfords Gegenspieler befreien und auf den linken Innenverteidiger (LIV) passen. Harrison, Klich und Hernández haben sich an den ballnahen Gegenspielern orientiert, wobei letzterer bereits auf dem Weg nach vorne ist.

    3. Da Hernández erst nach der Annahme Druck erzeugt, kann der LIV ihn mit einem Dribbling überspielen. Klich verfolgt weiterhin seinen Gegenspieler und nimmt die Situation wahr.

    4. Klich löst sich und setzt den Ballführenden unter Druck. Dieser kann jedoch auf den freistehenden linken Verteidiger (LV) passen. Ayling erkennt die Absicht frühzeitig und sprintet den LV an.

    5. Zusammen mit Klich setzt Ayling den nun ballführenden LV in hohem Tempo unter Druck, sodass dieser einen langen Pass in die Tiefe spielen muss, der letztlich erobert wird.

    1. Ayling spielt unter Druck einen langen Pass in die Spitze.

    2. Roberts kommt nicht ins Kopfballduell, kann jedoch den Gegenspieler unter Druck setzen. Seine Mitspieler schieben bereits nach, sodass der Verteidiger nach außen köpfen muss.

    3. Bamford geht sofort mit dem Innenverteidiger (IV) in ein Laufduell um den Ball. Klich und Roberts schieben ballorientiert nach.

    4. Der IV ist eher am Ball und kann Bamford mit der Annahme ausspielen. Inzwischen haben sich die Hernández, Klich und Roberts an den ballnahen Gegnern orientiert.

    5. Der nun freie IV wird direkt von Roberts unter Druck gesetzt, während Klich und Hernández die Abstände zu den Gegenspielern verringern und sich näher zum Ballführenden postieren.

    6. Durch den direkten Druck von Roberts und die gedeckten ballnahen Mitspieler muss der IV einen langen Pass spielen, wodurch Leeds den Ball gewinnt.

Viel Licht und ein wenig Schatten

Extremes Pressing, pausenloser Angriffsfußball und konsequente Manndeckungen: Marcelo Bielsa hat bei Leeds United eine Spielweise geschaffen, die in der Championship seinesgleichen sucht. Doch aus dieser Spielweise ergeben sich auch einige Risiken, die immer wieder erkennbar sind. Häufig ist Leeds United die überlegende Mannschaft, öffnet aber durch individuelle Fehler oder nachlassender Kraft in den späten Phasen des Spiels Räume, die dem Gegner Chancen ermöglichen. Doch Bielsa betont stets, dass ihm die Art des Spielens wichtiger sei als das Ergebnis.

Wir wollen unseren Stil durchsetzen. In der gegnerischen Hälfte spielen, den Gegner dominieren, wenig lange Bälle schlagen.
Marcelo Bielsa, Cheftrainer Leeds United
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