Torhüterinnen-Analyse Olympia 2024
Bei den Olympischen Spielen 2024 in Paris nahmen 12 Nationen am Frauenfußball-Turnier teil. Die Goldmedaille gewannen die Spielerinnen der USA, die im Finale Brasilien mit 1:0 besiegten. Das gleiche Ergebnis erzielte auch die deutsche Mannschaft im Spiel um Platz 3 gegen Spanien.
Im Anschluss an das Turnier wurde vom Torwarttrainer*innenteam der Juniorinnen eine detaillierte Gegentor-Analyse durchgeführt, um neue Erkenntnisse und Trends im Torhüterinnenspiel zu gewinnen und diese in der Ausbildung zu berücksichtigen.
Silke Rottenberg | DFB-Torhüterinnenkoordinatorin und verantwortliche Torwarttrainerin U15-U23 Juniorinnen
Jan Blei | U16-Juniorinnen Nationaltorwarttrainer und Leiter Analyse
Michael Fuchs | Torwarttrainer der Frauen-Nationalmannschaft
Tanja Bacher | Torwarttrainerin der U19 Frauen-Nationalmannschaft
Aaron Bohnes | Torwarttrainer der U17 Juniorinnen-Nationalmannschaft
Mark van Raay | Torwarttrainer der U15 Juniorinnen-Nationalmannschaft
Gerhard Bode | Offensivspielexperte
Christian Hill | Torwarttrainer in den DFB-Torhüterinnen Camps
Analyse der Gegentore
Ein Baustein der Olympia-Analyse befasst sich damit, von wo und auf welche Weise Tore im Turnierverlauf gefallen sind. Daher wurden alle Treffer des Turniers kategorisiert und qualitativ näher betrachtet. Anders als bei der Analyse zur Frauen-WM 2023 in Australien und Neuseeland wurde diesmal nicht zwischen linker und rechter Strafraumhälfte unterschieden. Stattdessen wurde der Strafraum in die Nahdistanz 1 (ND1), die Nahdistanz 2 (ND2) und die Ferndistanz (FD) unterteilt. Um noch aussagekräftigere Werte zu erhalten, wurden die drei genannten Bereiche ebenfalls in drei Zonen unterteilt.
Nachdem die Tore den Kategorien zugeordnet worden waren, zeigte sich, dass knapp 30 % aus der Nahdistanz 2 Zone 3 erzielt wurden. Berücksichtigt man zusätzlich die Tore aus der zentralen Zone der Nahdistanz 1, so wurden beim Olympiaturnier 43 % der Tore aus der Golden Zone erzielt.
Olympia 2024 und WM 2023 im Vergleich
Vergleicht man die beiden letzten Turniere miteinander, so fällt auf, dass sich die Abschlusspositionen deutlich verändert haben. Bei der WM in Australien und Neuseeland wurde am häufigsten aus der zentralen Zone erfolgreich abgeschlossen (50 %). Torschüsse aus der Ferndistanz waren dagegen keine wirkliche Option für die Spielerinnen (7,5 %). Dieser Wert sollte sich ein Jahr später beim olympischen Turnier um knapp 10 % erhöhen.
Die Golden Zone wurde beim Olympischen Fußballturnier etwas besser verteidigt – es fielen 4 % weniger Tore aus dieser Zone. Welche Konsequenzen hatte dieses Verhalten? Wie lässt sich der Anstieg von Toren aus der Distanz erklären?
Mögliche Ursachen
Sjoeke Nüsken wird mit dem Rücken zum Tor angespielt. Da sie sich nicht aufdrehen kann, passt sie den Ball zu Giulia Gwinn, die den Ball mit in die Bewegung nimmt.
Die Nationalspielerin schließt mit ihrem zweiten Kontakt ab und ...
... ... trifft mit ihrem Torschuss platziert durch die Beine der Verteidigerin ins Eck. Die rote Linie zeigt, dass Naeher (amerikanische Torhüterin) in ihrer Positionierung die Winkelhalbierende nicht getroffen hat, wodurch der Weg in ihr rechtes Eck zu weit ist.
Dadurch muss sie Schritte nutzen und kommt in keinen finalen Abdruck mit dem rechten Bein. Diese Szene unterstreicht, dass die finale Position und das erfolgreiche Anwenden eines technischen Ablaufs in engem Zusammenhang stehen.
Die nigerianische Spielerin wird angespielt und dreht sich mit der Ballmitnahme zum japanischen Tor auf. Sie spielt anschließend eine Mitspielerin an, löst sich in den freien Raum und erhält den Ball wieder.
Die nigerianische Stürmerin schließt mit dem ersten Kontakt ab und erzielt den 2:1 Anschlusstreffer. Die japanische Torhüterin setzt den Abdruck minimal zu spät, sodass sie nicht schnell genug in die Zielverteidigungsaktion kommt.
Mit einen flachen Ball durch die Schnittstelle gelingt es Brasilien, in eine 2-gegen-2 Situation in der japanischen Hälfte zu kommen.
Die Brasilianerin kreuzt den Laufweg der Verteidigerin und passt im richtigen Moment auf die mitgelaufene Mitspielerin. Zu dieser Zeit hätte sich Yamashita (japanische Torhüterin) bereits klarer nach hinten absetzen können, da sich ihre Verteidigerinnen im Duell um den Ball befinden.
Die Brasilianerin schließt noch an der Strafraumkante mit dem ersten Kontakt ab und erzielt das 1:0 für Brasilien.
Fehlerbild: Die japanische Torhüterin kann durch ihre falsche Positionierung keine gute Zielverteidigungsaktion durchführen. Mit dem rechtzeitigen Anpassen der Position nach hinten, hätte sie sich Zeit verschaffen können.
Nach einer Balleroberung wird der Ball direkt auf Klara Bühl weitergeleitet.
Klara Bühl dribbelt auf den Strafraum von Sambia zu. Spätestens jetzt sollte die sambische Torhüterin wahrnehmen, dass die Gefahr für einen Torabschluss steigt.
Noch vor dem Strafraum schließt die deutsche Nationalspielerin ab und erzielt das zwischenzeitige 2:0.
Die sambische Torhüterin hat das Zeitfenster, um ihre Position auf die Winkelhalbierende anzupassen, verpasst und kann so das Gegentor nicht verhindern.
Gemeinsam verteidigen
Betrachtet man die Tore aus der Distanz, fällt auf, dass die Häfte aller Treffer auf einen direkten Fehler der Torhüterinnen zurückzuführen sind. Bei weiteren 33 % der Tore waren die Torhüterinnen durch ihr Handeln zumindest am Gegentor beteiligt.
Je länger das Olympische Turnier dauerte, desto seltener wurden Distanztore erzielt. In den K.o.-Spielen fiel kein einziges Tor von außerhalb des Strafraums.
Schützen der Golden Zone vs. Zugriff auf den Rückraum
Die Gegentor-Analyse hat gezeigt, dass die Nationen vor allem die Golden Zone beschützen und verteidigen wollten. Es fiel auf, dass nicht nur die Anzahl an Toren aus der Distanz im Vergleich zu den vergangenen Jahren zunahm, sondern auch die Zeitspanne, die den Spielerinnen im Rückraum gegeben wurde, relativ groß war. So konnten die Schützinnen bei 57 % der Treffer aus der Ferndistanz mit mindestens zwei Kontakten abschließen. Entsprechend haben die verteidigenden Mannschaften nicht ausreichend Druck auf die ballführende Spielerin ausgeübt.
Newsletter
Für die Akademie-Post anmelden und auf dem Laufenden bleiben!