Medizin

Verletzung des vorderen Kreuzbandes

Warum Frauen häufiger betroffen sind und wie präventives Training helfen kann

Verletzungen des vorderen Kreuzbandes (VKB) sind ein bedeutsames Problem im Fußball. Sie erfordern in der Regel lange Rehabilitationsprozesse und können erhebliche Auswirkungen auf die Leistung der Spieler*innen. Fußballer*innen sind aufgrund der sportartspezifischen Bewegungsanforderungen wie plötzlichen Stopps, Richtungswechseln und Sprungbewegungen besonders gefährdet, sich am Kreuzband zu verletzen [1, 2].

    • Die Ruptur des vorderen Kreuzbandes ist eine schwerwiegende Verletzung: Drei Jahre nach einer Kreuzbandverletzung spielen im Fußball nur noch 65% der Spieler*innen auf ihrem vorherigen Niveau.
    • Vordere Kreuzbandverletzungen ereignen sich im Fußball am häufigsten bei Richtungswechseln und Abbremsbewegungen, wenn der Fuß am Boden fixiert ist.
    • Die Verletzung tritt 20-mal häufiger im Spiel auf als im Training.
    • Frauen sind bis zu sechsmal häufiger von vorderen Kreuzbandverletzungen betroffen als Männer, was sowohl auf hormonelle Faktoren als auch Unterschiede in der Anatomie und Bewegungsstrategie zurückgeführt wird. 
    • Präventives Training kann das Risiko für vordere Kreuzbandverletzungen um bis zu 62% reduzieren. Hierfür sollte es zielgerichtet und langfristig durchgeführt werden und insbesondere die Komponenten Kraft, Beweglichkeit und Koordination ansprechen.

Wie häufig sind Kreuzbandrisse?

Eine Analyse gibt Einblick in das Thema. Fünfzehn Jahre lang wurden die Kreuzbandverletzungen in den jeweils höchsten nationalen Fußballligen aus 16 Ländern auf Kreuzbandverletzungen registriert. Die Bilanz: Insgesamt 149 männliche Spieler verletzten sich 157-mal am vorderen Kreuzband, was einer Verletzungsrate von 0,43 Verletzungen pro Team und Saison entspricht. Im Spiel traten VKB-Verletzungen 20-mal häufiger auf als im Training [8]. Noch deutlich höhere Verletzungsraten sind im Frauenfußball – vor allem im puberalen und post-puberalen Alter – zu erwarten. Verschiedene epidemiologischen Studien zeigen, dass von einem bis zu 6-fach erhöhten Verletzungsrisiko bei Fußballerinnen im Vergleich zu Fußballern auszugehen ist [1].

Während die meisten Spieler*innen durchschnittlich sechs Monate nach einer operativen VKB-Rekonstruktion wieder am Training teilnehmen können, treten bei einigen weitere Knieprobleme oder erneute VKB-Verletzungen auf, die zusätzliche Operationen erforderlich machen [8]. Dies wirkt sich häufig langfristig auf die sportliche Karriere aus, weshalb drei Jahre nach der Verletzung nur noch rund 65% der Fußballer*innen auf demselben Niveau spielen wie vor der Verletzung [8].  

Aufälligkeiten in fußballspezifischen Bewegungsmustern gilt es frühzeitig zu identifizieren, um wirksame Präventionsstrategien zu entwickeln. So kann dazu beigetragen werden, die Häufigkeit und die schwerwiegenden Auswirkungen von VKB-Verletzungen im Fußball zu verringern, um die langfristige Gesundheit zu sichern sowie den sportlichen Erfolg der Spieler*innen zu ermöglichen.

Wie entstehen Verletzungen des vorderen Kreuzbandes und was begünstigt sie?

Die Entstehung von VKB-Verletzungen ist multifaktoriell, das heißt, sowohl die Risikofaktoren als auch der Verletzungsmechanismus lassen sich nicht auf einen Faktor reduzieren.

Das VKB trägt wesentlich zur Stabilisierung des Kniegelenks bei, indem es vor allem in annähernd gestreckten Kniepositionen den Vorschub sowie die Innenrotation des Schienbeins (Tibia) im Verhältnis zum Oberschenkelknochen (Femur) begrenzt. Häufige Verletzungssituationen des VKB sind dementsprechend Abbrems- und Richtungswechselbewegungen bei nahezu gestrecktem Knie und mit auf dem Untergrund fixiertem Fuß [7].

Die Fixierung des Fußes spielt im Fußball durch das Zusammenspiel von Schuhwerk mit Stollen und Untergrund eine besonders große Rolle. Ist die Rotation des Fußes auf dem Boden durch die Stollen zu sehr gehemmt, erhöht sich das Risiko für diverse Verletzungen der unteren Extremität. Dieser Aspekt, in Kombination mit dem Anforderungsprofil der Sportart, das häufige und schnelle Richtungsänderungen beinhaltet, erklärt die hohe Verbreitung von VKB-Verletzungen im Fußball. 

Der Großteil der Verletzungen ereignet sich ohne direkten Gegnerkontakt bzw. nach einem indirekten, regelkonformen Kontakt etwa am Oberkörper [2]. Auf Grundlage großer Studien und Übersichtsarbeiten lassen sich einige Risikofaktoren für VKB-Verletzungen identifizieren, die in intrinsisch und extrinsisch unterteilt werden können. Einige dieser Faktoren sind durch ein gezieltes Athletiktraining und/oder die Schulung von Bewegungstechniken beeinflussbar, andere hingegen können nicht gesteuert werden. Einen Überblick über die wichtigsten Risikofaktoren für VKB-Verletzungen im Fußball gibt die folgende Abbildung [1, 3, 7].

Weshalb sind Fußballerinnen häufiger betroffen?

In der Literatur finden sich verschiedene Erklärungsansätze, warum Fußballerinnen ein erhöhtes Risiko für VKB-Verletzungen haben. Dabei werden anatomische, biomechanische, neuromuskuläre sowie hormonelle Faktoren berücksichtigt. Darüber hinaus scheint sich das Verletzungsrisiko in der ersten Hälfte des Menstruationszyklus zu erhöhen [1].

Muskulär weisen Frauen häufiger eine stark ausgeprägte vordere Oberschenkel (Quadriceps)-Muskulatur im Verhältnis zur hinteren Oberschenkelmuskulatur (Hamstrings) auf, wodurch der Vorschub der Tibia begünstigt wird. Zudem wird bei Frauen häufiger eine unzureichende neuromuskuläre Kontrolle des Oberkörpers in hochdynamischen Bewegungen beobachtet, was sich ebenfalls negativ auf die Kniebelastung auswirkt [3]. Sie tendieren außerdem dazu, die auf das Kniegelenk wirkenden Kräfte weniger muskulär zu absorbieren, sodass passive Strukturen wie Bänder stärker belastet werden [3].

Wie kann Training helfen, VKB-Verletzungen vorzubeugen?

Wirksamkeit der Trainingsprogramme

  • Die Inzidenz von VKB-Verletzungen kann durch präventive Trainingsprogramme um 51 bis 62% reduziert werden [6]. Dieses ist für alle Fußballer*innen empfehlenswert, insbesondere Juniorinnen zwischen 12 und 18 Jahren profitieren von einem langfristigen Aufbau. Physische Grundvoraussetzungen werden dadurch geschaffen und die Biomechanik verbessert sich. Auch die neuromuskuläre Kontrolle wird gestärkt, die vor allem während hochdynamischer und somit verletzungsanfälligen Bewegungen von großer Bedeutung ist.

Inhalte der Trainingsprogramme

  • Um effektiv zu sein, sollte das Training mehrere der folgenden Komponenten beinhalten: neuromuskuläres Training (neuromuskuläre Ansteuerungsmuster über plyometrische bis hin zu spielspezifischen Belastungen), Beweglichkeit, Balance, sportartspezifische Bewegungstechnik und Agilität [5]. Als Teil des Warm-up bietet sich das FIFA 11+ Programm an, das der allgemeinen Prävention von Verletzungen dient. Wenn es der zeitliche Rahmen zulässt, sollte das präventive Training nicht ausschließlich mannschaftsübergreifend stattfinden, sondern darüber hinaus auf besonders anfällige Spieler*innen individuell zugeschnitten und progressiv gesteigert werden. Zudem wird auf die korrekte Technik und eine hohe Qualität in der Bewegungsausführung geachtet.

Trainingshäufigkeit und -umfang

  • Die Übungen sollten vor und während der Saison, also langfristig und kontinuierlich, in das reguläre Fußballtraining integriert werden und mindestens zwei bis drei Mal pro Woche à 15 bis 20 Minuten durchgeführt werden [5]. 

Diagnostik zur individualisierten Trainingsplanung

  • Um individuelle Schwächen der Spieler*innen erkennen und gezielte Trainingsprogramme entwickeln zu können, bedarf es diagnostischer Methoden. Die einfachste Möglichkeit ist die qualitative Beurteilung der Bewegungsabläufe durch geschulte Personen, ggf. unter Zuhilfenahme von Videoaufnahmen. Weitaus komplexer, aber dafür exakter und unabhängig von der bewertenden Person, sind dreidimensionale Bewegungsanalysen. Diese können neben den von außen sichtbaren Gelenkstellungen auch Aufschluss über die Kräfte geben, die innerhalb der Gelenke wirken.
  • Die Auswahl der mannschaftsübergreifenden Testübungen basiert in der Regel auf typischen Verletzungssituationen, zum Beispiel Richtungswechseln, Abbremsbewegungen und Sprüngen. Im Anschluss wird im individualisierten Training zunächst die neuromuskuläre Basis fokussiert und der Anspruch allmählich durch plyometrische Übungen und das Training der sportartspezifischen Agilität gesteigert.

Spezifisches Projekt des DFB

Das Medizinische Zentrum des DFB hat sich intensiv mit den Kreuzbandverletzungen von U-Nationalspieler*innen beschäftigt. Dabei wurden medizinische, physiotherapeutische und biomechanische Testverfahren eingesetzt. Das interdisziplinäre Expert*innenenteam von Ärzt*innen und Physiotherapeut*innen der DFB-Nationalmannschaften sowie des Instituts für Sport- und Sportwissenschaft der Universität Freiburg konnten individuelle Risikoprofile ermitteln.

Beispiele für Trainingsinhalte
    • Eine gerade und aufrechte Körperposition einnehmen
    • In jeder Hand eine Kleinhantel halten
    • Das eine Bein nach hinten strecken, während der Oberkörper nach vorne gebeugt wird
    • In der finalen Position bilden Kopf, Rücken und Bein eine waagerechte Linie
    • Aus der Ausgangsposition erfolgt ein Ausfallschritt nach vorne
    • Das vordere Knie ist angewinkelt, das hintere senkt sich in Richtung Boden
    • Den Oberkörper erst in die eine und danach zur anderen Seite drehen
    • Anschließend die Beinposition wechseln und die Übung erneut ausführen
    • Den Sprung aus einer Fallhöhe von circa zehn Zentimeter ausführen
    • Eine aufrechte Position einnehmen und die Arme gerade an den Hüften anlegen
    • Ohne Schwung nach unten fallen lassen
    • Vom Boden aus möglichst hoch und mit maximalem Kraft- und Armeinsatz wieder abspringen
    • Der Abstand zwischen zwei nicht benachbarten Hütchen beträgt fünf Meter
    • An einem Hütchen starten und jeweils ein entferntes Hütchen im Stern anlaufen
    • Kurze, explosive Sprints
    • Jedes Hütchen mit der Hand kurz antippen

Aufklärung als Bestandteil des Gesamtkonzeptes

  • Fußballer*innen und Trainer*innen sollten dafür sensibilisiert werden, dass sie das Risiko für VKB-Verletzungen durch zielgerichtete Maßnahmen aktiv reduzieren können. Aufgrund der vielfältigen Risikofaktoren für VKB-Verletzungen sollte ein ganzheitlicher, präventiver Ansatz gewählt werden. Das athletische Training steht zwar im Vordergrund, weitere Faktoren wie eine gezielte Belastungssteuerung mit ausreichender Regeneration oder die Wahl des richtigen Schuhwerks sind jedoch ebenfalls von Bedeutung.
Broschüre der VBG

Return to competition

Testmanual zur Beurteilung der Spielfähigkeit nach Ruptur des vorderen Kreuzbands.

pdf 2,7 MB

Literatur

    1. Alentorn-Geli et al. (2009). Prevention of non-contact anterior cruciate ligament injuries in soccer players. Part 1: Mechanisms of injury and underlying risk factors.

    2. Della Villa et al. (2020). Systematic video analysis of ACL injuries in professional male football (soccer): injury mechanisms, situational patterns and biomechanics study on 134 consecutive cases.

    3. Hewett et al. (2010). Understanding and Preventing ACL Injuries: Current Biomechanical and epidemiologic considerations – Update 2010.

    4. Mattu et al. (2022). Prevention of Non-Contact Anterior Cruciate Ligament Injuries among Youth Female Athletes: An Umbrella Review.

    5. Olivares-Jabalera et al. (2021). Exercise-Based Training Strategies to Reduce the Incidence or Mitigate the Risk Factors of Anterior Cruciate Ligament Injury in Adult Football (Soccer) Players: A Systematic Review.

    6. Padua et al. (2018). National athletic trainers' association position statement: Prevention of anterior cruciate ligament injury.

    7. VBG (2015). Return-to-Competition Testmanual zur Beurteilung der Spielfähigkeit nach Ruptur des vorderen Kreuzbandes.

    8. Waldén et al. (2016). ACL injuries in men’s professional football: a 15-year prospective study on time trends and return-to-play rates reveals only 65% of players still play at the top level 3 years after ACL rupture.