Spielanalyse

Zielverteidigung

Beim Torschuss auf dem Posten sein!

Bei der Zielverteidigung ist der Torhüter in seiner ursprünglichen Rolle gefragt: Den Schuss, den direkten Angriff auf das Tor zu entschärfen. In der Analyse wurde das Verhalten der Torhüter bei Abschlüssen aus der Fern- und Nahdistanz untersucht. Besondere Aufmerksamkeit bekam die Golden Zone, die nur im Zusammenspiel mit der Mannschaft effektiv verteidigt werden kann.

Die meisten Gegentreffer fielen aus dem Spiel

Knapp 73 Prozent der kompletten Torhüter-Aktionen bei der EURO 2020 konnten dem Offensivspiel mit dem Fuß oder mit der Hand zugeordnet werden. Das letzte Viertel teilte sich fast gleichwertig auf die Raum- und die Zielverteidigung auf, also auf die klassischen Aufgaben des Torhüters. Betrachtet man jedoch nur die rein qualitativen Torwart-Aktionen, also Aktionen, die einen erhöhten Anspruch an den Torhüter haben, wie beispielsweise Zeit-, Raum-, Gegner- und Präzisionsdruck, dann nimmt die Zielverteidigung mit 40 Prozent einen weitaus größeren Anteil ein, was die Bedeutung im Spiel des Torhüters unterstreicht.

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Betrachtet man die 142 Turniertreffer im Detail, so fielen sie zu 80 Prozent aus dem Spiel heraus, während die Standards das übrige Fünftel ausmachten. Bei diesen Gegentoren waren die Torhüter zu über 50 Prozent beteiligt. Rund die Hälfte der Gegentore fielen aus der frontalen Nahdistanz, die den Großteil der Golden Zone abdeckt, und knapp 34 Prozent aus den seitlichen Nahdistanzen. Dagegen ließen sich die restlichen Gegentore allesamt der Ferndistanz zuordnen. Mit einem besseren technisch-taktischen Verhalten hätten mehr Tore verhindert werden können. Aber auch das Verhalten der Mannschaft ist entscheidend für die erfolgreiche Verteidigung des Tores.

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Fernschüsse

Unter Fernschüssen werden solche Abschlüsse verstanden, die aus einer Distanz von mehr als 16 Metern Entfernung zum Tor erfolgen. Der Torhüter muss sich in seiner Position auf eine Zielverteidigungsaktion ausrichten, ohne dabei die mentale Bereitschaft für die Raumverteidigung zu vernachlässigen. Die Mannschaft muss gefährliche Räume schließen und Abschlussdruck auf den Schützen erzeugen, was mitentscheidend bei der Verteidigung des Tores ist, wie die folgenden Szenen unterstreichen.

    1. Ball in direkter Torgefahr: Der Torwart (TW) hat vollen Fokus auf den Schützen und ist in seiner Grundstellung auf einen möglichen Torschuss vorbereitet.

    2. Im Moment des Torschusses hat der TW eine gute Position auf der Winkelhalbierenden eingenommen und ist in angemessener Distanz zum Schützen. Beim Auftakt verlagert er jedoch zu früh auf das linke Bein.

    3. Darüber hinaus ist das Blockverhalten der Verteidiger nicht konsequent. Sie drehen sich vom Ball weg, haben wenig Dichte und die 'offenen Beine' führen zu gefährlichen Lücken.

    4. Durch das inkonsequente Blockverhalten ist der Torschuss für den TW schwer zu verteidigen und letztlich unhaltbar.

    1. Der gegnerische Außenstürmer dribbelt ungehindert auf die letzte Kette zu. Der Torwart (TW) hat vollen Fokus auf den Schützen und ist in der Grundstellung auf einen möglichen Torschuss vorbereitet.

    2. Nun ist der Ball in direkter Torgefahr. Im Moment des Torschusses hat der TW eine gute Position auf der Winkelhalbierenden eingenommen und ist in angemessener Distanz zum Schützen. Die Verteidiger üben jedoch keinen Abschlussdruck auf den Angreifer aus.

    3. Aufgrund seiner Grundstellung kann der TW seine Technik einleiten. Gleichzeitig halten die Verteidiger die Dichte und decken die ballnahe Torseite ab.

    4. Trotz maximaler Streckung und dynamischem Abdruck kann der TW den Torschuss jedoch nicht verteidigen. Durch den fehlenden Abschlussdruck – passive Verteidiger! – landet der Torschuss platziert und unhaltbar im Tor.

    1. Da sich der Ball in indirekter Torgefahr befindet, steht der Torwart (TW) zunächst in einer offensiven Position und signalisiert Bereitschaft im Raum zu agieren. Mit dem Dribbling vom zentralen offensiven Mittelfeldspieler (ZOM) schaltet er von Raum- auf Zielverteidigung um und passt seine Position nach hinten an. Die Verteidiger weichen zurück und versuchen das Zentrum zu verdichten.

    2. Mit dem Eindringen des ZOMs in die torgefährliche Zone geht der TW in die Grundstellung und ist für eine mögliche Zielverteidigungsaktion vorbereitet. Der ballnahe Innenverteidiger (IV) versucht, den Angreifer nach außen zu lenken. Der ZOM überwindet jedoch den IV, gelangt in dessen Rücken und schließt auf das Tor ab.

    3. In dem Moment, wo der ZOM das Standbein setzt, ist der TW in seiner Grundstellung auf der Winkelhalbierenden und in angemessener Distanz zum Schützen. Dadurch kann er jederzeit auf den Ball reagieren. Der ballnahe IV versucht, Abschlussdruck zu erzeugen, ohne die Blockdichte zu vernachlässigen.

    4. Das Positionsmanagement des TWs ist die Basis für die erfolgreiche Zielverteidigung. Der absolute Wille das Tor zu verteidigen, veredelt das gute Positionsmanagement. Dabei hilft ihm seine Dynamik im Abdruck.

Verteidigen der Golden Zone nach Pass in die Tiefe

In der Golden Zone ist das virtuelle Tor am größten und am schwersten zu verteidigen. Die Mannschaft ist gefordert. Der Angreifer muss nach außen in eine seitliche und damit in eine schlechtere Schussposition gelenkt werden, um den Winkel für den eigenen Torhüter zu verbessern.

    1. Nach einem Ballgewinn bespielt der Gegner das offene Zentrum mit einem Pass zum Stürmer (ST) in die Tiefe. Der Torwart (TW) erkennt, dass er nicht eingreifen kann und nimmt eine tiefere Position ein. Gleichzeitig versucht der linke Innenverteidiger (IV) noch, die inner Linie zu schließen.

    2. Der ST dribbelt entgegen der Laufrichtung des IVs, überwindet diesen und setzt zum Torschuss an.

    3. Im Moment des Torschusses hat der TW eine ordentliche Position auf der Winkelhalbierenden eingenommen und ist in angemessener Distanz zum Schützen. Mit dem Abdruck nach innen hat er jedoch zu wenig Reichweite bzw. Zeit.

    4. Letztlich ist der Torschuss unhaltbar, da in der vorherrschenden Spielsituation das virtuelle Tor groß ist und der Angreifer keinen Abschlussdruck hat.

    1. Ball in indirekter Torgefahr: Der Außenstürmer (AS) kappt ins Zentrum ab, woraufhin der ballnahe Innenverteidiger (AV) nach vorne rückt, um den den gegnerischen Stürmer (ST) ins Abseits zu stellen. Währenddessen nimmt der Torwart (TW) eine adäquate Höhe ein und zeigt Bereitschaft für eine Raumverteidigung.

    2. Da der Rest der Abwehrkette nicht vorrückt, steht der ST im Rücken des vorgerückten IVs frei und bietet sich für einen Pass in die Tiefe an, den der AS auch spielt.

    3. Nun herrscht extreme Torgefahr: Der TW erkennt die Situation zu spät und kommt nur zögerlich aus dem Tor. Dadurch verpasst er es nah in Blockdistanz zu gelangen. Die überspielten Verteidiger können nur durch Nachsetzen Abschlussdruck erzeugen.

    4. Trotzdem hat der Torhüter eine gute Kontrolle und verkleinert mithilfe des Vorschiebens das virtuelle Tor. Der unkonventionelle Abschluss aus dem Sprung erschwert jedoch die Verteidigungsaktion.

    5. Im Moment des Torschusses ist der TW noch in Bewegung, wodurch die Blockdichte nicht gegeben ist. Aufgrund fehlender Balance ist sein Körper hinter den Füßen und folglich seine Schulterachse nach hinten weggedreht. Letztlich geht der Ball knapp am Oberkörper vorbei.

    1. Nach einem Ballgewinn dribbelt der gegnerische Stürmer (ST) auf die Abwehrkette zu. Die Innenverteidiger (IV) erkennen die Unterzahl und weichen zurück.

    2. Dabei halten sie die innere Linie und schließen die Golden Zone. Der ST passt zum Außenstürmer (AS).

    3. Kurz vor dem Strafraum stellt der ballnahe IV den AS, wobei er ihn bewusst nach außen lenkt und konsequent die Golden Zone schützt. Der AS entscheidet sich für den 'äußeren' Weg und dribbelt in den Strafraum. Der Torwart (TW) nimmt die Situation aufmerksam wahr ...

    4. ... und passt seine Position entsprechend an. Der ballnahe IV drängt der AS in den spitzen Winkel und verkleinert dadurch das virtuelle Tor für den TW. Gleichzeitig rücken die anderen Verteidiger nach und schließen die Golden Zone für einen möglichen Querpass.

    5. Beim Eindringen in den Torraum schiebt der TW an den AS heran, um in Blockdistanz zu kommen und das virtuelle Tor noch weiter zu verkleinern.

Nahdistanz

Ziel der Mannschaft ist es, die Größe des virtuellen Tores maximal zu minimieren. Für den Torhüter ist es entsprechend wichtig, permanent aufmerksam zu sein, die Torgefahr einzuschätzen und dank optimaler Positionierung (Winkelhalbierende und Distanz) bereit zu sein, das Tor mit vollem Einsatz zu verteidigen.

    1. Ball in indirekter Torgefahr: Der Torwart (TW) hat eine defensive und passive Position eingenommen, zeigt keine Bereitschaft für die Raumverteidigung. Im Verlauf der Spielsituation flankt der Gegner zum Stürmer (ST) in den Strafraum.

    2. Dort verschätzt sich der Verteidiger (AMF), während der TW in seinem Positionsmanagement zu langsam ist und in keiner guten Position für eine Direktabnahme ist. Der ST nimmt jedoch zum Tor an ...

    3. ... und schließt ab. Trotz des spitzen Winkels und dem damit verbundenen kleinen virtuellen Tor, stürzt der TW dem Angreifer entgegen und ist im Moment des Torschusses nicht in der Grundstellung.

    4. Folglich steht der TW in der 'Red Zone' und kann keine kontrollierte Technik anwenden. Der Schuss geht nah am TW vorbei, der in der Not einen 'blinden Block' setzt.

Fazit

Nur gemeinsam lassen sich Gegentore verteidigen. Die Abstimmung zwischen dem Torwart und seiner Mannschaft ist wesentlich für eine erfolgreiche Defensive. Folgende Prinzipien stehen im Zentrum:

  • Die Mannschaft muss versuchen, die „Golden Zone“ zu schließen und die Angreifer nach außen abzudrängen.
  • Wenn die Mannschaft die „Golden Zone“ verteidigt, muss der Torhüter in der Lage sein, unter Einhaltung seiner Prinzipien in der Zielverteidigung, effektiv das Tor verteidigen.
  • Gegenseitiges Unterstützen durch Coaching ist in diesem Zusammenspiel notwendig.

Für den Torhüter ist es wichtig, permanent "online" zu sein und durch optimales Positionsmanagement rechtzeitig in die bestmögliche Ausgangslage zu kommen.