Spielanalyse

Die Vorrunde der FIFA Frauen-WM 2019

Die Favoritinnen setzen sich durch. Intensität und Tempo haben auch in der Breite zugenommen.

Die französischen Angreiferin Gauvin erzielt beim WM-Gruppenspiel gegen Norwegen einen Treffer. © 2019 Getty Images / Michael Regan
  1. Silvia Neid

    Als Trainerin Weltmeister 2007, als Co-Trainerin 2003. Goldmedaillengewinnerin 2016 in Rio. Achtmal Europameister als Spielerin, Co- bzw. Trainerin sowie FIFA-Welttrainerin 2010, 2013 und 2016. Seit 2016 Leiterin der Scouting-Abteilung Frauen- und Mädchenfußball beim DFB und dabei ständig auf der Suche nach den aktuellen Trends im Frauenfußball.

Alle Favoritinnen konnten in die K.o.-Runde einziehen und sich teils mit individueller Klasse teils mit mannschaftlicher Geschlossenheit durchsetzen. Insgesamt gab es aber auch eine Entwicklung in der Breite. In nahezu allen Spielen agierten die Teams mit viel Power und hoher Dynamik. Ab dem Achtelfinale wird es umso mehr auf die Effektivität vor dem Tor ankommen.

Gute Athletik bei allen Teams

Das Spiel ist schneller geworden, auch in der Breite intensiver. Die Laufleistungen der Mannschaften waren bereits in der Vorrunde hoch, und es waren auch keine konditionellen Einbrüche mehr zum Ende eines Spiels zu beobachten. Athletisch sind die Spielerinnen sehr gut ausgebildet, was sich auch in ihrem physischen Erscheinungsbild zeigt. Es gab viele knappe Ergebnisse – wenn man einmal von dem Spiel der USA gegen Thailand absieht – und die Teams mussten oft bis zum Abpfiff aufmerksam bleiben. Auch direkte Spielverlagerungen waren zu beobachten, Flugbälle wurden nicht mehr aufgrund eines Kraftdefizits vermieden.

Kaum technische Defizite

Technisch zeichnen die Spielerinnen eine hohe Ballsicherheit aus. Die Passschärfe war insgesamt ebenfalls hoch und auch die Ballan- und mitnahmen wirkten sehr sicher. Viele Teams überzeugten mit einem guten Spielaufbau, der durch die oben genannten Qualitäten meist fehlerfrei war. Es waren auch einige Kopfballtore zu verzeichnen, die oft nach Flanken über außen zustande kamen. Bei den Torhüterinnen waren teils bei den Teams Defizite auszumachen, die bei dieser WM ihr Debüt feierten.

Taktisch clever und erfolgreich über außen

Fast alle Mannschaften verfügten über eine gute Raumaufteilung, spielten in ihren jeweiligen Grundordnungen diszipliniert und geordnet. In der Defensive verengten die Teams die Räume effektiv, sodass ein einfaches Durchspielen kaum möglich war. Dennoch versuchten die Mannschaften, eine spielerische Lösung herbeizuführen, um Abwehrreihen zu überspielen bzw. in die nächste Ebene zu kommen. Es waren viele gute Bewegungen in den Zwischenräumen auszumachen und die Spielerinnen zeigten oft ein taktisch cleveres Verhalten, indem sie versuchten, ihre Gegnerinnen aus den Positionen zu locken. Ein gutes Umschaltverhalten in beide Richtungen zeichnete alle Top-Teams aus. Zudem sorgten viele Angriffe über die Außenpositionen für Gefahr in den gegnerischen Strafräumen (vgl. die folgenden Szenen).

    1. Kanada ist tief in der eigenen Hälfte. Neuseeland übt Druck auf die Ballbesitzerin Sinclair aus, die zu Beckie am Flügel passt.

    2. Beckie erkennt den freien Raum im Rücken und spielt einen langen Pass hinter die Abwehrreihe Neuseelands zu Prince. Fleming läuft dem Pass sofort im höchsten Tempo nach.

    3. Prince erläuft das Zuspiel und dribbelt mit einem Bewegungsvorsprung weiter Richtung gegnerischen Strafraum.

    4. Dort spielt Prince einen genauen Pass in den Rücken der beiden neuseeländischen Abwehrspielerinnen auf Fleming, die das Zuspiel ohne große Mühe zum 1:0 in die ballferne Ecke verwerten kann.

    1. England im Spielaufbau: Houghton spielt einen flachen und scharfen Pass auf Taylor, die zuvor in den freien Raum zwischen den beiden Abwehrreihen gelaufen ist.

    2. Taylor leitet direkt zu Kirby weiter, die den Ball mit einem Kontakt zur Seite an- und mitnimmt.

    3. Kirby spielt zu Scott, ...

    4. ...die direkt weiterleitet zu Parris. Parris dribbelt an und übt Druck auf die gegnerische Abwehrreihe aus.

    5. Parris erkennt die Gleichzahlsituation im Zentrum und spielt einen Chipball auf Taylor. Taylor schließt per Kopf ab, den Ball kann Correa allerdings abwehren.

    1. Die Niederlande im Spielaufbau: Bloodworth erkennt, dass van de Sanden (nicht im Bild) am rechten Flügel freisteht und spielt einen langen Pass.

    2. Van de Sanden nimmt das hohe Zuspiel sicher an und mit und dribbelt Richtung gegnerische Verteidigerin. Groenen bietet sich zum Anspiel an.

    3. Im richtigen Moment spielt Groenen den Pass auf van de Senden, die sofort weiter Druck auf das gegnerische Tor ausübt.

    4. Miedema erkennt, dass van de Senden flanken kann und sprintet mit höchstem Tempo in den Raum vor ihr. Van de Sanden erkennt dies und spielt einen Flugball in ihre Richtung.

    5. Das Zuspiel kann Miedema ohne große Mühe zum 1:0 verwerten.

Ausblick

Schon in der Vorrunde hatten viele Spiele einen knappen Ausgang. Dieser Trend wird sich in der K.-o.-Runde sicherlich weiter fortsetzen, da sich Raum-, Zeit- und Gegnerdruck weiter erhöhen werden. Die Intensität der Spiele wird weiter steigen, auch die Anforderungen an die Spielerinnen werden (noch) höher. In den Achtelfinals wird es umso mehr auf die Effektivität vor dem Tor ankommen! Wer weit kommen will, wird hier eine besondere Qualität zeigen müssen!

Es ist faszinierend zu sehen, welche Entwicklungen der Frauenfußball bei dieser WM nimmt.
Silvia Neid, Leiterin der Scouting-Abteilung Frauen- und Mädchenfußball beim DFB
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