Spielanalyse

Eduardo Camavinga - der unauffällige Leistungsträger

Mit gerade einmal 17 Jahren gehört Eduardo Camavinga zu den großen Talenten in Frankreichs Ligue 1. Wir schauen uns sein taktisches Profil genauer an.

Eduardo Camavinga im Ligaspiel gegen AS Saint-Étienne. © 2020 imago images/PanoramiC
  1. Christopher Toetz

    Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Die Nachwuchsakademie von Stade Rennes galt lange Zeit als die beste Frankreichs und ist im weltweiten Vergleich immer noch eine der Talentschmieden, die eine überdurchschnittlich hohe Anzahl von Profispielern ausbildet. In der Vergangenheit hat der Verein große Namen wie Sylvain Wiltord, Yoann Gourcuff, Yacine Brahimi oder Ousmane Dembélé herausgebracht. Im aktuellen Kader sind mit Joris Gnagnon und Eduardo Camavinga zwei ehemalige Akademie-Spieler vertreten. Letzterer feierte bereits mit 16 Jahren sein Profidebüt und entwickelte sich in nur wenigen Monaten zur Stammkraft und zum Leistungsträger.

Spielweise

Camavinga läuft meist als Teil einer 'Doppel-Sechs' in einem 4-4-2 auf, wobei er auch die Rolle des alleinigen 'Sechsers' in einem 5-3-2 ausfüllen kann. Generell sorgt er bei eigenem Ballbesitz für die Anbindung der Abwehr ans Mittelfeld, ermöglicht stabile Kombinationen und überwindet das gegnerische Pressing. Er ist zwar nicht der Spielgestalter im Aufbauspiel, doch er besitzt ein sicheres Gespür für die vorherrschenden Spielsituationen und erkennt oftmals die optimalen Räume für die einfache Spielfortsetzung. In der Defensive verfügt Camavinga aufgrund seiner Physis und Fertigkeiten über ein variables Profil: Seine Dynamik ermöglicht ihm, dass er sowohl die Rolle des 'Balljägers' übernehmen kann, als auch die des Manndeckers. Doch er kann auch den abwartenden Part bekleiden und ruhig aus seiner Position vor der Abwehr heraus agieren.

Wahrnehmung als Basis

Camavinga ist ein verbindender und unterstützender Spielertyp, der jedoch sehr präsent sein kann. Er beherrscht dabei den flachen Kurzpass ebenso wie die lange diagonale Verlagerung, wohingegen er selten den entscheidenden Pass hinter die gegnerische Abwehrreihe spielt. Neben seiner geringen Anzahl an Fehlpässen, seiner sauberen Ballverteilung und seinen guten Fähigkeiten in der Ballbehauptung besticht Camavinga durch seine Entscheidungsfindung. Als Basis hierfür dient eine sehr gute Vororientierung, durch die er sich ein größeres Zeitfenster verschafft. Nur selten spielt er Pässe in enge Situationen hinein und bringt seine Mitspieler in Bedrängnis. Stattdessen verlagert er im richtigen Moment die Seiten.

    1. Nach einem Rückpass wird Traoré unter Druck gesetzt. Camavinga positioniert sich mittig zwischen den Gegenspielern und fordert ein Zuspiel, das er auch erhält. Mit dem Pass blickt sich Camavinga bereits um ...

    2. ... und nimmt den heranrückenden Gegenspieler wahr. Daraufhin dribbelt Camavinga in Richtung Del Castillo, der bereits vom gegnerischen Außenverteidiger (AV) angelaufen wird.

    3. Camavinga und Del Castillo nehmen die Situation deckungsgleich wahr und nutzen den Raum im Rücken des AVs. Camavinga passt in den Lauf von Del Castillo, der das Spiel mit einem Dribbling fortsetzt.

    1. Nach einem Angriffsversuch passt Tait zu Camavinga zurück, der bereits in die Tiefe schaut.

    2. Mit der Annahme laufen die zentralen Angreifer den Raum zwischen der Abwehr- und Grundlinie an, den Camavinga auch bespielt.

    3. Letztlich landet die Hereingabe bei Del Castillo, der präzise in die ballnahe Ecke köpft.

    1. Camavinga passt zu Del Castillo in die Halbspur und läuft in die Tiefe.

    2. Del Castillo dribbelt an, woraufhin Camavinga seinen Lauf abbricht und in dessen Rücken absichert.

    3. Del Castillo kappt vor dem Gegenspieler ab und passt zu Camavinga, der bereits auf die ballferne Seite blickt.

    4. Camavinga dreht mit der Annahme auf und spielt eine Verlagerung zu Tait, der das Spiel mit einem Dribbling fortsetzt.

Stets anspielbar

Eine Qualität von Camavinga ist sein offensives Bewegungsspiel. Er hat ein gutes Gespür für die entstehenden Strukturen der Angriffssituationen, die er mit kurzzeitigen Überladungen oder ausweichenden Bewegungen angemessen unterstützt. Dadurch löst er Spielsituationen, in denen ein möglicher Ballverlust droht, bereits vorzeitig auf. Das hält nicht nur die eigene Ballzirkulation am Leben, sondern verringert zudem auch die Anzahl an gegnerischen Kontern, wodurch sich die defensive Stabilität der eigenen Mannschaft erhöht.

    1. Stade Rennes im Aufbau: Léa Siliki dribbelt an, während Camavinga die Situation auf der ballfernen Seite wahrnimmt.

    2. Léa Siliki passt zu Tait, der zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldreihe freisteht. Camavinga blickt ein weiteres Mal auf die ballferne Seite.

    3. Tait dreht auf und wird direkt unter Druck gesetzt. Camavinga unterstützt umgehend und bietet sich „auf Lücke“ für ein Zuspiel an, das er auch erhält. Während des Anbietens blickt er sich ein weiteres Mal um.

    4. Dadurch kann er direkt zu Nzonzi weiterleiten und so das Spieltempo hochhalten.

    1. Del Castillo sammelt einen 'freien’ Ball auf und dribbelt entgegen der Spielrichtung. Camavinga nimmt den Dribbelweg wahr und bietet sich in der Zentrumsspur an.

    2. Del Castillo passt zu Camavinga in den Lauf, ...

    3. ... der den freien Raum mit einem Dribbling in Richtung Strafraum nutzt. Dort bindet er den gegnerischen Innenverteidiger (IV) und Außenverteidiger (AV).

    4. Camavinga sucht das 1 gegen 1 gegen den IV, bricht nach innen durch und dringt in den Strafraum ein. Der AV erkennt die Situation frühzeitig und rückt an Camavinga heran, ...

    5. ... der jedoch trotz des Gegnerdrucks den 1:0-Siegtreffer erzielt.

Gegen den Ball

In der Defensive überzeugt Camavinga durch seine Positionierung und Antizipation, wodurch es ihm oftmals gelingt, Pässe abzufangen oder im richtigen Moment auf ein aktives Abwehrverhalten umzuschalten. Hierbei wirkt seine beachtliche Grundschnelligkeit unterstützend. Seine Zweikämpfe führt Camavinga mit einer gewissen Robustheit – er verzeichnet die viertmeisten Tacklings in der Ligue 1 - durch die er sich jedoch auch schon einige gelbe Karten eingehandelt hat.

    1. Nach einem weiten Einwurf verliert Hunou das Duell gegen den Innenverteidiger (IV), der zum Außenverteidiger (AV) weiterleitet. Camavinga nimmt die Situation wahr.

    2. Hunou setzt den AV sofort unter Druck, woraufhin dieser sich nach hinten aufdreht. Camavinga erkennt die Absicht frühzeitig, rückt an den AV heran und ...

    3. ... klärt den Ball mit einem Tackling ins Seitenaus.

    1. Der gegnerische Außenverteidiger (AV) gerät in der Außenspur unter Druck. Camavinga nimmt die Situation wahr und hat bereits eine aktive Grundstellung eingenommen. Der AV spielt einen Pass in die Tiefe, ...

    2. ... den Camavinga akrobatisch abfängt und direkt zu Grenier weiterleitet.

    3. Grenier wird mit der Annahme direkt unter Druck gesetzt. Camavinga erkennt die Situation frühzeitig, löst sich im Rücken des Gegenspielers und bietet sich für ein Zuspiel an.

    4. Grenier passt zu Camavinga, der sich vor der Annahme bereits umblickt und die anlaufenden Gegenspieler wahrnimmt.

    5. Daraufhin passt Camavinga direkt zurück und ermöglicht seiner Mannschaft einen ruhigen Spielaufbau.

Vielseitiges Profil

Unter dem Strich ist Camavinga weniger ein Spieler für die Highlight-Clips, sondern eher einer, der unauffällig seine Aufgaben erledigt und so das Spiel der eigenen Mannschaft vereinfacht. Trotz seines jungen Alters agiert er sehr ruhig mit dem Ball, hat stets den ganzen Platz im Blick und ist in der Lage, das Tempo und die Dynamik des Spiels zu verändern. Kombiniert man diese Fähigkeiten mit seinen physischen Voraussetzungen sowie defensiven Qualitäten, wirkt er bislang wie ein kompletter Allrounder.

Camavinga spielt schon fast wie ein 30-jähriger. Seine Fähigkeit, das Spiel zu analysieren, ist sehr außergewöhnlich.
Willy Sagnol, Ligue 1-Experte
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