Fokus Sturm: Die Golden Zone

DFB startet positionspezifisches „Stürmer*innen-Programm“

Talententwicklung
Der Ball liegt im Tor nachdem Real Soiedad's Adnan Januzaj trifft Real Valladolid's Torwart Jordi Masip © 2020 imago images/Agencia EFE

Der deutsche Fußball kann in seiner Historie auf einige „echte“ Mittelstürmer wie Gerd Müller und ­Miroslav Klose verweisen, die einen großen Anteil an seiner Erfolgsgeschichte hatten. Das derzeitige Dilemma ist jedoch, dass es in Deutschland exakt für dieses Anforderungsprofil an Spieler*innen von Weltklasse-Format mangelt! Aus diesem Grund startet der DFB das „Stürmer*innen-Programm“: Zukünftig sollen wieder vermehrt spiel-, durchsetzungsstarke und treffsichere Angreifer*innen-Typen in zentralen Positionen ausgebildet werden. Auf der Grundlage einer ausgiebigen Profil-Analyse erfolgte die Erarbeitung eines Praxis-Konzepts, welches die Ausbildungsqualität kurz- bis mittelfristig erhöht.

Analyse des Weltfußballs

Das effiziente Herausspielen von Toren gegen kompakt organisierte, disziplinierte, taktisch clevere, laufstarke und aggressive Teams ist und bleibt die große Herausforderung für die Zukunft. Basis zur Ableitung einer erfolgreichen Angrifsskonzeption ist dabei zunächst eine detaillierte quantitative (Daten und Statistiken) und qualitative Auswertung (Analyse und Interpretation „typischer“ Aktionsmuster) erfolgreicher Torabschlüsse im internationalen und nationalen Spitzenfußball (Champions League und Bundesliga).

Wir haben uns gefragt: Von wo fallen die meisten Tore? Wie werden die Treffer erzielt? Und aus welchen Spielfeldbereichen werden diese Tore vorbereitet? Hierfür haben wir uns an den Benchmarks orientiert – den besten Mannschaften und Top-Stürmer*innen!
Stefan Kuntz

Besonders auffällig ist, dass in allen Wettbewerben der Großteil der Torchancen und Treffer (bis zu 85%) aus zentralen Positionen zwischen Torlinie und Elfmeterpunkt/Strafraumlinie fällt. Fast die Hälfte aller Treffer werden zudem per Direktschuss erzielt. Je nach Situation wenden die Angreifer*innen bei diesen Abschlüssen aus kurzer Distanz flexibel eine große Variationsbreite an Torschusstechniken an. Zudem lässt sich bei der Betrachtung der Strafraum-Tore feststellen, dass über ein Drittel der Treffer, die aus dem Spiel heraus fielen, aus den Halbspuren innerhalb des Strafraums vorbereitet wurden.

Diese Beobachtungen lassen sich allgemeingültig ableiten und in ein grafisches Modell verpacken (siehe Abbildung 2). So lässt sich die zentrale Zone, also die mit der höchsten Trefferwahrscheinlichkeit, als Golden Zone und die nebenliegenden Halbspuren als Assistzonen kennzeichnen. Ein Modell, das jedem Coach bei der individuellen Erstellung der eigenen Spielkonzeption hinsichtlich des Angriffsspiels eine Orientierung geben kann.

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Komplexe Anforderungen

Die Analyse zeigt auch, dass individuelle Qualitäten eine unverzichtbare Erfolgskomponente jeder Team-Strategie sind. Angriffskonzepte, die die nötige Effizienz haben wollen, können auf herausragende Individualist*innen vor dem Tor nicht verzichten! Gerade in der Golden Zone, einem stark verengten Aktionsraum, sind Angreifer*innen gefragt, die sich unter größtem Zeit-, Raum- und Gegnerdruck behaupten und mit wenigen Kontakten erfolgreich zum Abschluss kommen können. Diese besonderen individuellen Qualitäten zeigen somit ein Anforderungsprofil junger Spieler*innen auf, das durch eine perspektivisch angelegte Ausbildungspraxis und ein spezielles Coaching zu fördern und zu fordern ist!

  1. Ein Kontakt-Tore mit dem Fuß

    • Innenspann, Innenseite, Volley, Dropkick, Abstauber, etc.

    Zwei-Kontakt-Tore mit dem Fuß

    • Zwei schnelle Kontakte, Schuss aus der Drehung, etc.

    Mehr-Kontakt-Tore mit dem Fuß

    • Schussfinte, 1-vs-TW, Lupfer, TW umkurven, etc.

    Kopfballtore

    • in der Luft, mit Bodenkontakt

Umsetzung in unseren U-Teams

Die Routine bekommt man durch das tägliche Training und die Extraschichten.
Miroslav Klose
Auf einem Fußballfeld liegen drei Fußbälle in einem Tornetz.

Die Tore der Champions League 2018/2019

Weitere Fertigkeiten

    • Golden Zone (Box) besetzen!
    • Mitspieler*in und Ball im Blick haben!
    • Timing – Moment des finales Passes antizipieren!
    • In den Ball gehen!

  1. Widerstandsfähigkeit

    • Unterschiedliche Vorbelastungen im Abschlussmoment

    Anpassungsfähigkeit

    • Wechselnde Intensitäten vor einem Abschlussmoment (Tempowechsel, Richtungswechsel, etc.)

    Stabilität und Durchsetzungsfähigkeit

    • Unter permanentem Gegnerdruck sich und den Ball behaupten
    • Einfachheit und Konstanz durch Wiederholungen erfahren
    • Vorstellungskraft/Fantasie für eine Gefühl (Instinkt) in Offensivsituationen entwickeln
    • Emotionalität und Umgang mit Misserfolg (im Torabschluss) begleiten
    • Persönlichkeitsmerkmale fördern: Wille, Zielstrebigkeiten, Fokus, Egoismus

Umsetzung in unseren U-Teams

Benchmark Profis

    1. Gaćinović erläuft ein Zuspiel entlang der Seitenlinie und dribbelt im hohen Tempo in Richtung gegnerisches Tor. Gleichzeitig rückt Dost, der sich im Rücken des Innenverteidigers (IV) positioniert hat, in den Strafraum nach und besetzt die Golden Zone

    2. Dabei hat Dost stets den Mitspieler und Ball im Blick. Gaćinović dribbelt zur Grundlinie ...

    3. ... und passt aus der Assistzone in die Golden Zone, wo Dost mit dem richtigen Timing aus dem Rücken des IVs zum Ball startet ...

    4. ... und die Hereingabe vor dem IV zum 1:0-Führungstreffer verwertet.

    1. Einwurf Bayern München: Lewandowski lässt sich in die ballnahe Halbspur zurückfallen, zieht so den Innenverteidiger (IV) mit und fordert ein Zuspiel vom Einwerfer, das er auch erhält.

    2. Mit der Annahme gerät Lewandowski bereits in einen Zweikampf mit dem IV. Doch Lewandowski behauptet sich unter Gegnerdruck, dribbelt nach hinten weg und sichert den Ballbesitz mit einem Pass zu Müller.

    3. Anschließend passt Lewandowski seine Laufrichtung umgehend an und wählt den direkten Weg zum Tor. Müller passt zu Kimmich, der die Spielsituation mit einem Dribbling fortsetzt.

    4. Im weiteren Verlauf fordert Lewandowski, der noch ohne gegnerische Zuordnung ist, einen Pass in den Raum im Rücken der Abwehr. Hierfür wechselt er das Tempo und beschleunigt deutlich. Kimmich passt jedoch zu Gnabry in die Tiefe.

    5. Lewandowski hält sein Tempo aufrecht und rückt in die Golden Zone nach, wo er einen klaren Bewegungsvorsprung gegenüber den Verteidigern hat. Gnabry nimmt die Situation wahr und spielt einen flachen Pass in die Mitte.

    6. Lewandowski erläuft die Hereingabe und verwertet zum 1:0-Führungstreffer.

    1. Delaney köpft einen Gladbacher Eckball aus dem Strafraum. Haaland, der zuvor den Raum am ballnahen Pfosten besetzt hat, nimmt die Situation wahr und läuft frühzeitig nach vorne.

    2. Sancho und der gegnerische äußere Mittelfeldspieler (AMF) gehen in den Zweikampf um den geklärten Ball, woraufhin dieser letztlich bei Hummels landet.

    3. Anschließend köpft Hummels zu Sancho in den freien Raum, der umgehend Tempo aufnimmt und einen Konter einleitet. Mit dem Kopfball sprintet Haaland bereits instinktiv in die Tiefe, ...

    4. ... wobei er mit einer absoluten Zielstrebigkeit und dem Willen ein Tor erzielen zu wollen überzeugt.

    5. Im Verlauf des Konters kann Dortmund eine 4-gegen-3-Überzahl herstellen, wobei Haaland schon auf Höhe des ballführenden Sanchos ist. Dieser dribbelt weiter in Richtung Tor und bindet so den absichernden zentralen defensiven Mittelfeldspieler (ZDM).

    6. Kurz vor dem Strafraum verzögert Sancho für einen Moment, wodurch der ZDM kurz das Tempo rausnimmt, was sich Haaland zunutze macht, in dem er aus dessen Rücken ein Zuspiel in die Tiefe fordert. Sancho passt in den Lauf von Haaland, der mit einem präzisen Direktschuss verwertet.

Auf einem Fußballfeld liegen drei Fußbälle in einem Tornetz.

Mbappés Tore der Saison 2018/19

Praxis-Konzepte anpassen

Aus dem Anforderungsprofil treffsicherer Angreifer*innen im Spitzenfußball lassen sich zielsicher die Trainings- und Ausbildungsschwerpunkte aktueller bzw. zukünftiger Top-Stürmer*innen ableiten. Dabei ist eine auf jede*n Einzelne*n ausgerichtete Praxis der Schlüssel für eine zukunftsorientierte Ausbildung spielstarker, technisch-taktisch versierter und kreativer Talente mit herausragenden individuellen Qualitäten. Neben dem Training von technisch-taktischen Fertigkeiten gilt es, aus den Beobachtungen abgeleitete Prinzipien zu etablieren, die den Angreifer*innen im Moment des Torschusses eine Orientierung geben.

Ich war mit meinen Mitspieler*innen am Kopfballpendel und habe mir dort die Sicherheit geholt.
Alexandra Popp