Kolumne

Streichsbier: "Alles aufsaugen, emotionale 90 Minuten abliefern"

Experten-Kolumne auf DFB.de: Sportliche Leitung und Trainer vermitteln Hintergründe rund um den Elite-Nachwuchs und die DFB-Teams. Regelmäßig, authentisch und mit aktuellem Bezug. Heute: Guido Streichsbier, Trainer der U 19-Nationalmannschaft, spricht über das Finale zwischen Borussia Dortmund und VfB Stuttgart um die Deutsche Meisterschaft der A-Junioren, vorbildliche Nachwuchsarbeit und deren Rolle für die Aus- und Weiterbildung von Nationalspielern.

Ich besuche am Sonntag naturgemäß das Meisterschaftsendspiel der A-Junioren. Der VfB Stuttgart gewann mit seiner U 19 bereits zehn Mal die Deutsche Meisterschaft, Borussia Dortmund sieben Mal. Damit führen beide Vereine die Liste der häufigsten Meisterschaftssiege bei den A-Junioren an. Soviel zur Statistik. Gewonnene Titel sind aber nicht immer gleichbedeutend mit erfolgreicher Nachwuchsarbeit. Wie viele Spieler später im professionellen Fußball landen, sollte der Gradmesser sein. Wenn das eine mit dem anderen einher geht, ist es aus meiner Sicht perfekt. Doch was macht die Nachwuchsarbeit des VfB Stuttgart und von Borussia Dortmund so erfolgreich und warum sind Nachwuchsleistungszentren für die die Ausbildung von jungen Nationalspielern so wichtig? Es sind Fragen, mit denen wir uns vor der spannenden Finalpartie am Sonntag in Großaspach auseinandergesetzt haben.

Die Halbfinals habe ich gesehen: Für mich zeigte der VfB Stuttgart im Spiel gegen den VfL Wolfsburg über die gesamten 90 Minuten eine ruhige und kontrollierte Spielanlage. Bei Borussia Dortmund war es im Halbfinale gegen Schalke 04 ähnlich. Beide Teams sind mit ihrer Leistung verdient ins Finale eingezogen. Somit stehen sich beide Vereine nach dem B-Junioren-Finale 2015 erneut an gleicher Stelle gegenüber.

Viele Nationalspieler mit Stuttgarter Wurzeln

Der VfB blickt auf eine lange Tradition zurück. Schon seit 25 Jahren leistet der Verein hervorragende Jugendarbeit, was sich auch bei einem Blick auf die Nationalmannschaft zeigt. Bernd Leno, Joshua Kimmich, Serge Gnabry, und Timo Werner haben alle eins gemein: Sie spielten beim VfB Stuttgart in der Jugend.

Bei Borussia Dortmund wurden vor einigen Jahren einige Stellschrauben in der Jugendarbeit verändert. Seither ist der BVB regelmäßig mit der U 17 und U 19 unter den Top-Mannschaften in der A- und B-Junioren-Bundesliga.

Jeder Spieler hat ein Stärken-Schwächen-Profil

Was bedeutet Nachwuchsarbeit? Einerseits möchte jeder Sportler und Verein im höheren Jugendbereich Titel einfahren. Zudem strebt jede gewissenhafte Nachwuchsabteilung nach Nachhaltigkeit und Durchlässigkeit, in dem den eigenen Talenten der Sprung in die Profiabteilung gelingen soll. Ziel sollte es dabei sein, den Spielern einerseits Hilfestellungen zu geben und andererseits gezielt Leistungen einzufordern, die sie in ihrer Spielerentwicklung weiterbringen. Das kann bei dem einen Spieler Technik, bei dem anderen wiederum Athletik oder mentale Stärke sein. Die Vielfältigkeit ist die Herausforderung und ein guter Nachwuchstrainer sieht darin seine Aufgabe oder idealerweise seine Passion. Jeder Spieler hat sein individuelles Stärken-Schwächen-Profil, das es herauszustellen und zu analysieren gilt.

Hier sind wir als Ausbilder gefragt, indem wir uns zunächst der Stärken und Schwächen der Spieler bewusst sind. Wir müssen die Spieler unterstützen, aber auch einfordern und unnachgiebig dabei sein, an ihren Fähigkeiten zu arbeiten und diese zu entwickeln. Ein regelmäßiges Feedback ist hierfür wichtig. Mit einer intensiven Nachwuchsarbeit können aus meiner Sicht durchaus die individuelle Spielerentwicklung und der mannschaftliche Erfolg in Einklang gebracht werden.

Immer wieder neue Impulse setzen

Für mich sind die Nachwuchsleistungszentren sehr wichtig. Sie liefern eine Struktur, in der die Spieler im jungen Alter bereits an professionelle Bedingungen gewöhnt werden. Als DFB-Trainer bin ich mit meinen U-Trainer-Kollegen regelmäßig mit den Vereinen im Austausch, um diese Entwicklung rund um unsere potenziellen Nationalspieler zu fördern. Von dieser Struktur und dem Austausch profitieren beide Seiten, dennoch müssen wir die sportlichen Inhalte immer wieder hinterfragen und gegebenenfalls neue Impulse setzen. Bei einem Blick auf die Youth League wird deutlich, dass wir im internationalen Vergleich etwas schwächer abschneiden als andere Nationen. Hoffenheim war in dieser Saison eine tolle Ausnahme.

Aus solchen Vergleichen können wir alle, die im Fußballnachwuchs tätig sind, sehr viele Erkenntnisse ziehen. In Summe haben wir in Deutschland gute Nachwuchsspieler, aber es gilt jetzt, mit Hartnäckigkeit und detaillierter Arbeit in den nächsten drei bis fünf Jahren wieder dahin zu kommen, dass wir in jedem Jahrgang viele Spieler auf absolutem Topniveau ausbilden. Da sind wir alle gefordert!

Spieler lernen sich in Stresssituationen kennen

Zurück zum A-Junioren-Finale am Sonntag: Wir wollen sehen, wie die Spieler in solchen wichtigen Endspielen agieren. In Drucksituationen ist meist Nervosität zu erkennen und es fehlt nicht selten ein Stück spielerische Lockerheit. Aber genau das sind die Finalspiele, die ein Spieler im höheren Jugendbereich auch benötigt, um sich weiterzuentwickeln und über sich hinaus zu wachsen. Deswegen sind genauso U-Länderspiele sowie Turniere mit der Nationalmannschaft für die jungen Spieler so enorm wichtig. Die Jungs lernen sich dabei selbst kennen: "Wie kann ich meine Leistung in Drucksituationen abrufen? Wie reagiere ich in Stresssituationen?", das sind wertvolle Erfahrungen und Erkenntnisse für die jungen Sportler.

Als Trainer der U-Nationalmannschaften sind wir gefragt, Hand in Hand mit den Vereinen zu gehen, damit wir den Talenten diese entscheidenden Entwicklungsschritte ermöglichen. Wir alle sollten nur ein Ziel haben: Das maximale Leistungsniveau eines Spielers herauskitzeln.

Ins Gedächtnis spielen

Mit Ferjani, Raschl und Osterhage auf Dortmunder Seite sowie Dajaku, Aidonis, Lockl, Bätzner, Hornung und Hottmann auf Stuttgarter Seite sind auch viele junge Nationalspieler aus unseren Reihen am Sonntag auf dem Platz. Wir als U-Trainer haben den Anspruch an die Jungs, dass sich kein Zuschauer fragen muss, wer bereits in einer U-Nationalmannschaft gespielt hat, sondern sie durch ihre Leistung und ihr Auftreten vorangehen.

Grundsätzlich haben alle Akteure die Möglichkeit, auf ihre Entwicklung und ihr Leistungsniveau aufmerksam zu machen. In allererster Linie sollen die Jungs das Finale genießen und die Chance, eine Deutsche Meisterschaft zu gewinnen, beim Schopfe packen. Ich kann den Spielern nur empfehlen, alles rund um diese Veranstaltung aufzusaugen, die Trainerstrategie aufzunehmen und emotionale 90 Minuten abzuliefern. Ich wünsche viel Erfolg dabei und ich freue mich auf das Spiel.

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