Kolumne

U 16-Trainer Prus: "Den Talentpool bestmöglich ausschöpfen"

Experten-Kolumne auf DFB.de: Sportliche Leitung und Trainer vermitteln Hintergründe rund um den DFB-Nachwuchs und die DFB-Teams. Regelmäßig, authentisch und mit aktuellem Bezug. Heute Michael Prus, Trainer der U 16-Nationalmannschaft, der erklärt, wie für sein Team das erste Trainingslager im Ausland ablief und wie er seine Rolle als U-Trainer sieht.

Als wir unsere letzte Trainingseinheit absolvierten, spürte ich einmal mehr, wie die Mannschaft in den vergangenen Tagen zusammengewachsen war. Die Jungs legten eine Spielfreude an den Tag, waren mit vollem Herzen dabei und arbeiteten konzentriert. Insgesamt zwölf Tage – vom 3. bis 14. Januar – waren wir bei besten Bedingungen mit der U 16-Nationalmannschaft im Trainingslager im spanischen La Manga. Auch die von Christian Wück trainierte U 17 absolvierte zur gleichen Zeit ihren Lehrgang. Für die Spieler aus meinem Team – sie sind Jahrgang 2004 – war das ein Novum, bei dem sie sich vieles von den "Älteren" abschauen konnten.

An Spielphilosophie arbeiten

Die Jungs – die meisten sind 15 Jahre alt, einige auch schon 16 – waren jeweils zu sechst in einem Appartement untergebracht. Das hat das Zusammenwachsen total gefördert. Zusätzlich ist auch abseits des Trainings mit Schule und Unterricht, Videoanalyse und Regeneration viel geboten. Engagiert zu Werke gingen die Jungs auch beim gemeinsamen Kochen – nach einer Einführung durch DFB-Koch Andre Göldner in einem Kurzvortrag zu gesunder Ernährung. Die DFB-Medienabteilung war extra vor Ort und schulte die Spieler zum Thema Social Media und probte mit ihnen auch Interviews vor der Kamera. Begeistert hörten die jungen Kicker am Vortag bereits unserem Trainerhospitanten Thomas Broich zu, der aus seinem Leben als Profi in Deutschland und Australien viele spannende Anekdoten zu berichten hatte. Fragen kamen auch zu seiner jetzigen Tätigkeit als TV-Experte. So absolvierten die Jungs ein durchaus straffes, lehrreiches Programm, bei dem sie dennoch ausreichend Freiräume hatten.

Im Mittelpunkt stand für meine beiden Trainerassistenten Mike Büskens und Janis Hohenhövel und mich, dass wir mit der Mannschaft an unserer Spielphilosophie arbeiten. In der Hinrunde der Saison 2019/2020 absolvierten wir bereits drei Länderspiel-Lehrgänge – stets mit einem unterschiedlichen Kader. Wir wollten vielen Talenten des Jahrgangs 2004 auf internationalem Niveau eine erste Chance geben. In der Rückrunde werden wir zwar weiterhin bundesweit sichten und versuchen, den Talentpool bestmöglich auszuschöpfen, aber gleichzeitig allmählich dahinkommen, aus den Jungs mit dem größten Potenzial ein starkes Team zu formen. In der Saison 2020/2021 müssen wir schließlich in den "Wettkampfmodus" schalten: Die Jungs rücken in die U 17 auf und werden ihre erste EM-Qualifikation spielen. Unser Fernziel lautet: die Teilnahme an der U 17-EURO 2021 in Zypern.

Nicht vorschnell selektieren

Bei den U-Nationalmannschaften sehe ich die Trainerrolle auch darin, die talentierten Spieler – gemeinsam mit den Vereinen, Leistungszentren und Verbänden – zu entwickeln und nicht vorschnell zu selektieren. Bei einem solch ausgedehnten Trainingslager wie in La Manga bietet sich die Chance, die Spieler besser kennenzulernen, viel intensiver mit ihnen – auch individuell – zu arbeiten und ihnen aufzuzeigen, was sie voranbringt. Schwerpunkte dabei waren sowohl Einzelgespräche als auch individuelle Videoanalysen. Auch unsere DFB-Akademie unterstützte dabei: In La Manga war unter anderem Ex-Profi Jan-Ingwer Callsen-Bracker dabei und coachte die Jungs in "Neuroathletik". Das soll in puncto Verletzungsprophylaxe und Leistungssteigerung helfen. Er übernahm zum Beispiel einen Teil des Aufwärmens, wo es um eine verbesserte Wahrnehmung ging. Ein weiteres Highlight gab es für unsere Offensivakteure, die unter Leitung des U 21-Trainers Stefan Kuntz mit seinem "Co" Antonio Di Salvo ein spezielles Stürmer-Training absolvierten. Klare Anweisungen und gute Tipps gab es aber nicht nur in den beiden eigens konzipierten Trainingseinheiten, sondern auch nach den Spielen wurde intensiv analysiert. Dazu waren auch die Trainerkollegen von der U 15- bis zur U 20-Nationalmannschaft vor Ort, damit wir uns gemeinsam austauschen konnten.

Natürlich lief auch im Trainingslager noch nicht alles rund: Wir müssen mehr Dynamik und mehr Konsequenz in das Spiel der Jungs bekommen. Das setzt wiederum technische Fähigkeiten voraus: Ballan- und -mitnahme, erster Kontakt, Passsicherheit, Übersicht, Orientierung. Ich erwarte von den Talenten, dass sie sich nicht darauf ausruhen, bei den U-Nationalmannschaften dabei zu sein, sondern es als Anlass nehmen, sich noch bewusster weiterzuentwickeln. Ihre Laufbahn soll jetzt erst so richtig beginnen.