Spielanalyse

Mit Chip-Bällen die Abwehr überspielen

Chip-Bälle können ein effektives Mittel sein, um gegnerische Abwehrreihen zu knacken. Doch wie setzt man sie richtig ein?

Paris Saint-Germains Angreifer Neymar mit einem Chipball © 2019 FRANCK FIFE/AFP/Getty Images
  1. Marius Fischer

    Marius Fischer, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Hohe Chip-Bälle über die letzte Verteidigungslinie des Gegners werden vergleichsweise selten genutzt. Dabei sind sie ein probates Mittel, um vor allem tiefstehende Mannschaften auszuspielen und für einen Überraschungsmoment zu sorgen,

Ein komplexes Angriffsmittel

Als Chip-Bälle bezeichnet man hohe Pässe, die in der Regel mit dem Innenspann ausgeführt werden. Da sie im Gegensatz zur Flanke zumeist aus dem Zentrum gespielt werden und eine Ballannahme erfordern, müssen Chip-Bälle weich und präzise sein, damit der Passempfänger sie optimal verarbeiten kann. Da dies sehr viel Kreativität und Gefühl im Fuß verlangt, werden sie vor allem von technisch starken Offensivspielern ausgefüht. Erfolgreiche Chip-Bälle, die zu Toren führen sieht man jedoch noch eher selten, da es neben der richtigen Ausführung vor allem auch auf das Timing des Mitspielers ankommt. Durch die hohe Flugbahn des Balles muss der Angreifer genau im richtigen Moment in den Rücken der Abwehr starten. Hierbei kommt es häufig zu Abseitspositionen oder einfachen Ballgewinnen für die Verteidiger.

Einen tiefen Abwehrblock knacken

Dennoch können Chip-Bälle gerade gegen tief stehende Abwehrreihen ein effektives Mittel sein. Wenn der Gegner sich bis an den eigenen Sechzehner zurückzieht und das Zentrum kompakt zustellt, gibt es oft keine Schnittstellen, die bespielt werden können. Hier bietet der hohe Chip über die Abwehrreihe eine Lösungsmöglichkeit, da er unabhängig von vorhandenen Schnittstellen ausgeführt werden kann. Entscheidend sind jetzt die Tiefenläufe der Mitspieler. Da die verteidigende Mannschaft voll auf den ballführenden Spieler fokussiert ist, bietet sich häufig die Gelegenheit, im Rücken des Gegenspielers in den Raum hinter der Abwehr zu starten, um dort angespielt werden zu können.

    1. Marco Asensio dribbelt in den rechten Halbraum, ...

    2. ... erkennt den Laufweg von Mariano und chippt den Ball über die Abwehr an den Elfmeterpunkt, ...

    3. ... wo Mariano per Direktabnahme zu einer Torchance kommt.

    1. Wenzell-Halls dribbelt von der rechten Außenspur in Richtung Zentumspur.

    2. Er erkennt den Tiefenlauf von Bautheac und chippt den Ball an den Fünfmeterraum, ...

    3. ... wo Bautheac den Ball annimmt und per Fallrückzieher ins Tor abschließt.

Außenverteidiger als Zielspieler

Offensive Außenverteidiger können diese Tiefenläufe besonders effektiv ausführen.
Sie haben zumeist keinen direkten Gegenspieler, der sie eng deckt und können dies mit diagonalen Läufen hinter die Abwehrreihe ausnutzen. Mit hohem Tempo aus der Außenspur kommend, können sie nur noch schwer von einem gegnerischen Abwehrspieler aufgenommen werden und eignen sich daher hervorragend als Ziel eines Chip-Balls.

    1. Lacazette passt in die rechte Halbspur auf Özil.

    2. Özil sieht den startenden Linksverteidiger Monreal und chippt den Ball in den freien Raum hinter der Abwehr zum ballfernen Pfosten.

    3. Monreal timed seinen Lauf perfekt und kann per Grätsche ins Tor abschließen.

    1. Reus spielt den Ball in die linke Halbspur auf Witsel.

    2. Hakimi startet aus der rechten Außenspur in Richtung Tor. Witsel erkennt dies und chippt den Ball an den ballfernen Pfosten.

    3. Hakimi kommt unbedrängt zum Torschuss.

Alternative zu flachen Schnittstellenpässen

Da Flugbälle für einen Verteidiger generell schwerer einzuschätzen sind, bieten Chip-Bälle auch gegen höhere Abwehrreihen oder im Konterspiel situative Vorteile. Während ein flacher Pass gerade von kompakten, eng stehenden Verteidigern leicht abgefangen werden kann, sorgen Chip-Bälle für einen Überraschungseffekt.

    1. Özil dribbelt in die Zentrumsspur, ...

    2. ... erkennt den freien Raum hinter der hoch stehenden Abwehr, in den Saka einläuft und spielt einen flachen Schnittstellenpass, ...

    3. ... der vom gegnerischen Innenverteidiger (IV) abgefangen wird.

    1. Ein abgeprallter Ball landet bei Pogba, ...

    2. ... der den Ball mit der Annahme hoch lupft und an den Sechzehner auf den gestarteten Rashford chippt.

    3. Rashford nimmt den Ball mit und schließt ins Tor ab.

Mut und Kreativität

Chip-Bälle können ein effektives Angriffsmittel sein, um sich hinter eine Abwehrreihe zu kombinieren. Neben der technisch korrekten Ausführung und dem gut getimten Tiefenlauf der Mitspieler benötigt es aber vor allem Mut und Kreativität.
Unter Gegnerdruck und auf engem Raum muss in kürzester Zeit eine Entscheidung getroffen werden - oft gegen den riskanteren Chip und für den Sicherheitspass. Dabei ist es genau dieses Überraschungsmoment eines Chip-Balls, der ein enges Spiel gegen einen kompakt verteidigenden Gegner entscheiden kann.

Kreativität spielt eine große Rolle für mich als Spieler, um Räume zu öffnen, die andere nicht sehen.
Paul Pogba, Mittelfeldspieler bei Manchester United
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