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Frohms: "Gemeinsam den jeweils besten Spielstil finden"

Die Anforderungen an Torhüter*innen sind in den vergangenen Jahren kontinuierlich gestiegen. Um Nachwuchstorhüter*innen bestmöglich auf diese Anforderungen vorzubereiten, hat die DFB-Akademie unter der Leitung von Torwartkoordinator Marc Ziegler die "Torwart-DNA" entwickelt. Eine, die das Konzept verinnerlicht hat, ist Merle Frohms. Im DFB.de-Interview erzählt die Nationaltorhüterin, worauf es beim modernen Torwartspiel ankommt und wie es sich trainieren lässt.

DFB.de: Im letzten Kabinentalk haben Sie gemeinsam mit DFB-Torwartkoordinator Marc Ziegler und Nationaltorhüter Bernd Leno die neu entwickelte "Torwart-DNA" des DFB vorgestellt. Was hat es damit auf sich, Frau Frohms?

Merle Frohms: Die Torwart-DNA soll in erster Linie als Leitfaden für die Ausbildung von Nachwuchstorhüter*innen dienen. Das erarbeitete Konzept definiert, was wir in Deutschland unter modernem Torwartspiel verstehen und wie wir das vermitteln wollen. So haben Torhüter*innen und Trainer*innen eine Orientierungshilfe, was von ihnen erwartet wird. Aber auch für den DFB ist es von Vorteil, einheitlich ausgebildete Jugendspieler*innen zu haben. Wenn diese schon im Nachwuchsbereich mit dem Konzept gearbeitet haben, erleichtert das die weitere Arbeit im Erwachsenenbereich und in den Nationalmannschaften.

DFB.de: Viele der dort formulierten Kernfaktoren für erfolgreiche Torhüter*innen beziehen sich auf die Fähigkeit, das Spiel lesen zu können. Wie lange dauert es, auf dieses Niveau zu kommen, das Spiel aktiv mitzugestalten?

Frohms: Das ist sehr individuell. Dem einen fällt es leichter, Situationen frühzeitig zu erkennen, weil er ein gutes Gespür für das Spiel an sich hat. Der andere muss sich diese Fähigkeit über das Sammeln von Erfahrungen selbst erarbeiten. Das ist sehr unterschiedlich und hat viel mit Instinkt und Wahrnehmung zu tun. Kognitiv muss man in der Lage sein, Situationen von Grund auf erkennen zu können, um dann geeignete Schlüsse daraus zu ziehen. Je nach Veranlagung der jeweiligen Torhüter*in sind auch die Trainingsansätze unterschiedlich. Der eine muss zunächst an seiner Wahrnehmung arbeiten, während die andere schon durch die reine Wiederholung von Spielsituationen lernen kann, diese frühzeitig zu erkennen.

DFB.de: Inwiefern können Impulse von außen dabei helfen, diese Art des Torwartspiels zu verinnerlichen?

Frohms: Hilfe von außen ist dabei definitiv sinnvoll. Wir arbeiten viel mit Videoanalysen, um Muster zu erkennen, in welchen Momenten man die Situation hätte antizipieren können. Ich denke, allein kann man das gar nicht alles abdecken. Da braucht es schon eine helfende Hand, die aufzeigt, an welchen Punkten man ansetzen kann, um Spielsituationen besser lesen zu können.

DFB.de: Wie viel davon ist erlernbar und wie viel Veranlagung der Torhüter*innen?

Frohms: Ich denke, die Veranlagung ist die Basis, denn Intuition und ein grundlegendes Spielverständnis sind nur schwer erlernbar. Darauf aufbauend, lassen sich dann Muster erkennen, wie man Spielsituationen, angepasst an den eigenen Spielstil, lösen kann. Dadurch ist es möglich, das Spiel so zu beeinflussen, dass sich die persönlichen Stärken ausspielen lassen. 

DFB.de: Wie läuft der Austausch mit Marc Ziegler und Ihren Torwarttrainer*innen ab?

Frohms: Auch wenn wir nicht mit der Nationalmannschaft unterwegs sind, stehen wir im permanenten Austausch miteinander - sei es nach einem Spiel oder wenn es bestimmte Themen zu besprechen gibt. Wir arbeiten dafür viel mit Videoanalysen. Wenn Szenen für mich unklar sind, hole ich mir gerne Feedback ein. Marc Ziegler und die Torwarttrainer*innen arbeiten auch sehr eng mit meinem Torwarttrainer im Verein zusammen, der mich ebenfalls nach dem DFB-Konzept trainiert. Von daher kriege ich von allen Seiten Input und regelmäßiges Feedback.

DFB.de: Inwiefern hat sich das Torwarttraining in Deutschland in den vergangenen Jahren verändert?

Frohms: Das Torwarttraining, das ich von früher noch kenne, war viel auf Athletik und Dynamik ausgerichtet. Da lag der Fokus eher auf der Sprungkraft und weniger auf der Technik. Ganz nach dem Motto: "Wer hält, hat Recht!" (lacht) Das hat sich inzwischen geändert. Mittlerweile beobachten die Trainer*innen genau, wie der Ball gehalten wird beziehungsweise an welchen Stellschrauben die Torhüterin drehen kann, um die Wahrscheinlichkeit zu erhöhen, ein Tor zu verhindern. Da kommt es oftmals auf Details an - zum Beispiel auf die Schrittstellung oder die Verlagerung des Körperschwerpunktes. Auch das Stellungsspiel ist häufig ein entscheidender Faktor.

DFB.de: Hilft es, schon in jüngeren Jahren mit der technischen Komponente in Berührung zu kommen, oder leidet darunter möglicherweise die Intuition der Torhüter*innen?

Frohms: Es besteht durchaus die Gefahr, dass man versucht, einen Plan abzuarbeiten und darunter die Intuition im Spiel leidet. Es ist auch definitiv nicht Sinn und Zweck des Konzeptes, den einen einheitlichen Torwarttypen zu kreieren. Vielmehr geht es darum, individuell an den Stärken und Schwächen der Torhüter*innen zu arbeiten. Es ist wichtig, eine Mischung zu finden. Mir hat es gutgetan, mich im jungen Alter ausprobieren zu können. Aber mir hat es definitiv auch geholfen, im Erwachsenenalter eine Struktur in mein Torwartspiel zu bringen. Diese Struktur gibt mir die Sicherheit, für jede Situation einen Plan zu haben, an den ich mich halten kann.

DFB.de: Wie wichtig ist die konstante Betreuung durch spezifische Torwarttrainer*innen?

Frohms: Die ist sehr wichtig. Ziele zu haben, an denen man gemeinsam mit seinen Trainer*innen arbeitet, können das Torwartspiel nur besser machen. Wenn man sich im Nachgang von Spielen oder Trainingseinheiten gemeinsam die Videoanalysen anschaut, hilft einem das dabei, den eigenen Leistungsstand zu reflektieren und Fortschritte zu kontrollieren. Mannschaftstrainer können zwar im Spiel bewerten, inwiefern man sich verbessert hat, aber sie können eben nicht zwingend benennen, woher diese Verbesserung kommt. Da ist es dann sinnvoll, jemanden an der Hand zu haben, der einem konkrete Lösungsansätze aufzeigen und diese im Training einstudieren lassen kann.

DFB.de: Eigene Torwarttrainer*innen sind, gerade im Frauenfußball, in den unteren Ligen keine Selbstverständlichkeit. Ist es für Nachwuchstorhüter*innen aus Ihrer Sicht also ratsam, bei höherklassigen Vereinen zu trainieren und dafür möglicherweise weniger Spielpraxis in Kauf zu nehmen?

Frohms: Ich denke, dass die Spielpraxis trotz allem am wichtigsten ist. Im Training lassen sich zwar viele Situationen nachstellen, aber letztendlich ist die Umsetzung im Spiel das Entscheidende. Wenn man dann irgendwann qualitativ hochwertiges Torwarttraining mit der Spielpraxis verbinden kann, ist das optimal. Aber die Erfahrung und die Erkenntnisse sammelt man einfach im Spiel.

DFB.de: Wo sehen Sie weitere Potenziale in der Ausbildung von Torhüter*innen?

Frohms: Dass Torwarttrainer*innen als eigenständige Trainer*innen innerhalb der Mannschaft angesehen werden, ist ein wichtiger Punkt. Das ist eine volle Stelle, die besetzt werden muss. Da sind wir im Frauenfußball definitiv noch nicht so weit, da wird es noch häufig von Betreuern kompensiert. Ich denke aber, dass es inzwischen viele Menschen gibt, die Lust darauf haben, die Torwartlizenzen zu nutzen, um sich in dem Bereich weiter zu qualifizieren.

DFB.de: Was können Sie Nachwuchstorhüter*innen mit auf den Weg geben?

Frohms: Ausschlaggebend war bei mir, gerade wenn es um technische Aspekte geht, dass ich von meinen Aktionen überzeugt war. Ich mache etwas nicht, weil mein Trainer es für die beste Lösung hält, sondern weil ich auf dem Platz gemerkt habe, dass es für mich die Technik mit der größten Erfolgsaussicht ist. Von daher würde ich raten, immer möglichst viel auszuprobieren. Natürlich sollte man versuchen, das umzusetzen, was der Trainer einem vorgibt, aber es geht auch darum, Ratschläge zu hinterfragen und nicht einfach nur das zu machen, was einem gesagt wird.

DFB.de: Ein Aspekt, der auch der in der neuen "Torwart-DNA" verankert ist.

Frohms: Ganz genau. Ziel ist es, dass die Torhüter*innen gemeinsam mit ihren Trainer*innen zu ihrem jeweils besten Spielstil finden.

DFB.de: Zu Ihrem persönlichen Leistungsniveau: Beim Arnold Clark Cup hatten Sie mit Kanada, Spanien und England in der Vorbereitung auf die EM in England drei namhafte Gegner. Welche Erkenntnisse konnten Sie aus dem Turnier mitnehmen?

Frohms: Für uns als Mannschaft war das definitiv der Test, den wir jetzt gebraucht haben. Gerade in der EM-Qualifikation sind wir nicht wirklich gefordert worden. Von daher war das Turnier eine gute Standortbestimmung. Wir haben gesehen, dass wir gegen spielerisch starke Mannschaften gut stehen und zu unseren Chancen kommen können. Allerdings fehlte es uns dann sowohl defensiv als auch offensiv an der letzten Konsequenz, die Tore zu verteidigen, Zweikämpfe anzunehmen und insgesamt kompromissloser zu sein. Wir können viel Positives aus den Spielen ziehen, aber es gibt eben auch einzelne Dinge, die wir noch abstellen müssen, um erfolgreich zu sein.

DFB.de: Sie persönlich konnten weitere Argumente für einen Stammplatz bei der EM sammeln. In welcher Rolle sehen Sie sich in der Nationalmannschaft?

Frohms: Natürlich möchte ich die Nummer eins im Tor sein. Ich möchte meiner Mannschaft Sicherheit geben, indem ich Ruhe ausstrahle und einen positiven Einfluss auf den Spielaufbau nehme. Gerade wenn wir mit einer jungen Innenverteidigung spielen, kommt es für mich darauf an, den Abwehrspielerinnen die Sicherheit zu geben, mit mir immer eine Anspielmöglichkeit zu haben. Aber ich will sie auch animieren, die mutigen Bälle nach vorne zu spielen. Allgemein sehe ich meine Aufgabe darin, von hinten heraus viel zu organisieren, um brenzlige Situationen gegen uns schon vorab zu verhindern.