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Lehrgangsleiter Niedzkowski: "Ich lerne selbst permanent dazu"

Seit einem Jahr steht Daniel Niedzkowski an der Spitze des Fußball-Lehrer-Lehrgangs der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef. Heute hat er im Rahmen der Trainer-Gala in Köln 24 Teilnehmern die Lizenzen überreicht. Im DFB.de-Interview spricht der 42 Jahre alte Niedzkowski über neue Wege in der Ausbildung von Fußball-Lehrern und Erkenntnisse nach seinem ersten Jahr als Lehrgangsleiter.

DFB.de: Herr Niedzkowski, Sie sind momentan stark beansprucht. Heute haben Sie 24 neuen Fußball-Lehrern als Kursleiter die Urkunden verliehen, vor einer Woche und am Dienstag standen Sie bei den U 21-Länderspielen gegen Frankreich und in England an der Seite von Stefan Kuntz als Trainer in der Verantwortung. Und diese Woche ist ja eher Regel als Ausnahme. Wie gehen Sie mit dieser Belastung um?

Daniel Niedzkowski: Ich bewerte den stressigen Alltag als positiv, weil ich ihn als sehr abwechslungsreich empfinde. Ich habe vielfältige Aufgaben, die in viele verschiedene Richtungen gehen. Das, was ich bei der U 21 mache und erfahre, bringe ich in die Ausbildung ein. Umgekehrt bringe ich das, was ich von den Trainern bei der Ausbildung lerne, wieder bei der der U 21 ein. Ich lehre also nicht nur, sondern lerne auch permanent selbst dazu. Der Prozess funktioniert sehr gut und ist gewinnbringend für alle Beteiligten.

DFB.de: Der erste Lehrgang unter Ihrer Leitung ist vorüber. Wie war's? Welches Fazit ziehen Sie nach einem Jahr an der Spitze der HWA?

Niedzkowski: Es hat mir riesigen Spaß gemacht. Frank Wormuth hat mir ein bestelltes Feld überlassen. Trotzdem hatte ich natürlich auch andere Schwerpunkte. Wir haben vieles fortgeführt, einiges optimiert und manches ganz neu eingeführt.

DFB.de: Und zwar: Was haben Sie anders gemacht als Frank Wormuth?

Niedzkowski: Ich denke, dass ich die Arbeit mit den Menschen noch etwas mehr in den Mittelpunkt gestellt habe. Wenn es im Training einen fachlichen und einen menschlichen Aspekt gab, bin ich immer mehr auf den menschlichen Aspekt eingegangen. Meine Überzeugung ist: Die Arbeit mit Menschen ist das Zentrale in der Arbeit eines Trainers. Und das muss in der Ausbildung betont werden. Fachlich gibt es immer klare Lösungen, auf der anderen Ebene gibt es immer subjektive Ansichten, deshalb ist der menschliche auch immer der schwierigere Teil. Ich glaube, dass wir gerade aus den Diskussionen zu diesem Thema in der Gruppe aus dem Lehrgang auch viel mitnehmen konnten. Dieses Feedback habe ich auch von den Teilnehmern erhalten.

DFB.de: Wenn Sie Highlights Ihres ersten Kurses nennen müssten - welche wären dies?

Niedzkowski: Ein Highlight war auf jeden Fall ein Talk mit dem belgischen Nationaltrainer Roberto Martinez, der uns im Rahmen einer UEFA-Maßnahme an seinen Erfahrungen teilhaben ließ. Total beeindruckend, wie reflektiert er in der Bewertung seiner Erlebnisse war und wie er uns seine Erkenntnisse vermittelt hat. Sowohl die Trainer als auch ich selbst konnten hier wirklich viel mitnehmen. Auch andere Besuche von Trainern wie Volker Finke, Christoph Daum oder Thomas Schaaf sind immer Highlights, da sie die Gruppe an ihren praktischen Erfahrungen als Trainer auf der ganzen Welt teilhaben lassen.

DFB.de: Und besondere Erlebnisse? Haben Sie ein Bild im Kopf, eine bestimmte Szene, wenn Sie die Augen schließen und an den 65. Fußball-Lehrer-Lehrgang denken?

Niedzkowski: Nein, die vielen besonderen Situationen und Momente lassen sich nicht auf ein Bild verknappen. Mike Terranova trägt das Herz auf der Zunge, er hat für den ein oder anderen Spruch gesorgt, den man in Erinnerung behält. Aber auch hier gilt: Ich kann keinen einzelnen herausheben, es gibt viele gute Geschichten, die wir zusammen erlebt haben.

DFB.de: Sie haben gemeinsam mit Ihrem Team dafür gesorgt, den Teilnehmern neue Erkenntnisse zu vermitteln. Gab es einen Transfer auch umgekehrt? Haben Sie durch den Input der Teilnehmer auch Erkenntnisse gewonnen?

Niedzkowski: Generell ist es so, dass ich den Trainern nicht sage: "Es gibt diesen einen Weg, und genau so wird es gemacht!" Wir pflegen eine offene Diskussion darüber, wie man Dinge lösen kann. Zum Teil bekomme ich durch die Ansichten der Teilnehmer neue Gedanken und merke, dass dieser oder jener Weg ein guter ist, um Sachverhalte zu handhaben. Das kann ein Analyseaspekt sein, den man in die Gegnervorbereitung einbauen kann oder aber auch eine Erkenntnis im Umgang mit einem Spieler. Auch eine neue Trainingsform oder die Modifizierung einer Trainingsform zählt dazu, hier können wir immer voneinander lernen oder die Ideen weiterspinnen und verfeinern.

DFB.de: Ihr erster Kurs war prominent besetzt. Mit Daniel Bierofka, Patrick Helmes und Andreas Hinkel gehörten drei ehemalige Nationalspieler zu Ihren Schützlingen. Hatten diese drei eine Sonderrolle? Wie hat das Trio seine Erfahrungen in den Kurs eingebracht?

Niedzkowski: Die drei hatten natürlich keine Sonderrolle in Bezug auf Privilegien oder Ähnliches. Die Sonderrolle bezieht sich hier eher darauf, wenn es darum ging, wie sich bestimmte Situationen auf höchstem Niveau lösen lassen. Hier waren wir als Kurs auf die Rückmeldung der drei gespannt, inwiefern welcher Vorschlag, welche Lösung machbar ist. Ein Beispiel dafür ist das Gespräch mit Spielern, die sehr viel Geld verdienen und nicht vom Trainer abhängig sind. Spieler auf diesem Niveau kannst du nicht mehr über Druck führen, sondern nur über Überzeugung. Da war immer die Frage: Funktioniert das Konzept, das wir im Kurs erarbeitet haben, auch auf dieser Ebene? Kommt das bei Topspielern an? Bei diesen Fragen waren die drei, aber auch alle anderen Ex-Spieler, große Hilfen.

DFB.de: Ihr erster Lehrgang fiel in eine Zeit, in der die Nationalmannschaft bei der WM enttäuscht hat und in der Nations League abgestiegen ist, deutsche Vereine früh aus den internationalen Wettbewerben ausgeschieden sind und viel über die Ausbildung von Talenten und damit auch über die Trainer diskutiert wird. Wie sehen Sie diese Entwicklung?

Niedzkowski: Eine sehr komplexe Frage. Wenn man über das optimale Spieler- und Trainersystem nachdenkt, besteht dieses aus ganz vielen Zahnrädern, die ineinander greifen müssen. Für uns ist ein Aspekt auf Trainerseite, dass die Trainer nicht genügend mit einem Entwicklungsgedanken begleitet werden. Nach verhältnismäßig kurzen Ausbildungslehrgängen sollen sie direkt anwenden, aber diese Anwendung wird nicht mehr begleitet. Hier gibt es auch schon konkrete Ansatzpunkte.

DFB.de: Dann wurden in der Vergangenheit Fehler gemacht?

Niedzkowski: Ich sehe den Stand der Trainer in Deutschland nicht so negativ, wie er aktuell teilweise dargestellt wird. Wir haben viele junge Trainer, die zeigen, dass sie viel Talent haben und denen man die Zeit für Entwicklung geben muss. Einige von denen haben auf jeden Fall das Potenzial, Toptrainer auf internationalem Niveau zu werden. Und natürlich wird sich dies langfristig auf die Qualität des Spiels in Deutschland auswirken. Für uns heißt der Auftrag, die Trainer noch differenzierter auszubilden. Nachwuchstrainer müssen als Nachwuchstrainer und Profitrainer als Profitrainer ausgebildet werden. Es darf nicht zu viel vermischt werden.

DFB.de: Sehen Sie sich bestätigt? Sie sind angetreten unter anderem mit dem Ziel, im Rahmen des Lehrgangs einen größeren Wert auf die Förderung von Kreativität und Individualität zu legen. Diese Punkte werden nun häufig genannt, wenn darüber gesprochen wird, in welchen Bereichen sich der deutsche Fußball verbessern muss...

Niedzkowski: Kreativität bedeutet für mich die Fähigkeit, nicht immer lediglich auf meine Standardlösungen zurückgreifen zu können, sondern in der Lage zu sein, zu improvisieren. Das gilt für Spieler und Trainer gleichermaßen. Diesen Raum muss man den Trainern auch lassen, auf allen Ebenen, aber insbesondere im Nachwuchsbereich. Wir müssen uns davon lösen, die Trainer in diesem Bereich ausschließlich an ihrer Effizienz zu messen, an Ergebnissen und Punkten. Wir müssen Trainern - auch Spielern - erlauben, Ideen auszuprobieren. Nur so wird Kreativität entwickelt. Daher sollte im Nachwuchsbereich weniger aufs Ergebnis geachtet werden, sondern mehr auf die Entwicklung der Trainer und Spieler. Und ja, Individualität ist der zweite Aspekt, der wichtiger wird. Der Mensch möchte immer stärker wahrgenommen werden, Stichwort Selbstinszenierung via Social Media. Als Trainer muss man wissen, dass die Spieler so denken, man muss ihnen Raum für die persönliche Entfaltung geben - natürlich in einem klar abgesteckten, wertebasierten Rahmen. Sonst kommt man auch nicht bei den Spielern an und verliert die Gruppe.

DFB.de: Eins Ihrer Themen ist, dass Trainer, auch Fußball-Lehrer, ihren persönlichen Ehrgeiz drosseln sollen. Vereinfacht gesagt: Wenn jeder Nachwuchstrainer in der Bundesliga ankommen will, führt dies dazu, dass auch in der Jugend nur auf Ergebnisse und nicht auf die Entwicklung von Spielern geachtet wird. Weil die Trainer mit Erfolgen auffallen wollen. Wie kann es gelingen, hier gegenzusteuern? Wie schwer ist es, angehenden Fußball-Lehrern zu sagen, dass sie weniger ehrgeizig sein sollen?

Niedzkowski: Ehrgeiz an sich ist wichtig für jeden Trainer und jeden Spieler. Wer nicht ehrgeizig ist, erreicht sein Leistungsmaximum nicht. Die Frage ist nur, in welchen Schritten erreiche ich das Maximum? Man sollte nicht jeden Karriereschritt so schnell wie möglich machen wollen. Manchmal ist der bestmögliche Schritt, auf derselben Stufe zu bleiben und Erfahrungen zu sammeln, bevor ich den nächsten Schritt mache. Ehrgeiz kann manchmal fehlleiten, da sich derzeit besonders häufig die Gelegenheit ergibt, durch schnelle Karrieresprünge eigentlich wichtige Entwicklungsschritte zu überspringen. Grundsätzlich gilt: Der Trainer soll seine Arbeit nicht danach ausrichten, was er braucht, um die Karriereleiter hochzukommen, sondern was die Spieler und er selbst brauchen, um sich zu verbessern und zu entwickeln.

DFB.de: Der Fußball-Lehrer-Lehrgang fand in Kooperation mit der DFB-Akademie statt. Wie haben Sie die Zusammenarbeit mit den Kollegen aus Frankfurt erlebt?

Niedzkowski: In der DFB-Akademie gibt es eine sehr systematische Herangehensweise an das Thema Trainerentwicklung. Der Austausch mit Tobias Haupt und seinem Team ist außerordentlich gut. Hervorheben will ich die gute Zusammenarbeit mit dem Projekt Zukunft und, im Zusammenhang damit, dem "Think Tank Trainerausbildung". Hier wird systematisch daran gearbeitet, die wissenschaftliche Datenlage zu bestimmten Themen zu erforschen, um den aktuellen Stand bei diversen Themenbereichen zu erhalten. Zum Beispiel: "So funktioniert Lernen mit Erwachsenen." Wir in Hennef haben nicht immer die Zeit, um solche Informationen zu sammeln, daher ist es ein großer Mehrwert, dass diese Erkenntnisse in der DFB-Akademie gebündelt werden und dass ich auch konkrete Fragen an die zuständigen Kollegen und Projekte weiterleiten kann. Ich sehe auch Potenzial, Dinge anzustoßen, die sich nicht über reine Recherchearbeit lösen lassen. Beispielsweise, anhand der Profile der Profitrainer wissenschaftlich fundiert ein Kompetenzmodell für Trainer zu ermitteln, das man dann ins Verhältnis zur jeweiligen Persönlichkeit des Trainer setzen kann. Die Akademie kann einen guten Beitrag dazu leisten, dass wir genauer wissen, wen wir ausbilden und wie wir die Trainer am besten ausbilden. Ich nehme die Zusammenarbeit als sehr konstruktiv wahr und erhoffe mir noch weitere neue Impulse.

DFB.de: Nach dem Lehrgang ist vor dem Lehrgang. Und der nächste, der 66. Lehrgang wird anders aussehen. Welche Änderungen wird es geben?

Niedzkowski: Zentral ist unsere Überlegung, dass wir einen Trainer am individuellsten und differenziertesten ausbilden können, wenn er mit seiner eigenen Mannschaft arbeitet. In dieser Überzeugung wollen wir die Trainer entwickeln und die Praxiseinheiten in der Ausbildung so oft wie möglich mit den eigenen Mannschaften der Trainer durchführen, damit die Trainer mit ihrer eigenen Mannschaft den Lerneffekt haben. Dabei bekommen sie auch andere Aufgaben für ihre Mannschaft, zum Beispiel im Bereich der Führung, der Gespräche mit Mitarbeitern oder im Bereich der Belastungssteuerung. Ich glaube, dass wir damit einen großen Schritt machen. Bis jetzt wurden die Trainer die meiste Zeit in Hennef mit Teams, die wir gestellt haben, ausgebildet. Entscheidend dabei ist auch, dass wir durch dieses neue Modell die Trainer, die bereits im Job sind, entlasten. Wir verringern die Belastung auf logistischer Ebene, können aber den Aufwand auf inhaltlicher Ebene erhöhen. Im Sinne der Effizienz ist dies eine super Sache, auf die ich mich sehr freue.