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Niedzkowski: "Es geht stärker um Menschen- und Teamführung"

Für die 24 Teilnehmer des Fußball-Lehrer-Lehrgangs an der Hennes-Weisweiler-Akademie in Hennef hat heute eine interessante und intensive Zeit begonnen, die ihnen viele neue Ideen und Erkenntnisse bringen wird. Neu ist auch der Lehrgangsleiter: Daniel Niedzkowski. Der 41-Jährige kennt die Ausbildung zum Fußball-Lehrer von beiden Seiten. Er ist selber Inhaber der Fußball-Lehrer-Lizenz und hat ab 2008 im Team seines Vorgängers Frank Wormuth gearbeitet. Niedzkowski hat zudem Einblicke in die Trainerarbeit auf allerhöchsten Niveau, von 2013 bis 2016 war er Assistenztrainer bei Bayer Leverkusen, aktuell gehört er zum Trainerstab der deutschen U 21-Nationalmannschaft. Im DFB.de-Interview spricht der neue Chefausbilder des DFB mit Redakteur Steffen Lüdeke über seine Vorstellungen und neue Ansätze für den Fußball-Lehrer-Lehrgang.

DFB.de: Herr Niedzkowski, die WM in Russland läuft. Werden Sie dieses Turnier in neuer Funktion anders verfolgen als frühere Weltmeisterschaften?

Daniel Niedzkowski: Ich habe die großen Turniere auch vorher aus beruflichen Gründen verfolgt und damit aus spezieller Perspektive. Daran hat sich durch meine neue Aufgabe nichts geändert. Die WM ist sehr interessant für mich, es gibt keine bessere Gelegenheit, um in so komprimierter Form einen Blick auf die unterschiedlichen Fußballstile und Fußballkulturen zu erhalten.

DFB.de: Wie viel Fan-Sein geht durch diese Professionalität verloren? Das Gros der Fans wird bei der WM den Grill anwerfen und auch mal ein Bier öffnen. Bei Ihnen klingt es, als würden Sie mit Stift und Zettel vor dem Fernseher sitzen und sich Notizen machen.

Niedzkowski: Grill und Bier gehören im privaten Rahmen auch bei mir dazu. Ich kann mich aber nicht davon freimachen, dass ich genau hinschaue und analytisch bin. Ich bin auch nicht die beste Gesellschaft für andere. Wenn ich mir ein Spiel anschaue, ist es fast immer so, dass ich 90 Minuten voll konzentriert bin, nicht rede und nicht angesprochen werden will. Dafür habe ich schon mehr als einmal einen bösen Blick von meiner Freundin kassiert. Vor allem, wenn wir Gäste haben. Sie erwartet von mir, dass ich mich auch mit unserem Besuch unterhalte. Das mache ich auch: Vor dem Spiel. Und nach dem Spiel. (lacht)

DFB.de: Die WM hat begonnen - und etwas anderes auch: der 65. Fußball-Lehrer-Lehrgang. Wie sehr wird Sie der Lehrgang davon abhalten, die WM angemessen zu verfolgen?

Niedzkowski: Es wäre eine Schande, wenn wir als Kurs die WM nicht zumindest am Rande begleiten und über die aktuellen Spiele sprechen würden. Der Kurs steht im Vordergrund - das ist klar. Aber wir werden uns bemühen, die Termine so zu legen, dass wir keine ganz großen WM-Spiele verpassen. Und selbstverständlich ist, dass wir die Spiele der deutschen Mannschaft zusammensehen, falls sich eine zeitliche Überschneidung ergeben sollte.

DFB.de: Kann es sich der Lehrgangsleiter dabei leisten, 90 Minuten die Kommunikation zu verweigern?

Niedzkowski: Spannende Frage. Wobei das mit dem Schweigen auch nicht zu 100 Prozent stimmt. Die Frage, wie kommunikativ ich bin, hängt auch davon ab, mit wem ich Fußball gucke. Wenn ich zum Beispiel innerhalb des U 21-Trainerteams mit Stefan Kuntz und Toni di Salvo ein Spiel schaue, dann unterhalten wir uns dabei durchaus. Weil wir einfach eine andere Gesprächsebene haben, als wenn ich mit meinen Freunden zu Hause schaue.

DFB.de: Das bedeutet: Dumme Kommentare sollte man sich in Ihrer Anwesenheit besser sparen...

Niedzkowski: Wer entscheidet, was dumm ist? Manchmal ist es nicht sonderlich differenziert, was vor allem öffentlich über den Fußball und über einzelne Situationen und Spieler gesagt wird. Das ist aber nicht schlimm. Ich beschäftige mich mit dem Fußball professionell, dafür mit anderen Bereichen nicht. Da kann es dann durchaus sein, dass ich in diesen Bereichen Dinge äußere, die andere für nicht sonderlich intelligent halten. Es ist immer eine Frage der Perspektive.

DFB.de: Sepp Herberger, Hennes Weisweiler, Gero Bisanz, Erich Rutemöller und Frank Wormuth sind die bisherigen Leiter der Fußball-Lehrer-Ausbildung. Und nun: Daniel Niedzkowski. Wie klingt es, in einer Reihe mit diesen Herren genannt zu werden?

Niedzkowski: Merkwürdig. So richtig habe ich mir das noch gar nicht bewusst gemacht. Es heißt ja auch nicht viel. Mein Name ist nun Teil dieser Aufzählung, aber es hat keine Aussage, es ist ja nur qua Amtes. Die anderen stehen dort, weil sie sich als Leiter der Ausbildung große Verdienste erworben haben. Ich bin erst ganz am Anfang. Mir würde es viel bedeuten, wenn es eines Tages heißen würde, dass mein Name auch inhaltlich in diese Reihe passt.

DFB.de: Nun geht es los. Welche Empfindung überwiegt: Vorfreude, Nervosität, Anspannung?

Niedzkowski: Nervös bin ich gar nicht. Grundsätzlich kenne ich die Situation ja, ich kenne den typischen Fußball-Lehrer-Lehrgang, ich weiß also, was mich erwartet. Was ich stark spüre ist: Vorfreude. Mir macht es wahnsinnig viel Spaß, mit Trainern zu arbeiten, mich mit ihnen auszutauschen, ihnen Dinge mitzugeben, ihnen Fragen zu stellen, anhand derer sie sich weiterentwickeln können. Das geht jetzt wieder los. Und ich habe noch mehr Einfluss auf das Gesamtprodukt. Das finde ich super. Und ich bin Oliver Bierhoff, Reinhard Grindel und Friedrich Curtius sehr dankbar dafür, dass sie mir das Vertrauen für diese wichtige Rolle schenken.

DFB.de: Wenn man Ihre Vorfreude erlebt, dann ist die nächste Frage im Grunde bereits beantwortet: Sie haben nicht lange überlegen müssen, als Sie das Angebot bekamen, als Nachfolger von Frank Wormuth Leiter des Fußball-Lehrer-Lehrgangs zu werden, oder?

Niedzkowski: Tatsächlich gar nicht. Keine Sekunde. Für mich war sofort klar, dass ich das gerne machen will.

DFB.de: Wie intensiv waren die vergangenen Wochen? Wie sehr hat sich die Lehrgangsvorbereitung für Sie von der vergangener Lehrgänge unterschieden?

Niedzkowski: Es waren intensive Wochen. Schon alleine, weil das öffentliche Interesse gestiegen ist. Ich hatte erheblich mehr Medientermine, als ich dies gewohnt war. Entscheidender war aber die inhaltliche Arbeit. Als neuer Leiter des Kurses will ich nicht nur das bestehende Konzept verwalten, sondern viel selber gestalten. Und das so schnell wie möglich. Viele meiner Gedanken, Ideen und Ansätze sollen sich nicht erst in ein paar Jahren im Kurs wiederfinden, sondern möglichst sofort. Deswegen haben wir das Konzept angepasst und überlegt, was sich bereits kurzfristig in den Kurs integrieren lässt. Das war viel Arbeit. Nicht nur für mich. Ein großes Dankeschön daher an unsere Dozenten und ganz besonders an Brendan Birch, Dennis Weiland und Markus Nadler, die mit ihrem Input und Einsatz sehr wertvoll für mich gewesen sind.

DFB.de: Welche Änderungen wird es im nun beginnenden Lehrgang geben?

Niedzkowski: Die Struktur des Lehrgangs mit den Präsenszeiten von Montag bis Mittwoch in Hennef und die Jahresstruktur mit den verschiedenen Modulen und Praktika bleibt zunächst erhalten. Es war nicht anders planbar, die Kontingente sind langfristig und mit großem Vorlauf gebucht. Ändern werden wir etliche Details. Zudem ist doch klar, dass sich durch den Wechsel an der Spitze andere Schwerpunkte im Kurs ergeben.

DFB.de: Warum ist das klar?

Niedzkowski: Ich bin eine andere Person und habe eine andere Persönlichkeit. Ich habe auf meinem Werdegang andere Erfahrung gesammelt, und ich habe meine Stärken in anderen Bereichen. Daraus ergeben sich Unterschiede. Es wird in unseren Diskussionen künftig noch stärker um Menschen- und Mannschaftsführung gehen, darum, wie ich Beziehungen zu der gesamten Gruppe und zu den einzelnen Spielern aufbaue. Auch zu den Mitgliedern des Funktionsteams. Die Leadership-Funktion des Trainers wird einen noch stärkeren Akzent erhalten. Auch in Bezug auf das klassische Training. Wie kann ich Stimmungen innerhalb der Gruppe aufbauen, wie kann ich authentisch, emotional führen? In diesem Bereich und ganz grundsätzlich wollen wir mit den Trainern auch darauf hinarbeiten, dass sie willens und fähig sind, sich und ihre Arbeit zu reflektieren. Nur wenn sie das können, können sie sich auch nach Ende des Kurses und langfristig weiterentwickeln. Dafür muss man den Trainern die richtigen Fragen zur Verfügung stellen - und das werden wir machen.

DFB.de: Bisher wurde das zu wenig getan?

Niedzkowski:In der Vergangenheit wurde hier hervorragend gearbeitet. Künftige Veränderungen dürfen nicht als Kritik an Frank Wormuth verstanden werden. Er hat den Kurs zehn Jahre lange geleitet, modernisiert und die Ausbildung auf ein überragendes Niveau gehoben. Führungskompetenz und alles, was dazu gehört, war selbstverständlich immer eine wichtige Voraussetzung, um als Trainer erfolgreich zu arbeiten. Und selbstverständlich war die Vermittlung von Führungskompetenz schon vor meiner Zeit Teil der Ausbildung zum Fußball-Lehrer.

DFB.de: Aber?

Niedzkowski: Es gibt gesamtgesellschaftliche Entwicklungen in der Art, wie Menschen denken und miteinander umgehen. Das spiegelt sich beispielsweise in modernen Unternehmenskulturen wider, und dem muss man auch als Trainer Rechnung tragen. Mit dem Wandel der Persönlichkeiten der Spieler muss der Werkzeugkasten angepasst werden, wie man Spieler und Mannschaften erreicht. Das gilt auch für die immer zahlreicher werdenden Mitglieder des Funktionsteams. Ganz plakativ: In der Führung einer Gruppe gibt es einen Unterschied, ob die Gruppe aus 23 oder aus 60 Mitgliedern besteht.

DFB.de: Wie haben sich die Persönlichkeiten der Spieler gewandelt, und warum muss der Trainer darauf reagieren?

Niedzkowski: Ich spreche jetzt vom absoluten Topbereich - und da ist es so, dass es nur noch wenig Abhängigkeit von Seiten des Spielers gibt. Spieler sind sehr früh finanziell unabhängig und können im Grunde machen, was sie wollen. Auf die Spitze getrieben wurde das von den Spielern, die sich aus ihren Verträgen gestreikt haben. Das kann man beklagen, aber es ist die Realität. Als Trainer kann ich reagieren und einen Spieler zum Beispiel nicht mehr aufstellen. Doch ist dies nicht das, was ich als Trainer will. Der Trainer will, dass der Spieler spielt und der Mannschaft mit seiner Leistung hilft. Also muss ich den Spieler erreichen, ihn überzeugen. Spieler hinterfragen, Spieler sind wissbegierig und kritisch. Durch ihre Ausbildung bringen insbesondere die Topspieler in der Regel sehr viel an Know-how mit, das führt dazu, dass sie inhaltlich eine sehr hohe Erwartung an ihre Trainer haben. Spieler erkennen sehr schnell, ob Trainer dieser Erwartung entsprechen oder nicht. Im besten Fall übererfüllen die Trainer die Erwartungen - dafür wollen wir im Kurs die Basis legen.

DFB.de: Zu den Schwerpunkten des Kurses, die Sie neu setzen wollen, gehört eine Internationalisierung der Ausbildung. Sie wollen neue Märkte erschließen und die Absolventen des Lehrgangs mehr als bisher in die Lage versetzen, auch im Ausland als Trainer erfolgreich zu sein. Genügt es dafür nicht, die Sprache des jeweiligen Landes zu beherrschen?

Niedzkowski: Die Sprache ist wichtig, sie ist aber nicht alles. In jedem Land gibt es eine spezielle Fußballkultur. Innerhalb Europas mag diese auf den ersten Blick vielfach ähnlich sein, aber sie ist nirgendwo identisch. Das hat fast zwangsläufig Auswirkungen auf die Arbeit der Trainer. Ein Beispiel: In England ist es völlig undenkbar, dass Mannschaften zweimal am Tag trainieren. Das gibt es einfach nicht. Wenn ich also als Trainer nach England gehe, ist es ein Vorteil, wenn ich das weiß und wenn ich mir vorher schon überlege, wie ich meine Trainingsgestaltung und Steuerung daran anpasse. Für uns im Kurs heißt das, dass wir mit Experten für die verschiedenen Länder arbeiten werden. Wir können nicht alles über jedes Land wissen. Umso mehr freue auch ich mich, durch externe Experten meinen Horizont zu erweitern.

DFB.de: Sie haben bereits angekündigt, die Kooperation mit der DFB-Akademie zu intensivieren. Wie soll der Fußball-Lehrer-Lehrgang von der DFB-Akademie profitieren?

Niedzkowski: Wir sind Teil der Akademie. Schon in der Vergangenheit war der Austausch gelebte Praxis. Als Leiter der Ausbildung bin ich zum Beispiel eingebunden in die Akademie-Projekte Think Tank und "Science to Goal". Mit Mirko Dismer sind wir im engen Austausch, was das Wissensmanagement betrifft. Der Kurs profitiert davon. Beispielsweise dadurch, dass wir die App Microsoft-Teams als Kommunikationstool installiert haben. Ganz grundsätzlich besteht der größte Mehrwert darin, dass wir die Möglichkeit haben, aus der Ausbildung Fragen an die DFB-Akademie zu geben. Fragen, die wir in Hennef schon alleine auf Grund der fehlenden Manpower nicht beantworten können.

DFB.de: Wie sieht das in der Praxis aus? Im Kurs hebt ein Teilnehmer die Hand und stellt eine Frage, Sie wissen keine Antwort und geben die Frage weiter nach Frankfurt an die DFB-Akademie. Dort wird eine Antwort gefunden, die über Sie an den Fragesteller transportiert wird.

Niedzkowski: Das ist die Idealvorstellung, ja. In diesem Bereich wird es natürlich noch mehr Synergien geben, wenn auch der Fußball-Lehrer-Lehrgang beim neuen DFB und seiner Akademie in Frankfurt beheimatet sein wird.

DFB.de: Es gab in den vergangenen Monaten eine Diskussion um das Trainerwesen in Deutschland, Mehmet Scholl hat sich mit provokanter Wortwahl in die Öffentlichkeit begeben. Der Vorwurf vereinfacht: zu viel Taktik, zu wenig Individualität. Sie haben schon gesagt, dass Sie diesen Vorwurf nicht komplett falsch finden.

Niedzkowski: In der Sache stimme ich mit Mehmet vollkommen überein, auch wenn seine Kritik Julian Nagelsmann und Domenico Tedesco sicherlich zu Unrecht trifft. Zunächst einmal sind wir im mannschaftstaktischen Bereich in Deutschland sehr gut. Es stimmt aber auch, dass dieser Bereich in der Spielerausbildung überbetont ist. Dabei ist Mannschaftstaktik auch spät noch relativ einfach und schnell lernbar. Die wichtigen Basisfähigkeiten sind dagegen im Leistungsbereich kaum noch nachzuholen, wenn sie in der Entwicklung für mannschaftstaktische Inhalte geopfert wurden. Unserem Nachwuchs bieten wir zum Teil eine Art reduziertes Erwachsenentraining. Das müssen wir ändern und dafür auch in der Ausbildung Impulse setzen.

DFB.de: Ändern in welche Richtung?

Niedzkowski: Wir benötigen insgesamt mehr Kreativität. Die Frage, wie viel Kreativität sich entwickelt, hängt immer zusammen mit der Frage, wie viel Freiheiten ich gewähre. Kreativität ist ein Prozess von "Trial and Error". Ich versuche etwas und scheitere, dann versuche ich es ein bisschen anders und scheitere wieder, bis ich irgendwann nicht mehr scheitere. So entsteht Außergewöhnliches. Es entsteht aber nicht, wenn man in festen Strukturen und taktischen Zwängen steckt. Dann geht es um Effizienz und darum, möglichst schon mit dem ersten Versuch das optimale Ergebnis zu erzielen. Dieses Streben nach Effizienz nimmt uns die Möglichkeit, kreative Spieler auszubilden. Im Ausbildungsbereich ist daher für mich ein möglichst großes Maß an Freiheit wichtig. Für Trainer im Nachwuchs bedeutet dies, dass sie die Fähigkeit haben müssen, sich zurückzunehmen und den Spielern Raum zur Entfaltung zu geben.

DFB.de: Für eine geänderte Ausrichtung in der Ausbildung steht auch die Personalie Peter Hyballa, der als hauptamtlicher Trainer das Team der DFB-Ausbilder verstärkt. Was erwarten Sie von ihm?

Niedzkowski: Peter Hyballa ist unter vielen Aspekten ein großer Gewinn für uns. Die Frage der Internationalisierung habe ich bereits angesprochen, in dieser Hinsicht verfügt er mit Stationen in den Niederlanden, Österreich, Deutschland und Namibia über viel Erfahrung. Seine Vita ist vielseitig, als Trainer hat er im In- und Ausland im Profi- und im Jugendbereich gearbeitet. Er kennt den Fußball aus vielen Perspektiven. Dazu ist er ein sehr offener und ehrlicher Typ. Ich bin sicher: Die Trainer werden von seinem Fachwissen und direktem Feedback profitieren.

DFB.de: Sie haben selber auch eine Vita als Fußballer, unter anderem in Remscheid, Wuppertal und Duisburg. Wie sehr wurden Sie durch zu starre Vorgaben in Ihrer Entwicklung gebremst?

Niedzkowski: Ich habe noch zu einer Zeit gespielt, in der die Trainer - ich sage es mal vorsichtig - taktisch noch nicht so kompliziert gedacht haben. Im Rückblick finde ich das cool. Man hatte zwar nicht das Gefühl, dass man aktiv viel lernt, ganz einfach, weil der Input nicht sonderlich umfangreich gewesen ist. Aber man hat gelernt, indem man seine Erfahrungen gemacht hat. So funktioniert es, so nicht. Rückmeldung gab es nicht durch den Trainer, Rückmeldung gab es durch Erfolgserlebnisse im Eins-gegen-Eins. Oder durch deren Ausbleiben.

DFB.de: Dann hat die Tatsache, dass Sie nicht deutscher Rekordnationalspieler geworden sind, andere Ursachen als taktische Zwänge, in die als junger Fußballer gesteckt wurden.

Niedzkowski: Auf jeden Fall. (lacht) Das lag schlicht und einfach daran, dass andere mehr Talent hatten. Und leider waren es viele andere.

DFB.de: Sie blicken also nicht mit Groll auf die Trainer Ihrer Kindheit und Jugend?

Niedzkowski: Überhaupt nicht, ganz im Gegenteil. In Wuppertal war zum Beispiel Wolfgang Jerat kurz mein Trainer. Beim ihm hatte ich das Gefühl, dass er das richtige Maß gefunden hat zwischen der Entscheidungsfreiheit für die Spieler und der Vorgabe einer klaren Struktur. Seine Struktur war nicht engmaschig, man hatte nicht das Gefühl, dass es für jede Situation auf dem Platz eine verbindliche Lösung gibt. Mir hat das sehr gefallen. Beim ihm war es auch so, dass das Feedback, das man von ihm bekommen hat, sehr gut nutzbar war. Bei ihm habe ich in kurzer Zeit viel gelernt.

DFB.de: Ab 2008 haben Sie die Ausbildung zum Fußball-Lehrer in verschiedenen Funktionen begleitet. Gibt es unter den Kursen einen, bei dem Sie durch die Expertise der Teilnehmer besonders viel gelernt haben?

Niedzkowski: Der Lehrgang mit Stefan Effenberg und Mehmet Scholl war anders als andere. Sie haben die Dinge aus der Perspektive des absoluten Topbereichs reflektiert. Und das ist eine Perspektive, die die meisten gar nicht einnehmen können, weil sie selber nie in diesem Bereich angekommen sind. Es war interessant zu hören, wie die Dinge in Mannschaften auf diesem Niveau gehandhabt werden. In diesem Lehrgang wurde sehr deutlich, was es heißt, mit den Superstars zu arbeiten, und wie sich dies von der Arbeit mit "normalen" Profis unterscheidet. Wobei man sich eben auch klarmachen muss, dass nur die wenigsten Teilnehmer später in diesem Bereich arbeiten werden. Wir können nicht nur Trainer für Bayern München oder Real Madrid ausbilden.

DFB.de: 2013 haben Sie die Hennes-Weisweiler-Akademie verlassen und wurden Co-Trainer bei Bayer Leverkusen. Wie fiel der Praxistest aus, wie oft haben Sie gedacht: "Klappt ja wirklich, was wir uns in Hennef überlegt haben"?

Niedzkowski: Häufig. (lacht) In Leverkusen war es tatsächlich so, dass ich mich fachlich sehr sicher gefühlt habe und mir das natürlich geholfen hat. Weil ich mir über Jahre eine Struktur von Fußball aufgebaut habe, ein offenes System von Überlegungen, die ich mit Überzeugung vertreten konnte. Woran ich mich gewöhnen musste, war das Coaching bei diesem extremen Spieltempo und das Eingehen auf die Charaktere von Topspielern.

DFB.de: An der HWA sagt man, dass jeder Kurs auch von dem lebt, was die Teilnehmer an Erfahrungen und Wissen einbringen. Wie zufrieden sind Sie im Hinblick darauf mit der Zusammensetzung des 65. Fußball-Lehrer-Lehrgangs?

Niedzkowski: Wir haben eine großartige Mischung. Mit Patrick Helmes, Andreas Hinkel und Daniel Bierofka haben wir drei ehemalige Nationalspieler dabei, wir haben Teilnehmer im Kurs, die schon über große Trainererfahrung verfügen, Trainer, die im Nachwuchsbereich von Profivereinen arbeiten, Trainer, die für die Landesverbände aktiv sind. Ich bin sicher, dass der Austausch zwischen diesen Gruppen und ihren Perspektiven interessant und bereichernd wird. Für die Teilnehmer untereinander - und natürlich auch für mich.

DFB.de: Sie haben eine neue Rolle übernommen, mehr und große Verantwortung, an der HWA werden Sie noch intensiver gefordert. Ihren Posten als Assistenztrainer der U 21-Nationalmannschaft haben Sie gleichwohl behalten. Haben Sie keine Angst vor einer Überforderung?

Niedzkowski: Nein, habe ich nicht. Ich bin sicher, dass wir meine Mehrbelastung im Trainerteam mit Stefan Kuntz und Toni Di Salvo gut auffangen können. Mir war es wichtig, weiter Teil der U 21-Nationalamnnschaft zu sein. Nicht wegen des Renommees, sondern weil ich unglaublich gerne mit Stefan Kuntz, Toni Di Salvo und dem gesamten Team zusammenarbeite. Entscheidend war auch, dass ich den Bezug zum Platz behalten wollte.

DFB.de: Heute beginnt der Kurs, in zehn Monaten endet er. Was muss in dieser Zeit passieren, damit Sie im März 2019 sagen, dass Ihre Premiere ein voller Erfolg war?

Niedzkowski: Ich würde mich freuen, wenn wir im Laufe der zehn Monate eine Entwicklung bei den Trainern sehen. Im Hinblick auf Geschwindigkeit und Qualität, mit denen die Teilnehmer auf Problemstellungen in Spiel und Training reagieren. Eine Steigerung im Hinblick auf Geschwindigkeit und Qualität in der Analyse von Spielen, Spielsituationen und Spielern. Und natürlich eine Entwicklung als Persönlichkeit, in der Selbstsicherheit, der Souveränität und der Reflexion des eigenen Handelns. Wichtiger als ein Fazit nach zehn Monaten ist mir allerdings der weitere Blick. Wenn ich Trainer nach zwei, drei Jahren und einiger Distanz zur Ausbildung treffe und sie frage, was ihnen die Ausbildung gebracht hat. Ich glaube, dass ein Prozess des Verdauens und Anwendens notwendig ist, um zu erkennen, was die Ausbildung ausgelöst hat. Und da fände ich es schön, wenn mir Trainer nach ein paar Jahren das Feedback geben würden, dass sie die Mittel des Kurses in ihrer täglichen Arbeit nutzen und sie ihnen eine Hilfe sind. Diese Rückmeldung würde mir zeigen, dass wir als Ausbilderteam gut funktioniert haben.