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Talentförderprogramm wird 20: "Sehr integrativer Charakter"

Der Startschuss für das Talentförderprogramm fiel vor 20 Jahren in der Saison 2002/2003 und etablierte sich als erste Stufe der Talentförderung im deutschen Fußball. Mit 366 Stützpunkten in ganz Deutschland verbindet das Projekt die engagierte und unverzichtbare Jugendarbeit an der Vereinsbasis mit der Ausbildung von Top-Talenten in den Leistungszentren, in den Eliteschulen des Fußballs und in den Landesverbänden. An den DFB-Stützpunkten können talentierte Spielerinnen und Spieler im Altersbereich der U 11 bis zur U 16 einmal pro Woche zusätzlich zum Vereinstraining eine Trainingseinheit auf hohem Niveau absolvieren. Dabei steht für Damir Dugandzic, Sportlicher Leiter des DFB-Talentförderprogramms, vor allem eines im Vordergrund: "Jedes Talent, ob männlich oder weiblich, soll die Chance haben, Teil zu sein und gefördert zu werden." Über das gesamte Bundesgebiet sind es aktuell 14.000 Spieler*innen, die von 1300 Honorar-Trainer*innen ausgebildet werden.

Seit 2018 setzt sich Dugandzic als Sportlicher Leiter des DFB-Talentförderprogramms für die heimatnahen Förderung von männlichen und weiblichen Talenten ein. Ausreichend Erfahrung bringt er durch seine elfjährige Tätigkeit als Stützpunktkoordinator für den Badischen Fußballverband mit. Neben seiner Tätigkeit als DFB-Stützpunktkoordinator betreute Dugandzic die U 14-Auswahl des Badischen Verbandes sowie die deutsche U 15-Nationalmannschaft als Co-Trainer. Zudem schloss er den 63. Fußball-Lehrer-Lehrgang 2017 als Jahrgangsbester ab.

Mit Ulrike Ballweg setzt sich ein weiteres bekanntes Gesicht im Fußball und vor allem im Trainer*innenbereich für die Förderung von Talenten, insbesondere der Frauen und Mädchen, ein. Die ehemalige Assistenztrainerin der Frauen-Nationalmannschaft sowie Cheftrainerin der U 23-Frauen, U 17- und U 16-Juniorinnen, arbeitet seit 2002 anfangs auf Honorarbasis und seit 2008 hauptamtlich beim Deutschen Fußball-Bund. Als Trainerin wurde sie mit der U 19 2004 und mit der A-Nationalmannschaft 2007 Weltmeisterin. In den darauffolgenden Jahren 2009 und 2013 jeweils Europameisterin sowie 2016 Olympiasiegerin in Rio. Als Nachfolgerin von Tina Theune übernahm sie 2020 die Leitung der Talentförderung für Frauen und Mädchen.

In einem Doppelinterview mit DFB.de sprechen Damir Dugandzic und Ulrike Ballweg über die Entwicklung des Talentförderprogramms, ihre bisherigen Erfahrungen und wie zukünftig noch mehr Talente für den Sport begeistert werden können.

DFB.de: Nun ist es 20 Jahre, dass das Talentförderprogramm ins Leben gerufen wurde. Wie sehen Sie die Entwicklung des Programms?

Damir Dugandzic: Dieses 20-jährige Jubiläum ist ein ganz besonderes Ereignis. Das Projekt entwickelte sich im Laufe der Jahre von einem Projekt zu einem fest etablierten Programm. Sicherlich hat sich in den letzten zehn bis 15 Jahren im Fußball viel verändert und es geht auch darum zu schauen, wie man das Programm an die Gegebenheiten anpassen kann. Viele Orte sind nicht miteinander vergleichbar und es macht einen großen Unterschied, wie man zum Sportplatz kommt - ob mit der Straßenbahn oder dem Auto. Also wie schaffen wir es, dass der generelle Aufwand für alle gerecht ist, dass jedes Talent die Chance hat, Teil zu sein. Daher sind wir zwar auf einem guten Weg, aber das Ziel haben wir noch nicht erreicht.

Ulrike Ballweg: Da kann ich Damir nur zustimmen. Inhaltlich hat sich der Fußball weiterentwickelt und es haben sich viele Dinge verändert. Da sprechen wir beispielsweise von personellen Veränderungen oder auch stärkerem Fokus auf das Torwarttraining. Diese Veränderungen sind natürlich und daher muss das Programm auch ständig angepasst werden, um die Entwicklung im Gleichschritt mitzugehen.

DFB.de: Mit Blick auf die Kader der derzeitigen weiblichen U-Nationalmannschaften kann eine sehr hohe Quote von Nationalspielerinnen verbucht werden, die zuvor im DFB-Stützpunkt waren. (Stand 2022: 87%, Anm.d.Red.). Was ist Ihre Einschätzung, warum das Programm so erfolgreich ist?

Dugandzic: Das Ganze hat relativ viel von Bolzplatz-Erlebnis: Am Ende ist es egal, welche Herkunft, welches Alter oder welches Geschlecht eine Person hat. Wenn du auf dem Bolzplatz kicken konntest, warst du dabei. Ähnlich ist es bei unserem Programm auch: Ob es sich jetzt um ein talentiertes Mädchen oder einen talentierten Jungen handelt - wenn die Spieler*innen talentiert sind, dann sind sie auch auf jeden Fall dabei. Es hat also einen sehr integrativen Charakter.

Ballweg: Es ist ein wichtiger Baustein im weiblichen Förderbereich, weil in den DFB-Stützpunkten talentierte Spielerinnen in den entsprechenden Altersbereichen integriert sind. Hier können sie wöchentlich trainieren und teilnehmen. Besonders wichtig ist, dass die Trainingsgruppen nicht nach den Geschlechtern getrennt werden und zusammen trainieren. Die Spielerinnen, die am Training teilnehmen und dort trainieren dürfen, sind alle sehr begeistert, dass sie mit den Jungs trainieren und sich messen können. Es ergibt absolut Sinn und das ist auch der Kern unseres Gedankens, weil wir darin auch gar nicht unterscheiden wollen. Für Mädels, die talentiert und auch leistungsstark sind, um mit den Jungs zu trainieren, ist ein gemischtes Team besser, daher haben diese Trainingsgruppen viele Vorteile.

DFB.de: Was können die Jungen und Mädchen bei einem gemeinsamen Training mitnehmen?

Dugandzic: Leider ist die Hemmschwelle, aus welchem Grund auch immer, oft noch da. Das Schöne ist aber, dass nachdem die Erfahrung eines gemeinsamen Trainings gemacht wurde, alle sagen: Das ist doch völlig selbstverständlich. Diese Erkenntnis dauert manchmal ein wenig, weil auch einige Vergleiche hinken. Die Spielerinnen und Spieler im eins zu eins zu vergleichen, ist nicht ganz einfach. Mädels steigen allgemein später ein, während Jungs längst in Leistungszentren sind. Und dann ist ja auch immer die Frage: Wer profitiert von wem? Die Mädels können körperlich und technisch sicherlich einiges mitnehmen, aber für die Jungs ist es klasse, weil es sie ein bisschen nordet und ein Aha-Effekt eintritt. Manche bekommen auch den Kopf gewaschen, weil sie merken, dass es auf Willen und Leistung ankommt, um voranzukommen und sie sich nicht nur auf ihr Talent verlassen können. Ich persönlich habe unheimlich gern mit Mädchen gearbeitet, weil die Einstellung eine andere ist. Spielerinnen wollen länger trainieren, geben Gas und sind unheimlich wissbegierig. Von dieser inneren Motivation können sich die Jungs einiges abschneiden. (lacht)

Ballweg: Diesen Punkt, den Damir gerade genannt hat, können die Jungs auf jeden Fall mitnehmen. Strebsam ist zwar ein altes Wort, aber es drückt das Ganze schon sehr passend aus. Die Mädels sind sehr fokussiert und wollen im Training viel lernen. Daran kann man deutlich erkennen, dass die Mädels sich über ihren Ehrgeiz und ihre Strebsamkeit weiterentwickeln. Die Jungs sehen über einen längeren Zeitraum dann auch, wie die Mädels gewisse Dinge angehen und umsetzen. Leider sind diese gemeinsamen Trainingseinheiten noch nicht so die Normalität, aber die Erfahrung zeigt, was für positive Effekte die Zusammenarbeit hat. Die Jungs und die Mädels spornen sich gegenseitig an, das ist auch für die Trainer*innen schön zu sehen. Aber diese Erfahrung muss man eben oft erst machen.

DFB.de: Aktuell sind derzeit 14.088 Kinder und Jugendliche an den DFB-Stützpunkten, davon "nur" 827 Mädchen (Stand 2022: 6%, Anm.d.Red.). Warum hinkt die weibliche Förderung der männlichen nach wie vor hinterher?

Dugandzic: Wir haben im männlichen Bereich noch eine Institution, die es im Weiblichen noch nicht gibt und das sind die Leistungszentren. Spieler, die in Leistungszentren sind, werden nicht an DFB-Stützpunkten trainiert - diese Säule wir demnach von den Mädchen anders genutzt. Daher sind die DFB-Stützpunkte im weiblichen Bereich vergleichbar mit den Leistungszentren. Talentierte Mädels gehen eher den Weg über die DFB-Stützpunkte, weil sie nicht über die Leistungszentren gehen können.

Ballweg: Es gibt zwar auch Mädels, welche in Leistungszentren sind, aber die kann man an einer Hand abzählen. Alle anderen gehen den Weg über die Stützpunkte und finden so den Weg in die U-Teams.

DFB.de: Herr Dugandzic, Sie hatten einen ganz besonderen Moment in ihrer Jugend - in Kinderjahren hatten sie einen Kick gegen Renate Lingor - erzählen Sie gerne mal, warum dieser Moment so besonders für Sie war?

Dugandzic: Ich weiß nicht, ob sie sich noch daran erinnert, aber für mich ein sehr eindrucksvolles Erlebnis. Wir haben im Rahmen eines Sportfestes ein bisschen gekickt und wir Jungs dachten dann schon, dass das einzige Mädchen keine Chance gegen uns hat. Aber der Schuss gegen das Mädel mit dem violetten Stirnband ging nach hinten los. Sie war technisch super und wusste, wie sie im Zweikampf ihren Körper einzusetzen hat - das war richtig beeindruckend. Daher war das für mich in jungen Jahren ein sehr besonderes Erlebnis. Und das hat mir gezeigt: Egal welches Geschlecht eine Person hat, es geht um das, was eine Person kann - wenn sie kicken kann, dann bist du froh, wenn sie in deinem Team ist und nicht im anderen. (lacht)

DFB.de: Frau Ballweg, Sie haben eine sehr beeindruckende Trainerkarriere hinter Ihnen - unter anderem bei den DFB-Stützpunkten in Steilshoop und Mümmelmannsberg - was konnten Sie von dieser Zeit mitnehmen?

Ballweg: Ich habe nur gute Erinnerung an meine Zeit als Stützpunkttrainerin, weil wir immer eine tolle Zusammenarbeit im Team hatten - egal an welchem Stützpunkt. Der Austausch über die Spielerinnen und Spieler hat immer richtig Spaß gemacht. Man hatte einfach die Gelegenheit, die Entwicklung mitzugestalten und zu verflogen. Dieser Schritt ist für junge Talente unheimlich wichtig. Das war eine sehr schöne Zeit.

DFB.de: Nun haben wir viel über die Vergangenheit und die Gegenwart gesprochen. Wenn wir jetzt in die Zukunft blicken, was muss Ihrer Meinung nach noch getan werden?

Dugandzic: In der Förderung von Mädchen haben wir definitiv noch Luft nach oben. Gerade im Bereich der Sichtung schlummern viele Talente, die wir bislang noch nicht entdeckt haben. Da sprechen wir aber auch von einer ganz anderen Motivationslage. Die Jungs kommen ins Training mit dem Traum, Fußballprofi zu werden. Bei den Frauen sieht das zunächst ganz anders aus, weil zu Beginn eher der Spaß im Vordergrund steht und sie sich bewusst sind, dass sie sich beruflich nebenher absichern müssen. Aber das ist kein schlechter Weg und wir unterstützen die Mädels dabei. Außerdem ist das Talentförderprogramm nicht nur für Spielerinnen und Spieler gedacht, sondern auch für Trainer*innentalente. Viele Kolleg*innen haben den Weg in die Leistungszentren gemacht - nicht zuletzt unser derzeitiger U 21-Trainer Antonio Di Salvo. Daher wollen wir Trainer*innen ermutigen, gezielt ansprechen und den Weg aktiv begleiten.

Ballweg: Es gibt noch so viele Potenziale, die wir ausschöpfen können. Wie Damir schon gesagt hat, haben wir in der Erstsichtung noch enormes Entwicklungspotenzial, viele talentierte Spielerinnen zu finden, die gut in den Stützpunkt passen. Es gibt viele Überlegungen, ganz wichtig auch das Projekt Zukunft Weiblich / Sport. Wir machen uns viele Gedanken, wie wir Talente unterstützen und für Trainer*innen Mentorenprogramme organisieren können, die den Weg in das Trainer*innen-Dasein erleichtern.

DFB.de: Nun haben Sie beide quasi auch Ihr 20-jähriges Jubiläum beim DFB - Was macht Ihnen nach wie vor Freude an Ihrer Tätigkeit?

Dugandzic: Wenn ich mir meinen beruflichen Werdegang hätte ausmalen dürfen, hätte ich ein ähnliches Bild wie mein jetziges gemalt. Es ist eine sehr erfüllende Aufgabe, weil der Fokus darauf liegt, zu einem späteren Zeitpunkt den Erfolg zu sehen. Es geht also nicht darum, kurzfristig Erfolg zu haben, sondern mittel- und langfristig zu arbeiten. Tagtäglich arbeite ich mit vielen klugen Köpfen, die den Blick weit in die Zukunft gerichtet haben und heute die Weichen stellen, die zu einem weitentfernten Ziel führen. Das macht Spaß und ist sehr erfüllend.

Ballweg: Für mich ganz klar, dass wir uns auch weiterhin mit Fußball beschäftigen dürfen. Fußball ist einfach mein Hobby, meine große Leidenschaft und die schönste Nebensache der Welt. In meiner Tätigkeit habe ich die Möglichkeit, Strukturen zu verbessern und weiß, dass wir da noch große Potenziale haben und etwas bewirken können.

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