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Vorbild Nowitzki: "Motivieren, inspirieren und mitreißen"
Die Abläufe waren eingeschliffen, 1000-fach wiederholt. Allein in der NBA lief Dirk Nowitzki in 1667 Wettkampfpartien auf, 153-mal trug er das deutsche Nationaltrikot. Er wusste genau, wie er sich vorzubereiten hatte, um auf dem Parkett der großen Arenen der Welt als absoluter Leader seiner Teams regelmäßig Topleistungen zu bringen. Seit April ist Schluss damit, Schluss mit dem Dasein als Profi-Basketballer. Der 11. April 2019 markiert das Ende einer Karriere, für die es kaum adäquate Beschreibungen gibt, weil sie so herausragend ist. Nach 21 Jahren im Trikot der Dallas Mavericks und des DBB mit unzähligen Meilensteinen und persönlichen Bestmarken, gekrönt von der Olympia-Teilnahme 2008 und der NBA-Meisterschaft 2011 – der bisher einzigen für den texanischen Klub - ist der jahrelang für seine sportlichen Leistungen und sein bodenständiges Verhalten bewunderte 2,13-Meter-Riese nun in erster Linie Familienvater und Privatmensch.
Nowitzki ist aber natürlich weiterhin eine gefragte Persönlichkeit. Ehrungen, Interviews, soziale Projekte, Veranstaltungen aller Art – die Anfragen stapeln sich bei dem Mann, der mit seiner Frau und den drei Kindern nach wie vor in Dallas lebt. Der Unterschied zu seinen Profizeiten: Während sein Alltag bis vor ein paar Monaten gnadenlos durchgetaktet war, bleibt Nowitzki nun ein wenig mehr Zeit, um zumindest einige Termine wahrzunehmen – auch in Deutschland. So stellte er im November im Schauspiel Frankfurt zusammen mit Autor Thomas Pletzinger sein neues Buch "The Great Nowitzki" vor - eine exzellente, atmosphärisch dichte und literarisch wertvolle Annäherung an das faszinierende Leben und Wirken des globalen Superstars. Vergangene Woche überreichte ihm Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier das Bundesverdienstkreuz für sein umfangreiches soziales Engagement, vor allem mit seinen Stiftungen.
"Vorbilder vor!": Nowitzki zu Gast beim Leadership Festival
Bewegende Tage, die den 41-Jährigen am vergangenen Montag wieder nach Frankfurt führten. Nowitzki ist Stargast und das Gesicht der zweiten Auflage des Leadership Festivals der DFB-Akademie unter dem Leitmotto "Vorbilder vor!". Die Netzwerkbörse gastiert diesmal im Kunstverein Montez im Bauch der Honsellbrücke. Eine außergewöhnliche Location, in der buchstäblich Brücken gebaut werden sollen zwischen den Bühnenprotagonisten, geladenen Führungskräften aus dem deutschen Fußball und DFB-Partnern. Bundesliga-Sportchefs wie Frankfurts Fredi Bobic und Bremens Frank Baumann, frühere Nationalspieler wie René Adler und Cacau, Frauen-Nationaltorhüterin Almuth Schult samt ihrer Trainerin Martina Voss-Tecklenburg, die sportliche Leitung des DFB um Oliver Bierhoff, Joti Chatzialexiou und Meikel Schönweitz sowie einige Junioren-Trainer um U-21-Coach Stefan Kuntz, Leiter von Nachwuchsleistungszentren und viele mehr – sie alle wollen sich von renommierten Führungskräften inspirieren lassen und Impulse erfahren. Vor allem von Nowitzki.
Der tritt also weiterhin vor Menschen auf, nur der Rahmen hat sich gewandelt. Statt um die 20.000 Fans sind es am Montag gut 170 Menschen, statt Trikot, Shorts und Basketball-Sneakers trägt Nowitzki einen blauen Anzug und braune Lederschuhe, die Abläufe sind nicht ritualisiert. Eines ist jedoch gleich, auf dem Spielfeld, im Training und auf der Bühne. Selbst wenn er im Fokus steht, die Blicke und Scheinwerfer auf ihn gerichtet sind: Er drängt nicht mit viel Getöse in den Mittelpunkt, sondern überzeugt durch Inhalte – und mit Witz. "Dass ich gut aussehend und charmant bin", antwortet Nowitzki auf die Frage, was seine Frau Jessica wohl an ihm schätze. Ernsthaft schiebt er die Eigenschaften "Familienmensch, Loyalität, guter Umgang mit Kindern sowie jeden Tag gute Laune", hinterher, in der Hoffnung die Ansichten seiner Frau richtig einzuschätzen.
"Mit meiner Art versucht, alle Menschen zu integrieren"
"Ich war nicht der geborene Leader, sondern eher der schüchterne Typ", erzählt Nowitzki im Bühnengespräch mit Thorsten Hermes, früher Google-Manager und seit einigen Monaten Chief Innovation Officer beim DFB. Laut Nowitzki muss ein Leader "motivieren, inspirieren und mitreißen" können. Er habe das vor allem mit Humor, als eine Art Pausenclown, probiert: "Ich habe immer Trash Talk gemacht und den in die Kabine gebracht, um die Jungs aufzulockern. Ich wollte mit gutem Beispiel vorangehen, habe auch gespielt, wenn ich krank oder verletzt war, um den Jungs zu zeigen, dass sie sich auf mich verlassen können. Mit meiner Art habe ich versucht, alle Spieler im Kader und Menschen drumherum zu integrieren und Spaß mit ihnen zu haben."
In diesem Zusammenhang mahnt Nowitzki ein allgegenwärtiges Phänomen an: die inflationäre Smartphone-Nutzung. "Es war am Ende ein bisschen bitter, dass jeder in der Kabine direkt am Handy gehangen hat. Da habe ich schon versucht einzuwirken und gesagt: Legt doch mal die Handys weg und lasst uns über das Spiel sprechen." DFB-Direktor Oliver Bierhoff, der Nowitzki neben Roger Federer als eine von zwei Sportikonen adelt, zu denen die deutschen Nationalspieler aufschauen, teilt diese Kritik: "Wir haben auch in der Nationalmannschaft handyfreie Zeiten beim Mittag- oder Abendessen. Es ist natürlich eine andere Generation, aber ich habe schon festgestellt, dass man nach historischen Siegen manchmal in die Kabine kommt und alle schauen aufs Handy. Wir sind aufgefordert, den persönlichen Austausch immer wieder durch gewisse Maßnahmen zu fördern."
Persönlicher, unmittelbarer Kontakt zu anderen Menschen wichtig
Das Persönliche, der analoge, unmittelbare Kontakt zu anderen Menschen sieht Nowitzki als größte Errungenschaft seiner langen Karriere an: "Das Tollste waren die Beziehungen zu den Leuten, zum Staff im Klub, zu Holger, zu meiner Familie, den Menschen, die mir Rückhalt gegeben und mich immer unterstützt haben. Dieses Netzwerk ist hängen geblieben, das werde ich für den Rest meines Lebens nicht vergessen." Gegenseitiges Vertrauen, Leute auf die man sich verlassen kann – das sei der Schlüssel. Gerade in Krisenzeiten. So habe ihm sein engster Kreis etwa enorm geholfen, als er 2006 tragisch seine erste Finalserie gegen Miami verloren hatte.
Dass Nowitzki in diesem Zusammenhang einen einzelnen Namen nennt, ist kein Zufall. Zu Holger Geschwindner, seinem Mentor und väterlichen Freund, pflegt er seit Jugendzeiten einen besonders engen Draht. "Ich wüsste nicht, wo ich ohne Holger gelandet wäre", sagt Nowitzki: "Ich habe ihm schnell vertraut, weil ich gemerkt habe, dass ich besser wurde, obwohl er schon auch als komischer Kauz rüberkam. Wir haben viel ausprobiert, außerhalb der Schublade trainiert, mit Fechten, Rudern oder Wandern. Wir sind teilweise zusammen in den Urlaub gefahren, was schon bizarr ist, wenn ein 20-Jähriger mit einem fast 60-Jährigen in den Urlaub fährt. Aber es ist ein freundschaftliches Verhältnis gewachsen. Er hat mich von Anfang an auch außerhalb des Basketballs gefordert und gefördert, etwa mit Büchern und Instrumenten."
"Von anderen Sportarten und Leadern viel lernen"
Geschwinder, früher selbst Kapitän der Basketball-Nationalmannschaft, schlägt seinerzeit bei den Eltern des Teenagers Dirk Nowitzki auf und macht sein Anliegen deutlich. Nowitzki sei ein großes Talent, er würde gerne mit Dirk arbeiten und ihn fördern. Dabei könne es jedoch nicht darum gehen, aus ihm einen guten Bundesliga- oder Europaliga-Spieler zu formen. "Holgers Ziel war immer, die NBA aufzumischen, ich sollte mich mit den Besten der Welt messen", erinnert sich Nowitzki.
Dieses Vorhaben gelang auf spektakuläre und beeindruckende Art und Weise - vor allem durch unendlich viel harte Arbeit und Disziplin. All das hat neben den Erfolgen natürlich auch Spuren an Nowitzkis Körper hinterlassen. Sein Gang ist unrund. Freizeit- und Benefizkicks seien deshalb aktuell eher nicht möglich, sagt Nowitzki. Er wirkt dabei aber nicht sonderlich frustriert. Dafür könne er, der sich als Fan des erfolgreichen Teams von Werder Bremen der 80er Jahre outet, sich nun bei Veranstaltungen wie dem Leadership-Festival einbringen: "Man kann von anderen Sportarten und Leadern einfach viel lernen, daher ist es gut, sich zu vernetzen." Sein positives und gewinnendes Wesen fasziniert auch an diesem Tag.
"Den Nachwuchs individuell fördern – das würde mich reizen"
Es hat eben eine neue Zeitrechnung für ihn begonnen, sein Körper steht nicht mehr im Vordergrund, muss nicht mehr ständig Hochleistungen bringen. Eine große Leere, wie sie bei vielen Profisportlern nach dem Karriereende eintritt, ist bei ihm eher nicht zu befürchten, dafür sorgen allein seine drei Kinder. Mit der Familie, die zuvor oft hintenanstand, will er nun erst einmal viel Zeit verbringen. Neben dieser privaten Führungsrolle könnte Nowitzki aber mittelfristig wieder als Leader auftauchen. "Holger wollte eigentlich nie etwas von mir, hat nur einen Wunsch geäußert: Dass ich irgendwann das, was er mit mir gemacht hat, mit anderen talentierten Jugendlichen machen soll", sagt Nowitzki: "Den Nachwuchs individuell zu fördern – das würde mich schon reizen."
Ob es ihm dann gelingt, einen seiner Schützlinge in seine Sphären als Spieler zu führen, wird eine riesige Herausforderung. Der Mentor und Leader Nowitzki wird es aber auf jeden Fall versuchen und auch als Mentor nach dem Maximum streben – mit seinem ganz eigenen Führungsstil.