News

Weiblicher Zyklus im Sport: "Nur ihr könnt bestimmen, was gut für euch ist"

Rita Tomás ist Ärztin für Sportmedizin, physikalische Medizin und Rehabilitation. Seit 2011 arbeitet sie mit der medizinischen Abteilung des portugiesischen Fußballverbands zusammen und betreut dort aktuell die Frauen-Nationalmannschaft. Beim UEFA Medical Symposium am DFB-Campus referierte sie über den weiblichen Zyklus. Im DFB.de-Interview spricht Tomás über die Auswirkungen des Menstruationszyklus auf die Leistungsfähigkeit und ein möglicherweise steigendes Verletzungsrisiko.

DFB.de: Frau Tomás, wie ist der aktuelle Stand der Forschung zur Menstruation im Frauenfußball?

Rita Tomás: Die Sportmedizin hat hier noch einen großen Nachholbedarf. Leider gibt es wenig aussagekräftige Forschung und Daten zur Menstruation im Fußball. So basieren die Erkenntnisse aus medizinischen Studien zum Thema Rehabilitationstraining und Verletzungsanfälligkeit oft auf Untersuchungen mit männlichen Probanden. Das Gute ist: In den vergangenen drei Jahren ist das Interesse an diesem Thema gestiegen und Spielerinnen, Vereine und Verbände sind sehr daran interessiert, mehr darüber zu erfahren.

DFB.de: Warum ist es so wichtig, die Menstruation im Trainingsplan zu berücksichtigen?

Tomás: Wenn man mit Fußballerinnen arbeitet, muss man den Menstruationszyklus berücksichtigen, denn die Schwankungen des Spiegels der weiblichen Sexualhormone - Östrogen und Progesteron – können sich auf viele Systeme des weiblichen Körpers auswirken. Beispielsweise auf das Wohlbefinden, die Leistung und die Erholung nach dem Training.

DFB.de: Was bedeutet das konkret?

Tomás: Es ist wichtig zu wissen, welchen Einfluss die verschiedenen Phasen des Menstruationszyklus auf die Leistung der Fußballerinnen haben. Das Problem dabei ist, dass nur wenige Studien zu diesem Thema wirklich aussagekräftig sind und sich die Forschungsergebnisse oft widersprechen. Daher ist es schwierig, klare Empfehlungen für jede Fußballerin zu geben, denn jeder Körper ist anders.

DFB.de: Wie sieht ein zyklusbasierter Trainingsplan aus?

Tomás: Es gibt keine allgemeinen Richtlinien, die der Sportlerin sagen, wie sie während des Menstruationszyklus trainieren soll. Der wichtigste Punkt ist zu wissen, in welcher Phase des Zyklus sich die Frau befindet und wie sie sich in dieser Phase fühlt. In der Regel berichten Spielerinnen über verstärkte Symptome kurz vor und während der Menstruation und haben das Gefühl, dass dies ihre Leistung beeinträchtigen kann. Wenn wir wissen, wann es der Spielerin nicht gut geht, können wir der Spielerin helfen und Strategien entwickeln, um bestimmte Symptome zu verhindern oder zu behandeln. Es ist wichtig, dass die Spielerin auf ihren Körper hört, um zu verstehen, warum sie vielleicht nicht mehr so gut spielen kann wie zuvor.

DFB.de: Wie lässt sich das in der Praxis umsetzen?

Tomás: Wir versuchen, den Menstruationszyklus so gut wie möglich für jede einzelne Spielerin zu verfolgen. Sei es durch Tagebücher/Kalender, Handy-Apps oder Messungen der Hormone im Urin, Blut oder Speichel. Erst wenn die Hormone einer Frau über mehrere Zyklen hinweg gemessen wurden, können wir klare Aussagen darüber treffen, in welcher Phase sie sich in ihrem Zyklus befindet und wie sich ihr Körper in der jeweiligen Phase verhält.

DFB.de: Was macht es so schwierig, den idealen Trainingsplan zu entwickeln?

Tomás: Jede Frau ist anders und erlebt ihren Zyklus anders. Es ist auch schwer, das Training zu individualisieren, wenn man in einem Mannschaftssport arbeitet. Wir wissen, dass Hochleistungssport auch Auswirkungen auf die Menstruation hat. In einigen Fällen wird die Blutung sogar unterdrückt. Das macht es für uns umso schwieriger, Spitzensportlerinnen zu untersuchen. Hinzu kommt, dass einige Sportlerinnen auch Verhütungsmittel verwenden, was auch den Menstruationszyklus beeinflussen kann.

DFB.de: Welchen Einfluss haben diese Verhütungsmittel auf die Menstruation und damit auf die Leistung der Spielerinnen?

Tomás: Es gibt einige wenige Studien über die Leistung von Frauen, die hormonell verhüten, und solchen, die nicht verhüten. Die Unterschiede in den Studien sind jedoch sehr gering. Es ist schwierig, ein genaues Urteil darüber zu fällen, ob die Verhütung die Leistung verringert. Kurzzeitig gab es eine Diskussion darüber, ob hormonelle Verhütung die Verletzungsanfälligkeit verringert. Dabei handelte es sich jedoch nur um eine einzige Studie, sodass wir aufgrund der geringen Anzahl von Studien und der Validität der Ergebnisse, derzeit nicht davon ausgehen können.

DFB.de: In den vergangenen Monaten gab es einige schwere Verletzungen im Frauenfußball. Glauben Sie, dass Frauen generell anfälliger für Verletzungen sind?

Tomás: Es gibt aktuelle Datensätze, die zeigen, dass sich Fußballerinnen im Durchschnitt seltener verletzen als Männer, es aber länger dauert, bis sie sich nach einer Verletzung wieder erholen. Natürlich ist es auffällig, wie viele schwere Verletzungen wir in den vergangenen Monaten im Frauenfußball hatten – insbesondere Verletzungen des vorderen Kreuzbandes im Knie. Wir können nur nicht sicher sein, ob dies auf die Hormone, die Anatomie des weiblichen Körpers, den eng getakteten Spielplan oder einfach auf das Umfeld der Sportlerinnen - wie zum Beispiel die Art des Trainings und die medizinische Betreuung - zurückzuführen ist. Im Vergleich zum Männerfußball gibt es auch hier nicht genügend aussagekräftige Untersuchungen.

DFB.de: Was ist Ihre persönliche Meinung, welchen Einfluss haben Hormone auf das Verletzungsrisiko?

Tomás: Ich glaube schon, dass der Hormonhaushalt während des Menstruationszyklus eine wichtige Rolle spielt. Um jedoch den Einfluss der Hormone auf das Verletzungsrisiko zu untersuchen, müssten wir genau wissen, in welcher Phase des Zyklus sich die Frau befand, als sie sich verletzte. Viele Athletinnen verfolgen ihre Periode nicht einmal mit einem Kalender oder Tagebuch. Einige Forscher vermuten, dass die Bänder weniger steif sind, wenn der Östrogenspiegel höher ist, und dass Frauen in dieser Phase anfälliger für Bänder- beziehungsweise Gelenkverletzungen sind. Dies wäre kurz vor dem Eisprung und somit meist in der Mitte des Zyklus – die sogenannte späte Follikelphase. ​

DFB.de: Nicht nur Profifußballerinnen zeigen eine mögliche Leistungsabnahme während der Menstruation. Welche Rolle spielt das Thema Menstruation im Amateurfußball?

Tomás: Aufklärung und Kommunikation sind hier ebenfalls der Schlüssel. Es sollte auch für Spielerinnen, die keine Profis sind, normal sein, über ihre Menstruation zu sprechen. Ähnlich wie wenn sie über eine Verletzung, Kopf- oder Zahnschmerzen sprechen. Vereine und Trainer sollten auch darüber aufgeklärt werden, dass es völlig normal ist, dass ihre Spielerinnen nicht ihre beste Leistung abrufen können.

DFB.de: Welchen Rat würden Sie Amateur-Fußballerinnen geben?

Tomás: Lernt euren Körper kennen, verfolgt euren Zyklus und auch, wie ihr euch in jeder einzelnen Phase fühlt. Nur ihr könnt bestimmen, was gut für euch ist und was nicht. Zwingt euch nicht zu bestimmten Leistungen, wenn ihr euch nicht gut genug fühlt.

DFB.de: Warum ist es so wichtig, mehr über Menstruation und den weiblichen Körper im Fußball zu sprechen?

Tomás: Meiner Meinung nach müssen die Barrieren aufgebrochen werden. Vor allem im Amateurfußball ist die Periode vielerorts noch ein Tabuthema. Das fängt schon in der Schule an, auch hier ist mehr Aufklärung nötig. Ich sehe es auch als Aufgabe der Vereine und Verbände an, alle Akteure im Frauensport zu sensibilisieren.

DFB.de: Was stimmt Sie zuversichtlich, was die Forschung über den Menstruationszyklus in Zukunft angeht?

Tomás: Wir befinden uns derzeit in einer sehr spannenden Phase. Ich bin sehr zuversichtlich, dass wir in fünf bis zehn Jahren genauere Kenntnisse über den Menstruationszyklus und den Einfluss des weiblichen Körpers auf die Leistung, das Verletzungsrisiko, aber auch die Ernährungsbedürfnisse haben werden. Gerade, weil sich die Forschung ständig weiterentwickelt und das Forschungsinteresse zunimmt.