Wissen

Einfluss des räumlichen Sehens und der Sehschärfe auf die Beinkoordination und Präzision beim Passen

Welche Rolle spielen visuelle Informationen und mentale Repräsentationen bei Fußballspielern mit unterschiedlichem Leistungsniveau?

Neurozentriertes Training
Welchen Einfluss hat das räumliche Sehen und die Sehschärfe auf die Beinkoordination und Präzision beim Passen?
    • Qualität und Verarbeitung von visueller Information haben im Fußball eine wesentliche Bedeutung für die Bewegungsmotorik und die Interaktion zwischen Spielern und Ball.
    • Die Leistung bei spielrelevanten motorischen Aufgaben verschlechtert sich durch graduell reduzierte visuelle Information mit der Aufgabenkomplexität (d. h., der Entfernung zum Ziel).
    • Die Ergebnisse sind unabhängig vom Leistungsniveau der Spieler: Die Effekte bei Amateur- und Spitzensportlern sind äquivalent.
    • Spitzenspieler zeigen im Vergleich zu Amateuren eine größere Bewegungskonstanz bei geringerer Bewegungsvariabilität und eine genauere Selbsteinschätzung bei der Beurteilung der erbrachten Leistung.
Abstract

Fußballer nutzen visuelle Informationen, um die umliegende Spielumgebung zu analysieren sowie die Position von Mitspieler, Gegenspieler und Ball präzise zu erfassen. Visuelle Informationen sind für den Erfolg motorischer Handlungen im Spiel von Relevanz. Die vorliegende Studie untersucht, inwieweit sich die Präzision visueller Informationen und die Genauigkeit des räumlichen Sehens auf das Passen bei Spitzenspielern im Vergleich zu Amateurspielern auswirkt. Die Ergebnisse zeigen, dass vor allem die Reduktion des räumlichen Sehens die Leistung bei spielrelevanten motorischen Aufgaben in Abhängigkeit von der Aufgabenkomplexität (d. h., der Entfernung zum Ziel) verschlechtert. Die Pass- und Bewegungskonsistenz ist trotz des reduzierten räumlichen Sehens und eingeschränkter Sehschärfe bei Spitzenspielern im Vergleich zu Amateurspielern besser ausgebildet. Spitzenspieler können die erbrachte Leistung darüber hinaus besser einschätzen. Die Erkenntnisse sind wichtig für die Spiel- und Trainingspraxis und sollten grundsätzlich in die neurozentrierte Trainingsplanung integriert werden.

Die Relevanz visueller Informationen beim Spiel

Das Tempo hat sich in den letzten Jahren erhöht. Daten der deutschen Fußballnationalmannschaft zeigen: 2005 hatte ein Spieler eine durchschnittliche Ballkontaktzeit von drei Sekunden. Mittlerweile erreichen Spitzenspieler Werte von unter einer Sekunde. Insbesondere komplexe Spielsituationen mit Ball und Gegenspielern stellen hohe Anforderungen an das sensomotorische System. Der wichtigste Sinn im Fußball ist der Visus.

Alle Spielsituation werden mehr oder weniger direkt von der visuellen Wahrnehmung geprägt. Der Visus bildet die Grundlage der Orientierung und dient als Basis für schnelle motorische Entscheidungen. Er ist folglich ein wesentlicher leistungsbestimmender Einflussfaktor. Die Handlungsfähigkeit im Fußball beruht auf einer klaren und fokalen Analyse der Ballsituation, kombiniert mit einem breiten Überblick über die relevante Spielzone. Die Ausprägung der Sehschärfe und des räumlichen Sehens gewinnt aufgrund der breiten und tiefen Spielfläche sowie der hohen Anzahl von Spielern zunehmend an Bedeutung.

Ein zweites wichtiges Element ist das Bewegungsgedächtnis, das durch umfangreiches und variantenreiches Training geschult und stetig verfeinert wird. Die motorische Aktion beruht insbesondere auf Erfahrung und Erinnerung an erfolgreiche Spielaktionen. Im Unterschied zu Amateurspielern ist die Handlungsrepräsentation im Bewegungsgedächtnis von Profis sehr gut ausgebildet und hierarchisch organisiert.

Die Studie untersucht den Effekt visueller Informationen auf die motorische Leistungsfähigkeit von Amateurspielern im Vergleich zu Spitzenspielern beim Passen. Kurze Pässe mit Zielvorgaben wurden bei einer Distanz von 9 m und lange Pässe bei einer Distanz von 18 m durchgeführt. Die Sehqualität wurde durch Reduktion der visuellen Rückmeldung durch eine Brille mittels Verdeckung und Verzerrung eingeschränkt und mit dem normalen Sehen verglichen. In der verdeckten Bedingung waren die Gläser vollständig abgedunkelt, um das periphere Sehen zu erschweren. In der verzerrten Bedingung trugen die Spieler Gläser mit Korrekturschärfe 4, wodurch eine starke Kurzsichtigkeit simuliert wurde, bei welcher Objekte unscharf, größer und näher erschienen.

Das Ergebnis

Der Visus beeinflusst Präzision und Konsistenz beim Passen wie folgt:

  • Unter normalen Sehbedingungen überzeugen Spitzenspieler gegenüber Amateurspielern mit einer größeren Passgenauigkeit, Passkonsistenz, Bewegungskonsistenz in den Beinen sowie Präzision bei der Einschätzung erbrachter motorischer Leistungen. Diese Unterschiede sind unabhängig von der Sehbedingung.
  • Die reduzierte visuelle Rückmeldung durch Verdeckung und Verzerrung führt zu einer Verschlechterung der Passgenauigkeit. Die verschlechterte Passgenauigkeit ist unabhängig vom Leistungsniveau der Spieler.
  • Unter normalen Sehbedingungen überzeugen Spitzenspieler gegenüber Amateurspielern mit einer größeren Passkonsistenz bei geringerer Variabilität. Die negativen Effekte auf die Passkonsistenz sind stärker bei verdeckten als bei verzerrten Sehbedingungen vorhanden. Vergleichbare Resultate ergeben sich für die Koordination der unteren Extremitäten.
/
Visuelle Information und Passgenauigkeit:

Visuelle Informationen beeinflussen die Leistungsfähigkeit von Fußballspielern mit hohem und mit niedrigem Leistungsniveau gleichermaßen. Die Ergebnisse zeigen, dass beide Gruppen visuelle Informationen bei selbstgesteuerten und diskreten Aufgaben wie dem Passspiel benötigen, um eine gute Leistung zu erzielen. Als besonders herausfordernd stellt sich die verdeckte Sehbedingung heraus, die durch das Einschränken des räumlichen Sehens die Leistung für alle Passdistanzen und Leistungsniveaus der Spieler signifikant verschlechtert. Dieses Ergebnis ist von Relevanz für die Spiel- und Trainingspraxis, da gezielte Übungen mit eingeschränktem Visus bekannt dafür sind, dass sie die sensomotorische Kontrolle und besonders die zentralnervöse Integration der anderen Sinne (wie etwa die Propriozeption und das Hören) langfristig verbessern können. Das Einbinden eines vielseitigen Repertoires an Übungen mit verdecktem Sichtfeld bietet daher abwechslungsreiche neurozentrierte Trainingsimpulse für die Praxis aller Leistungsniveaus. 

Bewegungsgedächtnis

Ein überraschendes Resultat ist in diesem Zusammenhang, dass die mentale Repräsentation des Bewegungsmusters keine signifikante Rolle bei der Bestimmung der Gesamtleistung sowohl bei Spielern mit großen als auch mit geringen Fähigkeiten spielt. Es scheint, als seien Fußballspieler beider Leistungsklassen weniger vom Bewegungsgedächtnis gesteuert, als vielmehr von situationsspezifischen visuellen Reizen, die zügig verarbeitet und in die Zielmotorik integriert werden. Die vorliegenden Ergebnisse stützen die bereits etablierten Thesen aus anderen Studien, dass selbst ungenaue visuelle Informationen wichtig für die Bewegungsmotorik sind und dass das sensomotorische System in der Lage ist, diese Ungenauigkeit zu korrigieren und zu kompensieren.

Konsistenz der Bewegung und des Passes

Die Variabilität des Bewegungsmusters und des resultierenden Passes ist größer bei Amateurspielern im Vergleich zu Spitzenspielern. Diese Unterschiede manifestieren sich bei allen Sehbedingungen und Passdistanzen. Spitzenspieler überzeugen daher mit einer soliden Bewegungskonsistenz, welche sowohl die Position des Fußes mit Referenz zum Ball als auch den Kniewinkel mit einschließt. Die Präzision und Konsistenz die Genauigkeit der Pässe ist vermutlich ein Resultat der soliden und immer gleichen Bewegungsausführung durch die trainingsbezogene Konsolidierung im Bewegungsgedächtnis, wodurch es Spitzenspielern auch bei schlechten Sehbedingungen gelingt, die Pässe vergleichsweise präzise dem vorgegebenen Ziel anzunähern.

Einschätzung der Leistung

Die Ergebnisse dieser Studie zeigen, dass Spitzenspieler die endgültige Ballposition genauer einschätzen können als Amateurspieler. Diese Unterschiede waren vor allem in der Bedingung mit verdecktem Sichtfeld präsent. Es wird vermutet, dass das Verdecken des Sichtfeldes das Vertrauen auf das Bewegungsgedächtnis mit dem bereits erlernten Bewegungsrepertoire notwendig macht und die mentale Repräsentation des Bewegungsmusters vor allem bei Spitzenspielern verfeinert ist. Dies ermöglicht es ihnen, genaue und konsistente Ergebnisse zu erzielen.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie mit dem Titel "Visual and skill effects on soccer passing performance, kinematics, and outcome estimations", die 2015 im Journal „Frontiers in Psychology" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Basevitch, I., Tenenbaum, G., Land, W. M., & Ward, P. (2015). Visual and skill effects on soccer passing performance, kinematics, and outcome estimations. Frontiers in Psychology, 6, 198.
    Studie lesen