Wissen
Physische Belastung: Wie man Kurzzeitaktionen besser messbar macht
Intensitätszonen auf der Basis von Beschleunigung und Laufgeschwindigkeit
- Die maximale erreichbare Beschleunigung sinkt mit steigender Laufgeschwindigkeit.
- Werden allein die Geschwindigkeitswerte oder allein die Beschleunigungswerte verwendet, können Fehleinschätzungen hinsichtlich der Erfassung der physischen Belastung auftreten.
Die Verwendung der prozentualen Beschleunigung minimiert diese Fehleinschätzungen und kann helfen, Kurzzeitaktionen besser hinsichtlich der physischen Belastung einzuschätzen.
Abstract
Im Profifußball werden Positionsdaten auch genutzt, um die physische Belastung im Spiel oder im Training abzuschätzen. Bewerkstelligt wird das beispielsweise über Laufdistanzen innerhalb verschiedener Geschwindigkeitszonen. Um auch kurze und schnelle Antritte zu erfassen, werden zusätzlich auch Beschleunigungswerte analysiert. Die Beschleunigung ist allerdings von der Start- bzw. Laufgeschwindigkeit abhängig. Dieser Fakt wird in vielen Laufdatenanalysen jedoch ignoriert und führt daher zu Fehleinschätzungen. Forscher aus der Schweiz zeigen exemplarisch in einer Studie, wie dieser Fehler minimiert werden kann. Sie empfehlen die Beschleunigung prozentual zur maximal möglichen Beschleunigung zu berechnen.
Physische Belastung: „Trainer, das war heute ein sehr anstrengendes Spiel“
Was heißt das eigentlich? Ist der Spieler1 viel gelaufen und hat insgesamt viele Kilometer abgespult? Hat er womöglich viele Sprints und Zweikämpfe hinter sich? Positionsdaten können hier helfen, um diese Fragen zu beantworten.
Die per GPS-, LPM- (Local Position Measurement) oder Videotracking erhobenen Positionsdaten geben Aufschluss über jede einzelne Bewegung eines Spielers. Bildet man hier Geschwindigkeitsbereiche mit Hilfe von vorgegeben festen Grenzen, können die Laufaktionen für ein Spiel kategorisiert (Bspw. Sprinten/Joggen, schnell/langsam oder hoch/niedrig) und gezählt werden [1].
Wenn jedoch nur die Laufgeschwindigkeit per se betrachtet wird, kann es passieren, dass eine kurze Sprintaktion (kurzer Antritt) in höchster Intensität als niedrige Intensität eingestuft wird—weil nicht die nötige Laufgeschwindigkeit erreicht wird—obwohl die physische Belastung eher hoch ist [1]. Beschleunigung ist die Veränderung der Geschwindigkeit in Abhängigkeit der Zeit und drückt damit das Abbremsen und Beschleunigen eines Körpers aus. Es ist anzunehmen, dass bei hohen Beschleunigungen auch die physische Belastung steigt. Für die Beschleunigungen wurden ebenfalls Zonen erstellt [2, 3]. Beispielsweise kann eine Einteilung der Intensitätszonen erfolgen in: „gering: 1-2m/s2“, „moderat: 2-3m/s2“ und „hoch: >3m/s2“. Dementsprechend wäre auch die physische Belastung einzuschätzen. Aber auch hier ergeben sich nach Ansicht der Autoren Tücken in der Auswertung und der Interpretation. Man weiß, dass bei steigender Laufgeschwindigkeit die Beschleunigung sinkt [4]. Bewertet man analog ausschließlich hohe Beschleunigungswerte, werden langanhaltende Sprints mit hoher Geschwindigkeit nicht berücksichtigt. Daraus folgt, dass die maximale Beschleunigung beispielsweise aus dem Joggen heraus niedriger sein muss, als die maximale Beschleunigung aus dem Stand—gleichwohl sind beide Aktionen hochintensiv. Auch hier würde es zu Fehlklassifikationen kommen, wenn nur die Beschleunigung als Kenngröße betrachtet würde.
Eine wesentliche Fragestellung der Belastungssteuerung ist es allerdings sämtliche intensive Aktionen—Sprints mit hohen Geschwindigkeiten und Antritte mit hohen Beschleunigungen—ganzheitlich zu bewerten. Die Autoren schlagen daher eine Betrachtung der Beschleunigung in Abhängigkeit der Ausgangsgeschwindigkeit vor. Eine Beschleunigung von über 3m/s2 ist gemäß der oben vorgeschlagenen Einteilung eine hohe Beschleunigung und damit eine intensive Tätigkeit. Eine maximale Beschleunigung aus einer hohen Laufgeschwindigkeit heraus, würde die 3m/s2 Grenze jedoch nicht überschreiten und damit als moderate Beschleunigung eingestuft werden.
Die Studienautoren verfolgen nun den Ansatz beide Größen, Beschleunigung und Geschwindigkeit, zu verwenden. Um den Fehler in der Schätzung der physischen Belastung zu minimieren, schlagen die Wissenschaftler vor, die maximale Beschleunigung während einer Laufaktion anteilig zur maximal möglichen Beschleunigung als Kenngröße zu verwenden. Schlussfolgernd können auch kurze Sprints aus dem Traben oder Joggen heraus als hochintensiv quantifiziert werden.
Bewertung von hochintensiven Aktionen
In einer Studie mit 72 jugendlichen Top-Nachwuchsleistungsfußballer aus der Schweiz wird die Vorgehensweise zur Berechnung einer prozentualen Beschleunigung dargelegt und begründet.
Das Ergebnis: Je höher die aktuelle Laufgeschwindigkeit, desto niedriger die Beschleunigung, die aufgebracht werden muss, um die Geschwindigkeit zu verändern. Es werden vier verschiedene Intensitätszonen vorgeschlagen:
- Aktionen mit hohen prozentualen Beschleunigungen > 75% der maximal möglichen Beschleunigung
- Aktionen mit moderaten prozentualen Beschleunigungen > 50% der maximal möglichen Beschleunigung
- Aktionen mit niedrigen prozentualen Beschleunigungen > 25% der maximal möglichen Beschleunigung
- Aktionen mit sehr niedrigen prozentualen Beschleunigungen ≤ 25% der maximal möglichen Beschleunigung
Im Detail
Die 72 Nachwuchsspieler hatten die Aufgabe vier Sprints über eine Strecke von 50m zu absolvieren. Wobei der erste Lauf aus dem Stand und die drei weiteren aus verschiedenen festgelegten Laufgeschwindigkeiten (Traben: 6 km/h, Joggen: 10,8 km/h und Rennen: 15 km/h) zu erfolgen hatten. Die Sprints sollten auch mit einer maximalen Beschleunigung gelaufen werden. Aus den erhobenen Daten wurde die Startgeschwindigkeit, die maximale Laufgeschwindigkeit und die maximale Beschleunigung extrahiert. Aus diesen drei Kennwerten kann nun die Beschleunigung prozentual zur Laufgeschwindigkeit berechnet werden.
Wobei die maximale Beschleunigung der Aktion der maximalen Beschleunigung, die während einer Aktion (aus einer bestimmten Laufgeschwindigkeit heraus) entspricht. Die maximale Beschleunigung im Nenner ist die maximal mögliche Beschleunigung. Abbildung 1 zeigt die Ergebnisse aus dem Sprint-Test im Detail. Es ist zu erkennen, dass wenn aus einer höheren Laufgeschwindigkeit heraus beschleunigt wird, die maximale Beschleunigung (y-Achse) geringer wird. Nochmal zu Erinnerung, werden die absoluten Beschleunigungswerte genommen, würde eine Beschleunigung aus dem Stand von 3m/s2 als hoch eingestuft [2]. Hier, bei diesen Spielern, sind das gerade mal 50% der maximalen Beschleunigung aus dem Stand (die liegt im Durchschnitt bei ca. y = 6mm/s2, x = 0 bis 1 siehe Abb.1). Die Wissenschaftler schlagen nun vor, Beschleunigungswerte über 75% der maximalen Beschleunigung als hoch-intensiv zu bewerten. Für diese Stichprobe gilt folgende Einteilung:
Hochintensive Aktionen für diese Stichprobe sind:
Eine Beschleunigung > 4.51 m/s2 aus dem Stand,
Eine Beschleunigung von > 3.25 m/s2 aus dem Trab,
Eine Beschleunigung von > 2.40 m/s2 aus dem lockeren Lauf (Jogging),
Eine Beschleunigung von > 1.72 m/s2 aus dem schnelleren Lauf.
Zusammenfassend
Aufgrund ihrer Ergebnisse empfehlen die Autoren prozentuale Beschleunigungswerte zur Beurteilung der physischen Belastung zu verwenden. Aus Sicht der Wissenschaftler, ist es vorher notwendig einen isolierten Sprint-Test, wie im Artikel beschrieben, durchzuführen, um einen zuverlässigen Wert für die maximal mögliche Beschleunigung pro Spieler zu erhalten. Die hier vorgestellten Intensitätszonen beziehen sich auf U 18-Spieler auf einem sehr hohen Spielniveau. Die Autoren weisen darauf hin, dass für eine andere Altersgruppe die Intensitätszonen angepasst werden sollten. Bestenfalls sind sogar individuelle Schwellenwerte zu berechnen. Die Methode verfeinert die Bewertung von kurzzeitigen-hochintensiven Aktionen, lässt jedoch Bewegungen wie Springen, Drehen und das Abbremsen außer Acht.
Im Rahmen der Vorbereitung auf die Europameisterschaft wurde dieser Ansatz durch die Datenwissenschaftler und Athletiktrainer der DFB-Akademie weiterentwickelt. Basierend auf einer Vielzahl vorhandener Messungen (in der Regel ist jedes Training sowie jedes Spiel unserer Nationalspieler erfasst) werden individuelle Sprintprofile pro Spieler berechnet. So können die Athletiktrainer nach jedem Bundesliga- oder Länderspiel oder Training schnell einen Einblick bekommen, wie der Spieler physisch belastet wurden.
Resümierend bleibt, dass die präsentierte Idee und Herangehensweise der Studienautoren logisch und nachvollziehbar ist. Das Verfahren hat durchaus einen Mehrwert für die Bewegungsanalyse. Mithilfe der prozentualen Beschleunigung kann die physische Belastung realistischer repräsentiert werden.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "The Challenge of Evaluating the Intensity of Short Actions in Soccer: A New Methodological Approach Using Percentage Acceleration", die 2016 in „PLOS ONE" veröffentlicht wurde.
1 Anmerkung zum Sprachgebrauch: Im Folgenden wird aus Gründen der besseren Lesbarkeit in der Regel nur noch die männliche Form verwendet. Es sind damit alle Personen unabhängig von ihrem Geschlecht gemeint.
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Literatur
- Sonderegger K, Tschopp M, Taube W. (2016) The Challenge of Evaluating the Intensity of Short Actions in Soccer: A New Methodological Approach Using Percentage Acceleration. PLOS ONE 11(11): e0166534.Studie lesen
Dwyer, D. B. and Gabbett, T. J.. (2012). Global positioning system data analysis: Velocity ranges and a new definition of sprinting for field sport athletes. The Journal of Strength & Conditioning Research, 26(3): 818-824.
Studie lesenAkenhead R, Hayes PR, Thompson KG, French D. (2013). Diminutions of acceleration and deceleration output during professional football match play. Journal of Science and Medicine in Sport, 16(6): 556–561.
Studie lesenBradley P.S., Di Mascio M, Peart D, Olsen P, Sheldon B. (2010). High-intensity activity profiles of elite soccer players at different performance levels. Journal of Strength and Conditioning Research, 24(9): 2343–2351.
Studie lesenOsgnach C, Poser S, Bernardini R, Rinaldo R, di Prampero P.E. (2009). Energy cost and metabolic power in elite soccer: a new match analysis approach. Medicine and Science in Sports and Exercise. 42(1):170–178.
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