Spielanalyse

Bruno Fernandes – Manchester Uniteds neuer Hoffnungsträger

Der Winter-Neuzugang überzeugt vom ersten Spiel an und drückt der Premier League bereits seinen Stempel auf. Wir schauen uns sein taktisches Profil genauer an.

Bruno Fernandes feiert ein Tor mit seinen Teamkollegen © 2020  Clive Brunskill/Getty Images
  1. Christopher Toetz

    Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Zu Beginn des Jahres verpflichtete Manchester United den portugiesischen Nationalspieler Bruno Fernandes von Sporting Lissabon. Um den offensiven Mittelfeldspieler loszueisen, griff der englische Rekordmeister mit 55 Millionen Euro tief in die Tasche. Damit sicherte sich der Verein die Dienste von einem der torgefährlichsten Mittelfeldspieler Europas. In seinen 137 Pflichtspielen für Sporting erzielte er 63 Treffer und 52 Assists. Allein in der letzten Saison steuerte er 13 Vorlagen bei und verpasste mit seinen 20 Treffern nur knapp die Torjägerkanone.

Rolle

Seit dem Wechsel probiert sich Manchester United an vielen verschiedenen Systemen. Ziel ist es, Neuzugang Bruno Fernandes bestmöglich einzubinden. Schließlich soll er die zentrale Figur im Angriff sein und die Offensivaktionen entscheidend einleiten oder beschleunigen. Daher nimmt er bislang oft die Position hinter den Spitzen ein, die er sehr weiträumig interpretiert. Dort hat er viele Ballkontakte im vordersten Drittel, verfügt über ausreichend Anspielstationen in der Tiefe und ist darüber hinaus durch die defensiven Mittelfeldspieler abgesichert.

Passspiel

Generell ist Bruno Fernandes dazu in der Lage, mithilfe seines variablen Passspiels, als Ballverteiler die Spielrichtung und das Tempo des Spiels zu bestimmen. Er ist oftmals am Kombinationsspiel beteiligt und sorgt damit für stabile Ballbesitzphasen seiner Mannschaft. Seine große Stärke ist jedoch der vorletzte oder finale Pass in den Rücken des Gegners. Dabei überzeugen vor allem das Timing und die Schärfe seiner Pässe, wodurch es den Mitspielern möglich ist, das Spiel einfach und sauber fortzusetzen. Trotz seines vertikalen und risikoreichen Passstils im letzten Drittel hat er eine Passquote von 77%.

    1. Nach einem Doppelpass ist Shaw frei in der Außenspur. Fernandes erkennt das kommende 2 gegen 1 gegen den Außenverteidiger (AV) und setzt sich nach innen ab.

    2. Shaw passt zu Fernandes, der das Spiel mit einem Tempodribbling fortsetzt.

    3. Dabei blickt Fernandes in die Tiefe und nimmt den in die Tiefe startenden Martial wahr. Fernandes spielt einen präzisen und in der Schärfe angemessenen Pass in die Schnittstelle zu Martial, ...

    4. ... der im Strafraum direkt abschließt. Der Torwart (TW) kann den Torschuss jedoch parieren.

    1. Nach einem Pass von außen ist Fernandes in Ballbesitz. Er blickt sofort in die Tiefe, wo er jedoch keine Anspielstation findet. Gleichzeitig rückt der äußere Mittelfeldspieler (AMF) an ihn heran, weshalb Fernandes mit einem Dribbling fortsetzt.

    2. Anschließend kappt er ab und dribbelt in die entgegengesetzt Richtung. Mata, der zuvor bereits in die Tiefe gelaufen ist, erhält so die Möglichkeit, sich neu zu positionieren.

    3. An der Strafraumgrenze setzt Fernandes zur Flanke an, woraufhin Mata erneut einen Lauf in die Tiefe startet. Fernandes kappt jedoch ab und dribbelt vom gegnerischen Tor weg.

    4. Anschließend blickt Fernandes sofort in die Tiefe. Dort nimmt er Mata wahr, der seinen Lauf bereits angepasst hat und sich nun im Rücken seines Gegenspielers absetzt. Fernandes spielt einen präzisen und gut getimten Pass zu Mata.

    5. Mata erläuft das Zuspiel an der Grundlinie und passt direkt zu Ighalo in den Rückraum, der die Vorlage freistehend zum 2:0 verwertet.

Räume erkennen und nutzen

Fernandes verfügt zudem über ausgeprägte Dribbelfähigkeiten, wobei er diese weniger in klassischen 1-gegen-1-Situationen zeigt, sondern eher in engen Räumen. Dort verschafft er sich mit seiner engen Ballführung oftmals einen entscheidenden Vorteil gegenüber den Verteidigern, den er anschließend für seine Folgeaktionen zielgerichtet nutzt. Während seine Dribbelstärke nicht jedem ins Auge fällt, so ist sein sicheres Gespür für freie Räume nicht zu übersehen. Egal, ob er sich zwischen den gegnerischen Linien bewegt, sich für ein Wandspiel fallen lässt oder als Passempfänger im Rücken der Abwehrkette agiert. Als Torjäger setzt er sich klug und passiv gegen die Bewegungen der Abwehr ab und kommt so vor allem im Rückraum oder in ballfernen Räumen zu Abschlüssen.

Die Grundlage für den Erfolg legt Fernandes mit einer ausgeprägten Vororientierung. Dadurch nimmt er die Räume nicht nur frühzeitig wahr, sondern er verschafft sich beim Nutzen der Räume ein größeres Zeitfenster, was seine Entscheidungsfindung beschleunigt und seine anschließende technische Ausführung erleichtert. Dabei agiert er stets tororientiert und wählt oftmals die Lösung, die beim Gegner zu einer Desorganisation führt. 

    1. Fernandes ist in Ballbesitz und dribbelt auf das gegnerische Mittelfeld zu. Dabei bindet er den zentralen defensiven Mittelfeldspieler (ZDM), wodurch Fred frei ist und Fernandes ihn anspielen kann. Nach dem Pass läuft Fernandes sofort in die Tiefe.

    2. Fred nimmt den Pass an und verzögert für einen kurzen Moment. Daraufhin rücken drei Gegenspieler an ihn heran. Fernandes, der seinen Lauf weiter fortsetzt, erhält dadurch mehr Raum und die nötige Zeit, um in Position zu gelangen. Fred passt zu Fernandes.

    3. Fernandes nimmt zum Tor an und bindet so den ballnahen Innenverteidiger (IV). Fred startet nach und bietet sich erneut an.

    4. Mit dem zweiten Kontakt passt Fernandes zu Fred, der durch das Binden einen freien Raum vor sich hat. Diesen nutzt er und schließt direkt auf das Tor ab. Der Torschuss wird jedoch vom anderen IV geblockt.

    1. Nach einer Balleroberung kontert Sporting auf das gegnerische Tor. Camacho dribbelt mit hohem Tempo auf die Abwehr zu. Fernandes ist im Rückraum frei und fordert den Ball.

    2. Camacho kappt ab und umdribbelt den Innenverteidger (IV). Fernandes fordert weiterhin den Ball.

    3. Mit dem Ausspielen übt Camacho erneut Druck auf die Abwehr aus und bindet den Außenverteidiger (AV). Fernandes nimmt die neue Situation wahr und bietet sich mit einem leichten Bogenlauf in der Tiefe an.

    4. Camacho passt im richtigen Moment zu Fernandes, der mit dem zweiten Kontakt erfolgreich abschließt.

    1. Nach einem langen Pass gehen Bolasie und der gegnerische Innenverteidiger (IV) ins Kopfballduell. Fernandes nimmt die Situation wahr und läuft für eine mögliche Verlängerung den Raum im Rücken des Verteidigers an.

    2. Der Kopfball landet jedoch bei Phellype. Fernandes erkennt die Situation frühzeitig und setzt sich nach außen ab. Dabei nimmt er im weiteren Verlauf eine offene Spielstellung ein.

    3. Mit der An- und Mitnahme von Phellype fordert Fernandes bereits den Ball. Phellype passt in den Lauf von Fernandes.

    4. Fernandes nimmt in den Strafraum an und mit und schließt präzise in die ballferne Ecke ab.

Gefahr aus der Distanz

In der portugiesischen Liga war Bruno Fernandes für seine Weitschüsse und Standardsituationen berüchtigt. So erzielte er mithilfe seiner außergewöhnlichen Schusstechnik teils spektakuläre Treffer aus der Ferne. Auffällig dabei: Seine Schüsse sind ungemein scharf, fallen von der Flugkurve her nicht stark runter und verfügen über eine hohe Präzision. Bei Elfmetern fällt er jedoch weniger durch seine Schusstechnik, sondern eher durch sein unkonventionelles Anlaufen auf. Ähnlich wie Chelseas Jorginho baut Bruno Fernandes kurz vor dem Schuss einen Sprung in seinen Ablauf ein. Diesen Moment nutzt er, um den gegnerischen Torhüter auszugucken.

Prägende Figur

Mit seiner Spielweise ist Bruno Fernandes in den offensiven Mittelfeldräumen vielseitig einsetzbar. Aus diesen Räumen heraus sorgt er in den Ballbesitzphasen für Stabilität und Durchschlagskraft. Seine technisch-taktischen Fähigkeiten machen ihn zu einem äußerst kreativen und nur sehr schwer zu verteidigenden Offensivspieler. Ob er Manchester United zurück in erfolgreiche Zeiten führen kann, wissen wir nicht, doch er wird das Spiel der Red Devils sicherlich prägen. Die ersten Spiele haben dies bereits gezeigt.

Er ist gekommen und hat allen einen großen Schub gegeben - nicht nur dem Team, sondern auch den Fans.
Ole Gunnar Solskjær, Cheftrainer Manchester United

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