Spielanalyse

Die Tore der Champions League 2018/2019

Statistische Analyse und Auswertung aller 366 Turniertreffer

Liverpools Divock Origi erzielt ein Tor © 2019 Laurence Griffiths/Getty Images
  1. Marius Fischer und Christopher Toetz

    Marius Fischer und Christopher Toetz, Redakteure der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysieren Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Tore sind die Essenz des Spiels, schließlich entscheiden sie über Sieg oder Niederlage. Doch wie und wo fallen eigentlich die meisten Tore?  Wie und aus welchen Zonen werden diese vorbereitet? Fragen, die wir am Beispiel des letztjährigen Champions League-Wettbewerbs beantworten.

Viele und späte Treffer

Insgesamt wurden in dieser Champions League-Saison 366 Tore erzielt, was 2,93 Treffern pro Spiel entspricht. Dies bedeutete zwar einen Rückgang gegenüber den beiden Vorjahren, doch es war nichtsdestotrotz die vierthöchste Ausbeute überhaupt. Dabei erwies sich die zweite Halbzeit mit 206 Treffern produktiver als die erste mit 159 Treffern. Besonders häufig schlug der Ball in der Schlussphase (letzten 15 Minuten) ein, in der fast ein Viertel alle Treffer erzielt wurden.

Ruhende Bälle

Die Analyse der Champions League 2018/2019 unterstreicht abermals die Bedeutung von Standardsituationen im internationalen Spitzenfußball. Jedes dritte Tor (36,6 Prozent) resultierte aus einem Eckball, einem Freistoß oder einem Elfmeter. Knapp über 40 % der nach einem Standard erzielten Treffer ging ein Eckstoß voraus. Weg vom Tor geschlagene Varianten (17 Treffer) waren dabei in etwa ebenso oft erfolgreich, wie solche, die zum Tor gezogen wurden (16 Treffer). Weitere vier Tore fielen nach einer kurz ausgeführten Variante und ein Tor nach einer gerade Flanke. Bei den Freistößen ließ sich feststellen, dass die Anzahl direkt erzielter Treffer im Vergleich zum Vorjahr von 7 auf 12 stieg. Lässt man die verwerteten Strafstöße, die mit 34 Treffern einen neuen Rekordwert verzeichneten, außen vor, so ging der Anteil an Treffern nach Standardsituationen leicht zurück, wenngleich ruhende Bälle für viele Mannschaften ein wichtiges Mittel zum Erfolg blieben. So war der FC Liverpool sowohl im Halbfinale als auch im Endspiel nach Eckstößen erfolgreich. 

Aus dem Spiel heraus

Dass Tore aus dem Spielverlauf immer noch den größten Anteil haben, zeigt, dass 72,7 % aller Treffer auf diese Art fielen – egal, ob gegen einen organisierten Gegner im Positionsangriff (65,6 %) oder aus einer Kontersituation (6 %). Knapp über ein Viertel der 366 Tore (25,7%) entstand aus Flanken und nach hinten aufgelegten Bällen, was einmal mehr die Bedeutung eines guten Flügelspiels unterstrich. Ein weiterer interessanter Fakt ist, dass über die Hälfte alle Treffer (50,6 %) aus Ballgewinnen im vorderen Drittel entstanden.

    1. Van de Beek erobert den Ball in der Außenspur auf Höhe der Mittellinie und schaltet im Tempodribbling schnell um.

    2. Van de Beek nutzt den Freiraum, um auf die letzte zurückweichende Abwehrreihe zu dribbeln, Tadic sprintet so breit wie nötig bleibend in die Tiefe und Ziyech macht ebenfalls mit, sodass eine 3-gegen-4-Situation entsteht.

    3. Van de Beek bindet mit seinem Dribbling Alderweireld und passt in den Lauf zu Tadić. Die Verteidiger sind nach wie vor gezwungen, zurückzuweichen. Ziyech bleibt zunächst in einer für die Abwehr vermeintlich ungefährlichen Position.

    4. Mit dem Pass zu Tadić läuft Alderweireld ihn an und stellt ihn. Van de Beek läuft in die Tiefe und bindet so Vertonghen ohne Ball. Ziyech bleibt im Rückraum und somit außerhalb des Sichtfeldes aller Tottenham-Verteidiger, insbesondere Wanyama nimmt ihn nicht wahr.

    5. Durch Tadić’ und van de Beeks Binden der Gegenspieler entsteht ein freier Raum am ballnahen Pfosten. Ziyech erkennt diesen und läuft gut getimt aus dem Rücken von Wanyama in den Rücken der Abwehr, die auf Torsicherung bedacht ist. Tadić spielt einen 90-Grad-Pass zu ihm.

    6. Ziyech erzielt mit einem kraftvollen sowie präzisen Abschluss in die ballferne Ecke das 2:0 für sein Team. Torhüter Lloris ist machtlos.

    1. Schmelzer bringt eine flache Hereingabe in den Rückraum, die Pulisic erreicht.

    2. Pulisic löst sich mit dem ersten Kontakt von seinem Gegenspieler. Philipp erkennt die Situation und den freien Raum und beobachtet die Situation, um jederzeit in die Tiefe laufen zu können.

    3. Jetzt kommt der entscheidende Moment für die Torentstehung: Pulisic spielt einen perfekten Pass hinsichtlich Winkel, Schärfe und Genauigkeit in den Raum vor Philipp.

    4. Pulisic hat Philipp so in Szene gesetzt, dass dieser mit einem flachen Pass in den Rücken der Abwehr zum freistehenden Guerreiro spielen kann.

    5. Guerreiro muss nur noch aus kürzester Distanz ohne Gegnerdruck ins leere Tor einschieben.

    1. Nach einer Klärungsaktion ist Valverde in Ballbesitz. Valverde nimmt in Richtung Strafraum an und mit und passt zu Bale. Mit dem Pass läuft Marcelo bereits in die Tiefe.

    2. Bale erkennt die Situation und legt auf den freistehenden Marcelo ab, der zielstrebig zum Tor dribbelt.

    3. Marcelo nutzt seinen Bewegungsvorsprung und schließt mit einem Lupfer erfolgreich in die ballferne Ecke ab.

Assist- und Abschlusszonen

Treffer wurden sowohl nach Positionsangriffen als auch aus Umschaltsituationen vor allem im Strafraum erzielt (87,1 %). Dabei fielen die Treffer weniger aus spitzen Winkeln, sondern vor allem im zentralen Bereich vor dem Tor (77,5 %). Diese Tendenz ist auch bei den Weitschusstoren erkennbar, die jedoch nur 12,9 % der Gesamttore ausmachten.

Bei Betrachtung der Strafraum-Tore lässt sich feststellen, dass über ein Drittel der Treffer (34,9 %), die aus dem Spiel heraus fielen, aus den Halbspuren innerhalb des Strafraums vorbereitet wurden. Diese Vorlagen wurden in 4 von 5 Fällen (82 %, davon 14 % Kopfballtreffer) mit dem ersten Kontakt verwertet, wohingegen Treffer mit mehreren Kontakten nur ein Fünftel ausmachten. 

Diese Beobachtungen lassen sich allgemeingültig ableiten und in ein grafisches Modell verpacken (siehe Abbildung 2). So lässt sich die zentrale Zone, also die mit der höchsten Trefferwahrscheinlichkeit, als goldene Zone und die nebenliegenden Halbspuren als Assistzonen kennzeichnen. Ein bekanntes Modell, das jedem Trainer bei der individuellen Erstellung der eigenen Spielkonzeption hinsichtlich des Angriffsspiels eine Orientierung geben kann.

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    1. Kimpembe passt zum freistehenden Bernat, der zuvor ins Zentrum eingerückt ist.

    2. Bernat dreht sich mit der Annahme auf und dribbelt auf die gegnerische Abwehrreihe zu. Mbappé bietet sich für ein kurzes Zuspiel an und nimmt zudem den startenden Di María wahr.

    3. Bernat erkennt den Laufweg ebenfalls und passt zu Di María in die Außenspur.

    4. Di María dribbelt im hohen Tempo die Außenspur entlang. Mbappé hat sich nach einer kurzen Verzögerung dem Blickfeld der Verteidiger entzogen und vollzieht nun einen Tempowechsel.

    5. An der Strafraumecke nimmt die Di María ein wenig das Tempo aus seinem Dribbling und verlangsamt das Verschiebeverhalten der Gegner. Mbappé befindet sich mittlerweile im Vollsprint.

    6. Als Mbappé auf Höhe der Abseitslinie ist, spielt Di María ein gut getimtes flaches Zuspiel hinter die Abwehrreihe, das Mbappé mit dem ersten Kontakt in die ballferne Ecke verwandelt.

    1. Ribéry dribbelt in den Strafraum und bindet den gegnerischen Außenverteidiger (AV), während Alaba hinterläuft.

    2. Im Strafraum bindet Ribéry einen weiteren Gegenspieler, woraufhin er zum hinterlaufenden Alaba passt. Lewandowski nimmt die Situation wahr und läuft in den Strafraum.

    3. Dort nimmt Lewandowski eine Position im Rückraum ein. Alaba erkennt die Situation und passt zum freistehenden Lewandowski, der daraufhin vom ballfernen AV unter Druck gesetzt wird.

    4. Lewandowski nimmt den Ball mit dem ersten Kontakt entgegen der Bewegungsdynamik des AVs mit ...

    5. ... und schließt präzise in die ballferne Ecke ab.

    1. Ndombélés Schussversuch wird vom Gegenspieler geblockt, woraufhin Mendy in Ballbesitz gelangt.

    2. Mendy reagiert handlungsschnell und passt direkt zu Fekir, der im Strafraum an- und mitnimmt.

    3. Mit Fekirs An- und Mitnahme rücken bereits zwei weitere Mitspieler in den Strafraum, ...

    4. ... wodurch eine Gleichzahl in der vordersten Linie erzeugt wird. Dabei hat Dembélé bereits eine vorteilhafte Position im Rücken seines Gegenspielers eingenommen. Fekir flankt zentral vor das Tor, ...

    5. ... wo Lyon mittlerweile aus einer Gleich- eine Überzahl erzeugt hat. Letztlich nutzt Dembélé seine vorteilhafte Position und verwertet die Hereingabe per Kopf.

Erkenntnisse

Standardsituationen sind weiterhin ein bedeutender Faktor im internationalen Spitzenfußball. Zudem sind hohes Pressing aus der Organisation sowie Gegenpressing wichtige taktische Mittel, um Ballgewinne im vordersten Drittel zu provozieren. Schließlich fällt so das Gros der Tore. Darüber hinaus zeichnen sich erfolgreiche Mannschaften dadurch aus, dass sie ihre Angriffe innerhalb der goldenen Zone abschließen. Dabei erhöht sich die Erfolgswahrscheinlichkeit, wenn der finale Pass aus der Assistzone erfolgt.

Ziel ist es, Abschlüsse fast ausschließlich aus der "Golden Zone" zu generieren, die statistisch die höchste Trefferwahrscheinlichkeit hat.
Jérôme Polenz, Analyst und Moderator

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