Spielanalyse

Real Sociedad - das Überraschungsteam aus dem Baskenland

Real Sociedad überzeugt in der aktuellen Saison mit erfrischendem Angriffsfußball. Wir zeigen, was dieses Team ausmacht.

Mikel Merino bejubelt das vierte Team-Tor mit seinen Mitspielern © 2020 Gonzalo Arroyo Moreno/Getty Images
  1. Christopher Toetz

    Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Real Sociedad belegt in der spanischen La Liga derzeit überraschend einen Champions League-Platz. Darüber hinaus erreichte der Traditionsverein aus San Sebastián erstmals nach 1988 wieder das nationale Pokalfinale. Der Vater des Erfolgs ist Cheftrainer Imanol Alguacil. Der 48-jährige trainierte zuvor die zweite Mannschaft des Vereins, wodurch er für die Aufgabe bei den Profis quasi prädestiniert ist. Schließlich ist „La Real“ mit einem Altersdurchschnitt von 25,8 Jahren die jüngste Mannschaft der Liga. Der Kader ist gespickt mit hochtalentierten Spielern wie Mikel Merino (23 Jahre), Martin Ødegaard (21 Jahre) oder Mikel Oyarzabal (22 Jahre), die durch erfahrene Spieler wie Willian José (28 Jahre) oder den ehemaligen Madrilenen Asier Illarramendi (30 Jahre) sinnvoll ergänzt werden.

Spielerische Dominanz

Der Blick auf die Zahlen zeichnet bereits ein klares Bild von der offensiven Spielidee. Real Sociedad hat mit durchschnittlich 54,5% den vierthöchsten Ballbesitz der Liga und erzielte aus dem Positionsangriff heraus die drittmeisten Tore (30). Darüber hinaus stellen sie mit ihren insgesamt 45 Toren den dritterfolgreichsten Angriff. Im Passspiel legen sie weniger Wert auf lange Pässe oder das Spiel über die Außen, sondern fokussieren das Kurzpassspiel und das Spiel durch das Zentrum. Dabei laufen sie größtenteils in einem 4-1-4-1 auf, alternativ auch in einem 4-2-3-1.

Zwischen den Linien

Real Sociedad agiert in der Regel mit Außenverteidigern, die in der Ballbesitzphase hoch aufrücken. Das ermöglicht das Einrücken der äußeren Mittelfeldspieler, die dadurch eine Überzahl in der Spielfeldmitte schaffen. Das wiederum sorgt für eine sichere Ballzirkulation. Ziel des Aufbaus ist es, einen der zahlreichen Spieler im Raum zwischen der gegnerischen Abwehr- und Mittelfeldreihe flach anzuspielen. Erfolgt ein kontrolliertes Zuspiel zwischen die Linien, verschärft „La Real“ das Tempo und attackiert den Raum im Rücken der Abwehr. Neben einer steten Unterstützung in Ballnähe sorgen die Angreifer mit kreuzenden, vertikalen oder ausweichenden Läufen für variable Anspielstationen. So kann sich der Gegner nicht auf einen Spieler oder den Ball konzentrieren, sondern muss sich permanent neu ordnen und orientieren. Dadurch entstehen neben Dynamikvorteilen auch Ungenauigkeiten im gegnerischen Stellungsspiel, die für den eigenen Angriff genutzt werden können.

    1. Ødegaard dribbelt auf den gegnerischen Defensivverbund zu und bindet so den zentralen defensiven Mittelfeldspieler (ZDM).

    2. Ødegaard kappt vor dem ZDM ab, passt zu Merino und läuft in den Raum zwischen der Abwehr- und Mittelfeldlinie. Dort fordert er einen Pass von Merino, den er auch erhält.

    3. Ødegaard dribbelt diagonal auf die Abwehrreihe zu, woraufhin der ballnahe Innenverteidiger (IV) herausrückt. Gleichzeitig bietet sich Portu mit einem Lauf in die Tiefe an, während Oyarzabal im Rücken des herausgerückten IVs stehen bleibt.

    4. Portus Lauf bindet den absichernden IV, sodass die Schnittstelle, in der Oyarzabal postiert ist, sich weiter öffnet. Ødegaard erkennt die Situation und passt zu Oyarzabal, der mit der An- und Mitnahme in den Strafraum dribbelt ...

    5. ... und präzise zum 1:0-Führungstreffer in die ballnahe Ecke abschließt.

    1. Le Normand dribbelt an, woraufhin der zentrale offensive Mittelfeldspieler (ZOM) sich von Merino löst und an den Ballbesitzer heranrückt. Merino setzt sich seitlich ab.

    2. Le Normand nimmt die Situation wahr und orientiert sich nach innen, woraufhin der ZOM seinen Laufweg anpasst. Dadurch vergrößert sich das Passfenster zu Merino, den er auch anspielt. Der zentrale defensive Mittelfeldspieler (ZDM) folgt dem Pass und übt Druck auf Merino aus.

    3. Merino dribbelt in Richtung Mittellinie, setzt sich gegen den ZDM durch und verlagert zu Ødegaard in die Zentrumsspur.

    4. Ødegaard setzt das Spiel fort und dribbelt mit Tempo auf die gegnerische Abwehr zu. Oyarzabal und Isak unterstützen und bieten sich außerhalb der Abwehrreihe an.

    5. Kurz vor dem Strafraum passt Ødegaard zu Isak in den Lauf, ...

    6. ... der mit dem ersten Kontakt abkappt und präzise in die ballferne Ecke abschließt.

Einbindung der Außenspieler

Doch nicht jede Spielsituation wird durch die Mitte gelöst. Die hohe Präsenz zwischen den Linien sowie die Abläufe der Angreifer sorgen in der Regel dafür, dass sich die gegnerische Abwehrreihe verengt. Dadurch erweitern sich die Schnittstellen zwischen der Abwehr und den Seitenlinien. Das macht sich Real Sociedad oftmals mithilfe der Außenverteidiger zu Nutze. Diese rücken im passenden Moment nach und bieten tororientierte Läufe am Rand der gegnerischen Abwehr an. Bei einem Zuspiel haben sie klare Dynamikvorteile gegenüber den Verteidigern, die keine Möglichkeit haben, sich kontrolliert hinter den Ball zurückzuziehen und direkt handeln müssen. Gelingt ein Durchbruch hinter die Abwehrreihe, so rücken die Angreifer kollektiv und zielstrebig in Richtung Tor. Dabei achten sie auf eine gleichmäßige Strafraumbesetzung, sodass sie die Situation variabel lösen können.

    1. Nach einem Pass von Merino dribbelt Guevara in der Zentrumsspur an und bindet so Gegenspieler. Gleichzeitig läuft Merino in die Tiefe.

    2. Der zentrale defensive Mittelfeldspieler (ZDM) rückt an Merino heran. Guevara setzt sein Dribbling fort und orientiert sich nach außen. Daraufhin passt der ZDM seine Position an und bewegt sich von Merino weg.

    3. Guevaras Körperstellung lässt eine Aktion nach außen vermuten, worauf der ZDM spekuliert. Doch Guevara passt entgegen der Bewegungsdynamik zu Merino in die Tiefe.

    4. Merino dreht zwischen den Linien auf, woraufhin José diagonal hinter die Abwehr läuft. Doch Merino passt zu Ødegaard, der mit einem diagonalen Dribbling fortsetzt. Das Dribbling bindet und verengt die gegnerische Abwehr.

    5. Merino und José laufen in die Tiefe und bieten sich für einen Pass im Rücken der Abwehr an. Doch Ødegaard täuscht einen Schuss an und passt zu Portu, der von außen tororientiert einläuft.

    6. Portu nutzt seinen Dynamikvorteil und passt quer zu José, der die Vorlage ohne Druck verwertet.

    1. Le Normand dribbelt an. Gleichzeitig nimmt Merino die Situation in der Tiefe wahr.

    2. Le Normand passt zu Merino, der das Spiel aufgrund seiner Vororientierung schnell fortsetzen kann und direkt zu Oyarzabal in den Raum zwischen den Linien spielt.

    3. Mit dem Pass rückt der Innenverteidiger (IV) an Oyarzabal heran, der jedoch direkt zu Isak weiterleitet. Dadurch orientiert sich der Außenverteidiger (AV) nach innen, während Muñoz sich in der Außenspur löst und in die Tiefe läuft. Isak passt zu Muñoz, der mit einem Dribbling entlang der Seitenlinie fortsetzt.

    4. Muñoz dribbelt in Richtung Strafraum, während Isak und seine Mitspieler kollektiv und zielstrebig nachrücken.

    5. An der Strafraumecke flankt Muñoz zu Portu auf die ballferne Seite, ...

    6. ... der direkt in den Rückraum passt, wo Isak freistehend zum 1:0-Führungstreffer verwertet.

Achillesferse

Doch wie jedes Team hat auch Real Sociedad seine Probleme. Mit ihren 33 Gegentoren haben sie eine für ihren Tabellenplatz unverhältnismäßig hohe Anzahl an Gegentoren kassiert. Zum Vergleich stellt Tabellenführer Real Madrid mit 19 Gegentoren die beste Defensive der Liga. Aus dem Spiel heraus fällt auf, dass „La Real“ häufig dann Schwierigkeiten bekommt, wenn sie bereits in der ersten Phase des Spielaufbaus vom Gegner unter Druck gesetzt werden. In diesen Situationen hält die Mannschaft oftmals zu lange an der teils zu starren Raumaufteilung im Positionsangriff fest. Die Spieler passen ihre Positionierungen zwar situationsgemäß an, jedoch hauptsächlich innerhalb ihrer Vertikalzonen. So lässt sich beispielsweise „Sechser“ Zubeldia oft zwischen die Innenverteidiger fallen, während Mikel Merino auf seiner Höhe auffüllt. Für den Gegner ändern sich dann zwar die Distanzen der Laufwege, jedoch bleiben die Grundabläufe von Real Sociedad unverändert, wodurch sie leichter ausrechenbar sind.

    1. Torhüter Remiro passt zu Elustondo, der vorab in die Tiefe blickt.

    2. Mit dem Pass rückt der ballnahe Stürmer (ST) an Elustondo heran. Dabei behält er Zubeldia in seinem Deckungsschatten, sodass dieser nicht anspielbar ist.

    3. Daraufhin kommt Ødegaard entgegen, der jedoch mit dem zentralen defensiven Mittelfeldspieler (ZDM) einen Gegner im Rücken hat. Elustondo passt zu Ødegaard, der auf Zubeldia klatschen lassen möchte.

    4. Doch der ZDM schiebt sich im passenden Moment vor Ødegaard, erobert den Ball und setzt das Spiel mit einem Dribbling fort. Der zentrale offensive Mittelfeldspieler (ZOM) läuft sofort in die Tiefe, während die hinteren Abwehrspieler von Real Sociedad einrücken.

    5. Der ZOM setzt seinen Lauf fort und bindet so Le Normand. Der ZDM erkennt die Situation und passt zum Stürmer (ST), der nun im Rücken des Verteidigers freisteht.

    6. Der ST nimmt in den Strafraum an und mit, lässt mit einem Richtungswechsel den heranstürmenden Le Normand ins Leere laufen und schließt erfolgreich in die ballnahe Ecke ab.

    1. Le Normand passt zu Merino, der mit dem gegnerischen zentralen defensiven Mittelfeldspieler (ZDM) im Rücken direkt wieder klatschen lässt.

    2. Mit dem Rückpass rückt der Stürmer (ST) an Le Normand heran, der daraufhin zu Muñoz passt. Der äußere Mittelfeldspieler nimmt die Situation wahr und läuft Muñoz an.

    3. Le Normand und Merino bieten sich innerhalb ihrer Spur an, stehen jedoch unter direktem Gegnerdruck. Der AMF rückt weiter an Muñoz heran, woraufhin dieser zu Barrenetxea in die Tiefe passt, der jedoch eng vom Außenverteidiger (AV) verfolgt wird.

    4. Barrenetxea passt unter Druck des AVs in die Mitte. Der zentrale defensive Mittelfeldspieler (ZDM) erkennt die Absicht, kommt vor Guevara an den Ball und passt zum Stürmer (ST) in die Tiefe.

    5. Der ballferne ST läuft sofort in die Tiefe und fordert ein Zuspiel vom Ballbesitzer, das er auch erhält.

    6. Der ST nutzt seinen Bewegungsvorsprung und schließt präzise in die ballferne Ecke ab.

Jung und angriffslustig

Real Sociedad überzeugt unter Cheftrainer Imanol Alguacil mit einer klaren offensiven Spielidee: Viel Ballbesitz, den Raum zwischen der gegnerischer Abwehr- und Mittelfeldlinie bespielen und von dort die Angriffe einleiten. Der taktische Rahmen unterstützt dabei die spielstarken Offensivspieler, die so ihrer Kreativität freien Lauf lassen können. Es gibt jedoch immer wieder Phasen, in denen das Team die Stabilität verliert, wodurch sie für einfache Gegentore anfällig sind. Angesichts des jungen Kaders ist dies aber auch nicht weiter verwunderlich.

Ich habe einen großartigen Kader mit Spielern, die hinter meinen Ideen stehen.
Imanol Alguacil, Cheftrainer Real Sociedad

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