Spielanalyse

Sporting CP – Jung, angriffslustig und schwer ausrechenbar

Der Traditionsverein aus Lissabon marschiert geradezu durch die portugiesische Primeira Liga und ist auf dem Weg zur ersten Meisterschaft seit 2002.

Sporting bejubelt einen Treffer im Derby gegen Benfica. ©2021 Getty Images/ de Melo Moreira
  1. Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Sporting überzeugt in der aktuellen Saison mit erfrischendem Angriffsfußball und belegt derzeit ungeschlagen den ersten Tabellenplatz. Vater des Erfolgs ist Cheftrainer Rúben Amorim. Der 36-jährige, der noch bis 2017 aktiver Spieler war, ist erst seit knapp zwei Jahren im Trainergeschäft. Davon verbrachte er die Hälfte der Zeit bei Casa Pia AC und SC Braga B, Teams der unteren portugiesischen Ligen, ehe er über die erste Mannschaft des SC Braga bei Sporting CP landete. Eine ungewöhnliche Entwicklung, weshalb wir einen näheren Blick auf seine Spielidee werfen.

Spielweise

Der Kader gehört zu den jüngeren Teams der Liga und ist gespickt mit hochtalentierten Spielern wie Tiago Tomás (18 Jahre) und Pedro Gonçalves (22 Jahre), die durch erfahrene Spieler wie Sebastián Coates (30 Jahre) oder João Mário (28 Jahre) sinnvoll ergänzt werden. Sporting hat mit durchschnittlich 56 Prozent den dritthöchsten Ballbesitz der Liga und spielt im Schnitt 13,7 Torschüsse pro Spiel heraus, wovon sie durchschnittlich fünf Schüsse auf das Tor bringen. Darüber hinaus stellen sie mit 45 Toren – davon 34 Tore aus dem Positionsangriff – den zweiterfolgreichsten Angriff der Liga. Dabei teilt sich die Anzahl der Tore auf 13 verschiedene Spieler auf, die Anzahl der Vorlagen gar auf 18(!). Im Passspiel legen sie weniger Wert auf lange Pässe oder das Spiel über die Mitte, sondern fokussieren das Kurzpassspiel und das Spiel über die Außen. Dabei laufen sie größtenteils in einem 3-4-2-1-System auf, alternativ auch im breiter angelegten 3-4-3.

Positionsspiel

Auf dem Weg nach vorne nutzt Sporting bevorzugt die rechte Seite. Sie versuchen, mithilfe der spielstarken Gonçalves und Tomás sowie João Mário und Porro den Raum zu überladen. Durch die Überzahl verschiebt der Gegner mit vielen Spielern oder gerät in Unterzahl. Sporting kann diese Situation dann ausspielen oder eine schnelle Spielverlagerung vortragen, um den Mitspieler auf der anderen Seite – meist der Flügelverteidiger – in eine gefährliche 1-gegen-1-Situation zu schicken. Generell schieben beide Flügelverteidiger oftmals mit ins letzte Drittel und sind dort in der Lage, mit Flanken, Dribblings oder als Empfänger für Schnittstellenpässe eine hohe Durchschlagskraft zu entwickeln. Eine Spielverlagerung oder ein Pass aus den Halbspuren sind oft der Schlüssel, damit Sportings Flügelverteidiger aus der Blindside der Abwehrspieler agieren können und somit einen entscheidenden Vorteil auf ihrer Seite haben.

    1. Nach einer missglückten Hereingabe von der linken Seite bleibt Sporting in Ballbesitz. Tabata passt zu Bragança in die Halbspur, der das Zuspiel an- und mitnimmt. Mit dem Pass rückt der Gegner nach vorne.

    2. Bragança nimmt die Situation wahr und passt entgegen der gegnerischen Dynamik zu Mendes in den Lauf, der aus der Blindside der Verteidiger in den Rücken der Abwehr läuft.

    3. Mendes erläuft das Zuspiel und passt mit dem ersten Kontakt in die Mitte, wo Šporar als einer von zwei freistehenden Mitspielern zum Führungstreffer verwertet.

    1. Nach einer kurzen Kombination ist Quaresma in Ballbesitz, woraufhin Porro und Tomás ihre Laufwege kreuzen und sich so anspielbar machen. Quaresma passt zu Porro in den Lauf.

    2. Porro dribbelt auf die gegnerische Abwehr zu. Santos nimmt die Situation wahr, läuft in die Tiefe und zieht so den Innen- (IV) und Außenverteidiger (AV) mit. Dadurch öffnet sich ein Passfenster zu Plata, das Porro mit einem präzisen Pass nutzt. Mit dem Pass rückt Gonçalves in den Strafraum nach.

    3. Plata erläuft den Pass und spielt mit dem ersten Kontakt in die Mitte, wo Gonçalves sich im Rücken der Verteidiger freiläuft und die Hereingabe in die ballnahe Ecke verwertet.

Defensivphase

Die "Löwen" zeichnen sich nicht nur durch ihre spielerische Qualität aus, sondern auch durch ein intensives und oftmals hohes Pressing. Die vorderste Linie lenkt das Spiel in die Außenspuren. Dafür rücken die Außenstürmer in die Halbspuren ein und bilden zusammen mit dem Stürmer eine kompakte erste Linie. Dabei agieren sie zunächst raumorientiert und schließen die Passwege ins Zentrum. Hinter der ersten Linie formieren sich die beiden zentralen Mittelfeldspieler, die sich an den Schnittstellen der vorderen drei Angreifer orientieren. Beide positionieren sich jedoch so, dass die unmittelbaren Passwege zugestellt sind. Die Abwehr dient als Balancegeber und sorgt für die nötige Absicherung der pressenden Spieler. Sporting stellt mit derzeit 11 Gegentoren aus 23 Spielen die beste Abwehr der Liga.

Defensive Grundordnung: Ein 5-2-3 mit Fokus auf die Halb- und Zentrumsspuren.
    1. Der gegnerische Außenverteidiger (AV) ist in Ballbesitz und passt zurück zum Innenverteidiger (IV). Mit dem Pass rückt Sportings erste Linie um Tomás nach vorne.

    2. Die Abwehr- und Mittelfeldreihe rücken ebenfalls nach vorne, wodurch sie den defensiven Verbund kompakt halten. Tomás, der vorderste Angreifer, setzt den IV unter Druck, der daraufhin zum Torwart (TW) zurückspielt.

    3. Tomás sprintet zum TW durch, wobei er den vorherigen Passgeber mit einem Bogenlauf in seinem Deckungsschatten behält. Der TW nimmt daraufhin zur Seite an und mit. Tabata erkennt die Situation und orientiert sich zunächst zum ballnahen IV, ehe er sich im weiteren Verlauf weiter nach außen bewegt.

    4. Tabata hat nun auf den IV und AV gleichermaßen Zugriff, sodass der TW keine ballnahen Optionen hat und unter Druck von Tomás einen langen Pass spielen muss.

Offensive Umschaltmomente

Durch das starke Defensivverhalten gelingen Sporting etliche Ballgewinne, die sie unabhängig von der Zone der Balleroberung immer wieder nutzen, um schnell und zielgerichtet zu kontern. Erobern sie den Ball, geht der erste Blick des Ballbesitzers in die Tiefe, wo die Angreifer ebenfalls gedankenschnell umschalten und sich mit ihren Läufen anspielbar machen. Hierbei überzeugen die Kreativspieler mit ihren ausgeprägten technischen Fähigkeiten, mit denen sie das Tempo stets hochhalten können.

    1. Coates setzt den gegnerischen Stürmer (ST) bei der Annahme unter Druck und erobert den Ball. Er dribbelt sofort nach vorne und passt zu Gonçalves (nicht im Bild) in die Tiefe.

    2. Gonçalves dreht freistehend auf und dribbelt in Richtung gegnerisches Tor, woraufhin sich die gegnerische Abwehr nach hinten absetzen muss. Cabral unterstützt seinen Mitspieler mit einem Sprint in die Tiefe.

    3. Als Cabral auf Höhe der Abseitslinie ist, passt Gonçalves in den Rücken der gegnerischen Abwehr. Cabral nutzt seinen Tempovorteil, erläuft das Zuspiel und nimmt in den Strafraum an und mit.

    4. Dort schließt er mit dem Außenrist zum 2:1-Führungstreffer ab.

    1. Gonçalves und Palhinha setzten den ballführenden Außenverteidiger (AV) unter Druck, der daraufhin zum zentralen defensiven Mittelfeldspieler (ZDM) passt. Gonçalves hält den Druck hoch und folgt dem ungenauen Pass.

    2. Gonçalves erobert den Ball vom ZDM und passt zu Šporar in die Halbspur.

    3. Mit dem Pass sprinten sowohl Gonçalves als auch Santos in die Tiefe. Šporar nimmt die Situation wahr und passt in den Rücken der Abwehr.

    4. Gonçalves erläuft das Zuspiel, dribbelt in den Strafraum und passt quer zu Santos, der aufgrund seines Tempovorteils in der Mitte freisteht.

    5. Santos macht die Situation aufgrund eines technischen Fehlers nochmal spannend, doch letztlich verwertet er die Vorlage mit einem präzisen Abschluss in die ballferne Ecke.

Über Konstanz zum Erfolg

Die Mannschaft von Trainer Rúben Amorim steht aktuell zu Recht an der Spitze der Primeira Liga. Die Mischung aus erfahrenen Spielern und jungen Talenten sorgt für ein durchschlagskräftiges Offensivspiel und die nötige defensive Stabilität. Hierbei spielt sicherlich auch die Eingespieltheit eine entscheidende Rolle. Denn im Gegensatz zu den direkten Ligakonkurrenten war Sporting nicht vom eng gestrickten Spielplan durch den internationalen Wettbewerb betroffen und musste daher wenig rotieren. Ein Vorteil, der ihnen letztlich den Weg zur ersten Meisterschaft seit 19 Jahren ebnen könnte.

[Datenstand: 18.03.2021]

Rúben Amorim ist ein brillanter und loyaler Trainer und er ist ein Mann mit Prinzipien. Diese Eigenschaften sind für uns sehr wichtig.
Frederico Varandas, Präsident Sporting CP

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