Wissen
Alles eine Frage des Spielstils – aber lässt er sich mit Zahlen fassen?
Studie schlägt einen Rahmen an Messgrößen sowie eine Definition des Spielstils vor
Messgrößen für „Spielstil“ lassen sich innerhalb der fünf Schlüsselmomente des Spiels (moments of play) identifizieren: Angriff, Übergang von Angriff zu Verteidigung, Verteidigung, Übergang von Verteidigung zu Angriff, Standardsituationen.
- Mögliche Messgrößen für die Angriffsphase sind die Ballbesitzquote sowie die Passgenauigkeit und -dichte.
Mögliche Messgrößen für die Übergangsphasen sind die Änderungen des Mannschaftsschwerpunkts (Centroid) und der Spielflächennutzung (Surface Area) sowie die Spielerdichte, die Geschwindigkeit des Balles und der Spieler.
- Messgrößen für Standardsituationen sind die Art und Position des Standards.
Abstract
Der Spielstil einer Fußballmannschaft ist grundsätzlich als Art und Weise zu verstehen, wie ein Team sein Spiel gestaltet. Dennoch wird der Begriff sehr subjektiv verwendet. Eine einheitliche Definition existiert nicht. Um den Spielstil objektivierbarer zu machen, hat ein australisches Forscherteam einen Rahmenkatalog an Messgrößen vorgeschlagen, mit dem sich Spielstile messen lassen. Bei der Auswahl der Variablen haben sich die Forschenden an Schlüsselmomenten des Spiels orientiert: Angriff, Verteidigung, Standardsituation und die jeweiligen Übergangsphasen zwischen Offensive und Defensive. Abschließend schlagen die Autoren eine Definition des Begriffs „Spielstil“ vor.
Ballbesitzfußball, Konterfußball oder doch Tiki-Taka?
Wenn Medien, Spieler oder Trainer darüber sprechen, wie sich der „Spielstil“ einer Fußballmannschaft entfaltet hat oder in einem bestimmten Match gar nicht zum Tragen kam, so geschieht das in aller Regel ganz selbstverständlich.
"Wir haben unseren Spielstil geändert und spielen nicht mehr so risikofreudig.“
(Jupp Heynckes, 2010 während seiner Zeit als Trainer von Bayer Leverkusen)
„So ein Spielstil braucht einfach auch Zeit.“
(BVB-Spieler Julian Brandt über das Pressing)
Kommentatoren, die den Begriff „Spielstil“ verwenden, gehen normalerweise davon aus, dass jeder Zuhörer bzw. Zuschauer zumindest eine ungefähre Ahnung davon hat, was mit dem „Spielstil“ oder der „Spielphilosophie“ gemeint ist. Einige Teams der Fußballgeschichte werden tatsächlich auch mit einem speziellen Spielstil, wie z. B. „Tiki-Taka“, „VoetbalTotal“ oder „Catenaccio“ verbunden. Dennoch erscheint der Spielstil-Begriff höchst subjektiv. Verstehen wir wirklich alle das Gleiche, wenn von „Spielstil“ die Rede ist? Lässt sich der Spielstil näher definieren und vor allem auch durch Zahlen messbar machen?
Australische Sportwissenschaftler um Adam Hewitt haben sich dieser Fragen angenommen und einen Rahmen an Variablen vorgeschlagen, der erste Anhaltspunkte liefern soll, wie sich Spielstile leichter quantifizieren und somit besser beschreiben lassen. Die Forschenden haben sich dabei vor allem an Studienergebnissen orientiert, die sich mit der Leistungsanalyse im Teamsport beschäftigen. Dieser Forschungszweig hat in den vergangenen zwei Jahrzehnten einen regelrechten Boom erlebt, nicht zuletzt aufgrund der rasanten Entwicklung technischer Analysemethoden. Ein grundlegender Teil dieser Leistungsanalysen beinhaltet stets, das Fußballspiel als dynamisches System zu begreifen − und zu bewerten, wie Spieler in unterschiedlichen Kontexten und unter verschiedenen Bedingungen zusammenwirken. Wenn diese Interaktionen in erfolgreichen, dominanten oder wiederkehrenden Mustern auftreten, so lassen sich laut Hewitt et al. aus ihnen Variablen extrahieren, die dabei helfen, Spielstile und Spielmuster zu kategorisieren und objektiver zu beschreiben. Auch Trainer könnten aus den vorgeschlagenen Messgrößen Strategien entwerfen und die Effektivität verschiedener Team-Spielstile besser beurteilen.
Der „alte“ Kampf zwischen Ordnung und Unordnung
Im Grunde lässt sich Fußball als ein Wettkampf beschreiben, bei dem Teams in bestimmten Momenten versuchen, Unordnung in das gegnerische Team zu bringen. Angriffsbewegungen sollen ein Ungleichgewicht hinsichtlich Position und Anzahl der gegnerischen Spieler schaffen, während diese selbst darauf bedacht sind, Ordnung und Gleichgewicht zu erhalten, sich schnell zu reorganisieren und Kontrolle sowie Ballbesitz wiederzuerlangen. Dann werden die Rollen in diesem Spiel aus Unordnung versus Ordnung umgedreht [1].
Könnte man sämtliche Aspekte dieses Wettstreits visualisieren – also beispielsweise die Bewegung der Spieler und des Balls, die Häufigkeit bestimmter Asymmetrien während des Angriffes, die Geschwindigkeit der Konter, die Art und Weise, wie Mannschaften in Ballbesitz bleiben, während ihre Spieler in aussichtsreiche Schusspositionen gelangen und viele weitere Aspekte mehr, so ergäbe das Bild eine genauere Vorstellung von einem „Spielstil“. Das Problem daran: Nicht jeder dürfte auf einem solchen Bild dasselbe Muster erkennen bzw. es in gleicher Art und Weise wahrnehmen und benennen.
Schlüsselmomente des Spiels
Eine Lösung des Problems könnte laut Hewitt et al. darin liegen, sich auf den zeitlichen Aspekt und sich wiederholende Spielphasen (moments of play) zu konzentrieren. Wenn das Spiel in Phasen aufgebrochen werde, ließen sich Muster innerhalb dieser Phasen leichter messen. Die Beobachtung der Interaktion diverser Spielmuster innerhalb der einzelnen Phasen könne als Resultat einen „Spielstil“ ergeben. Die Forschung [2] nennt zumeist vier Schlüsselmomente, die wechselnd und wiederkehrend in jedem Mannschaftssport auftreten:
Bestehender Angriff (established attack)
Übergang zur Defensive (defensive transition)
Bestehende Defensive (established defence)
Übergang zum Angriff (offensive transition)
Weitere Studien haben auf die besondere Bedeutung von Standardsituationen hingewiesen. Zum Beispiel erhöhen Standardsituationen, wie Eckbälle oder Freistöße, in Elitefußballligen die Aussicht, ein Tor zu erzielen, um rund 30 Prozent [3]. Hewitt et al. schlagen darum vor, die Standardsituation als fünftes Schlüsselmoment des Spiels in das bestehende Modell der moments of play aufzunehmen (vgl. ABB. 01). Die fünf Spielphasen gelten zwar als eigenständige Phasen, können sich aber natürlich gegenseitig beeinflussen [1]. Zum Beispiel wirken sich bestimmte Angriffsmuster auf defensive Strategien aus und umgekehrt, je nach Position der Spieler zueinander während einer Übergangsphase.
Nachstehend sind eine Reihe von Messgrößen aufgelistet, die in den jeweiligen Spielmomenten zur Analyse des Spielstils einer Mannschaft beitragen können. Die Autoren erheben keinen Anspruch auf Vollständigkeit der Variablen. Sie wurden ausgewählt, weil sie entweder im Teamsport nachweislich mit erfolgreichem Spiel zusammenhängen oder weil an ihnen charakteristische, wiederkehrende Spielmuster abgelesen werden könnten.
- Anzahl der Torabschlüsse
- Anzahl der Pässe
- Ballbesitzquote
- Anzahl der Passsequenzen
- Pässe pro Minute im Ballbesitz
- Effizienz und/oder Genauigkeit im Passspiel
- Änderungsrate des Teamschwerpunktes und der Teamfläche
- Spielerdichte (Spieler pro Fläche)
- Umschaltort
- Geschwindigkeit der Spieler
- Abstand zwischen den Spielern
- Umschaltgeschwindigkeit
- Größe der Teamfläche
- Position des Teamschwerpunktes
- Abstand zwischen den Spielern
- Spielerdichte (Spieler pro Fläche)
- Ballgeschwindigkeit
- Änderungsrate des Teamschwerpunktes und der Teamfläche
- Spielerdichte (Spieler pro Fläche)
- Anzahl und Distanz der Pässe
- Geschwindigkeit der Spieler
- Umschaltgeschwindigkeit
- Art der Standardsituation
- Ort versus Erfolgswahrscheinlichkeit
Um die Analyse im Folgenden zu vereinfachen, schlagen die Forschenden um Adam Hewitt vor, die fünf beschriebenen Spielphasen in drei Phasen zu betrachten:
- Bestehender Angriff (Offensive) / bestehende Verteidigung (Defensive)
- Umschalten Angriff / Umschalten Verteidigung
- Standardsituation
Beliebt, aber nicht unbedingt aussagekräftig: Ballbesitz
Einer der gängigsten Indikatoren, die für den Spielstil herangezogen werden, ist die Ballbesitzquote. Einige Studien weisen auf einen Zusammenhang zwischen anhaltendem Ballbesitz und erfolgreichem Spiel hin [4]. Dabei sollte aber bedacht werden, dass das Verhältnis dieser beiden Größen komplexer sein dürfte und beispielsweise Passeffizienz, Qualität des Gegners und Spielort zu den Faktoren zählen, die einen Einfluss auf Ballbesitz, Dominanz und erfolgreiches Spiel haben [5, 6]. Studien, in denen u. a. die Ballbesitzquote der fünf großen Profiligen analysiert wurde, zeigten einen deutlichen Zusammenhang zwischen Passspiel, Schüssen aufs Tor und Teamerfolg. Effizienzmessungen ergaben, dass u. a. Passgenauigkeit, Schussgenauigkeit und das Verhältnis von Pässen und Schüssen aufs Tor eine stärkere Vorhersagekraft auf den Spielausgang besitzen als die Ballbesitzquote [4].
Aufgrund von Strategien, die Ballbesitz fördern, könnten Teams mit hohen Ballbesitzquoten einen anderen Spielstil aufweisen als Mannschaften, die für eine geringere Ballbesitzquote bekannt sind. Strategien, die auf einen Erhalt des Ballbesitzes abzielen, könnten beispielsweise ein insgesamt langsameres Aufbauspiel mit deutlicheren Defensivbewegungen, ein geringeres Risiko beim Passspiel und einen Schwerpunkt auf Rückeroberung des Balls mit sich bringen [7].
Es ist möglich, dass einige Teams den Ballbesitz je nach Spielfeldbereich und Spielstand variieren [8]. Wenn das führende Team im Umkreis des gegnerischen Strafraums eine geringere Ballbesitzquote im Vergleich zum gegnerischen Team aufweist, so kann das eine weniger dringliche offensive Ballführung und einen insgesamt konservativen Spielstil anzeigen. Eine Studie, in der Eckballausführungen während der Weltmeisterschaft 2006 untersucht wurden, brachte hervor, dass in Führung liegende Teams eher kurze Ecken ausführten und den Eckball häufiger vom Zentrum des Strafraums weg ausrichteten, um Kontermöglichkeiten zu unterbinden und in Ballbesitz zu bleiben [9].
Wie viele Pässe führen zum Tor? – Faktor Passspiel
Während eines laufenden Angriffs ist die Fähigkeit, sich schnell im Team nach vorne bewegen zu können, entscheidend von den Passqualitäten der Einzelspieler abhängig. Ballbesitz erfordert fast immer das Passen von einem Spieler zum nächsten, bis die Passkaskade im optimalen Fall bei dem Spieler endet, der die beste Position für einen Schuss aufs Tor besitzt. Was zunächst trivial klingen mag, fußt auf einer hochkomplexen Interaktionsleistung zwischen verschiedenen Individuen. Dazu gehört die Fähigkeit, den Ball schnell und mit hoher Genauigkeit zu passen sowie gleichzeitig die richtige Positionierung der Mitspieler, die Bewegungsmuster und die gegnerischen Defensivstrukturen antizipieren zu müssen.
Ältere Studien zeigen, dass in den 1950er- und 1960er-Jahren rund 80 Prozent aller erzielten Tore nur drei oder weniger Pässe vorausgegangen waren. Späteren Untersuchungen zufolge, erzielten erfolgreiche Teams pro Ballbesitzphase mehr Tore, wenn den Torschüssen mehr als fünf Passabfolgen vorausgingen.
Messgrößen, die den Mannschaftserfolg bei bestehendem Angriff beeinflussen könnten, dürften mit der Fähigkeit des Teams zu tun haben, den Ball bei ständiger räumlicher Verschiebung in den eigenen Reihen zu halten, während nach einer Schwäche im gegnerischen Defensivverbund geschaut wird. Die Spieler müssen in der Lage sein, schnell und mit höchster Präzision zu passen, während die angespielten Mitspieler sich gleichzeitig Raum verschaffen, um den Ball anzunehmen. Allgemein anerkannte und quantifizierbare Passmerkmale sind Passdichte (Anzahl der Pässe pro Minute in Ballbesitz) sowie Passgenauigkeit (Anzahl erfolgreicher Pässe in Bezug auf die Gesamtzahl der Pässe) [4]. Der Passgenauigkeit kommt besondere Bedeutung als Messgröße zu. Je genauer die Pässe gespielt werden, desto länger kann das Team in Ballbesitz bleiben, desto besser kann es den Angriff nach vorne treiben und desto häufiger Torabschlüsse ermöglichen. Umgekehrt verhindern präzise gespielte Pässe Ballbesitzübernahme und Torabschlussmöglichkeiten des Gegners. Studien zufolge ist die Passgenauigkeit kurz vor erfolgreichen Torabschlüssen höher als in anderen Spielmomenten [10].
Eine neuartige Analysemethode für Passnetzwerke bzw. „flow motifs“ [11] war in der Lage, aus den Teams der fünf großen europäischen Profiligen den FC Barcelona aufgrund seines einzigartigen Spielstils herausfiltern. Die Struktur der Passabfolgen zeigte, dass der Stil des FC Barcelona fast keine zufälligen Passmuster erzeugte, sondern auf einem präzisen, feinstrukturierten Interaktionsablauf zwischen den Spielern beruhte.
Spieler- und Teammuster erkennen
Erfolgreiche Angriffsstrategien zielen darauf ab, Zeiträume zu schaffen, in denen die Spielerdichte vor dem Tor möglichst gering ausfällt. Verteidigende Strategien ersuchen dagegen eine Verdichtung, um die Spieler in Ballbesitz unter Druck zu setzen. Eine Analyse der Weltmeisterschaftsfinals über 50 Jahre hinweg verdeutlichte einen stetigen Trend zu immer dichter agierenden Mannschaftsteilen [12]. Dieses Langzeitmuster könnte ein Hinweis darauf sein, dass defensive Strategien den Spielstil „modernerer“ Mannschaften stärker bestimmten als Strategien, die eine kompromisslose Offensive anstreben.
Dennoch erscheint es in Phasen des established attack wichtig zu sein, Räume zu schaffen, in denen eine nummerische Überlegenheit besteht. Eine geringere Spielerdichte um die angreifenden Spieler herum erhöht die Wahrscheinlichkeit, ein Tor zu erzielen, deutlich: Die Wahrscheinlichkeit verdoppelt sich bei jedem weiteren Meter Freiraum um den Spieler, der aufs Tor zielt [13]. Auf Verteidigerseite ist es darum entscheidend, frühzeitig Bewegungen zu antizipieren und die Spielerdichte um die Angreifer zu erhöhen, um sie schnell zu Fehlern zu zwingen [14].
Dieser Spielstil erfordert größte körperliche Fitness, denn nur so können häufige Sprintbewegungen und kurze Erholungsphasen in schneller Abfolge wiederholt werden. Trackingtechnologien erlauben es, viele Messdaten hinsichtlich gelaufener Kilometer, Spitzengeschwindigkeiten etc. zu erfassen. Weil das Tracking zu jedem Zeitpunkt des Spiels Informationen über die Position der Spieler gibt, lassen sich daraus Strategien, Taktiken und Spielmuster leichter analysieren [15, 16]. Frencken & Lemmink haben zwei Messgrößen ins Spiel gebracht, die den Bewegungsstrom zwischen angreifenden und verteidigenden Teams charakterisieren: Centroid und Surface Area. Der Centroid ist die durchschnittliche Position aller Feldspieler eines Teams zu einem bestimmten Zeitpunkt, die Surface area ist die Fläche, die von diesen Spielern zu diesem Zeitpunkt abgedeckt ist. Misst man Teams in Bezug auf ihre ausgedehnte Breite und Länge zu verschiedenen Zeitpunkten, würde sich das Centroid attackierender Mannschaften nach vorne bewegen, während sich das Centroid der verteidigenden Mannschaft in Richtung des eigenen Tors verschiebt, da sich die Verteidiger in diesem Bereich verdichten [17]. Während der Angriffsphase eines Teams erhöht sich gleichzeitig häufig auch die Surface Area, weil das offensive Team darauf ausgerichtet ist, mehr Raum zu schaffen. Im Gegensatz dazu nimmt die Surface Area des verteidigenden Teams aufgrund der allgemeinen Verdichtung meist ab. Die Daten der jeweiligen Positionsänderungen des Centroids und der Ausdehnungen der Surface Area während einer Angriffs- bzw. einer Verteidigungsphase lassen sich für diverse Zwecke auswerten, u. a. auch, um einen mannschaftlichen Spielstil herauszulesen.
Möglichkeiten und Verwundbarkeiten: Übergangsphasen
Übergangsphasen im Mannschaftssport beinhalten gleichzeitig Möglichkeiten wie auch Verwundbarkeiten [18]. Offensivgeschwindigkeit sowie nummerische Überlegenheit gegenüber Verteidigungen sind die Schlüsselfaktoren für den Angriffserfolg. Das verteidigende Team dagegen sollte sich schnell organisieren, weil falsche oder zu langsame Koordinierung eher zu Gegentoren führt [16, 19]. Mannschaften, die einen Geschwindigkeitsvorteil aufweisen, werden danach streben, diese Dominanz im Speed auszunutzen und so nach und nach einen Spielstil entwickeln, der auf der explosiven Schnelligkeit einiger Spieler basiert.
Direkt nach Verlust des Ballbesitzes sind verschiedene Verteidigungsstrategien denkbar. Spitzenmannschaften der Bundesliga gelang es im Vergleich zu Teams des unteren Mittelfelds nach Ballverlust durch direktes Gegenpressing deutlich schneller, den Ball zurückzuerobern [20]. Ballgewinne, die in der Nähe des gegnerischen Tores erreicht wurden, erhöhten die Torquote um ein Siebenfaches im Vergleich zu Ballgewinnen in defensiveren Spielzonen. Allerdings finden weniger als zwei Prozent der Ballgewinne innerhalb der offensiven Zonen statt. Diese aggressive Form der Ballrückeroberung direkt nach Ballverlust wird von einigen Trainern gefordert und gefördert. Wenn sie zum Erfolg führt, ist davon auszugehen, dass sie als wichtiges Charakteristikum eines Team-Spielstils herangezogen wird.
Gehören zum festen Erfolgsrepertoire: Standards
Rund ein Drittel aller Tore im Elitefußball entstehen direkt oder indirekt nach Standardsituationen [3, 7]. Im Laufe der vergangenen Jahrzehnte ist die Effektivität von „Standards“ kontinuierlich gestiegen. Das bedeutet, immer mehr Tore wurden pro „ruhenden Ballsituationen“ erzielt. Erfolgreiche Mannschaften erwiesen sich in Studien auch als besonders effizient bei Standards [21]. Es empfiehlt sich darum, stets Standardspezialisten und „Kunstschützen“ in den eigenen Reihen zu haben.
Eine Analyse der Weltmeisterschaftsfinals von 1966-2010 verdeutlicht den Stellenwert, den Standardsituationen im modernen Fußball einnehmen. Die Zeit für die Planung von Freistößen, die direkt aufs Tor gingen, ist von 38 Sekunden 1966 auf 63 Sekunden 2010 angestiegen [12]. Eine optimale Vorbereitung auf die Standards ist sowohl für offensive als auch für verteidigende Teams von großer Bedeutung.
Je nach Abstand und Winkel zum Tor ergeben sich unterschiedliche Wahrscheinlichkeiten, ein Tor zu erzielen. Diese Wahrscheinlichkeitsquoten können die Auswahl an Spielmustern mitbestimmen [13, 19, 21].
Die durchschnittliche Anzahl der Eckbälle (10,2) pro Spiel (während Welt- und Europameisterschaften) hat sich im Laufe der vergangenen Jahrzehnte kaum geändert [12]. Um die Effizienz und den Erfolg von Eckbällen zu erhöhen, sollte der ausführende Spieler den Ball mit Effet und etwas höher als Kopfhöhe der Mitspieler in den Strafraum bringen.
Praktische Schlüsse und zum Schluss eine Definition
Wenn diese hier vorgestellten Messgrößen mithilfe geeigneter Trackingmethoden bestimmte Mannschaftsspielstile erkennen lassen, können daraus auch Empfehlungen für die Praxis abgeleitet werden. So empfiehlt es sich beispielsweise bei einem eingespielten Spielstil, vor allem jene Spieler neu zu verpflichten oder an das Team heranzuführen, die von ihren Fähigkeiten her in der Lage sind, diesen Spielstil „mitzugehen“ [11]. Ließen sich verschiedene Spielstile tatsächlich quantifizieren, würde dies eine detailliertere Analyse und Evaluation von Trainingsmethoden erlauben. Eine solche Analyse könnte dann beispielsweise die gewählten Trainingsmethoden für die entsprechenden Strategien und dem Spielstil entsprechend im Wettspieleinsatz angepasst werden.
Um zu solch differenzierten Analysen zu kommen, muss von den Autoren allerdings noch weitere Forschungsarbeit in diesem Feld geleistet werden. Nachdem verschiedene Spielstile innerhalb der fünf oben genannten moments of play identifiziert sind, sollten Studien die Interaktionen der Spielmomente genauer unter die Lupe nehmen. Darüber hinaus wäre es von Interesse, welchen Einfluss Strategiewechsel auf einen antrainierten Spielstil haben.
Das Autorenteam um Adam Hewitt schlägt abschließend eine Definition für den „Spielstil“ vor:
„Der Spielstil stellt ein charakteristisches Spielmuster dar, welches eine Mannschaft in Spielen zeigt. Dieses Spielmuster wird in bestimmten situativen Kontexten regelmäßig wiederholt, sodass Messgrößen, die den Spielstil spiegeln, relativ konstant sein sollten. Messgrößen von besonderer Bedeutung sind Spieler- und Ballbewegungen, Interaktionen von Spielern sowie generell Faktoren, die Geschwindigkeit, Zeit und Raum (Position) berücksichtigen.“
Die Inhalte basieren auf der Studie „Game style in soccer: What is it and can we quantify it?", die 2020 in „PLoS ONE " veröffentlicht wurde.
Diese Studie teilen:
Literatur
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