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Eigentore als Motivationsschub?

Wie beeinflusst das Eigentor den Schützen für den Rest des Spiels?

lea Schüller feiert mit ihren Teamkolleginnen ein Eigentor während der 2019 Elite-Runden gegen Belgien. © 2019 Getty Images
    • 889 Eigentore aus den ersten 50 Jahren der Fußball-Bundesliga der Männer wurden analysiert.
    • Die Autoren schlussfolgern, dass Eigentorschützen ihren Fehler kompensieren, indem sie ihre Torbemühungen intensivieren.
    • Hauptmotiv scheint die Sicherung eines guten Teamergebnisses zu sein.  
    • Durch genaues Beobachten des Verhaltens nach dem Eigentor können Trainer gezielt den Eigentorschützen ansprechen (z. B. wertschätzen).
Abstract

Fehler gehören zum Fußball dazu – und somit auch Eigentore, mit denen einzelne Spieler ihrem Team einen massiven Nachteil verschaffen. Deshalb könnte man annehmen, dass diese Eigentorschützen motivierter sind, ihren Fehler wieder gut zu machen. Um dies zu untersuchen, haben WissenschaftlerInnen die Trefferwahrscheinlichkeit des Torschützen nach einem Eigentor im Vergleich zu gewöhnlichen Gegentoren angeschaut. Zudem wurden 1.175 AmateurfußballspielerInnen zu ihrer Einschätzung der motivationalen Prozesse bei EigentorschützInnen befragt. Die Ergebnisse zeigen, dass Bundesliga-Fußballspieler nach einem Eigentor tatsächlich mit einer höheren Wahrscheinlichkeit noch ein reguläres Tor erzielen. 

Was unterscheidet Eigentore von normalen Gegentoren?

„Fußball ist ein Spiel aus Fehlern. Wer die wenigsten Fehler macht, gewinnt.“ [1], wird Europas Fußballer des 20. Jahrhunderts, Johann Cruyff, häufig zitiert. Die Logik dahinter: Mehr Fehler bedeuten mehr Gegentore und reduzieren die Wahrscheinlichkeit zu gewinnen. Der klarste individuelle Fehler ist dabei das Eigentor, eine „fehlerhafte und misslungene aktive Umsetzung einer taktischen Absicht […], nach welcher der Schiedsrichter auf Tor für die Mannschaft ohne Ballkontrolle entscheidet“ [2]. Im Vergleich zu gewöhnlichen Gegentoren ist bei einem Eigentor ein klarer Verursacher auszumachen, der Eigentorschütze.  

Welchen Einfluss hat das Eigentor auf den Schützen??

Um mögliche Konsequenzen von Eigentoren zu untersuchen, gingen die ForscherInnen anhand von 889 Eigentoren aus den ersten 50 Jahren der Fußball-Bundesliga der Männer sowie einer Umfrage den folgenden zwei Fragen nach:

  1. Haben Fußballspieler nach einem Eigentor eine höhere Wahrscheinlichkeit selbst ein Tor zu erzielen?
  2. Wie verändert sich die Motivation des Eigentorschützen nach seinem Fehler?
Wie häufig kommen Eigentore vor und wer schießt sie?

Im Zeitraum von 1963 (Gründung der Bundesliga) bis zum Ende der Saison 2012/2013 wurden in der Fußball-Bundesliga der Männer in insgesamt 889 Spielen (mindestens) ein Eigentor erzielt. In diesen Spielen erzielten Torhüter 46 Eigentore, außerdem haben in 26 Spielen die Eigentorschützen vor dem Eigentor bereits ein Tor für das eigene Team erzielt. Diese Spiele wurden aus der folgenden Analyse ausgeschlossen. In den übrigen 814 Spielen zeigen sich 601 verschiedene Spieler für die Eigentore verantwortlich., Die meisten Eigentore erzielten Verteidiger (567, ca. 70 %), während Mittelfeldspieler (184, ca. 23 %) und Stürmer (63, ca. 8 %) seltener dafür verantwortlich sind (s. ABB. 01).

Schießen Fußballspieler nach einem Eigentor eher selbst Tore für das eigene Team?

Anhand der 814 Spiele zeigen die Autoren, dass die Häufigkeit regulärer Tore für die Fußballspieler tatsächlich signifikant höher ausfällt, wenn diese vorher ein Eigentor erzielten (im Vergleich zu einem gewöhnlichen Gegentor). Dieser Unterschied wird noch stärker, wenn in die Berechnungen die verbleibende Spielzeit nach einem Gegentor bzw. Eigentor einbezogen wird. Die Autoren schlussfolgern, dass Eigentorschützen ihren Fehler kompensieren, indem sie ihre Torbemühungen intensivieren. Dabei hängt die Häufigkeit der selbst erzielten Tore nach einem Eigentor auch von der Bedeutung des Eigentores ab, d. h. ob das Eigentor zu einem Rückstand, einem Gleichstand oder lediglich der Verringerung der Führung führt. Bei Eigentoren steigt also die Trefferwahrscheinlichkeit in Abhängigkeit der „Schwere“ des Eigentores. Interessanterweise ist dies bei regulären Gegentoren nicht der Fall. Hinzugefügt werden muss hier, dass dieser „Kompensations-Effekt“ laut AutorInnen klein ist – was unter Umständen auf die geringe Häufigkeit von Eigentoren zurückzuführen ist.

Glauben FußballspielerInnen an diesen Kompensationseffekt?

Die obigen Ergebnisse deuten auf einen Kompensationseffekt nach Eigentoren hin: SpielerInnen sind vermutlich motivierter nach einem Eigentor, ihren Fehler zu kompensieren. Das spiegelt sich in einer erhöhten Torhäufigkeit nach Eigentoren (im Vergleich zu gewöhnlichen Gegentoren) wider. Wie lässt sich dieser Kompensationseffekt erklären? Diese Frage stellten sich auch die AutorInnen der Studie und befragten dazu 1.175 Amateur-FußballspielerInnen. Circa ein Viertel der Teilnehmenden (25,87%) gab an zu glauben, dass sich die Wahrscheinlichkeit selbst ein Tor zu erzielen nach einem Eigentor erhöht, wenn auch nur gering.

Welche Erklärungsansätze gibt es für den Kompensationseffekt?

Die Gründe für den Kompensationseffekt können vielfältig sein, z. B. negative Gedanken, Gefühl der Scham oder erhöhte Anstrengung. Besonders die motivationalen Aspekte waren von Interesse in der Studie. Dabei wird unterschieden zwischen Motiven auf Gruppen- und individueller Ebene sowie zwischen leistungsbezogenen und sozialen Motiven [3]. Dies resultiert in vier verschiedenen Motiven:

  • Motiv der individuellen Leistung. Betrifft eine Aufwandssteigerung, um die Diskrepanz zwischen aktuellem und gewünschtem Zustand zu reduzieren (z. B. Der Eigentorschütze will eine gute persönliche Leistung zeigen).

  • Motiv der Gruppenleistung. Betrifft eine Aufwandssteigerung, um ein positives Ergebnis für die Gruppe zu sichern (z. B. Der Eigentorschütze möchte den Schaden ausgleichen, den er seiner Mannschaft verursacht hat).

  • Motiv des individuellen Ansehens. Betrifft das Streben des Individuums nach sozialem Status (Der Eigentorschütze möchte nicht vor der Mannschaft als Versager dastehen).

  • Motiv des Ansehens der Gruppe. Betrifft das Streben nach sozialem Status oder Aufwertung der Gruppe in Vergleich zu anderen Gruppen (Der Eigentorschütze will vermeiden, dass sich seine Mannschaft blamiert).  

„Ich möchte, dass meine Mannschaft gewinnt“ – Motiv der Gruppenleistung als Erklärung für den Kompensationseffekt

Um zu klären, welches Motiv verantwortlich für einen Kompensationseffekt ist, haben die befragten FußballspielerInnen insgesamt 15 Statements beantwortet. Die Statements bezogen sich dabei auf die vier oben skizzierten Motive und wurden einmal aus der Eigenperspektive („Für mich als Eigentorschützen…“) und der Fremdperspektive („Der Eigentorschütze…“) beantwortet, z. B. Der Eigentorschütze möchte den Schaden ausgleichen, den er seiner Mannschaft verursacht hat (Motiv: Gruppenleistung, Fremdperspektive).
Wie von den AutorInnen vermutet, gaben die befragten Amateur-FußballspielerInnen an, dass das Kompensationsverhalten nach einem Eigentor primär darin begründet liegt, die Leistung des Teams (Motiv: Gruppenleistung) zu sichern. Dies zeigt sich stärker in der Fremdperspektive als in der Eigenperspektive. Bezüglich letzterem zeigt sich kein signifikanter Unterschied zwischen dem Motiv der individuellen und der Gruppenleistung.

Andere Kompensation von Eigentoren

Zusätzlich gaben einige Teilnehmenden (11% von 95 Kommentare) in einem freien Kommentarfeld an, dass sich der vom Eigentorschützen gezeigte Aufwand verringern könnte aufgrund von Unsicherheit und niedrigerem Selbstbewusstsein in Folge des Fehlers. Eine vergleichbare Anzahl an Kommentaren (9%) ging in die Richtung, dass sich nichts verändern würde aufgrund sozialer Unterstützung durch das Team. Da häufig Abwehrspieler Eigentore erzielen, könnte sich ein Kompensationseffekt auch auf anderem Wege zeigen, bspw. durch konzentrierteres Verteidigen, höhere Laufleistung oder mehr initiierte Tacklings – und weniger in selbst erzielten Toren.

Was tun bei Eigentoren?

Die Autoren schlussfolgern, dass möglichweise insbesondere Verteidiger und Mittelfeldspieler (als Hauptverantwortliche für Eigentore) ihren üblichen Aufgaben auf dem Platz das Erzielen von Toren hinzufügen und unter Umständen mehr Risiko eingehen. Hier können Mitspieler und TrainerInnen intervenieren, und die Relevanz und Wichtigkeit des Eigentorschützen für die Teamleistung unabhängig vom Torerfolg betonen. Ebenso kann genaues Beobachten, z. B. der Körpersprache helfen, um die richtigen Worte und Gesten (aufbauend bei niedrigem Selbstbewusstsein, wertschätzen bei Risikoverhalten) zu wählen, damit das Team tatsächlich erfolgreich ist.

In diesem Sinne kann dem eingangs erwähnten Zitat von Johann Cruyff hinzugefügt werden, dass es im Fußball nicht nur um das Vermeiden von Fehlern geht, sondern auch um das Nutzen der daraus resultierenden erhöhten Motivation und Leistung, um jene Fehler wieder auszugleichen. 

 Autor des Textes ist Martin Leo Reinhard aus dem Think Tank der DFB-Akademie. Die Inhalte basieren auf der Studie "When mistakes affecting one’s own group result in compensation: Evidence of a compensatory own goal effect", die 2020 in „Psychology of Sport and Exercise" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Hüffmeier, J., Stern, J., & Schultze, T. (2020). When mistakes affecting one’s own group result in compensation: Evidence of a compensatory own goal effect. Psychology of Sport and Exercise, 48, 101633.
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    1. Zitate von Johan Cruyff

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    2. DFL: Definitionskatalog Offizielle Spieldaten

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    3. Levine, J. M., & Smith, E. R. (2013). Group Cognition: Collective Information Search and Distribution. In D.E. Carlston (Ed), Oxford Handbook of Social Cognition (pp. 616-633). New York: Oxford University Press.