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Erfolgsbilanz: Wie viele Nachwuchstalente schaffen den Durchbruch?

Der Aufstieg in die erste Elf wird für Jugendspieler immer schwieriger

Talententwicklung
Freiburgs Kevin Schade und Kölns Jonas Hector, beides Eigengewächse ihrer jeweiligen Vereine, im Zweikampf um den Ball.
    • Nachwuchstalente schaffen immer seltener den Sprung nach oben.
    • Der Anteil von selbst ausgebildeten Spielern in den A-Kadern der 31 europäischen Elite-Ligen ist begrenzt und rückläufig.
    • Jugendspieler aus der vereinseigenen Akademie haben nur einen geringen Anteil an der Gesamtspielzeit.
    • Vereine greifen zunehmend auf externe Transfers zurück, um ihre Kader zu verstärken, als Talente aus der eigenen Jugendarbeit hochzuziehen.
Abstract

U21-Spieler aus den eigenen Nachwuchsleistungszentren schaffen immer seltener den Sprung in die Eliteklasse. Das belegt eine britische Langzeitanalyse, die die Spielerwechsel- und Spielereinsatzzeiten im europäischen Vereinsfußball aus den Jahren von 2009-2020 ausgewertet hat. Demnach ist in dem Zeitraum der Anteil der selbst ausgebildeten Jugendspieler in den A-Kadern von 23 % auf 17 % gesunken. Außerdem kommen sie nur auf wenig Spieleinsätze. Das Fazit der Studienautoren: Junge Talente haben nur begrenzte Chancen und werden in ihren Stammvereinen immer seltener.

Wie erfolgreich sind Eigengewächse aus den Kaderschmieden?

Die deutschen U21-Spieler haben es im Profifußball immer schwerer. Das zeigen die Zahlen aus dem Sportreport 2020 der Deutschen Fußball Liga. Die Anzahl der eingesetzten einheimischen U21-Spieler geht demnach deutlich zurück. In der Gesamtsaison 2017/2018 waren es noch 7,8 %, in der darauffolgenden Spielzeit sind es nur 4,8 %. Der Negativtrend gilt auch für andere europäische Spitzenligen, wie eine britische Untersuchung kürzlich herausgefunden hat.

„Die Erfolgsquote beim Übergang von der Akademie in die erste Mannschaft im Eliteklubfußball ist nach wie vor unbekannt“, stellt Studienautor Thomas Carpels fest. Um die Lücke zu schließen, analysierten der Sportwissenschaftler und sein Team die Monatsberichte des „CIES Football Observatory“. Die Forschungsabteilung des International Center for Sport Studies (CIES) in der Schweiz führt Statistiken in den Bereichen Demografie, Transferwerte und Leistung für den europäischen Fußball in einer Online-Datenbank. In die Auswertung flossen die Jahresdaten von 31 europäischen Spitzenligen mit rund 470 Mannschaften und etwa 12.000 Spielern der ersten Mannschaft, darunter auch die englische Premier League, die französische Ligue 1, die italienische Serie A, die deutsche Bundesliga und die spanische La Liga. Analysiert wurden die Anteile der Spielerkategorien in den Profikadern (vgl. ABB. 01). Betrachtet wurde auch, wie oft und wie lange die Spieler eingesetzt wurden.

Ernüchternde Zahlen

In den europäischen Spitzenligen ist in den zurückliegenden 11 Jahren immer weniger Nachwuchstalenten der Sprung in die erste Mannschaft gelungen. Der Anteil der in den vereinseigenen Leistungszentren ausgebildeten Spieler in den A-Kadern ist kontinuierlich von 23 auf 17 % gesunken. Umgekehrt ist der Anteil der ausländischen Spieler von 35 auf 42 % gestiegen, während der Anteil der vom Verband ausgebildeten Spieler bei 41-42 % relativ konstant blieb. „Dieser Trend wurde auch durch die Auswertung der Neuverpflichtungen unterstützt, die im gleichen Zeitraum von 37 auf 44 % gestiegen ist“, erklärt Carpels. Im Durchschnitt haben die Vereine jedes Jahr einen Debütanten vorgestellt.

Selbst ausgebildete Spieler kommen selten zum Einsatz

Interessant ist auch der Blick auf die Spieleinsätze. Nur durchschnittlich 15 % der Gesamtspielzeit wurden von Nachwuchstalenten aus der vereinseigenen Jugendarbeit bestritten. So kommen Jungspieler über eine typische Saison mit 38 Spielen hinweg auf 13,5 Minuten Spielzeit. Neuverpflichtete Spieler kamen hingegen mit 32 Minuten häufiger zum Einsatz, ausländische Spieler sogar auf 44 Minuten. Insbesondere U21-Spieler haben es schwer, sich zu langfristigen Leistungsträgern zu entwickeln: Sie kommen durchschnittlich über die gesamte Spielzeit gerechnet nur 10 Minuten pro Spiel aufs Feld. U22-Eigengewächse liegen mit 13 Minuten etwas höher, während fremdausgebildete U22-Spieler auf 23 Minuten kommen.

Mehr als nur im Kader dabei zu sein und in die Startelf des Stammvereins aufzusteigen, ist für Talente aus der eigenen Jugend in allen europäischen Ligen eine große Herausforderung. Das macht die Umrechnung der Spielbeteiligung auf ein typisches Spieltagszenario deutlich (ABB. 02): Demnach kommen nur zwei selbst ausgebildete Spieler in die Startelf und einer auf die Ersatzbank. Der Rest des Spieltagkaders besteht aus sieben ausländischen und acht einheimischen Spielern, davon stellen vier ausländische und fünf einheimische Spieler die Startelf. Ein weiteres Indiz, dass junge Spieler weniger Möglichkeiten haben, in ihren Ausbildungsvereinen erfolgreich zu sein, ist geringe Zahl der Debütanten. Durchschnittlich einer pro Jahr schafft den Aufstieg, so die Studienergebnisse.

Wie wirksam ist die Nachwuchsförderung tatsächlich?

Die Studie zeigt: Toptalente haben es schwer, sich im Stammverein in die erste Mannschaft zu spielen. Weil vermehrt Spieler aus dem Ausland eingekauft und in den Vereinen aufgebaut werden, bekommen eigene Nachwuchstalente seltener die Chance, ihre Stärken zu zeigen und sich über mehrere Spiele hinweg zu beweisen. Stattdessen, beklagen die Autoren, werden junge Spieler kurzfristig an unterklassige Vereine ausgeliehen und B-Kader von Spitzenvereinen in unterklassigen Ligen oder speziellen U21-Wettbewerben eingesetzt, um junge Spieler zu entwickeln und zu fördern. Möglicherweise könnte eine Herabsetzung der Spielerlaubnis von 21 Jahren auf 18 Jahre für die „Local Player“-Regelung dazu führen, dass die Vereine mehr in die Entwicklung junger Spieler investieren. Weil die europäische Rechtsgrundlage Transfers erst ab 16 Jahren zulässt, sind jüngere Spieler weniger mobil. Lokale Talente hätten damit mehr Entwicklungschancen, so die Autoren.

Die vorgestellten Entwicklungstrends deuten darauf hin, dass die Vereine eher auf externe Transfers neuer Spieler setzen als darauf, Talente aus der eigenen Nachwuchsarbeit hochzuziehen. Dem Argument, dass es in der Jugendarbeit an Spitzenpotenzial fehle, widersprechen die Autoren: „Man sollte sich darüber im Klaren sein, dass Nachwuchsspieler sich stetig ihrem Alter entsprechend entwickeln und reifen. Vereine sollten daher Geduld im Umgang mit selbst ausgebildeten Spielern aufbringen, zumal unsere Analyse zeigt, dass eine zunehmende Beteiligung von Eigengewächsen an Spielen den Erfolg des Vereins nicht beeinträchtigt.“

Zudem gibt es in der Bundesliga einen finanziellen Anreiz für die Vereine, ihre eigenen Talente einzusetzen: Zwei Prozent der nationalen Medienerlöse werden für "Local Player"-Einsätze ausgeschüttet. Laut DFL-Sportreport 2020 waren das in der Spielsaison 2018/2019 insgesamt mehr als 22 Millionen Euro.

Die Inhalte basieren auf der Studie “Youth-to-Senior Transition in Elite European Club Soccer”, die 2021 im “International Journal of Exercise Science” veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Carpels, T., Scobie, N., Macfarlane, N., & Kemi, O. J. (2021): Youth-to-senior transition in elite European club soccer. Int J Exerc Sci, 14(6), 1192-1203.
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