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Was bringen taktische Wechsel?

Wie sich das Mannschaftsverhalten nach einer Einwechslung ändert

Taktik & Spielanalyse
Roberto Firmino und Naby Keita bei der Einwechslung im Champions League-Finale zwischen dem FC Liverpool und Real Madrid.
    • Offensive Auswechslungen resultierten in einer Zunahme der Torchancen.
    • Offensive Auswechslungen erhöhten den Defensivdruck beim Gegner, insbesondere aufgrund einer größeren Raumkontrolle im Angriffsdrittel.
    • Defensive Auswechslungen führten zur Verringerung der mittleren Entfernung der Einzelspieler vom geometrischen Mannschaftsmittelpunkt, ergo zur Erhöhung der Kompaktheit der Teams.
Abstract

Spielerwechsel sind ein wichtiges Instrument für Trainer*innen, Einfluss auf das taktische Verhalten ihrer Elf während des Spiels zu nehmen. Daher haben Forscher anhand von Positionsdaten aus 234 Bundesligaspielen der Saison 2016/17 analysiert, ob und wie genau sich die vorgenommenen Wechsel ausgewirkt haben. Dafür wurden verschiedene räumliche und eventbasierte Parameter herangezogen, die das taktische Verhalten sowie die Performance der gesamten Mannschaft beschreiben. Erwartungsgemäß offenbarte die Analyse unterschiedliche Effekte für neutrale, defensive und offensive Auswechslungen.

Spielerwechsel und das richtige Timing

Es gilt als Patentrezept bei einer drohenden Niederlage: Liegt die eigene Elf zurück, weichen Trainer*innen von ihrer ursprünglichen Taktik ab und versuchen, das Blatt durch eine Auswechslung zu wenden. Studien aus der spanischen La Liga [1, 2] und der UEFA Champions League [3] bestätigen, dass bei Rückständen häufig frische Offensivkräfte eingewechselt werden, während Trainer*innen in Führung liegender Teams durch eine Auswechslung eher auf die Absicherung der Defensive setzen, um den sich abzeichnenden Erfolg abzusichern. Eine spanische Studie [1] konnte zudem zeigen, dass sich durch einen Wechsel zu einer offensiveren Aufstellung die Anzahl der eigenen Torchancen erhöht. Doch halten die taktischen Umstellungen wirklich immer, was sie versprechen?

Spielerwechsel haben tatsächlich sehr unterschiedliche Effekte auf die taktische Leistung der Mannschaft – je nachdem, ob die frische Kraft die gleiche Position einnimmt (neutraler Wechsel) oder ob der Wechsel eher zu einer offensiveren Aufstellung führt oder ob er die Defensive stärkt. Das hat ein spanisch-deutsches Forschungsteam herausgefunden. Für ihre Studie haben die Wissenschaftler die Positionsdaten aus 234 Bundesligaspielen der Saison 2016/17 analysiert und 659 Spielerwechsel auf ihre Folgen für den Spielverlauf hin untersucht.

Moderne Spielanalyse mit Big Data

Mithilfe von Positionsdaten lässt sich zentimetergenau aufzeichnen und verfolgen, wie sich Spieler*innen und Ball auf dem Feld bewegen. Sie erlauben spezifische Analysen, die nicht nur die Leistung von einzelnem Spielern und Spielerinnen, sondern auch das Interaktionsverhalten zwischen den Mannschaften präzise beschreiben können. Kurz: Sie helfen beim Erkennen von taktischen Mustern. In ihrer Big Data-Analyse haben die Wissenschaftler zudem Kontextvariablen, wie Spielort, Heim- oder Auswärtsspiel, Differenz in der Abschlusstabelle und Spielstatus berücksichtigt sowie eine Reihe taktischer Variablen zur Beschreibung des Mannschaftsverhaltens – wie zum Beispiel: Ballbesitz, Abstand zwischen den Mannschaften, Position des Mannschaftsschwerpunkts, Raumkontrolle im Verteidigungs-, im Mittel- und im Angriffsdrittel, Verteilung der Spieler im Raum. 

Die so generierten Datensätze wurden zudem in drei Gruppen klassifiziert: neutraler Wechsel (eingewechselter Spieler nimmt die gleiche Position ein wie ersetzter Spieler), offensiver Wechsel (Ersatzspieler nimmt eine andere Position weiter vorn ein) oder defensiver Wechsel (Ersatzspieler spielt auf neuer Position weiter hinten).

Spielerwechsel können helfen

Was die Datenanalyse zeigt: Die meisten defensiven Wechsel gab es, wenn Mannschaften mit einem Tor in Führung lagen (44%), während die meisten offensiven Auswechslungen vorgenommen wurden, wenn Mannschaften mit einem Tor in Rückstand waren (48%). Neutrale Auswechslungen erfolgten hauptsächlich bei ausgeglichenen Spielständen (36%).

1. Offensive Wechsel

Offensive Auswechslungen führten dazu, dass die Mannschaften ihren geometrischen Mittelpunkt näher zum gegnerischen Tor verlagerten und somit einen höheren Druck auf die gegnerische Defensive ausübten. Die Spieler kontrollierten den Raum besser – vor allem im Angriffsdrittel, wo dieser Effekt besonders ausgeprägt war. Da eine gesteigerte Raumkontrolle in der Nähe des gegnerischen Tors als gute Voraussetzung gewertet wird, um die Quantität und Qualität der eigenen Torchancen zu erhöhen [4], scheint ein offensiver Spielerwechsel tatsächlich eine gute Strategie für eine zurückliegende Mannschaft zu sein. Allerdings änderten sich die Effekte, wenn die Mannschaften nicht im Ballbesitz waren: In solchen Defensivphasen hatten die Spieler signifikant größere Abstände zueinander. Sie standen weniger kompakt, was das Risiko eines Gegentreffers erhöht.

2. Neutrale Wechsel

Neutrale Auswechslungen hatten ähnliche Auswirkungen wie offensiv motivierte Wechsel, allerdings in geringerem Ausmaß. Spielte der eingewechselte Spieler auf der gleichen Position weiter, steigerte das den Druck auf die gegnerische Defensive, wenn auch nur leicht. Die Forscher führen diese Effekte auf die geringere Ermüdung und die bessere körperliche Leistungsfähigkeit der Ersatzspieler zurück. Das steht im Einklang mit älteren Forschungserkenntnissen, dass eingewechselte Spieler frischer sind und deshalb bessere Leistung zeigen können [5]. Gerade bei Spielstilen, die körperlich besonders fordernd sind, könnte sich ein neutraler Wechsel, insbesondre bei unentschiedenen Spielständen, als geeignetes strategisches Mittel erweisen, um die Grundausrichtung abzusichern bzw. wiederherzustellen.

3. Defensive Wechsel

Defensive Auswechslungen führten zu einer stärkeren Kompaktheit der Mannschaft und erhöhten die Raumkontrolle im defensiven Drittel. Überraschenderweise spielt der Spielstatus bei defensiven Einwechslungen eine geringere Rolle als allgemein angenommen. Die These, dass Trainer vor allem dann auf frische Defensivkräfte setzen, um einen Führungsvorsprung ihrer Mannschaft abzusichern, wie ältere Studien nahelegen [5], konnte die Datenanalyse jedoch nicht bestätigen. Demnach hatten Mannschaften nach einem defensiven Wechsel weniger Raumkontrolle im defensiven Drittel, obwohl sie ihren Mannschaftschwerpunkt tendenziell näher am eigenen Tor halten konnten.

Kann ein taktischer Wechsel das Offensivspiel in der zweiten Halbzeit stärken?

Auch das stellte die Positionsdatenanalyse fest: Unabhängig von der taktischen Absicht einer Einwechslung zeigte sich, dass die Mannschaften im Laufe der zweiten Halbzeiten zunehmend weniger breit standen, vor allem bei Ballbesitz. Die Forschung schreibt dies der zunehmenden Ermüdung der Spieler zu [6]. Je weiter das Spiel fortschreitet, desto schwerer tun sich die Spieler, die Spielfeldbreite in der Offensivphase richtig zu besetzen und den Ballbesitz effektiv zu nutzen. Wie Spielerwechsel hier gezielt genutzt werden könnten, um die Mannschaftsbreite im Ballbesitz zu erhöhen – dafür lieferte die Positionsdatenanalyse allerdings kein klares Bild.

Fazit

Big Data verfeinert die Spielanalyse zunehmend. Die Auswertung der Positionsdaten nach 659 Spielerwechseln während einer Bundesliga-Saison bestätigt, dass Einwechslungen die taktische Performance von Fußballmannschaften beeinflussen können. Die Erkenntnisse der Analysten legen nahe, dass Trainer offensive Auswechslungen vornehmen sollten, um einen höheren Defensivdruck zu erzeugen und mit einem direkteren Ansatz zum gegnerischen Tor mehr Torchancen zu kreieren. Eine solche Strategie könnte vor allem dann helfen, wenn die eigene Mannschaft im Rückstand liegt. Allerdings unter der Annahme eines höheren Risikos während der Defensivphase, die zulasten der Kompaktheit geht. Im Gegensatz dazu führt eine defensive Auswechslung dazu, dass die in Führung liegende Mannschaft kompakter steht und ihren Vorsprung sichern kann.

Die Inhalte basieren auf der Studie “ The effect of substitutions on team tactical behavior in professional soccer”, die 2020 in der Fachzeitschrift “Research Quarterly for Exercise and Sport” veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Lorenzo-Martínez, M., Rein, R., Garnica-Caparrós, M., Memmert, D., & Rey, E. (2020). The effect of substitutions on team tactical behavior in professional soccer. Research Quarterly for Exercise and Sport, 1-9.
    Studie lesen
    1. Gomez, M. A., Lago-Peñas, C., & Owen, L. A. (2016). The influence of substitutions on elite soccer teams’ performance. International Journal of Performance Analysis in Sport, 16(2), 553-568.

    2. Del Corral, J., Barros, C. P., & Prieto-Rodriguez, J. (2008). The determinants of soccer player substitutions: a survival analysis of the Spanish soccer league. Journal of Sports Economics, 9(2), 160-172.

    3. Rey, E., Lago-Ballesteros, J., & Padrón-Cabo, A. (2015). Timing and tactical analysis of player substitutions in the UEFA Champions League. International Journal of Performance Analysis in Sport, 15(3), 840-850.

    4. Rein, R., Raabe, D., & Memmert, D. (2017). “Which pass is better?” Novel approaches to assess passing effectiveness in elite soccer. Human Movement Science, 55, 172-181.

    5. Padrón-Cabo, A., Rey, E., Vidal, B., & García-Nuñez, J. (2018). Work-rate analysis of substitute players in professional soccer: analysis of seasonal variations. Journal of Human Kinetics, 65(1), 165-174.

    6. Clemente, M. F., Couceiro, S. M., Martins, F. M., Mendes, R., & Figueiredo, A. J. (2013). Measuring collective behaviour in football teams: Inspecting the impact of each half of the match on ball possession. International Journal of Performance Analysis in Sport, 13(3), 678-689.