Spielanalyse

Verteidigen im Strafraum

Fehlerquellen Raumorientierung, Körperstellung und Ballfokus

Juventus Stürmer Cristiano Ronaldo köpft während des Serie A Spiels zwischen Juventus Turin und dem FC Parma auf das Tor (1.September.2018 im Ennio Tardini Stadion in Parma. © 2019 ANDREAS SOLARO/AFP/Getty Images
  1. Thomas Stillitano

    Thomas Stillitano, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert häufig auftretende Probleme beim Verteidigen im Strafraum.

Mitte der 90er-Jahre wandelte sich das Defensivspiel hin zur Raumverteidigung. Dadurch wurden aus Manndeckern raumorientierte Verschieber. Doch das ist nicht in allen Bereichen des Spielfeldes die beste Lösung.

Die "Blindside"-Gefahr

Die Entwicklung vom mannorientierten hin zum raumorientierten Verteidigen hatte großen Einfluss auf das Fußballspiel – und das vor allem auf eine positive Art und Weise. Aber eben nicht nur: Denn besonders beim Verteidigen im Strafraum, wo eine Manndeckung von Nöten ist, orientieren sich die Verteidiger von ihrem Blickverhalten, ihrer Körperstellung und ihrem Stellungsspiel her fast ausschließlich zum Ball. Dadurch gewähren sie den Angreifern Freiräume, die diese häufig zu nutzen wissen. Das raumorientierte Verhalten im Strafraum führt somit dazu, dass die Verteidiger eine „Blindside“ – gemeint ist der Raum, der im Rücken liegt – entstehen lassen. Angreifer geraten dann außerhalb des Sichtfeldes der Abwehrspieler, was eine Reaktion auf deren Laufverhalten verhindert. Hierdurch entstehen viele Tore, obwohl häufig eine deutliche numerische Überzahl im Strafraum herrscht. Dabei sollte jedoch, wie in der Spielauffassung des DFB verankert, gelten: Je näher zum eigenen Tor, desto näher am Gegner sein . Um aktiv das Tor verteidigen zu können, ist eine entsprechende räumliche Nähe zum Gegenspieler zwingend erforderlich. Der Raum schießt schließlich keine Tore! Die Verteidiger müssen mit dem Ballvortrag der Angreifer ab der Strafraumgrenze von der Raum- zur Mannorientierung übergehen. Doch genau das gelingt kaum.

Das raumorientierte Verteidigen hat insbesondere bei gegnerischem Ballbesitz in der Außenspur die Konsequenz, dass ballferne Verteidiger sehr weit einrücken und wegen der Fokussierung auf den Ball eine geschlossene Stellung zum Angreifer einnehmen müssen. Es fehlen klare Zuständigkeiten, wodurch ballferne Angreifer in der „Blindside“ der Verteidiger stehen, und somit einen gedanklichen wie räumlichen Vorteil haben. Eine Reaktion auf Hereingaben und Laufwege ist dann kaum noch möglich. Und so wird das Verteidigen von nicht zu beeinflussenden Faktoren wie der Qualität der Hereingabe und des Abschlusses – also externen Variablen – abhängig.

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Doch nutzen Angreifer die "Blindside" nicht nur, um Hereingaben dort zu verwerten, sondern auch, um sich Bewegungsvorsprünge zu verschaffen. Dafür bleiben sie zunächst unbemerkt außerhalb des Sichtfeldes, um dann im richtigen Moment in das Blickfeld des Verteidigers zu laufen. Der dadurch erzielte Bewegungs- und Geschwindigkeitsvorsprung lässt dem Verteidiger keine Chance mehr einzugreifen.

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Eine weitere Möglichkeit bietet sich den Angreifern, wenn ein Mitspieler zuvor mit einem Dribbling oder durch einen Pass in die Tiefe bis zur Grundlinie durchgebrochen ist, und die gegnerische Abwehrreihe dazu zwingt, mit dem Blickfeld zum eigenen Tor zu verteidigen. In diesem Moment öffnet sich ein Raum im Rücken der Verteidiger, also außerhalb des Sichtfeldes, der mit einem Rückpass bespielt werden kann und den Angreifern eine Abschlusssituation mit vorteilhafter Bewegungsdynamik ermöglicht.

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Die Einführung der Raumverteidigung hat die Fähigkeit der Manndeckung negativ beeinflusst.
Thomas Stillitano

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