Spielanalyse

Die Wesenzüge der Passrichtungen

Ob vertikal, horizontal oder diagonal – jeder Pass hat seine eigene Charakteristik

DFB-Spieler Toni Kroos mit einem Pass während des UEFA-Nations-League-Spiels Deutschland gegen Frankreich © 2018 Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images
  1. Christopher Toetz

    Christopher Toetz, Redakteur der DFB-Trainerzeitschrift „Fußballtraining“, analysiert mit Hilfe der Leitlinien der DFB-Spielauffassung diverse Qualitätsmerkmale im internationalen Fußball.

Es gibt zwei Intentionen einen Pass zu spielen: Entweder er dient der Sicherung des Ballbesitzes oder der Pass ist dafür gedacht, den Raum im Rücken des Gegners zu bespielen. Die Passrichtung ist hierbei ausschlaggebend, wobei die jeweilige Entscheidung verschiedene Vor- und Nachteile nach sich zieht.

Die drei Passrichtungen

Im Fußball gibt es vertikale, horizontale und diagonale Pässe. Der Vorteil von vorwärtsgerichteten Vertikalpässen liegt darin, dass damit am schnellsten Raum überbrückt werden kann. Auf der anderen Seite ist bei dieser Passrichtung das Blickfeld für den Passempfänger meist eingeschränkt, da er vorwiegend mit dem Rücken zum gegnerischen Tor agiert und somit nicht überblicken kann, was in Spielrichtung geschieht. Hat der Passempfänger einen Gegenspieler in seinem Rücken, kann er sich nicht zum Tor aufdrehen und muss wieder zurückspielen.
Demgegenüber dienen horizontale Zuspiele vorrangig der Spielverlagerung und dem Seitenwechsel, wodurch der unmittelbare Gegnerdruck kurzzeitig vom Ball genommen werden kann. Doch Querpässe erzielen keinen direkten Raumgewinn, sodass auch kein Druck in Richtung Gegner-Tor entsteht.
Ein vorwärtsgerichteter Diagonalpass hat hingegen sowohl einen direkten Raumgewinn als auch eine Verlagerung zur Folge, was dazu führt, dass der Passempfänger durch eine geöffnete Körperstellung ein gutes Blickfeld hat, das ihm ein sicheres Weiterspielen ermöglicht.

Gegnerisches Defensivverhalten bei vorwärtsgerichteten Pässen

Ein vertikaler Pass zieht nur eine einfache Richtungsänderung des gegnerischen Defensivverbundes nach sich und erfordert kein Verschieben der Abwehrreihe. Somit sind solche Zuspiele für den Gegner häufig leicht zu verteidigen, sofern dieser in der Ordnung agiert. Im modernen Fußball werden diese Vertikalpässe von vorwärtsverteidigenden Gegenspielern sogar oft als Pressingauslöser genutzt – insbesondere, da die Möglichkeit besteht, den Passempfänger aus dessen Rücken zu überraschen. Im Grunde ergibt sich bei dieser Passrichtung nur dann eine neue und erfolgversprechende Situation für die Angreifer, wenn der Gegner bereits eine falsche Staffelung hatte oder nach diesen Pässen sofort eine erneute Richtungsänderung eintritt (z. B. beim Spiel über den Dritten).
Bei einem diagonalen Pass sind die Anforderungen für die gegnerische Abwehr deutlich komplexer. So müssen sowohl die Verschieberichtung (horizontale Bewegung) als auch die Höhe (vertikale Bewegung) angepasst werden. Dies kann den Gegner beim Zugriff vor Probleme stellen, da häufig unklar ist, wer zum Ballbesitzer herausrücken soll.

    1. Stones wird mit dem Zuspiel vom Torwart angelaufen. Walker, Fernandinho und Gündoğan bieten sich bereits frühzeitig für einen Pass an und bilden eine 'Pass-Raute'. Stones wählt den vertikalen Pass zu Gündoğan.

    2. Gündoğan wird im Rücken unter Druck gesetzt, kann jedoch durch sein Blickfeld den freistehenden Fernandinho wahrnehmen, der sich bereits in die Tiefe vororientiert. Gündoğan legt auf Fernandinho ab.

    3. Durch die Vororientierung passt Fernandinho direkt in die Tiefe, wo sich Bernardo Silva (nicht im Bild) zuvor freigelaufen hat. Walker erkennt die Situation frühzeitig und startet einen Sprint entlang der Seitenlinie.

    4. Durch das frontale Entgegenkommen hat Bernardo Silva ein beschränktes Blickfeld. Daher entscheidet er sich für eine Ablage in die Außenspur, wo Walker bereits Tempo aufgenommen hat und das Spiel bis in die gegnerische Hälfte fortsetzen kann.

    1. Torwart Walke spielt zu Schlager in die Tiefe. Dieser nimmt bereits vor der Annahme die Gegenspieler sowie den freistehenden Ulmer wahr.

    2. Dadurch kann sich Schlager den Ball passend in den freien Raum vorlegen und anschließend einen Seitenwechsel auf Ulmer spielen.

    3. Ulmer wird bereits mit der Annahme von einem Gegenspieler aus der Halbspur mit höchstem Tempo angelaufen. Deswegen spielt Ulmer einen vertikalen Pass zu Dabbur, der sich zuvor in der Außenspur freigelaufen hat.

    4. Anschließend läuft Ulmer seinem Pass sofort nach und erhält ein Anspiel von Dabbur.

    5. Durch den Gegnerdruck spielt Ulmer quer zu Wolf. Dabei nimmt er den Raum im Rücken des Gegenspielers wahr, startet direkt in die Tiefe und erhält einen Pass hinter die letzte Abwehrreihe des Gegners.

    1. Allan dribbelt quer zur Spielrichtung und nimmt die Situation in der Tiefe wahr. Verdi und Callejón bieten sich für ein Zuspiel an, worauf der linke Mittelfeldspieler (LM) reagiert.

    2. Durch seine Dribbelrichtung und seiner Körperstellung lockt Allan den LM von der Situation weg und öffnet den Passweg auf Callejón, den er anschließend anspielt. Verdi erkennt die Situation und läuft in die Tiefe.

    3. Aufgrund seiner offenen Körperstellung kann Callejón den Laufweg von Verdi wahrnehmen, wohingegen sich der zentrale Mittelfeldspieler (ZDM) nach dem diagonalen Pass umorientieren muss. Callejón nutzt die Bewegungsdynamik und passt in den Lauf von Verdi.

    4. Durch die vorwärtsgerichtete Dynamik und die unmittelbare Torgefahr muss sich der Innenverteidiger (IV) zum Ballführenden orientieren, wodurch er Ounas aus den Augen verliert. Verdi passt zum nun freistehenden Ounas, der zum Tor durchbrechen kann.

    1. Nach einem Pass von Ter Stegen dribbelt Lenglet an. Busquets bietet sich für ein Anspiel in der Diagonalen an und blickt bereits in die Tiefe. Lenglet passt zu Busquets.

    2. Mit der Annahme von Busquets lässt sich Arthur ins Mittelfeld zurückfallen, um sich diagonal anspielbar zu machen.

    3. Busquets spielt zu Arthur, der durch seine offene Körperstellung vorab die Situation von Coutinho und Suárez wahrnehmen kann.

    4. Mit der Annahme starten Coutinho und Suárez in die Tiefe. Arthur spielt einen präzisen Pass zu Suárez.

    5. Durch das diagonale Anspiel muss sich der Innenverteidiger (IV) drehen und verliert Coutinho aus den Augen. Suárez kann mit optimalem Blickfeld direkt in den Lauf von Coutinho passen, der dadurch in den Raum hinter die Abwehrreihe durchbrechen kann.

Vorteile kennen und nutzen

Diagonale Pässe vereinen die Vorteile von vertikalen und horizontalen Pässen miteinander, während sie die jeweiligen Nachteile kompensieren. Trotzdem ist das Wissen um die Merkmale der drei Passrichtungen unabdingbar, um die verschiedenen Situationen eines Spiels erfolgreich lösen zu können.

Ich möchte, dass Pässe eher diagonal gespielt werden als quer oder steil. Das gibt mehr Winkel und mehr Tiefe.
Julian Nagelsmann, Cheftrainer TSG 1899 Hoffenheim

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