Spielanalyse
Inter Mailand – die Wiedererstarkten
Trainer Antonio Conte hat der Nerazzurri neues Leben eingehaucht. Wir werfen einen Blick auf seine Spielidee.
Inter Mailand spielt unter Neu-Trainer Antonio Conte eine bis dato überaus erfolgreiche Saison. Die Basis für den Erfolg legt eine ausbalancierte Spielphilosophie, die sich durch Defensivstärke und Angriffslust gleichermaßen auszeichnet.
Defensivphase
Die Italiener spielen ein intensives und in der Höhe sehr variables Pressing. In einem 3-5-2 oder 3-4-1-2 wird der Gegner meist nach außen gelenkt, wo sie durch konsequentes Verschieben und mit teils situativen Mannorientierungen den Raum-, Zeit- und Gegnerdruck erhöhen. Erhalten sie "Zugriff", dann verteidigen sie die Situation mit maximaler Intensität bis zum Ende durch. Im besten Fall provozieren sie einen Ballgewinn, der für eine eigene Umschaltaktion genutzt werden kann. Zum jetzigen Zeitpunkt hat Inter mit 36 Gegentoren die beste Defensive der Liga.
Schnelles Umschaltspiel
Nach einem Ballgewinn wird die Umschaltaktion schnell und vertikal ausgespielt, sowohl von dem jeweils Ballführenden als auch von den Spielern ohne Ball. Sie profitieren insbesondere von der Doppelspitze, mit der sie die Desorganisation des Gegners schnell und zielstrebig ausnutzen können. Innerhalb der Kontersituationen gelingt es den Angreifern oftmals, die gegnerischen Verteidiger vor Entscheidungen zu stellen und diese so zu einer Aktion zu zwingen. Die daraus resultierende Unordnung nutzen sie dann mit hoher Durchschlagskraft aus.
Young setzt den Außenverteidiger (AV) unter Druck, der daraufhin zum Innenverteidiger (IV) zurückspielt. Sánchez erkennt die Absicht frühzeitig und setzt den IV bereits bei der An- und Mitnahme unter Druck.
Sánchez erobert den Ball im Zweikampf mit dem IV und dribbelt im hohen Tempo in Richtung Tor. Gleichzeitig laufen Gagliardini und Martínez in die Tiefe.
Ballbesitzer Sànchez ist nun in einer zentralen Position, während Gagliardini und Martínez seitlich der Abwehrlinie positioniert sind. Beide agieren damit aus der Blindside der Verteidiger heraus, da diese sich zum Ball orientieren müssen. Sánchez nutzt die Situation und passt zu Martínez.
Martínez dribbelt an und erhält Unterstützung von einem Mitspieler, der ihn hinterläuft. Martínez wählt jedoch den Torschuss, der vom Innenverteidiger (IV) unhaltbar ins Tor abgefälscht wird.
Nach einem Ballgewinn passt Škriniar zu Barella (nicht im Bild), ...
... der direkt zu Candreva klatschen lässt. Candreva passt mit dem ersten Kontakt zu Lukaku (nicht im Bild) in die Tiefe.
Lukaku erläuft das Zuspiel und sucht das 1 gegen 1 gegen den Innenverteidiger (IV).
An der Strafraumgrenze rückt ein weiterer Gegenspieler an Lukaku heran. Gleichzeitig läuft Candreva, der zuvor den Pass gespielt hat, im hohen Tempo in den Strafraum. Lukaku erkennt die Situation und passt in dessen Lauf. Mit dem Zuspiel löst sich der andere IV von Martínez.
Candreva behält die Übersicht und legt quer zum nun freistehenden Martínez, der die Vorlage zum 2:0 verwertet.
Positionsspiel
Im Aufbauspiel beschränkt sich Inters Ballzirkulation hauptsächlich auf die drei Innenverteidiger und den 'Sechser', in der Regel der spielstarke Marcelo Brozović, aus der sie mit einem plötzlichen Rhythmuswechsel in ein zielgerichtetes Vertikalspiel übergehen. Dabei greifen sie bevorzugt über die Außen- und Halbspuren an. Im vorderen Bereich greift dann das abgestimmte Zusammenspiel zwischen den Mannschaftsteilen. Die Flügelverteidiger halten die Breite und die 'Achter' suchen den Kontakt zu den Stürmern. Durch die klaren Abläufe und die Dynamik aller Angreifer gelingt es oftmals, situativ Überzahlen zu schaffen und sich dadurch in aussichtsreiche Positionen zu kombinieren.
Sturmduo
Ein Mittel im Offensivspiel sind lange hohe Pässe, mit denen sie den Raum im Rücken des Gegners bespielen. Dies erfolgt nicht planlos, sondern ist spielkonzeptioneller Bestandteil der Strategie. Primär geht es darum, den eigenen Zielspieler schnellstmöglich zu erreichen, um entweder direkt hinter die gegnerische Abwehrreihe zu kommen oder durch nachrückende Spieler mit der Ablage bzw. dem abgewehrten Ball die Dynamik und Desorganisation beim Gegner aufrechtzuerhalten. In diesen Offensivaktionen macht sich vor allem das „blinde“ Verständnis zwischen den beiden Stürmern Romelu Lukaku und Lautaro Martínez bemerkbar. Sie schaffen es oftmals, mithilfe abgestimmter Laufwege und passender Entscheidungsfindung gefährliche Situationen zu kreieren. Das Duo verbucht bis dato 37 Ligatore, knapp 47% der Teamtore, und 7 Vorlagen.
Inter im Aufbau: De Vrij passt zu Škriniar, der das Spiel mit einem Dribbling in der Außenspur fortsetzt.
An der Mittellinie bieten sich Eriksen und Lukaku für ein kurzes Zuspiel an. Gleichzeitig läuft Martínez, der sich auf Höhe der Abwehrlinie bewegt, in die Tiefe. Škriniar erkennt die Situation und spielt einen langen Pass in den Rücken der Abwehr.
Mit dem langen Pass laufen Lukaku und Eriksen ebenfalls in die Tiefe. Martínez erläuft den Ball ...
... und passt mit der Ferse in den Lauf von Lukaku. Daraufhin setzt sich der Innenverteidiger (IV) ins Zentrum ab ...
... und rückt an Lukaku heran, der zum Tor an- und mitnimmt. Lukaku passt im richtigen Moment zum nachrückenden Eriksen und „überläuft“ den IV.
Eriksen passt direkt zu Lukaku, der die Vorlage zum 1:0-Führungstreffer verwertet.
Brozović passt zu Sensi in die Halbspur, der entgegen der Spielrichtung an- und mitnimmt. Mit dem Pass rückt der ballnahe Innenverteidiger (IV) heran.
Sensi nimmt die Situation wahr und passt zu Martínez in die Tiefe. Lukaku erkennt die Absicht frühzeitig ...
... und dreht sich zu Martínez, der klatschen lässt. Nach dem Zuspiel läuft Martínez sofort in die Tiefe.
Lukaku erkennt den Laufweg und passt direkt in dessen Lauf. Martínez nimmt in den Strafraum an und mit, ...
... schließt ab und erzielt den 1:0-Führungstreffer.
Schlüsselpositionen
Die beiden Flügelverteidiger, meist Antonio Candreva und Ashley Young, nehmen eine wichtige Rolle im Ballbesitzspiel der Nerazzurri ein. In der Aufbauphase halten sie die Breite und positionieren sich meist auf Höhe des Mittelfelds. Orientieren sich nun die gegnerischen äußeren Mittelfeldspieler zu ihnen, öffnen sich Räume in den Halbspuren, die die eigenen Halbverteidiger und zentralen Mittelfeldspieler nutzen können. Sind jedoch die gegnerischen Außenverteidiger für Inters Flügelverteidiger verantwortlich, haben diese aufgrund der Distanzen zueinander zunächst wenig Druck und können das Spiel ankurbeln. Der Gegner wird vor ein Dilemma gestellt, das Inter für sich ausnutzt. Im Verlauf der Angriffe schieben beide Flügelverteidiger mit ins letzte Drittel und sind dort in der Lage, mit Flanken, Dribblings oder als Empfänger für Schnittstellenpässe eine hohe Durchschlagskraft zu entwickeln. Eine Spielverlagerung oder ein Pass aus dem Zentrum sind oft der Schlüssel, damit Inters Flügelverteidiger aus der Blindside der Abwehrspieler agieren können und somit einen entscheidenden Vorteil auf ihrer Seite haben.
Nach einem Ballgewinn passt Gagliardini zu Brozović, der mit einem Schulterblick Lukaku und den heranrückenden Gegenspieler in der Tiefe wahrnimmt.
Brozović passt direkt zu Lukaku, ...
... der quer zur Spielrichtung an- und mitnimmt. Gleichzeitig laufen Brozović und Vecino in die Tiefe.
Dadurch öffnet sich der Raum für Lukaku, den er für einen Pass zu Candreva nutzt. Mit dem Pass rücken alle tornahen Angreifer in den Strafraum. Dabei setzt sich Martínez zum ballfernen Pfosten ab.
Candreva flankt mit dem ersten Kontakt in die Mitte, wo Martínez seinen Bewegungsvorsprung nutzt und die Hereingabe per Kopf verwertet.
Sánchez dribbelt quer zur Spielrichtung und spielt einen langen Pass zu Candreva, der in der ballfernen Außenspur freisteht.
Candreva nimmt zum Strafraum an und mit und bindet den gegnerischen Außenverteidiger (AV) sowie einen weiteren Verteidiger. Agoumé (nicht im Bild) nimmt die Situation wahr und bietet sich im Rückraum an.
Eriksen bietet sich ebenfalls für ein Zuspiel an und läuft in den Strafraum. Candreva bindet beide Gegenspieler, passt zu Agoumé und läuft in Richtung Tor.
Anschließend passt Agoumé zu Eriksen in die Tiefe, woraufhin der AV sich von Candreva löst und an Eriksen heranrückt.
Eriksen passt direkt zum nun freistehenden Candreva, der mit einem präzisen Schuss in die ballferne Ecke abschließt.
Fazit
Inter überzeugt unter Trainer Conte mit einer klaren Spielidee, die im Offensivspiel von abgestimmten Abläufen, hohen Flügelverteidigern und einem torgefährlichen Sturmduo geprägt ist. In der Defensivphase spielt das variable Pressing und die hohe Intensität eine elementare Rolle.
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