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Bewertung der neuromuskulären Kontrolle bei Nachwuchsspielern
Eine Übersicht verwendeter Feldtests
- Bei der Erfassung möglicher Risikofaktoren für Verletzungen mit einer größeren Anzahl von Athleten sollten Tests in einem angemessenen zeitlichen Rahmen durchführbar sein.
- Die zur Verfügung stehenden Feldtests bewerten die Quadrizepsdominanz, die Beinasymmetrie, die Beinachsenkontrolle in der Frontalebene, die Rumpfdominanz und die eingeschränkte dynamische Kontrolle.
- Durch die Identifikation von Risikofaktoren für Verletzungen der unteren Extremitäten mit Hilfe neuromuskulärer Kontrolltests können möglicherweise längere Abwesenheitszeiten von Training und Wettkampf vermieden werden.
Abstract
Verletzungen an den unteren Extremitäten kommen bei männlichen Nachwuchsspielern häufig vor und resultieren in erheblichen Abwesenheiten von Training und Wettkampf. Mit Hilfe von neuromuskulären Kontrolltests können Risikofaktoren für Verletzungen der unteren Extremitäten identifiziert werden und helfen längere Abwesenheitszeiten und deren Auswirkungen auf die Leistungsentwicklung zu vermeiden. Derzeit ist das „Landing Error Scoring System” das einzige Instrument, welches auch an männlichen Jugendfußballspielern validiert wurde. Ebenfalls in Betracht gezogen werden kann aufgrund ihrer starken Vorhersagefähigkeit bei männlichen Jugendbasketballspielern der Seitenvergleich der Reichweite beim „Anterior Reach„ des „Y-Balance-Tests”. Jedoch sind weitere Untersuchungen erforderlich, um den Aussagewert bei männlichen Jugendfußballspielern zu belegen.
Verletzungshäufigkeit bei männlichen Jugendfußballspielern
Die Verletzungshäufigkeit im männlichen Jugendfußball liegt zwischen 2,0 und 26,6 Verletzungen pro 1 000 Stunden Exposition [1, 2]. Die meisten dieser Verletzungen treten an den unteren Extremitäten auf. Die durchschnittliche Abwesenheit pro Verletzung beträgt 22 Tage [3].
Exkurs: Was verstehen wir unter neuromuskulärer Kontrolle?
Bewegung stellt das Ergebnis von Interaktionen des Nervensystems mit der Skelettmuskulatur dar. Diese kommen sowohl willkürlich als auch unwillkürlich zustande und werden über Feedforward- bzw. Feedback-Mechanismen kontrolliert. Auffälligkeiten im Zusammenwirken von Nerv und Muskel können Hinweise auf eine Fehl- oder Dyskoordination sein. Vor diesem Hintergrund konnten in der Vergangenheit verschiedene Auffälligkeiten bzw. (vermeidbare) Risikofaktoren für ein Zustandekommen muskuloskelettaler Verletzungen identifiziert werden.
Kategorien neuromuskulärer Risikofaktoren
Für Verletzungen an der unteren Extremität können die zur Verfügung stehenden Feldtests in 5 Kategorien eingeteilt werden (ABB. 01). Dazu gehören die Quadrizepsdominanz, die Beinasymmetrie, die Beinachsenkontrolle in der Frontalebene, die Rumpfdominanz und die eingeschränkte dynamische Kontrolle [4].
Quadrizepsdominanz
Um Kraftungleichgewichte zwischen Kniebeugern und -streckern zu bestimmen, hat sich die manuelle isometrische Muskelkraftmessung als zuverlässig erwiesen [5]. Trotz der einfachen Anwendung hängt die Qualität der Ergebnisse stark von der Kompetenz des Untersuchers und der Person, welche die Bewegung initiiert (Untersucher vs. Testperson), ab [6]. Die Kraft der Hamstrings kann in Rückenlage mit der Ferse auf einer erhöht positionierten Kraftmessplatte [7] oder mit Hilfe des „Nordic Hamstring Exercise” [8] gemessen werden.
Beinasymmetrie
Hinsichtlich der Erfassung der Seitenunterschiede sind einbeinig ausgeführte Sprünge den beidbeinigen vorzuziehen [9]. Aufgrund fehlender Zusammenhänge zwischen vertikal, horizontal und lateral ausgeführten Sprungvarianten [10] kann eine Überprüfung verschiedener Ausführungen empfohlen werden. Für die Anwendung an Jugendlichen sollten sich Praktiker darüber im Klaren sein, dass Mehrfachsprünge (Rebound-Aufgaben) sehr anspruchsvoll sind und erhebliche Belastungen für den passiven Bewegungsapparat darstellen. Entsprechend sind Rebound-Aufgaben für jugendliche Sportler mit begrenzter plyometrischer Trainingserfahrung möglicherweise nicht geeignet. Somit ist für jüngere Sportler ein Einzelsprung offenbar besser geeignet. Sobald die Sportler ein entsprechendes Trainingsalter und die erforderliche technische Kompetenz erlangt haben, können Mehrfachsprünge eingeführt werden. Ergänzend zu horizontalen Sprüngen sollten auch einbeinige Vertikalsprünge in Betracht gezogen werden [11], da diese Aufgaben während des Spiels häufig vorkommen.
Bei dem Vergleich von Seitenunterschieden nach einer Rekonstruktion des vorderen Kreuzbands (VKB) konnte für Jugendliche und junge Erwachsene gezeigt werden, dass eine Quadrizeps-Kraftdifferenz von > 15 % die Funktion und Leistungsfähigkeit negativ beeinflusst [12]. Entsprechend kann diese Schwelle als ein relevanter Risikofaktor angesehen werden. Unverletzte jugendliche Sportler weisen beim Sprinten Asymmetrien zwischen 15 und 20 % auf [13], was auf Veränderungen während des Reifungsprozesses und auf eine größere Bewegungsvariabilität zurückgeführt werden kann. Dies unterstreicht die Bedeutung regelmäßiger „Preseason Screenings” bei Athleten im Nachwuchsleistungssport. Männliche Jugendbasketballspieler mit einer Reichweitenasymmetrie (> 4 cm) beim „Anterior Reach” des „Y-Balance-Test” wiesen ein 2,5-mal höheres Verletzungsrisiko auf [14].
Beinachsenkontrolle
Die Qualität der Landemechanik kann durch das „Landing Error Scoring System” (LESS) beurteilt werden. Darüber können Sportler mit einer veränderten Landemechanik, welche auf ein hohes Verletzungsrisiko hinweist, identifiziert werden. Diese Methode wurde an Erwachsenen gegen eine dreidimensionalen Bewegungsanalyse und Kraftmessplattenwerte während eines Tief-Hochsprungs („Drop Vertical Jump”) validiert [15]. Mit Hilfe des LESS kann zwischen Personen mit und ohne VKB-Verletzung unterschieden werden [16], wobei höhere Werte auf eine schlechtere Landemechanik hindeuten. Bemerkenswert war, dass in der Gruppe nach der VKB-Verletzung eine stärkere seitliche Rumpfneigung bei der Landung zu beobachten war, was möglicherweise für eine Strategie zur Entlastung der unteren Extremitäten spricht [16]. Bei jugendlichen Sportlern konnte eine hohe Zuverlässigkeit innerhalb und zwischen Untersuchern nachgewiesen werden [17]. In der modifizierten Version wurden die bewerteten Elemente auf 10 Kriterien reduziert [18] und damit die praktische Anwendbarkeit verbessert. Klinisch lässt sich der Verlust der Kontrolle der Beinachse in der Frontalebene in drei Grade unterscheiden [19].
Ein weiteres Instrument Absprung und Landung in repetitiver Form zu beurteilen und darüber das Verletzungsrisiko abzuschätzen ist der „Tuck Jump Test” [20]. Die Testaufgabe sieht vor über zehn Sekunden wiederholte beidbeinige Sprünge am Ort durchzuführen. Die erfassten Defizite liefern Hinweise auf vier wesentliche neuromuskuläre Risikofaktoren eine Verletzung an den unteren Extremitäten zu erleiden: Quadrizepsdominanz, Beinasymmetrie, Beinachsenkontrolle und Rumpfdominanz [20, 4]. Bei männlichen Jugendfußballspielern ergab die Analyse der einzelnen Komponenten, dass der Knie-Valgus das einzige Kriterium war, bei dem zwischen den Tests eine wesentliche Übereinstimmung erzielt wurde. Obwohl der Gesamtscore ebenfalls zuverlässig gemessen werden kann, bleibt die genaue Identifizierung der relevanten Risikofaktoren ungewiss [21].
Rumpfdominanz
Apparativ gemessene Defizite der neuromuskulären Kontrolle des Rumpfes wiesen eine moderate Zuverlässigkeit auf und konnten mit einem erhöhten Risiko für Knieverletzungen assoziiert werden [22]. Die visuelle Charakterisierung der Rumpfkontrolle bei Erwachsenen hingegen wies eine geringe Zuverlässigkeit sowohl innerhalb als auch zwischen den Untersuchern auf [23]. Für die Beurteilung der Rumpfmuskelausdauer über isometrische Haltetests in verschiedenen Positionen konnte eine hohe Zuverlässigkeit belegt werden [24]. Jedoch muss die empirische Gültigkeit solcher Tests aufgrund ihrer statischen Arbeitsweise, isolierter Funktion und geringen Funktionalität zur Abschätzung des Verletzungsrisikos der unteren Extremitäten in Frage gestellt werden. Alternativ können Auffälligkeiten, die auf einen Verlust der Rumpfkontrolle hinweisen, mithilfe dynamischer Testaufgaben wie dem „Tuck Jump Test” [20] oder dem LESS [15] aufgedeckt werden.
Dynamische Kontrolle
Statische Balanceaufgaben spiegeln nicht die dynamische Natur von Fußballaktivitäten wider, welche zu Verletzungen führen können. Dies wird durch Untersuchungsergebnisse an männlichen Jugendfußballspielern gestützt, die schwache Zusammenhänge zwischen statischen und dynamischen Balanceaufgaben belegen [25]. Daher sollte die Beurteilung der dynamischen Kontrolle funktionsrelevante Aufgaben umfassen, die Aufschluss über die dynamischen Aktionen geben, die regelmäßig im Fußball auftreten. Bei der „Time To Stabilization” (TTS, Zeit bis zur Stabilisierung) Messung wird eine Kraftmessplatte verwendet, um die Zeit zu quantifizieren, die eine Person benötigt, um nach einer Landung zu stabilisieren [26]. Hierfür werden der „Drop Jump”, der „Drop Landing” und der „Forward Hop and Stick” [27] häufig verwendet. Beurteilungen von Landungen mit einem Bein könnten für Fußballspieler aussagekräftiger sein und ein potenzielles Verletzungsrisiko besser abbilden. Eine weitere unilaterale Aufgabe zur Beurteilung der dynamischen Kontrolle ist der „Star Excursion Balance Test” oder der auf drei Richtungen reduzierte „Y-Balance-Test” [14]. Bei diesem Reichweitentest werden die erreichten Weiten in jede Richtung auf die individuelle Beinlänge normiert. Männliche Jugendbasketballspieler mit einer Reichweitenasymmetrie (> 4 cm) beim „Anterior Reach” des „Y-Balance-Tests” wiesen ein 2,5-mal höheres Verletzungsrisiko auf [14]. Jedoch sind weitere Untersuchungen erforderlich, um den Aussagewert bei männlichen Jugendfußballspielern zu belegen.
Kritische Bewertung
Durch Feldtests können die neuromuskuläre Kontrolle und das Verletzungsrisiko bei Erwachsenen und weiblichen Athleten zuverlässig beurteilt werden. Für männliche Jugendfußballspieler hingegen liegen weniger Daten vor, daher muss die vorgeschlagene Testbatterie (ABB. 02) mit Bedacht eingesetzt werden. Obwohl die Vorhersage zukünftiger nichtkontakt Verletzungen nicht möglich scheint, kann die Identifikation risikobehafteter Bewegungsmuster die individuelle Präventionsarbeit unterstützen.
Die Inhalte basieren auf der Übersichtsarbeit „A review of field-based assessments of neuromuscular control and their utility in male youth soccer players”, die 2019 in der Fachzeitschrift „ Journal of Strength & Conditioning Research” veröffentlicht wurde.
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Literatur
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