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Die Bedeutung kognitiver Faktoren für die Spielfähigkeit
Ein Überblicksbeitrag zu kognitiven Funktionen, Diagnostik und Training
- Kognitive Faktoren wie Wahrnehmen und Entscheiden sind leistungsbestimmend im Fußball.
- Diagnostiken erfassen allgemeine und/oder fußballspezifische kognitive Faktoren.
- Fußballspezifische kognitive Faktoren sollten vor allem durch Spielformen „auf dem Platz“ trainiert werden.
- Training kognitiver Faktoren kann durch neue sportpsychologische Ansätze „abseits des Platzes“ ergänzt werden.
Abstract
Die sportpsychologische Forschung zu kognitiven Leistungsfaktoren im Fußball ist vergleichsweise jung. Einen Goldstandard für Diagnostik und Training gibt es derzeit noch nicht. Dennoch existieren vielversprechende Ansätze, die aus wissenschaftlicher Sicht vorgestellt werden.
Das folgende Video gibt Einblicke in die Bereiche Kognition, 360°-Aufnahmen und Virtuelle Realität im Fußball:
Was sind kognitive Leistungsfaktoren im Fußball?
Der Begriff „Kognition“ wird in der Sportpsychologie als ein Sammelbegriff für die Aufnahme, Verarbeitung, Speicherung und Weiterleitung von Informationen innerhalb sportlicher Handlungen verwendet. Beispiele für kognitive Faktoren sind die Wahrnehmung, Aufmerksamkeit, Entscheidung, Planung oder das Gedächtnis.
Für die Analyse kognitiver Leistungsfaktoren im Fußball lassen sich diverse Betrachtungsweisen der Sportpsychologie unterscheiden [1]. Die handlungspsychologische Perspektive betrachtet die Aktionen eines Spielers als Handlungen, in denen der Spieler u. a. Entscheidungen zwischen von ihm wahrgenommenen Handlungsalternativen (z. B. „Schieße ich auf das Tor oder spiele ich ab?“) treffen muss. Hierzu benötigt der Spieler eine Entscheidungskompetenz. Der Spieler muss demnach in konkreten Spielsituationen die reizvollste Handlungsalternative (z. B. die Alternative mit der höchsten resultierenden Torgefahr) erkennen, die von ihm umgesetzt werden kann.
Das Entscheiden basiert auf weiteren kognitiven Faktoren, zum Beispiel der Wahrnehmung, der Aufmerksamkeit oder der Verarbeitung von Informationen im Arbeitsgedächtnis. Diese kognitiven Faktoren können zur Lösung kontextspezifischer (hier fußballspezifischer) oder kontextunspezifischer (allgemeiner) Aufgaben genutzt werden. Darauf aufbauend lassen sich zwei Ansätze zur Erforschung kognitiver Faktoren unterscheiden [2]: 1. Der Expert Performance Approach geht davon aus, dass sich herausragende Fußballspieler in fußballspezifischen perzeptuell-kognitiven Fertigkeiten von schwächeren Spielern abheben. Solche Fertigkeiten sind von fußballspezifischen Erfahrungen abhängig, die im Gedächtnis abgespeichert werden. Auf der Basis dieses Erfahrungswissens sind Spieler in der Lage, über das Wiedererkennen bestimmter Muster in einer Spielsituation ihre Wahrnehmung zu strukturieren oder relevante Hinweisreize einer Spielsituation (z.B. geänderte Fußstellung vor dem Abspiel oder Ansatz einer Lauffinte) für die Antizipation des weiteren Geschehens zu nutzen.2. Der Cognitive Component Skills Approach geht davon aus, dass bei herausragenden Fußballspielern auch allgemeine kognitive Faktoren besser ausgeprägt sind. Ein Schwerpunkt der aktuellen Forschung liegt in der Analyse sogenannter Exekutiver Funktionen, die als allgemeine Kontroll- und Regulationsmechanismen das Denken und Handeln von Menschen steuern [3]. Die Exekutiven Funktionen werden häufig in die drei Faktoren kognitive Flexibilität, Arbeitsgedächtnis und Inhibition unterteilt [4]. In der Abbildung 1 sind konkrete Beispiele für die drei Exekutiven Funktionen angegeben.
Wie können kognitive Faktoren gemessen werden?
Die Entscheidungskompetenz von Spielern wird in der sportpsychologischen Forschung vornehmlich über videobasierte Tests im Labor erfasst. In der Regel werden fußballspezifische Situationen auf einer Videoleinwand präsentiert und die getesteten Spieler sollen sich so schnell wie möglich entscheiden, wie sie in der gezeigten Situation das Spiel fortsetzen würden (z. B. Pass zum linken oder rechten Mitspieler).
Andere Ansätze zur Erfassung der Entscheidungskompetenz favorisieren die Beobachtung konkreter Handlungen im Spiel bzw. in Spielformen [6,7]. Die Stärke dieser feldbasierten Diagnostiken besteht in der Nähe zur Fußballpraxis, da Spieler von Fußballexperten während des Fußballspielens hinsichtlich ihrer Entscheidungskompetenz eingestuft werden. Andererseits werden im Vergleich zu Labortests die Leistungen weniger objektiv und standardisiert erhoben.
Die dem Entscheiden im Fußball zugrunde liegenden kognitiven Faktoren werden über fußballspezifische und über fußballunspezifische (allgemeine) kognitive Aufgabenstellungen erfasst [8-Vortrag]. Beispiele für fußballspezifische kognitive Aufgaben sind u. a. die Antizipation und Mustererkennung in Spielsituationen.
Beim Expert Performance Approach bekommen die Testpersonen fußballspezifische Videostimuli präsentiert und sollen spezifische Aufgaben lösen (z. B. Antizipation eines Torschusses, Entscheidung zwischen möglichen Passoptionen). Dabei werden die kognitiven Prozesse der Testpersonen mit klassischen Methoden der Kognitionspsychologie detailliert analysiert (u. a. Reaktionszeitmessung, Eye-Tracking, Temporal- und Spatial-Occlusion-Technik; für einen Überblick vgl. [9]).
Beim Cognitive Component Skills Approach werden sportunspezifische Testverfahren zur Diagnostik eingesetzt, die zumeist aus der klinischen und Neuropsychologie stammen. In aktuellen Studien zum Fußball [10,11] wurden z. B. Testverfahren wie der Trail Making Test [12], der Stop Signal Test (z. B. [13]) oder das Multiple Object Tracking [14] eingesetzt, um Exekutive Funktionen von Spielern zu messen.
Wie können kognitive Faktoren trainiert werden?
Kognitive Faktoren im Fußball sollten vor allem durch Trainingsmaßnahmen „auf dem Platz” und insbesondere durch Spielformen geschult werden. In spieltypischen Situationen sammeln Spieler spezifisches Erfahrungswissen und lernen relevante „Muster“ einer Spielsituation kennen.
Geeignete Spielformen stellen die Spieler vor situativ zu lösende Aufgaben (z. B. „Gehe ich mit Ball in ein 1 vs. 1 oder spiele ich ab?“), die dem tatsächlichen Handeln im Spiel möglichst nahe kommen. Spieler sollen lernen, in konkreten Spielsituation jeweils die reizvollste Handlungsalternative zu erkennen, die sie selbst mit ihren eigenen technischen und konditionellen Möglichkeiten umsetzen können („Was ist aktuell die Alternative mit der höchsten resultierenden Torgefahr und kann ich diese Alternative realisieren?“). Dies bietet die Grundlage für die hohe Entscheidungskompetenz eines Spielers.
Die sportpsychologische Forschung hat in den letzten Jahren zusätzliche Perspektiven zur Förderung kognitiver Faktoren im Sinne eines Ergänzungstrainings zu den Maßnahmen auf dem Trainingsplatz entwickelt [18]. Zur Förderung der fußballspezifischen Entscheidungskompetenz und der perzeptuell-kognitiven Fertigkeiten (z. B. Mustererkennung, Antizipation) eines Spielers – oder auch von Schiedsrichterassistenten [19] – gilt im Rahmen des Expert Performance Approach das videobasierte Wahrnehmungs- und Entscheidungstraining als vielversprechender Ansatz. Den Spielern werden Videos gezeigt, die bestimmte Spielsituationen simulieren. Je nach Instruktion sollen die Spieler bestimmte Aufgaben bei der Betrachtung der Videos lösen. So sollen Spieler antizipieren, wie sich eine Spielsituation weiterentwickelt (z. B. „In welche Richtung fliegt der Ball bei einem im Video gezeigten Schuss bzw. Pass?“) oder entscheiden, wie sie als Spieler in der gezeigten Spielsituation handeln würden (z. B. „Wie würdest Du als ballbesitzender Spieler die Situation fortführen?“). Ein systematischer Review zu 25 internationalen Wirksamkeitsstudien zeigt, dass mit videobasiertem Training die perzeptuell-kognitiven Fertigkeiten und die Entscheidungskompetenz gesteigert werden können [20].
Vertreter des Cognitive Component Skills Approach gehen davon aus, dass auch durch das Training allgemeiner kognitiver Faktoren (z. B. Exekutive Funktionen), die kognitive Leistungsfähigkeit eines Fußballspielers gesteigert werden kann. Neben allgemeinen praxisorientierten Ansätzen zur Förderung der exekutiven Funktionen (z. B. [5,21]) werden computerbasierte Trainingsprogramme angeboten, um die exekutiven Funktionen oder allgemeine kognitive Faktoren zu verbessern. Im Vergleich zu den videobasierten Trainings existieren bisher jedoch nur wenige Wirksamkeitsstudien zu diesen computerbasierten Programmen [22]. Einzelne Studien deuten das Potenzial entsprechender Trainingsprogramme an. So konnten in einer kontrollierten Trainingsstudie von Romeas et al. (2016) [11] signifikante Verbesserungen im Entscheidungsverhalten bezüglich des Passspiels (aber nicht bezüglich des Dribblings oder Torschusses) durch ein Training (10 Einheiten) des 3D-Multiple-Object-Trackings gezeigt werden (für eine weitere Wirksamkeitsstudie eines anderen computerbasierten Programms vgl. [6]). Allerdings scheint die Befundlage im Moment noch zu schwach und zu inkonsistent, um evidenzbasiert den Einsatz von computerbasierten Trainingsprogrammen zur Förderung der kognitiven Leistungsfähigkeit im Fußball zu empfehlen.
Autor des Textes ist Prof. Oliver Höner von der Universität Tübingen. Die Inhalte basieren auf dem Vortrag "Die Bedeutung kognitiver Faktoren für die Leistungsfähigkeit von Fußballspielern", den Prof. Höner 2017 auf dem Internationalen-Trainer-Kongress in Bochum gehalten hat.
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Literatur
- Höner, O. (2017). Die Bedeutung kognitiver Faktoren für die Leistungsfähigkeit von Fußballspielern. Vortrag auf dem Internationalen-Trainer-Kongress in Bochum.Studie lesen
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