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Elterlicher Stress am Spielfeldrand

Warum bei Eltern oft die Nerven blank liegen, wenn ihre Kinder kicken.

Eine Studie betrachtet den elterlichen Stress am Spielfeldrand.
    • Stressoren, die sich auf das Kind beziehen, stellen die größte Kategorie (45 %) dar, gefolgt von denen, die andere Fußballeltern (18 %) und den Trainer bzw. die Trainerin des Kindes (15 %) betreffen.
    • Stressoren, die den Trainer bzw. die Trainerin betreffen, nehmen Eltern deutlich häufiger als Herausforderung wahr als solche, die ihr eigenes Kind oder andere Fußballeltern betreffen.
    • Die wahrgenommene Wut ist in stressigen Situationen mit den Trainer*innen am höchsten.
    • Die Talententwicklung in einem Nachwuchsleistungszentrum ist eine hochemotionale Erfahrung, die durch die gegenseitige Abhängigkeit der Verhaltensweisen, Beziehungen und Interaktionen der Hauptakteure Eltern, Kinder und Trainer*in gekennzeichnet ist.
Abstract

Wie in vielen anderen Lebensbereichen, spielen Eltern auch bei der sportlichen Entwicklung ihrer Kinder eine zentrale Rolle und begleiten diese häufig mit vollem Einsatz und nicht selten auch hochemotional auf ihrem Weg. Was löst elterlichen Stress am Spielfeldrand aus und wie beeinflusst das emotionale Verhalten die Beziehungen zwischen Eltern, Trainer*innen und Kind in professionellen Nachwuchsleistungszentren? Dieser Frage geht eine aktuelle Studie nach, in welcher 330 Eltern, deren Kinder in einem Nachwuchsleistungszentrum aktiv sind, befragt wurden. Die Ergebnisse zeigen: Die meisten Stressoren beziehen sich auf das eigene Kind, gefolgt vom Verhalten anderer Fußballeltern und des Trainers bzw. der Trainerin.

Beziehungsdreieck Eltern-Trainer*in-Kind 

Keine Frage, Fußball ist ein mitreißendes Spiel. Allzu oft aber geraten Eltern, die das Spiel ihrer Sprösslinge am Seitenrand verfolgen, in einen emotionalen Ausnahmezustand: Sie brüllen, fluchen, pöbeln. Verhaltensregeln oder gar Sperrzonen verhelfen nicht immer zu besserem Benimm. Woher kommt dieses Verhalten und wie sehen Eltern ihr Verhalten an der Seitenlinie selbst? Ein Forschungsprojekt des Psychologischen Instituts der Deutschen Sporthochschule Köln hat nach Antworten gesucht.

In umfangreichen Befragungen wurden Eltern, Trainer*innen und Kinder aus verschiedenen Leistungsniveaus im Jugendfußball danach befragt, wie sie das elterliche Unterstützungsverhalten und das Verhalten am Spielfeldrand wahrnehmen. Mit ihrem multiperspektivischen Blick auf das Beziehungsdreieck Eltern-Trainer*in-Kind will das Forscherteam eine Lücke in der bisherigen Forschung zum Thema schließen. Zwar ist mittlerweile gut untersucht, was genau elterlichen Stress am Spielfeldrand auslöst, wenig bekannt ist aber, wie das emotionale Verhalten die Beziehungen zwischen allen Akteuren beeinflusst und was getan werden kann, um eine positive Atmosphäre rund um Training und Wettkampf zu schaffen. Wirksame Bildungsprogramme für ein respektvolles Miteinander drängen angesichts steigender Spielabbruchquoten im Amateur- und Nachwuchsfußball. Allein in den Altersstufen D-F-Junioren kam es in der Saison 2022/23 zu 126 Spielabbrüchen wegen Gewalt oder verbaler Diskriminierung, berichtet der DFB.

Einzelstudie nimmt Nachwuchsleistungszentren in den Blick

Bislang wenig untersucht ist, wie Eltern von Kindern, die als vielversprechende Talente in Nachwuchsleistungszentren trainieren, mit Stress umgehen. Gerade in diesem hoch professionalisierten Leistungsumfeld tragen die elterliche Unterstützung wie auch die Interaktionen und Beziehungen zwischen Eltern und Trainer*innen nachweislich zur sportlichen und persönlichen Entwicklung der jungen Spieler*innen bei und beeinflussen die Talententwicklung erheblich [1]. Zugleich zeigen Interviews mit Eltern britischer Jugendfußballakademien, dass sich Eltern beim Übergang ins Akademieumfeld vor neue Strukturen und Anforderungen gestellt sehen, denen sie gerecht werden müssen, um ihre Identität als Sporteltern zu formen und ihre Kinder bestmöglich zu unterstützen [2]. Wie Eltern mit dem neuen Umfeld umgehen, wirkt sich darauf aus, wie sie die Wettkampferfahrungen und -ergebnisse ihrer Kinder wahrnehmen und bewerten [3].

In einer wissenschaftlichen Studie befragte das Forscherteam deshalb gesondert Eltern, deren Kinder in Nachwuchsleistungszentren spielen, zum Thema. An der Online-Umfrage, die über Manager und Trainer*innen aller Nachwuchsleistungszentren in Deutschland verschickt worden ist, nahmen 330 Eltern teil. Das Alter ihrer Kinder lag zwischen 7 und 18 Jahren. Die Kinder waren fast alle männlich, spielten im Schnitt seit acht Jahren Fußball, verbrachten drei Jahre in einer Jugendfußballakademie und trainieren zwischen zwei und acht Mal pro Woche. Die Mehrheit der Eltern (65 %) war verheiratet und ein Großteil (34 %) hatte einen Hochschulabschluss. Außerdem hatten die Eltern mehrheitlich (69 %) einen sportlichen Hintergrund, zumeist Fußball (31 %).

Was Eltern stresst

Was elterlichen Stress triggert, lässt sich in elf Kategorien fassen:

  1. das eigene Kind (Spielzeit, Verletzungsfolgen, Spielfehler),
  2. andere Eltern (verbales Fehlverhalten an der Seitenlinie, Unzufriedenheit mit dem Trainer bzw. der Trainerin),
  3. der Trainer (Kritik an seiner Handlungsweise, Fehlverhalten, schlechtes Feedbackverhalten, mangelnde Kommunikation mit den Eltern),
  4. eigener Leistungsanspruch/Erwartungshaltung (Ärger, Frustration, Angst, Sorge, Traurigkeit, Enttäuschung in Bezug auf die Leistung ihres Kindes, empfundene Hilflosigkeit hinsichtlich des Schutzes des körperlichen und psychischen Wohlbefinden des Kindes),
  5. Situationen im Spiel (Elfmeterschießen, Rückstand, Niederlagen),
  6. der Gegner des Kindes (schlechtes sportliches Verhalten, unfaires/aggressives Spielen),
  7. die Schiedsrichter*innen (falsche Entscheidung, ungerechtfertigte Strafen),
  8. die Organisation vor dem Wettkampf (Logistik rund um Reisen zum Wettkampf, Auswirkungen des Spielplans auf die Familie),
  9. Umweltfaktoren (Corona),
  10. die Mannschaft des Kindes und
  11. die Zuschauer. 

Stressoren, die sich auf das Kind beziehen, stellten die größte Kategorie, gefolgt von denen, die sich auf andere Fußballeltern und die Trainer*innen beziehen.

Das Wohlergehen des eigenen Kindes

Im Einklang mit bisherigen Forschungserkenntnissen führen in der Umfrageauswertung Stressoren, die sich auf das Kind beziehen, die Liste der Stressoren an (47 %). In der Rolle des Zuschauers fühlen sich Eltern vor allem in ihrer elterlichen Fürsorge angesprochen. Insbesondere Verletzungen oder grobe Fouls lösen bei den Eltern starke negative Emotionen aus, wie Sorge um das körperliche Wohlergehen des Kindes oder Angst vor negativen Folgen für die Spielerkarriere, was die Notwendigkeit einer ganzheitlichen Bewertung der Belastung der Eltern unterstreicht. Besonders häufig berichten Eltern, sich handlungsunfähig oder hilflos zu fühlen, wenn sie ihrem Kind bei einem Wettkampf zusehen, woraus die Autor*innen schließen, dass die empfundene Ohnmacht der belastendste der kindbezogenen Stressoren zu sein scheint.

Andere Fußballeltern 

Anders als frühere Untersuchungen erwiesen sich andere Fußballeltern als zweitgrößter Stressfaktor (18 %). Als besorgniserregend bezeichnen die Studienautoren den hohen Anteil, die Schwere und die Vulgarität der berichteten verbalen Ausbrüche am Spielfeldrand. Solches Fehlverhalten sei nachteilig für das Fairplay. Was die Umfrageergebnisse auch zeigen: Viele Eltern ermutigen ihre Kinder gezielt zu aggressivem Spielverhalten und gegnerische Spieler körperlich grob anzugehen, was auf eine erhöhte Erfolgsorientierung und ein mangelndes Moralgefühl hindeutet.

Entscheidungen und Verhalten des Trainers

Die drittgrößte Stressoren-Kategorie betrifft die Trainer*innen (15 %). Meist geht es um vermeintliche Fehlentscheidungen bei der Startaufstellung, Auswechslung oder Spieltaktik. Genannt wurden auch mangelnde Wertschätzung der Spieler, die vermeintliche Bevorzugung bestimmter Spieler oder fehlendes Feedback und die empfundene Belastung, wenn Trainer*innen nicht sofort auf Verletzungen reagieren.

Interessanterweise ergab die Auswertung der Elternaussagen, dass Eltern Stressoren, die die Trainer*innen betrafen, deutlich häufiger als Herausforderung wahrnehmen als solche, die ihr eigenes Kind oder andere Fußballeltern betreffen. Dabei halten sich Eltern in Stresssituationen mit anderen Fußballeltern für besonders kompetent, sogar mehr als in Stresssituationen, die die Trainer*innen oder ihr eigenes Kind betreffen. Die wahrgenommene Wut ist hingegen in stressigen Situationen mit den Trainer*innen am höchsten, was mit früheren Forschungserkenntnissen übereinstimmt.

Sportlicher Hintergrund der Eltern spielt keine Rolle

Auffällig viele Eltern, die an der Umfrage teilnahmen, waren oder sind selbst Leistungssportler oder spielen Fußball. Allerdings konnte sich die Annahme, dass Eltern mit einem sportlichen Hintergrund empathischer sind und daher besser mit Stress am Spielfeldrand umgehen können, in der Datenanalyse nicht bestätigen. Als Eltern das Spiel des eigenen Kindes zu verfolgen, scheint demnach eine einzigartige und anspruchsvolle Erfahrung zu sein, die nicht durch Vorerfahrung beeinflusst wird, stellen die Studienautoren fest.

Stressoren wirken sich auf mehreren Ebenen aus

Was die Studie schwächt, ist die hohe Abbruchquote während der Umfrage. Etwa ein Drittel der Eltern hat die Beantwortung des Online-Fragebogens an der Stelle abgebrochen, wo sie ihre Stresserfahrungen ausführlich beschreiben sollten. Zudem werden bei solchen Beurteilungen durchlebter Gefühle emotionale Erfahrungen in der Erinnerung häufig unter- oder überschätzt. Gleichwohl geht die Studie mit ihrem ganzheitlichen Ansatz über einen direkten Ursache-Wirkung-Zusammenhang hinaus und kann somit aufzeigen, wie sich die Interaktion zwischen Eltern, Trainer*innen und Kind auf die Emotionen in unterschiedliche Weise auswirken. So kann das Versäumnis der Trainer*innen, dem Kind oder den Eltern zu erklären, warum das Kind nicht in der Startaufstellung war oder eingewechselt wurde, sich sowohl auf das Kind auswirken (z. B. traurig sein, weinen) als auch auf die Eltern (z. B. wütend sein) sowie auf die Eltern-Kind-Beziehung (z. B. elterliche Traurigkeit aufgrund der Traurigkeit des Kindes und Trösten). Das Beispiel zeigt, dass die Talententwicklung in einem Nachwuchsleistungszentrum eine komplexe und hochemotionale Erfahrung ist, betonen die Studienautor*innen, „die durch die gegenseitige Abhängigkeit der Verhaltensweisen, Beziehungen und Interaktionen der Hauptakteure Eltern, Kinder und Trainer*in gekennzeichnet ist“.

Fazit

Die Ergebnisse deuten jedoch darauf hin, dass es gerade in diesem Leistungsumfeld eines intensiveren Austauschs zwischen Eltern und Trainer*innen bedarf, wie elterliche Unterstützung aussehen sollte. Trainer*innen und Betreuer*innen sollten Eltern ausführlicher und regelmäßiger informieren. Rechtzeitiges Feedback könnte dazu beitragen, elterlichen Stress zu mindern und sie für eine Zusammenarbeit zum Wohle des Nachwuchstalents zu gewinnen. Eine weitere wichtige Erkenntnis für mögliche Bildungsprogramme und Unterstützungsangebote für Eltern liefern vorausgegangene Studien des Forschungsprojekts. Sie zeigen, dass die emotionale Belastung für Eltern bei jüngeren Kindern (6 bis 13 Jahre) höher ist als bei älteren Jahrgängen [4].

Die Inhalte basieren auf der Studie „Parents’ competitive stressors in professional German youth soccer academies: A mixed-method study“, die 2022 in der Fachzeitschrift „Psychology of Sport and Exercise“ veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Eckardt, V. C., Dorsch, T. E., & Lobinger, B. H. (2022). Parents’ competitive stressors in professional German youth soccer academies: A mixed-method study. Psychology of Sport and Exercise, 58, 102089.
    Studie lesen
    1. Mills, A., Butt, J., Maynard, I., & Harwood, C. (2014). Toward an understanding of optimal development environments within elite English soccer academies. The Sport Psychologist, 28(2), 137-150.

    2. Clarke, N. J., & Harwood, C. G. (2014). Parenting experiences in elite youth football: A phenomenological study. Psychology of Sport and Exercise, 15(5), 528-537.

    3. Harwood, C., Drew, A., & Knight, C. J. (2010). Parental stressors in professional youth football academies: A qualitative investigation of specialising stage parents. Qualitative Research in Sport and Exercise, 2(1), 39-55.

    4. Lobinger, B. H., Eckardt, V. C., & Lautenbach, F. (2021). Three perspectives on parental support in youth soccer: Children, parents, and coaches. International Journal of Sports Science & Coaching, 16(4), 886-899.