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Elfmeter sicher verwandeln – mit Köpfchen

Die Treffsicherheit bei einer torwartabhängigen Strategie gezielt verbessern

Eine Studie zum Thema "Elfmeter sicher verwandeln - mit Köpfchen".
    • Durch unbewusstes, spielerisches Elfmetertraining (implizites Lernen), wird der Bewegungsablauf besser „automatisiert“ und lässt bei der torwartabhängigen Strategie somit mehr kognitive Ressourcen für die Entscheidung, wohin der Ball platziert wird.
    • Im Vergleich zum expliziten oder deklarativen Lernen, wo der Lernprozess deutlich bewusster abläuft, führen beide Trainingsmethoden zu ähnlich guten Entscheidungen. Die implizite Methode erhöht jedoch zudem die Schussgenauigkeit beim Elfmeter.
    • Um die Leistung zu verbessern, empfiehlt es sich, mit leichten Übungen zu beginnen und den Schwierigkeitsgrad schrittweise zu erhöhen.
Abstract

Oft wird das entscheidende Spiel im Elfmeterschießen gewonnen. Pures Glück? Nicht unbedingt. Ein internationales Forscherteam schlägt eine Methode vor, wie Torschützen ihre Chancen auf einen Treffer bei einer torwartabhängigen Strategie effektiv verbessern können. Dabei beabsichtigt der Schütze, den Ball auf die gegenüberliegende Seite zu schießen, für welche sich der Torwart entscheidet. Die Wissenschaftler konnten zeigen, dass implizites und explizites Training zwar zu einem ähnlichen Niveau der Entscheidungsfindung führt, allerdings wird dies bei Anwendung der impliziten Methode mit einer höheren Schussgenauigkeit erreicht. Daraus schließen die Wissenschaftler, dass ein Spieler nach implizitem Training, weniger Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses für die Entscheidungsfindung bei der Ausführung des Elfmeters benötigt und sich daher vermehrt auf die genaue Ausführung des Schusses konzentrieren konnten.

Gleichzeitig denken und handeln 

Exakt 10,97 Meter liegt der Elfmeterpunkt vom Tor entfernt. Gut platziert, entscheidet der Torschuss über Sieg oder Niederlage. Nur 22% des Tors kann der Torwart räumlich abdecken, hat ein Physiker errechnet [1]. Was nach einer leichten Aufgabe für den Schützen klingt, ist sportpsychologisch betrachtet eine komplexe Leistung. Und das nicht nur, weil der Schütze während des Strafstoßes unter enormen Wettkampfdruck steht.

Zwei Techniken gibt es, um den Ball gut zu platzieren: Der Schütze schießt in eine zuvor ausgespähte Ecke, ohne auf die Bewegung des Torwarts zu achten (torwartunabhängig) – oder er antizipiert die Aktion des Torwarts und schießt strategisch (torwartabhängig). Letztere gilt als die effektivere Methode, die eine höhere Trefferquote verspricht. Sie ist aber auch viel anspruchsvoller. Denn bei der torwartabhängigen Variante muss der Schütze zwei Aufgaben gleichzeitig absolvieren: Er muss den Torwart genau beobachten und die kleinsten Anzeichen, in welche Ecke dieser springen wird, richtig deuten, um im letzten Moment zu entscheiden, wie er den Ball platziert. Zugleich muss er einen möglichst präzisen Schuss ausführen. Untersuchungen haben gezeigt, dass diese Doppelaufgabe in dieser ohnehin schon stressigen Situation, schlechter gelingt, wenn das Zeitfenster für die Entscheidungsfindung kleiner wird. Etwa, weil der Torwart sich erst spät in Bewegung setzt [2, 3]. Die Folge: Der Torschuss wird unpräziser. Sportwissenschaftler vermuten, dass deshalb nur 10-15% der Profifußballspieler die torwartabhängige Strategie im Wettkampf anwenden, obwohl die Erfolgsquote ähnlich hoch ist wie bei der torwartunabhängigen Strategie [4]. Wie aber können Elfmeterschützen ihre Schusstechnik bzw. die Genauigkeit des motorischen Ablaufs in dieser Drucksituation verbessern?

Doppelaufgaben besser lösen

Vor diesem Hintergrund hat ein Forschungsteam eine Trainingsmethode angewendet, die das Gehirn gewissermaßen austrickst. Sie setzt auf den Unterschied zwischen explizitem und implizitem Lernen. Explizite Lernmethoden schaffen beim Lernenden deklaratives Wissen (d. h. angehäuftes Sachwissen – beispielsweise darüber, wie man sich bewegt), welches im Arbeitsgedächtnis gespeichert wird. Von dort wird das Gelernte dann abgerufen, wenn die Bewegung ausgeführt wird. Explizite Lernmethoden führen zu einer längeren Abhängigkeit von bewusster Kontrolle bei der Handlungsausführung. Bezogen auf den Sport bedeutet das, dass sich die Sportler verstärkt auf die Ausführung der jeweiligen Technik konzentrieren müssen [5, 6, 7].

Im Gegensatz dazu, zielen implizite Lernmethoden auf den Aufbau von prozeduralem Wissen, indem sie das Arbeitsgedächtnis umgehen, sodass die Ansammlung von deklarativem Wissen minimiert wird [5, 6, 7]. So wird ein Bewegungsablauf „automatisiert“. Ein Fußballspieler beispielsweise kann dadurch mehrere Handlungen gleichzeitig mit höherer Qualität durchführen. Der Vorteil beim Strafstoß: Orientiert sich der Elfmeterschütze bei der Entscheidung, in welche Ecke er schießt, an dem Verhalten des Torwarts, läuft das Kontrollieren des Balls und die präzise Ausführung des Schusses unbewusst ab. Somit kann er sich besser darauf konzentrieren, den Ball optimal zu platzieren. Der Nachteil: „Die Entscheidungsfindung belastet kognitive Ressourcen, was zu einer Verschlechterung der motorischen Leistung führen kann“, erklären die Forscher. „Für das Elfmeterschießen bedeutet das, dass eine Lernmethode bevorzugt werden sollte, die die Belastung der kognitiven Ressourcen minimiert.“

Um ihre These, dass implizites Lernen neben der Entscheidungsleistung zu präziseren Schüssen führt, zu testen, verglichen die Forscher die beiden Methoden. Sie ließen 20 hochtalentierte Nachwuchs-Fußballerinnen (Durchschnittsalter: 17,3 ± 2,8 Jahre) aus Jugendakademien in den Niederlanden und Brasilien in zwei Gruppen das Elfmeterschießen üben – auf implizite und auf explizite Weise.

Zielgenau schießen mit und ohne Torwart

Die Studienteilnehmer beider Gruppen schossen Elfmeter auf eine Hallenwand, auf welche ein reguläres Tor (7,32 m × 2,44 m) projiziert war. In die linke bzw. rechte obere Torecke wurden zusätzlich rote Zielkreise projiziert (Mittelpunkt: 0,8 m unterhalb der Latte und 0,9 m neben dem Pfosten), die es zu treffen galt. Beide Gruppen absolvierten nach einer Aufwärmphase mit sechs freien Schüssen zunächst eine Übungsreihe mit 60 Elfmetern (30 pro Seite), bei der die Größe des Zielkreises verändert wurde. Bei der Gruppe, welche die Schussgenauigkeit implizit verbessern sollte, wurde die Kreisgröße nur graduell um zwei Zentimeter von einem Versuch zum nächsten verkleinert, beginnend mit dem größten Kreis (Ø: 80 cm) bis hin zum kleinsten Kreis (Ø: 22 cm). Bei der Gruppe, die explizit lernen sollte, waren die Größenveränderungen dagegen deutlich erkennbar. Sie wiesen einen Unterschied von mindestens zehn Zentimetern auf und wurden den Schützen zudem in zufälliger Reihenfolge präsentiert. 

„Auf diese Weise waren die Veränderungen in der Zielgröße und damit die Schwierigkeit der Aufgabe für die Explizites Lernen-Gruppe viel auffälliger als für die Implizites Lernen-Gruppe“, erklären die Autoren ihre Methode. Dahinter steht die Annahme, dass beim impliziten Lernen die subtilen Änderungen des Schwierigkeitsgrads der Aufgaben nicht immer bewusst wahrgenommen werden, weshalb die Lernenden weniger deklaratives Wissen aufbauen als mit einer expliziten Lernmethode, die auf zufällige und hochgradig auffällige Änderungen des Schwierigkeitsgrads der Aufgabe setzt [8].

Zur Überprüfung, welche Methode zu besseren Erfolgen führt, wurde ein zweites Set an Übungseinheiten durchgeführt. Wieder wurden 60 Elfmeter auf den projizierten Zielkreis (Ø: 22 cm) geschossen. Diesmal wurde aber dazu ein animierter Torwart auf das Tor projiziert. In 90% der Schussversuche tauchte der Torwart ab, in den restlichen 10% bewegte er sich nicht. Die Torschützen mussten den Anlauf 3,5 m hinter dem Ball beginnen und wurden angewiesen, auf den Zielkreis zu zielen, der der Seite des sich hechtenden Torwarts gegenüberlag, oder ein Ziel ihrer Wahl zu wählen, falls dieser stehen blieb. Mit anderen Worten: Im Vergleich zu den Übungsversuchen wurde die Aufgabe in den Kontrollversuchen um den Aspekt der gleichzeitigen Entscheidungsfindung erweitert.

Getestet wurde auch, welche Rolle der Zeitdruck spielt. Der Versuchsleiter löste dazu die Animation zu unterschiedlichen Zeitpunkten während des Anlaufs des Torschützen aus: in 2,4 m Entfernung vom Ball (d. h. früh im Anlauf, ca. drei Schritte vom Ball entfernt); in 1,6 m Entfernung vom Ball (d. h. in der Mitte des Anlaufs, ca. zwei Schritte); und in 0,8 m Entfernung vom Ball (d. h. spät im Anlauf, ein Schritt).

Implizites Training erhöhte die Treffsicherheit

Im Vergleich der impliziten und expliziten Trainingsmethode fiel die Entscheidungsleistung beider Gruppen gleich gut aus (vgl. TAB. 01). Allerdings zeigten die Spieler, die nach der impliziten Methode trainiert hatten eine bessere Schussgenauigkeit als die Spieler, die eine explizite Trainingsmethode absolviert hatten. „Die Spieler der Explizites Lernen-Gruppe scheinen mehr auf die Ressourcen des Arbeitsgedächtnisses zurückgegriffen zu haben, was zu einer schlechteren motorischen Leistung geführt hat“, schlussfolgern die Forscher. „Im Gegensatz dazu benötigt die Leistung nach dem impliziten Lernen weniger kognitive Ressourcen und ermöglicht daher eine bessere Bewältigung von Doppelaufgaben, wenn eine davon eine motorische Aufgabe ist.“

Interessant ist auch die Erkenntnis, dass in diesem Zusammenhang der Zeitdruck keine Einflussgröße ist. Es ist gut belegt, dass die Leistung bei der Entscheidungsfindung beim Elfmeterschießen unter Druck abnimmt [2]. Die Forscher hatten angenommen, dass dieser Leistungsabfall nach einem expliziten Training ausgeprägter sein würde. Tatsächlicher aber waren beide Gruppen gleichermaßen von dem zunehmenden Zeitdruck betroffen. Beide Gruppen zeigten hervorragende Leistungen (d. h. 94-98% der Schüsse wurden auf die richtige Seite gelenkt), wenn mehr als 850 Millisekunden für die Entscheidung und Ausführung des Schusses zur Verfügung standen. Wurde die Zeit auf weniger als 500 Millisekunden reduziert, schnitten beide Gruppen nur geringfügig besser ab als das Zufallsniveau (d. h. 56-57% der Schüsse wurden auf die richtige Seite gelenkt). Somit fanden die Forscher keine Hinweise auf eine Veränderung der Arbeitsgedächtnisbelastung.

Fazit

Die Forscher empfehlen, um die torwartabhängige Strategie zu trainieren, implizite Übungsmethoden anzuwenden. Dabei sollte der Schwierigkeitsgrad allmählich gesteigert werden, in dem zum Beispiel zunächst aus kürzeren Entfernungen geschossen wird, bis die vorgeschriebene Elfmeter-Distanz zum Tor erreicht wird. Verändert werden sollte auch der Zielbereich im Tor, von einer relativ großen Vorgabe zu einem sehr kleinen Treffbereich.

Die Inhalte basieren auf der Studie „Implicit learning increases shot accuracy of football players when making strategic decisions during penalty kicking”, die 2018 in der Fachzeitschrift „Human Movement Science“ veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Navarro, M., van der Kamp, J., Schor, P., & Savelsbergh, G. (2018). Implicit learning increases shot accuracy of football players when making strategic decisions during penalty kicking. Human Movement Science, 61, 72-80.
    Studie lesen
    1. Tolan, M. (2011). Manchmal gewinnt der Bessere. Die Physik des Fußballspiels.

    2. van der Kamp, J. (2011). Exploring the merits of perceptual anticipation in the soccer penalty kick. Motor control, 15(3), 342-358.

    3. Bowtell, M., King, M., & Pain, M. (2009). Analysis of the keeper-dependent strategy in the soccer penalty kick. International Journal of Sports Science and Engineering, 3, 93-102.

    4. Noël, B., Furley, P., van der Kamp, J., Dicks, M., & Memmert, D. (2015). The development of a method for identifying penalty kick strategies in association football. Journal of Sports Sciences, 33(1), 1-10.

    5. Masters, R. S. W. (1992). Knowledge, knerves and know-how: The role of explicit versus implicit knowledge in the breakdown of a complex motor skill under pressure. British Journal of Psychology, 83, 343-358.

    6. Masters, R. S. W., Maxwell, J. P. (2004). Implicit motor learning, reinvestment and movement disruption: What you don’t know won’t hurt you. In: Williams, A. M., Hodges, N. J. (Eds.). Skill acquisition in sport (pp. 207-228).

    7. Maxwell, J. P., Masters, R.S.W., Eves, F.F. (2003). The role of working memory in motor learning and performance. Consciousness and Cognition, 12, 376-402.

    8. Poolton, J. M., Masters, R. S. W., & Maxwell, J. P. (2005). The relationship between initial errorless learning conditions and subsequent performance. Human Movement Science, 24, 362-378.