Wissen
Kompetenzentwicklung von Trainern im Spitzenfußball
Selbst- und Fremdbild und Karrierephasen
- Im Rahmen der Selbst- und Fremdeinschätzung bewerteten die Sportdirektoren die Trainer kritischer als diese sich selbst.
- Bei den Teilkompetenzen der Spieler- und Mitarbeiterförderung und der Entscheidungsfähigkeit sehen sowohl die Trainer als auch die Sportdirektoren Verbesserungspotenzial.
- Die Teilkompetenzen Einsatzbereitschaft/Engagement und Teamfähigkeit sowie die operativen Kompetenzen Trainingsplanung/-durchführung und Spielvor- und -nachbereitung betrachten beide Seiten als Stärke.
- Insbesondere in den Kompetenzfeldern, die für die Beziehungsgestaltung von Bedeutung sind, ist ein externer Feedbackgeber von großer Bedeutung, um die Gefahr der persönlichen Über- oder Unterschätzung zu reduzieren.
- Für die persönliche Kompetenzentwicklung sind Mentoren und Vorbilder von großer Bedeutung. Ebenso wirken Misserfolge und Erfolge in der Nachbetrachtung als besondere Treiber der persönlichen Entwicklung.
Abstract
Julian Nagelsmann, Thomas Tuchel, Jürgen Klopp und Hansi Flick gehören zu den bekanntesten und erfolgreichsten Trainern Europas dieser Zeit. Sie stehen für „Trainerqualität made in Germany“ und verkörpern die neue Trainergeneration, die sich steigenden Erwartungen und Anforderungen stellen muss. Unterschiedliche Entwicklungen haben dazu geführt, dass die Traineraufgaben vielfältiger und komplexer geworden sind. Die Studie setzte sich zum Ziel, herauszufinden, wie Trainer in der Selbst- und Fremdeinschätzung betrachtet werden. Zudem sollte durch Gespräche mit Experten (Trainer, Sportdirektoren) erörtert werden, wie sich die Trainer in einzelnen Karrierephasen weiterentwickelt haben.
Übersicht der Untersuchung
In der vorliegenden Untersuchung wurden zwei Vorstudien und eine Hauptstudie durchgeführt. Während in der ersten Vorstudie die Aufgaben des Cheftrainers im Mittelpunkt standen, wurden in der zweiten Vorstudie die wichtigsten Kompetenzen eines Cheftrainers identifiziert. In der Hauptstudie (Befragung von 11 Sportdirektoren und 17 Cheftrainern) wurden schließlich das Selbst- und Fremdbild sowie die Karrierewege analysiert. Zudem wurden die Sportdirektoren über die Auswahlverfahren befragt. In diesem Beitrag soll der Fokus auf das Selbst- und Fremdbild sowie wichtige Karrierephasen zur Kompetenzentwicklung gelegt werden.
Kompetenzatlas
Die Systematik der für Profitrainer*innen im Fußball wesentlichen Kompetenzen ist dem sogenannten Kompetenzatlas zu entnehmen (ABB. 01). Erpenbeck und Heyse haben auf Basis der vier Basiskompetenzen einen Kompetenzatlas mit 64 Teilkompetenzen entwickelt, die wiederum den einzelnen Basiskompetenzen zugeordnet sind [1]. Apitzsch, Coester und Ruediger [2] adaptierten den Atlas schließlich für den Teamsport. Küchle nahm diesen als Fundament, um die wichtigsten Kompetenzen für Cheftrainer*innen im Profifußball zu identifizieren.
Selbst- und Fremdbild der Cheftrainer
Im Rahmen der Selbsteinschätzung bestimmten die Trainer jeweils zwei Teilkompetenzen pro Basiskompetenzbereich, in denen sie über ausgeprägte Kompetenzen verfügen und zusätzlich die, in denen sie das deutlichste Verbesserungspotenzial sehen. Gleichermaßen gingen die Sportdirektoren im Rahmen der Fremdeinschätzung vor. Als Stärken oder Verbesserungspotenziale wurden die Teilkompetenzen einbezogen, die von mindestens 50 % der Befragten ausgewählt wurden. ABB. 02 zeigt die Gegenüberstellung der Selbst- und Fremdeinschätzung mit farblicher Kennzeichnung der genannten Stärken (grün) bzw. Verbesserungspotenziale (rot).
Die Teilkompetenzen Einsatzbereitschaft/Engagement, Teamfähigkeit sowie die operativen Kompetenzen der Spielvor- und -nachbereitung sowie Trainingsplanung/-durchführung wurden sowohl von den Trainern als auch von den Sportdirektoren als Stärken identifiziert. Bei der Spieler- und Mitarbeiterförderung und der Entscheidungsfähigkeit sehen beide Parteien Verbesserungspotenzial.
„Entscheidungsfähigkeit würde ich mir ein bisschen mehr wünschen, das sieht man anhand der Auswechslungen. Viele Trainer wechseln teils sehr spät.“ (Sportdirektor)
„Ich treffe die Entscheidung, aber ich muss sie noch klarer entscheiden und noch klarer kommunizieren.“ (Trainer)
Disziplin, ergebnisorientiertes Handeln, analytische Fähigkeiten und Expertise werden von den Sportdirektoren ebenso als Stärken gesehen. Ergebnisorientiertes Handeln wurde von allen befragten Sportdirektoren als Stärke definiert.
Die Teilkompetenzen Glaub-/Vertrauenswürdigkeit, Spieler- und Mitarbeiterförderung, Zuverlässigkeit, Entscheidungsfähigkeit, Kommunikationsfähigkeit und Coaching-/Beratungsfähigkeit wurden in der Vorstudie sowohl für Normalleister, für Topperformer und als wichtige Zukunftskompetenz unter die 20 wichtigsten Kompetenzen gewählt. Auffällig ist, dass die Sportdirektoren in vier dieser sechs Teilkompetenzen Verbesserungspotenziale sehen. Diese Teilkompetenzen (Glaub-/Vertrauenswürdigkeit, Spieler- und Mitarbeiterförderung, Kommunikationsfähigkeit, Coaching-/Beratungsfähigkeit) sind solche Kompetenzen, die sich in der Beziehungsgestaltung zeigen. Ihre Bewertung ist meistens subjektiv und erfolgt häufig vom Gegenüber. Deshalb ist es für Trainer ratsam, sich in diesen Feldern Feedback und Ratschläge von externen Personen einzuholen.
Wichtige Karrierephasen für die Kompetenzentwicklung
Ein Bestandteil der Untersuchung widmete sich der Kompetenzentwicklung im Lebensverlauf. In welchen Phasen ihres Lebens wurden die Trainer geprägt und in welchen konnten sie ihre Kompetenzen entwickeln? Unterschiedliche Forschungsarbeiten identifizierten die Trainererfahrung, die formale und informelle Bildung als entscheidende Parameter [3]. Die befragten Trainer und Sportdirektoren wurden insbesondere über die Karrierephasen als aktive Spieler, als Trainer vor der Profikarriere, als Trainer während der Profikarriere und zur Bedeutung ihrer Aus- und Weiterbildungsmaßnahmen befragt.
Karrierephase Spieler
Für die Kompetenzentwicklung als Trainer stand laut den Experten insbesondere das aktive Erleben der Sportart Fußball im Vordergrund. Dadurch konnten unterschiedliche Mechanismen eines Mannschaftsgefüges kennengelernt und Erfahrungen in Bezug auf Vorgehensweisen von Trainern oder Denkmustern von Spielern gemacht werden.
„[...] ich sehe es grundsätzlich als Vorteil an, wenn ein Trainer Fußball gespielt hat, weiß, wie ein Mannschaftsgefüge intern auch funktioniert, was für Strömungen entstehen können, auch durch gewisse Trainer, die sie miterlebt haben, dadurch natürlich auch ihre Erfahrungen gemacht haben, um eben auch zu wissen: wenn ich jetzt das und das mache, was wird die Reaktion in der Mannschaft sein.“ (Sportdirektor)
Die Experten sind sich einig, dass eine Spielerlaufbahn als Profi kein Kriterium für einen Trainer im Profifußball darstellt. Dennoch kann diese Erfahrung einen Vorteil darstellen. Entscheidend ist, wie ehemalige Profis diese Erfahrungen nutzen und bereit sind, auch die Trainertätigkeit zu erlernen. In der Profizeit konnten laut den Experten insbesondere die Kompetenzen der Glaubwürdigkeit, Belastbarkeit/Emotionalen Stabilität und die operative Kompetenz der Medien- und Öffentlichkeitsarbeit weiterentwickelt werden.
„Es hat ihr Leben geprägt und jeder zieht da was anderes daraus. Es erhöht die Glaubwürdigkeit, wenn jemand ganz oben war und wirklich erfolgreich war.“ (Sportdirektor)
„Das kann dir natürlich keiner nehmen, das sind Erfahrungswerte, wie du unter Druck vor Zuschauern und dieser ewigen Maschinerie, die ja nicht aufhört, arbeiten kannst. Wenn du 18 Jahre spielst, ist das wie ein Kreislauf. Jedes Jahr dasselbe. Ich habe gute und schlechte Phasen mitgemacht und das ist ein Erfahrungsschatz, den nimmst du mit.“ (Trainer)
Diejenigen, die dagegen nicht als Profispieler aktiv waren, verfügen in jungen Jahren bereits über jahrelange Trainererfahrung, die sie zu ihrem Vorteil nutzen können. Im Verlauf der aktiven Spielerkarriere konnten sich Trainer unabhängig von einer Laufbahn als Profi insbesondere im Bereich der sozial-kommunikativen Kompetenzen entwickeln. Einen großen Beitrag lieferten in dieser Zeit eigene Trainer, Vorbilder und Mentoren.
Karrierephase Trainer (vor und während Profikarriere)
Bevor die Trainer im Profifußball aktiv wurden, haben sie Stationen im Amateur- oder Nachwuchsfußball durchlaufen. Die befragten Experten gehen davon aus, dass der Ausbildungsweg über eine Tätigkeit als Trainer im Nachwuchsleistungszentrum der sinnvollste ist. Gründe hierfür sehen die Experten in der Nähe zum Profifußball aber auch in der Arbeit mit Toptalenten, die es ermöglicht, an Details zu arbeiten.
„Eine Erfahrung im Nachwuchsleistungsbereich ist gerade für Ex- Profis, finde ich, sehr hilfreich, damit sie die Abläufe kennen, damit sie den Arbeitsaufwand lernen, damit sie strukturierter arbeiten.“ (Sportdirektor)
„Also beim NLZ hast du schon oft sehr kompetente Funktionsteams, die dir zuarbeiten und du lernst, früh die einzelnen Teilbereiche gut zu führen und zu verbinden.“ (Sportdirektor)
Nicht für alle Trainer ist der Weg über ein Nachwuchsleistungszentrum der richtige. Während in Nachwuchsleistungszentren oft schon größere Trainerteams vorhanden sind, müssen in Amateurvereinen viele Traineraufgaben übernommen werden.
„Wenn du als Amateurtrainer dir alle Dinge selbst erarbeiten musstest in der Analyse von Spielen, in der Vorbereitung, in der athletischen Entwicklung, bis zur Organisation, dann hat das auch so seine Vorteile, weil du dann die Komplexität in dem Netzwerk der Aufgabe besser verstehst.“ (Sportdirektor)
In der Zeit vor der Profitrainerkarriere konnten die Trainer durch das aktive Ausprobieren ihre Fachkompetenzen und Führungskompetenzen entwickeln. Ohne den großen Ergebnisdruck, der meist auch in den älteren NLZ-Jahrgangsstufen vorhanden ist, konnten Trainer auch herausfinden, welche Vorgehensweisen sie nicht übernehmen würden.
Kritisch betrachteten mehrere Sportdirektoren, dass die Kompetenzentwicklung ab dem Profitrainerdebüt nachlassen würde. Verantwortlich hierfür sei unter anderem das anstrengende Tagesgeschäft. Die meisten Experten waren der Meinung, dass sie sich insbesondere dann noch einmal weiterentwickelten. In den Bereichen der Kommunikationsfähigkeit konnten sich die Trainer noch einmal weiterentwickeln, da die Gespräche laut den Trainern teilweise noch intensiver waren als bei vorherigen Stationen.
„[...] das hab ich so im Profifußball natürlich gelernt, dass da natürlich eine ganz andere Ebene ist, wie du mit den Spielern sprichst“. (Trainer)
Ebenso in den Querschnittskompetenzen der Medien- und der Führungskompetenz konnten sich viele Trainer als Profitrainer noch einmal weiterentwickeln.
„Führung eines Trainerstabs, der sicherlich in einer U23 sehr überschaubar ist, aber im Bereich der Profis dann natürlich ein ganz anderes Ausmaß annimmt.“ (Trainer)
„Du musst einen größeren Staff führen, das kommt hinzu, ein größeres Trainerteam führen.“ (Trainer)
Die Befragten gaben dazu an, dass sich viele Trainer vor allem nach Antritt als Profitrainer noch mal als Gesamtpersönlichkeit entwickeln konnten. Viele Profitrainer greifen mittlerweile auf persönliche Coaches oder Berater zurück, die ihnen bei der Bewältigung von unterschiedlichen sportlichen und außersportlichen Fragestellungen helfen.
Aus- und Weiterbildung
Die formale Ausbildung für Trainer, die im Profifußball arbeiten möchten, ist vorgeschrieben. Als Cheftrainer muss die UEFA Pro Lizenz (Fußballlehrer) absolviert werden. Den Weg der Trainerausbildung haben die Trainer sehr positiv in Erinnerung. Insbesondere die höchste Ausbildungsstufe half den angehenden Fußballlehrern in der Entwicklung, weil sie sich vor allem ein fachliches Gerüst aufbauen konnten.
„Ich war begeistert vom Fußball-Lehrer. Es war sehr viel Stress. Ich habe manchmal auch keinen Bock gehabt, da hoch zu fahren, weil es ja doch 500 Kilometer waren. Sonntagabend hoch, Mittwochnacht wieder nach Hause, nebenher noch Co-Trainer. Für mich war die Ausbildung top. Die Inhalte waren gut.“ (Trainer)
Die persönliche Betreuung während des Lehrgangs hoben die ehemaligen Teilnehmer hervor, denn auch im Bereich der persönlichen Weiterbildung wurde die Bedeutung von Mentoren und Vorbildern hervorgehoben.
„[...] viele trauen sich dann auch gar nicht, diese externe Hilfe sich anzunehmen. Aber für mich war das nie ein Thema und ich bin dankbar, dass mir geholfen wurde, und ich bin froh, dass ich das auch zugelassen hab.“ (Trainer)
Für die Zukunft haben die Experten den Wunsch einer größeren Individualisierung der Trainerausbildung. Es wäre wünschenswert individuelle Angebote für Co-Trainer, Jugendtrainer und Spezialtrainer zu schaffen.
Fazit
Zusammenfassend bewerteten die Trainer jede Lebensphase als wertvoll, um Kompetenzen für den späteren Beruf als Trainer zu entwickeln. Hervorgehoben wurde die Bedeutung von polarisierenden Erfahrungen, wie Zeiten von Misserfolg oder sehr positiven Erfolgen. Von großen Entwicklungssprüngen sprachen die Trainer, die durch sehr schwierige Zeiten gingen und diese durch richtige Entscheidungen abwenden konnten. Diejenigen, die gescheitert sind, konnten durch eine strukturierte Reflexion die eigene Entwicklung vorantreiben. Dabei wurde erneut die große Bedeutung von Vorbildern und Mentoren in jeder der aufgezeigten Phasen erwähnt. Weitere Faktoren, die die Kompetenzentwicklung beeinflussten, sind die Passung zum Verein als auch der „richtige“ Zeitpunkt für einen Einstieg in einen Trainerjob. Es gilt, die Phase zu nutzen, wenn der Druck der Öffentlichkeit noch nicht ausgeprägt vorhanden ist und in Ruhe gearbeitet werden kann.
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Literatur
- Küchle, A. (2022). Kompetenzprofile von Spitzentrainern im Fußball. Eine empirische Untersuchung zu den Anforderungen von Cheftrainern im deutschen Profifußball. München: Herbert Utz VerlagStudie lesen
Heyse, V. (2010). Verfahren zur Kompetenzermittlung und Kompetenzentwicklung. KODE®im Praxistest. In V. Heyse, J. Erpenbeck, & S. Ortmann (Hrsg.), Grundstrukturen menschlicher Kompetenzen. Praxiserprobte Konzepte und Instrumente 2 (S. 55-174). Waxmann.
Apitzsch, T., Coester, S., & Rüdiger, S. (2020). Kompetenzerwerb im Sport. In R. Knackstedt, K. Kutzner, M. Sitter, & I. Truschkat (Hrsg.), Grenzüberschreitungen im Kompetenzmanagement. Trends und Entwicklungsperspektiven (S. 91-108). Springer.
Studie lesenCôté, J. (2006). The Development of Coaching Knowledge. International Journal of Sports Science & Coaching, 1(3), 217-222.
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