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Bleibt die Verletzungsprävention theoretisch?

Ergebnisse einer Umfrage unter DFB-lizensierten Trainer*innen

Trainerentwicklung
Medizin
    • Trainerinnen und Trainer halten die Verletzungsprävention für bedeutsam.
    • Mangelnde Fitness/Athletik wird als größter Risikofaktor für Verletzungen bewertet, gefolgt von Vorverletzungen und mangelnder Regeneration.
    • Koordinations- und Rumpfstabilisierungstraining sowie Regenerationsmaßnahmen werden als besonders wichtig erachtet.
    • Jüngere Trainer*innen sind offener für das Thema Prävention und bereiter, Entscheidungen zur Verletzungsprävention im Team zu fällen.
    • Präventionsmaßnahmen sollten auf die Themen Periodisierung, Belastungssteuerung und Reintegration von verletzten Spielerinnen und Spielern abzielen
Abstract

Trainer*innen halten Verletzungen für ein bedeutsames Problem. Das zeigt eine Online-Umfrage unter 2000 aus der Datenbank des DFB zufällig ausgewählten Trainer*innen aller Spielklassen. Das Forschungswissen, wie man Verletzungen im Hochleistungssport vorbeugt, ist groß. Laut der Umfrage stehen aber der Umsetzung in der Praxis zeit-, personal-, umwelt- und organisationsbedingte Barrieren im Weg. Künftige Präventionsforschung solle deshalb Trainer*innen und Fachkräfte des Trainer*innenstabs enger einbinden und sich auf die Themen Periodisierung, Belastungssteuerung und Reintegration von verletzten Spieler*innen fokussieren.

Hohe Verletzungsraten im Fußball

Die Verletzungsraten im Profi- wie im Amateurbereich, im Jugend- wie im Seniorenfußball sind hoch. Obwohl das Forschungswissen, wie man Verletzungen im Hochleistungssport vorbeugt, in den letzten Jahren enorm gewachsen ist. Es gibt inzwischen zahlreiche Präventivmaßnahmen für unterschiedliche Verletzungsschwerpunkte, die unter kontrollierten Forschungsbedingungen die Verletzungsraten innerhalb unterschiedlicher Leistungs- und Altersklassen nachweislich senken können. Was in Studien bewiesen wurde, findet aber in der Trainingspraxis noch zu wenig Anwendung, kritisieren Gesundheitsexperten.

„Hauptursache dafür ist, dass eine flächendeckende und nachhaltige Implementation der entwickelten Präventivmaßnahmen in die Sportpraxis bisher noch nicht gelungen ist“, sagt Sportwissenschaftler Dr. Christian Klein [1]. Die Forschung könne das Verletzungsgeschehen zwar sehr gut erfassen und beschreiben, ohne jedoch die spezifischen Bedürfnisse und Fachkenntnisse wichtiger Akteure in der Praxis zu berücksichtigen. Auch lassen viele Studien zur Wirksamkeit von Präventionsmaßnahmen außen vor, ob sie überhaupt in den praktischen Alltag eines Teams passen oder nicht [2]. Fehlt der Präventionsforschung die Sicht der Sportpraxis? Wie gehen Trainer*innen mit dem Thema Verletzungsprävention in ihrer täglichen Arbeit um?

Was Trainerinnen und Trainer zum Thema Prävention sagen

Im Rahmen seiner Dissertation [1] hat Klein nachgefragt – bei 2000 zufällig ausgewählten Trainer*innen aller Spielklassen, die in der DFB-Datenbank lizensiert sind. Sie sind nicht nur die wichtigsten Entscheidungsträger innerhalb des Betreuerstabs, argumentiert Klein. Es gibt auch einen deutlichen Zusammenhang zwischen Führungsstilen von Trainer*innen und Verletzungsraten [3]. Ihre Einschätzung des Themas könnte den Bemühungen, Forschungswissen zur Verletzungsprävention in die praktische Umsetzung zu bringen, dienlich sein. In der 2018 durchgeführten Online-Befragung wurden die Teilnehmenden zum Verletzungsgeschehen im Fußball, zu den Ursachen für Verletzungen, zu Möglichkeiten der Prävention und nach dem Stellenwert der Verletzungsprävention in der Trainer*innenausbildung befragt.

Die Antworten von 1012 Trainer*innen konnten analysiert werden und zeigen, dass Trainer*innen die Verletzungsprävention auf einer Skala von eins bis fünf als bedeutsames Problem (3,82) bewerten. Besonders häufig betroffen sind die unteren Extremitäten, insbesondere die Knieverletzungen, gefolgt von Sprunggelenken, Füßen, Oberschenkeln und schließlich Hüfte und Leistengegend. Mangelnde Fitness und Athletik ist nach Meinung der Trainer*innen der größte Risikofaktor für Verletzungen, gefolgt von Vorverletzungen, mangelnder Regeneration, falschem oder schlechten Training, Fouls oder unfairen Aktionen. „Hinsichtlich der bedeutendsten Risikofaktoren für Verletzungen stimmen die Trainer*innen mit den Erkenntnissen aus Forschungserhebungen überein“, sagt Klein.

Hinsichtlich der Verletzungsprävention nannten die Befragten Koordinations- und Rumpfstabilisationstraining als wichtigste Maßnahmen, gefolgt von Regeneration, Aufwärmen und Physiotherapie. Weniger relevant sind nach Einschätzung der Trainer*innen die Platzverhältnisse, die Änderungen der Regeln und Schutzausrüstung, um Verletzungen zu vermeiden.

Jüngere Trainer*innen stehen dem Thema offener gegenüber

Interessant ist, dass jüngere Trainer*innen (<31 Jahre) Verletzungen für ein größeres Problem halten als ältere Befragte (41-50 Jahre und 60+). Zudem sehen Trainer*innen, die jünger als 40 Jahre sind, das Risiko von Leistenverletzungen als ernsteres Problem an als ihre älteren Kolleg*innen. Jüngere Trainer*innen messen zudem den Risikofaktoren schlechte Ernährung und Vorverletzungen mehr Bedeutung für das Verletzungsgeschehen bei als ältere Befragte. Bei der Frage nach dem präventiven Vorgehen hielten ältere Befragte Fairplay und Regeländerungen für nützlicher als jüngere Trainer*innen.

Angesichts der Tatsache, dass der Trainer*innen-Führungsstil die Verletzungsraten und die Ausfallzeiten von Spieler*innen beeinflusst [3], ist auch dieser altersbedingte Unterschied bei der Frage, wer den größten Einfluss beim Thema Prävention und der Wahl der Methoden hat, interessant: Während ältere Befragte sich selbst als wichtigstes Element sehen, halten jüngere Befragte Athletiktrainer*innen und Sportpsycholog*innen für wichtiger. „Jüngere Trainer*innen scheinen aufgeschlossener für aktuelle Themen der Verletzungspräventionsforschung und sind bereit, mit anderen Fachkräften im Stab zusammenzuarbeiten“, bewertet Klein die Ergebnisse.

Unterschiede im Vergleich der Lizenz- und Leistungsklassen

Unterschiedliche Einschätzungen zum Thema zeigen sich auch im Vergleich der Lizenz- und Leistungsklassen. Zum Beispiel stufen Inhaber*innen höherer Trainerlizenzen die Leistungsdiagnostik und medizinische Gesundheitsuntersuchungen höher ein als Trainer*innen niedrigerer Spielklassen. Genauso schätzen Trainer*innen von Elite-Jugendteams im Vergleich zu Amateurtrainer*innen diese beiden Faktoren als besonders wichtig für die Verletzungsprävention ein. Die unterschiedliche Haltung erklärt sich, vermutet Klein, mit Blick auf die unterschiedlichen Ressourcen: Trainer*innen in niedrigeren Spielklassen sind primär auf sich allein gestellt, währen im oberen Leistungsniveau ein ganzer Stab mit Expert*innen aus verschiedenen Fachbereichen zur Verfügung stehen.

Für die Ausbildung von Trainer*innen schlussfolgern Klein und sein Forschungsteam, dass in unteren Trainerlizenzen vermehrt Grundlagen der Physiologie sowie der medizinischen und physiotherapeutischen Betreuung und niederschwellige Möglichkeiten der Diagnostik und Intervention vermittelt werden sollten. In den höheren Leistungsniveaus dagegen müssten Trainer*innen als Entscheidungsträger innerhalb eines Teams vor allem in Sachen Führungskompetenzen und Kommunikation geschult werden.

Woran die Umsetzung von Präventionsprogrammen scheitert

Basierend auf den Befragungsergebnissen sollten zukünftige Ansätze für die Verletzungsprävention insbesondere auf die Themen Periodisierung, Belastungssteuerung und Reintegration von verletzten Spieler*innen fokussieren. Bei der Frage nach dem Wie der Umsetzung zeigt sich, dass die von den Befragten als besonders wirksam erachteten Trainingsmaßnahmen mit den Vorschlägen, die bereits in bestehenden Präventivprogrammen wie zum Beispiel dem Programm FIFA 11+ enthalten sind, übereinstimmen. Hat die Verletzungsprävention also eigentlich kein Umsetzungsdefizit?

Doch, sagen Klein und sein Forschungsteam. Erstens sei mit Blick auf die vergleichsweise hohe Ausfallquote der Befragung – es waren 2 000 zufällig ausgewählte Trainer*innen eingeladen worden, nur 1 012 hatten glaubwürdig und abschließend geantwortet – die Wahrscheinlichkeit groß, dass das tatsächliche Bewusstsein aller Fußballtrainer*innen in Deutschland für das Thema Verletzungsprävention geringer ist als es die Daten dieser Studie vermuten lassen. Zweitens folge aus dem Dafürhalten der Verletzungsprävention als sehr relevant nicht unbedingt, dass im Trainingsalltag auch so gehandelt wird. „Es gibt immer noch zeit-, personal-, umwelt- und organisationsbedingte Barrieren, die Trainer*innen von der Umsetzung präventiver Maßnahmen abhalten können“, sagt Klein. Die Anwendung bestehender wissenschaftlich fundierter Präventionsprogramme in der Praxis scheitere also weniger an den richtigen Inhalten, sondern eher an der Form oder an der Art der Vermittlung in die Praxis.

Die Kluft zwischen Forschung und Praxis schließen

Deshalb sollten Trainer*innen sowie Fachkräfte aus den Betreuerstäben viel frühzeitiger in den Entstehungsprozess von Präventionsmaßnahmen eingebunden werden. Die Sportwissenschaft schlägt entsprechende Verfahrungsmodelle zum Wissenstransfer vor, um die Kluft zwischen Forschung und Praxis zu überbrücken und Maßnahmen über den Nachweis der Wirksamkeit hinaus praxistauglich anwendbar zu machen [2, 4]. Damit diese Übertragung künftig besser gelingt, sollten die Einschätzungen und Bedürfnisse aller Mitarbeitenden in Trainer- und Betreuerteams im Fußballalltag nicht außenvor gelassen werden.

Aus praktischer Sicht sollten sich künftige Präventionsansätze auf die Entwicklung von Methoden konzentrieren, die Trainer*innen helfen, bei ihren Spielerinnen und Spielern mangelnde Fitness und nicht ausreichende Regeneration zu erkennen, wie zum Beispiel niedrigschwellige Tools zur Überwachung von Belastung und Wohlbefinden. Hilfreich wären auch Richtlinien für die Wiedereingliederung in den Spielbetrieb bei häufigen Verletzungen.

Die Inhalte basieren auf der Studie „Leaving injury prevention theoretical? Ask the coach! – A survey of 1012 football coaches in Germany“, die 2018 im „German Journal of Exercise and Sport Research“ veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Klein, C., Henke, T., Luig, P., & Platen, P. (2018). Leaving injury prevention theoretical? Ask the coach! – A survey of 1012 football coaches in Germany. German Journal of Exercise and Sport Research, 48(4), 489-497.
    Studie lesen
    1. Klein, Christian (2021). Darstellung des Verletzungsgeschehens im deutschen Fußball als Grundlage für die Erarbeitung und Implementation wirksamer Präventivmaßnahmen (Dissertation, Ruhr-Universität Bochum)

    2. Verhagen, E., Voogt, N., Bruinsma, A., & Finch, C. F. (2014). A knowledge transfer scheme to bridge the gap between science and practice: An integration of existing research frameworks into a tool for practice. British Journal of Sports Medicine, 48(8), 698-701.

    3. Ekstrand, J., Lundqvist, D., Lagerbäck, L., Vouillamoz, M., Papadimitiou, N., & Karlsson, J. (2018). Is there a correlation between coaches' leadership styles and injuries in elite football teams? A study of 36 elite teams in 17 countries. British Journal of Sports Medicine, 52(8), 527-531.

    4. Padua, D. A., Frank, B., Donaldson, A., de la Motte, S., Cameron, K. L., Beutler, A. I., DiStefano, L. J., & Marshall, S. W. (2014). Seven steps for developing and implementing a preventive training program: Lessons learned from JUMP-ACL and beyond. Clinics in Sports Medicine, 33(4), 615-632.