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Mehr Chancengleichheit durch Bio-Banding
Nachwuchsspieler nach ihrem biologischen Alter gruppieren und beurteilen
- Beim Bio-Banding werden die Nachwuchsspieler nach ihrer körperlichen und biologischen Reife anstatt nach ihrem kalendarischen Alter gruppiert und beurteilt.
- Die Berücksichtigung des biologischen Entwicklungsstands soll die Chancengleichheit erhöhen und das Lernumfeld verbessern.
- Talente mit hohem Entwicklungspotenzial sollen so rechtzeitig entdeckt und gefördert werden.
Im Zuge des britischen Elite Player Performance Plans wird die Methode seit 2015 bei Sichtungsturnieren eingesetzt.
- Sportwissenschaftler schlagen ein vierstufiges Progressionsmodell zur ganzheitlichen Talententwicklung vor.
Abstract
Nachwuchsspieler, die spät im Jahr geboren sind und sich im Vergleich zu ihren Altersgenossen eher spät körperlich entwickeln, drohen durch die Raster des Scoutings zu fallen, fürchten Sportwissenschaftler. Eine Methode, die die Chancengleichheit in der Talententwicklung fördern soll, ist das „Bio-Banding“. Danach werden die Spieler im Training und Wettkampf nach ihrem biologischen Entwicklungsstand statt nach ihrem kalendarischen Alter gruppiert und beurteilt. Das Ziel: Neben den Frühentwicklern rücken so auch später im Jahr Geborene mit einem potenziell großen Entwicklungspotenzial im Hochleistungsalter in den Fokus. Der britische Elite Player Performance Plan wendet die Methode mit Erfolg in der Praxis an. Ein vierstufiges Progressionsmodell, das Nachwuchsspieler individuell bezüglich ihrer Reife, technischen Fertigkeiten und dem psychologischen Entwicklungsstand einschätzt, könnte helfen, die sportliche Leistungsentwicklung junger Talente ganzheitlich zu erfassen und den Entwicklungsfortschritt besser zu verfolgen.
Der Nachteil der späten Geburt
Nachwuchsspieler werden nach dem Stichtag der Altersklasseneinteilung in die Nachwuchsmannschaften der Talentfördersysteme gruppiert. Quer über die Mannschaftssportarten hinweg führt das zu einem Problem: Spät im Jahr Geborene haben wesentlich schlechtere Karrierechancen. Denn wer erst gegen Jahresende zur Welt gekommen ist und somit im Training regelmäßig auf größere, stärkere und schnellere Gegenspieler trifft, ist querschnittlich betrachtet im Nachteil. Studien [1, 2, 3, 4] belegen: Früher im Jahr Geborene dagegen fallen aufgrund ihres Entwicklungsvorsprungs eher beim Scouting und während Sichtungsturnieren auf, werden so häufiger in Auswahlmannschaften berufen und profitieren stärker von der Talentförderung. Spätgeborene werden durch die physisch überlegeneren Altersgenossen ihres Jahrgangs entmutigt und fallen eher durch das Auswahlraster. Die Sportwissenschaft spricht vom relativen Alterseffekt (engl. relative age effect). Er betrifft vor allem die Mannschaftsjahrgänge U 17 und jünger. Was dahinter steht:
Die physische und psychische Leistungsfähigkeit sowie technomotorische Fertigkeiten werden vom biologischen Entwicklungsstand beeinflusst. Allerdings verläuft die Reifeentwicklung bei Jugendlichen in der gleichen Altersgruppe unterschiedlich schnell: Während der Pubertät, die oftmals bei Mädchen früher und bei Jungen später einsetzt, finden Wachstumsschübe im Körperbau und Entwicklungssprünge in Kraft und Schnelligkeit zu verschiedenen Zeitpunkten statt. Gerade bei Jungen klaffen die Unterschiede in der Körperhöhe und der sportlichen Leistungsfähigkeit in den Altersgruppen zwischen 11 und 14 Jahren am weitesten auseinander [3]. Je älter die Heranwachsenden werden, desto mehr nivelliert sich der Effekt in der Altersgruppe wieder.
Was ist Bio-Banding?
Um potenzielle Talente nicht zu übersehen, der systematischen Benachteiligung von Spätgeborenen zu begegnen und Drop-Outs zu vermeiden, schlägt die Sportwissenschaft eine alternative Einteilungsmethode zur chronologischen Altersgruppierung vor [5, 6, 7]: Beim sogenannten „Bio-Banding“ werden die Spieler in Gruppen mit annähernd gleichen biologischen Entwicklungsständen zusammengestellt. Kriterien sind Körperhöhe oder Reifeentwicklung. Auf diese Weise entstehen homogenere Gruppen. Befürworter argumentieren, dass so auch psychologische Fähigkeiten und technische Fertigkeiten besser gefördert werden [8, 9]. Zum Beispiel: Ein früh entwickelter Spieler würde sich im Wettkampf mit älteren, physisch ebenbürtigen Gegnern nicht mehr nur auf seine physischen Vorteile allein verlassen können, sondern ist gefordert, seine technischen Fertigkeiten und kognitiven Fähigkeiten verstärkt anzuwenden und zu entwickeln. Umgekehrt erfahren spätentwickelte Spieler im Wettkampf mit physisch ebenbürtigen Gegnern mehr Anreize sich durchzusetzen.
Welche Vorteile verspricht die Gruppierung nach dem biologischen Alter?
Tritt in einer Mannschaft ein starkes Gefälle in Körperhöhe und Reife unter den Nachwuchsspielern auf, kann dieses Ungleichgewicht im Wettbewerb sowohl die früh- als auch die spätentwickelten Spieler in ihrer Leistungsentwicklung behindern [3]. Frühentwickelte Spieler fallen aufgrund ihres physischen Vorteils zwar eher auf, profitieren davon aber im herkömmlichen Trainings- und Wettkampfsystem nicht auf Dauer, weil ihre technischen Fertigkeiten und taktischen Fähigkeiten dahinter zurückstehen und nicht zusätzlich gezielt geschult werden. Mit dem Ergebnis, dass sie dann in späteren Wettkampfsituationen vor allem beim Übergang in die Etappe des Hochleistungstrainings gegen physisch ebenbürtige Gegner schlechter abschneiden [3, 10]. Spätentwickler fallen dagegen von vorne herein weniger auf. Sie erhalten im Wettbewerb oftmals weniger positives Feedback und könnten sich dadurch weniger motiviert fühlen, ihr aktuelles Leistungsniveau zu steigern. Eine Analyse des englischen Elite Player Performance Plans bestätigt zudem: Spieler, die im vierten Quartal geboren wurden, schieden bei der Talentsichtung 20 Mal häufiger aus den Auswahlkadern aus als früher im Jahr Geborene und erreichten den Übergang zur Elite erst gar nicht [11]. Beim niederländischen PSV Eindhoven ist man dieser systematischen Benachteiligung versuchsweise dadurch begegnet, alle Spieler beim Sichtungsturnier mit nach dem kalendarischen Alter sortierten Spielnummern auszustatten [12]. Durch das Bio-Banding werden diese „blinden Flecken“ in den Fokus gerückt. Trainer haben so die Möglichkeit, ihre Trainingsprogramme differenzierter anzulegen. Zudem belegen Studien, dass mithilfe des Bio-Banding das Verletzungsrisiko gesenkt werden kann [13], weil die Unterschiede in Körperhöhe und Gewicht nivelliert werden.
Wie wird die biologische Reife bestimmt?
Die Berechnung des Quotienten aus der aktuellen Körperhöhe und der erwarteten Körperhöhe im Erwachsenenalter (engl.: percentage of predicted adult stature at the time of observation, PAH) [14, 15, 16, 17] ermöglicht es, die Spieler in vier Gruppen einzuteilen: vorpubertär (<85 % PAH), frühpubertär (85-90 % PAH), pubertär (90-95 % PAH) und spätpubertär (95-100 % PAH). Jede Gruppe entspricht dem errechneten Prozentsatz der vorhergesagten Körperhöhe. Um dabei die unterschiedlichen Wachstumsgeschwindigkeiten zu berücksichtigen, werden die Körperhöhen der Eltern als Referenz für die zu erwartende Körperhöhe im Erwachsenenalter in die mathematische Berechnung mit einbezogen.
Die sogenannte Mirwald-Methode [18] berechnet das Alter in Bezug auf den zeitlichen Beginn des maximalen Wachstumsschubs (engl.: peak height velocity, PHV). In die Formel fließen das kalendarische Alter, Gewicht und der Quotient aus Sitzhöhe und Körperhöhe im Stehen ein (hier geht es zum Download des Biofinal-Rechners, der Mirwald-Methode, des Instituts für Angewandte Trainingswissenschaft). Die daraus folgende grobe Einteilung der Spieler in spät-, normal- und frühentwickelt, lässt sich durch die Berechnung der Differenz zwischen dem individuellen und durchschnittlichen Alter beim Wachstumsschub noch verfeinern. Diese Methode wird der Tatsache gerecht, dass Frühentwickler den Zeitpunkt des größten Wachstumsschubs früher, Spätentwickler hingegen später erreichen und berücksichtigt die Zeitversetzungen der individuellen Reifeprozesse.
Erfahrungen mit Bio-Banding in der Praxis
Sichtungsturniere mit Bio-Banding-Gruppen: Die englische Premier League-Akademie hat die Bio-Banding-Methode in ihren Elite Player Performance Plan zur Talententwicklung aufgenommen und in ersten Nachwuchsturnieren erprobt [19]. 2015 fand das erste Bio-Banding-Turnier statt: Vier Vereine haben dafür aus ihrem Talentpool Nachwuchsspieler anhand der berechneten voraussichtlichen Körperhöhe im Erwachsenenalter ausgewählt. Zusammengestellt wurden Spieler im Alter zwischen 11 bis 14 Jahren und im biologischen Reifestatus der frühen Pubertät (zwischen >85 % PAH und <90 % PAH). Die Auswertung der gemachten Erfahrungen ergab [19]: Sowohl früh- als auch spätentwickelte Spieler beurteilten die neue Zusammensetzung als positiv und fühlten sich in besonderer Weise gefordert. Frühentwickler empfanden das Zusammentreffen mit körperlich ebenbürtigen Gegnern physisch anspruchsvoller und sahen sich gefordert, verstärkt auf ihre technischen Skills, kommunikativen und taktischen Fähigkeiten zu achten. Spätentwickler sahen sich dagegen weniger physisch gefordert, empfanden es aber als Vorteil, sich verstärkt auf ihre technischen Fertigkeiten und taktischen Fähigkeiten konzentrieren zu können und Führungsqualitäten zu zeigen. Auch die Trainer werteten die Erfahrung als positiv, insbesondere hinsichtlich des attraktiveren Lernumfeldes und den Möglichkeiten, Trainingsprogramme breiter aufzustellen, vielfältigere Herausforderungen zu bieten und junge Athleten ganzheitlich zu fördern.
Individuelle Unterschiede im gleichen biologischen Entwicklungsstand erkennen und Fitnessprofile schärfen: Jugendliche reifen unterschiedlich schnell – unabhängig davon, wann sie im Jahr geboren wurden. Wer Richtung Jahresende auf die Welt gekommen ist, kann dennoch in seiner Altersgruppe biologisch gesehen vergleichsweise älter sein, während zu Jahresbeginn Geborene in ihrer biologischen Reife hinterher hängen können. Um individuelle Unterschiede im biologischen Entwicklungsstand besser erfassen zu können, hat die englische Premier League-Akademie die Ergebnisse standardisierter Fitnesstests, die dreimal jährlich in den angeschlossenen Vereinen durchgeführt werden, mit Daten zum Reifestatus kombiniert und mit den Durchschnittwerten des jeweiligen Jahrgangs und des gleichen biologischen Alters verglichen [19].
Das Ergebnis: Ein frühentwickelter Spieler erzielt beispielsweise im Vergleich zur Altersgruppe überdurchschnittliche Werte in Bezug auf Schnelligkeit, Kraft, Wendigkeit und Ausdauer. Verglichen mit den Durchschnittswerten von Spielern des gleichen biologischen Entwicklungsstands zeigt sich jedoch ein differenzierteres Bild: Die körperliche Fitness liegt auf dem Durchschnittsniveau oder in einigen Bereichen wie Wendigkeit und Ausdauer sogar darunter. Was dieses Vorgehen zeigt: Es treten auf diese Weise zuvor unerkannte Schwächen in der körperlichen Fitness zutage, die im Training gezielt adressiert werden können.
Wie kann Bio-Banding künftig gezielt in der Talententwicklung eingesetzt werden?
Noch sind nicht alle Fragen zur Anwendung des Bio-Banding und den langfristigen Auswirkungen auf die sportliche Entwicklung junger Fußballtalente geklärt. Der derzeitige Forschungsstand legt nahe, dass die Einteilung in Spiel- und Trainingsgruppen nach dem biologischen Alter nicht allein auf körperbaulichen und biologischen Entwicklungsständen fußen sollte. Auch technisch-taktische und psycho-soziale Fähigkeiten eines Spielers sollten berücksichtigt werden, bevor er einer bestimmten Bio-Banding-Gruppe zugeordnet wird [20]. Profivereine in England verfolgen diesen Ansatz in der Nachwuchsförderung bereits und werten sowohl Reifestatus-Daten als auch technische Leistungsdaten zur Eingruppierung in biologische Altersgruppen aus [21]. Die Studienautoren schlagen darüber hinaus einen systematischen Ansatz vor: Anhand eines vierstufigen Progressionsmodells könnten Nachwuchsspieler nach ihren technischen, psychologischen und entwicklungsbiologischen Leistungen beurteilt werden. Die Entwicklung eines Spielers während der Pubertät könnte so im zeitlichen Verlauf besser erfasst und begleitet werden. Dazu werden Entwicklungsstände einzelner Spieler in einen Bronze-, Silber-, Gold- und Platinum-Status kategorisiert: Bronze-Status hieße schwache technische Fertigkeiten, vorpubertär und psycho-sozial unreif, während der Platinum-Status hohe technische Fertigkeiten, postpubertär und psycho-sozial gereift bescheinigt. Ein solches Modell könnte helfen, junge Spieler während ihrer pubertären Entwicklung ganzheitlich zu betrachten, argumentieren die Autoren. Durchlässig gestaltet, könnten eventuelle Rückschritte, die während des Wachstumsschubs auftreten können, besser erkannt und gezielter durch den Trainer adressiert werden, indem er den betreffenden Spieler zeitweilig eine Stufe zurückstuft und entsprechend schult.
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Literatur
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