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Schnelligkeit als Talentmerkmal
Ein Überblick über die Bedeutung, die Erfassung und das Potential zur Talentprognose
- Wettkampfrelevante Komponenten der Schnelligkeit sind lineare Sprintfähigkeit, Gewandtheit sowie Sprintwiederholungsfähigkeit.
- Zur Erfassung von Schnelligkeitskomponenten ist ein standardisierter Testaufbau sowie eine korrekte Testdurchführung unerlässlich.
- Die drei Komponenten der Schnelligkeit sind grundsätzlich bedeutsame Talentprädiktoren für späteren Erfolg.
- Gute Schnelligkeitsleistungen von Nachwuchstalenten sollten nicht als alleiniges Kriterium zur Talentauswahl betrachtet werden, sondern als Ergänzung zum subjektiven Urteil eines Trainers.
Abstract
Neben Kraft und Ausdauer stellt die Schnelligkeit ein wichtiges physiologisches Talentmerkmal im Fußball dar. Der Beitrag behandelt unterschiedliche Komponenten der Schnelligkeit sowie Möglichkeiten und Probleme bei deren Erfassung. Außerdem wird auf die Bedeutung der Schnelligkeitsleistung im Jugendalter für späteren Erfolg eingegangen.
Welche motorischen Komponenten der Schnelligkeit gibt es?
Im Wesentlichen lassen sich drei motorische Komponenten der Schnelligkeit unterscheiden [1]: Die lineare Schnelligkeit umfasst die geradlinige Sprintfähigkeit (zyklisch), welche sich weiter in kürzere (≤ 20 m; Antritt und Beschleunigung) und längere (> 20 m; Grundschnelligkeit; [2]) Sprintdistanzen unterscheiden lässt. Die Gewandtheit beschreibt die Fähigkeit, schnell und agil die Laufrichtung zu wechseln (azyklisch). Schließlich zeichnet sich die dritte Komponente Sprintwiederholungsfähigkeit („repeated sprint ability“) dadurch aus, innerhalb kürzester Zeit wiederholt seine optimale Sprintleistung abrufen zu können.
Grundsätzlich gilt, dass die Relevanz der einzelnen Schnelligkeitskomponenten von der jeweiligen Spielposition abhängt. Übergreifend kann festgestellt werden, dass im Zusammenhang mit erzielten Toren im Spiel häufig der Linearsprint in Erscheinung tritt [3]. In Bezug auf die Sprintlänge treten kürzere Distanzen wesentlich häufiger auf als Läufe über 30 m. Im Vergleich dazu kommen Richtungswechsel ohne Ball am Fuß bei gefährlichen Torszenen deutlich seltener zum Tragen. Dennoch ist das schnelle Ändern der Richtung eine Aktion im Spiel, die über die komplette Spielzeit betrachtet ungefähr 1.300-mal vorkommt [4]. Eine gute Sprintwiederholungsfähigkeit ist besonders gegen Ende der Spielzeit von großer Bedeutung.
Wie werden die Komponenten der Schnelligkeit gemessen?
Standardisierung der MessungZur Messung schnelligkeitsbezogener Leistungen werden unterschiedliche diagnostische Verfahren eingesetzt. Die Erfassung der Sprintzeit sollte bei all diesen Verfahren mittels Lichtschranken erfolgen, da die Fehlerschwankungen bei handgestoppten Zeiten zu groß sind und diese die tatsächliche Sprintleistung deutlich beeinflussen können. Dennoch sind auch bei der Zeiterfassung über Lichtschrankensysteme Standards zu beachten, um den Einfluss von Messfehlern auf ein Minimum zu reduzieren [5]. Zur Messung von längeren Sprintdistanzen wird empfohlen, die Lichtschranken am Start auf Kniehöhe (ca. 0,25 m) und im Ziel sowie bei Messung von Zwischenzeiten auf Hüfthöhe (ca. 1 m) aufzubauen. Dadurch können vorzeitige Auslösefehler vermieden werden. Während zur Messung längerer Distanzen Einfachlichtschranken ausreichen, sollte besonders bei der Messung von kürzeren Distanzen auf Doppellichtschranken zurückgegriffen werden.
Neben der Art der verwendeten Lichtschranken, hat auch der gewählte Startabstand zur ersten Lichtschranke einen Einfluss auf die Laufzeit. Es sollte auf eine einheitliche Wahl des Abstands bis zum Startkontakt geachtet werden, um vergleichbare Messergebnisse zu erzielen. Ein Startabstand von 0,3 m zur Startlichtschranke wird als optimal eingeschätzt [6]. Die Beschaffenheit des Untergrundes, auf dem der Test durchgeführt wird, wirkt sich ebenfalls auf die Messergebnisse aus. Auch wenn die Durchführung auf Rasen im Freien zunächst fußballspezifischer erscheint, ist die Wahl von Kunststoffbahnen in der Halle aufgrund besserer Standardisierung empfehlenswert (z. B. können hier Wettereinflüsse wie Gegenwind und tiefer Rasen ausgeschlossen werden). Dies gilt besonders bei der Überprüfung der Gewandtheit, da bei schnellen Richtungsänderungen eine erhöhte Rutschgefahr besteht.Welche Diagnostiken gibt es?Zur Messung der verschiedenen Schnelligkeitskomponenten lassen sich diverse Diagnostiken unterscheiden. Die lineare Schnelligkeit wird über die Zeit erfasst, die für einen geradlinigen Sprint benötigt wird. Dabei kommen Distanzen von 5 m bis zu 40 m zum Einsatz und es werden Zwischen- und Endzeiten gemessen. Die zur Erfassung der Gewandtheit eingesetzten Diagnostiken weisen eine deutlich höhere Heterogenität auf. Die in wissenschaftlichen Studien und von Vereinen eingesetzten Tests korrelieren oftmals nur gering miteinander und bilden zudem nicht zwingend fußballspezifische Anforderungen ab [3,7]. Die Tests unterscheiden sich hinsichtlich der durchgeführten Gesamtzeit, der Anzahl und Winkel der Richtungsänderungen sowie der Streckenlänge zwischen den einzelnen Richtungswechseln [8]. Zu den im Fußball häufig eingesetzten Diagnostiken zur Überprüfung der Gewandtheit gehören beispielsweise simple 30-Meter-Slalom Tests [9], der 505-Test [19], der Illinois-Agility-Test [7], sowie der Gewandtheitstest der technomotorischen Leistungsdiagnostik des DFB-Talentförderprogramms [18].
Zur Erfassung der Sprintwiederholungsfähigkeit werden die Diagnostiken für die lineare Schnelligkeit und Gewandtheit erweitert. Dabei kommen unterschiedliche Streckenlängen und Anzahl an Sprints zum Einsatz. Im Unterschied zu den Testverfahren der isolierten linearen Schnelligkeit bzw. Gewandtheit gestaltet sich bei der Sprintwiederholungsfähigkeit die Pause zwischen den einzelnen Sprints deutlich kürzer (20-40 s; vgl. [11]). Anders als bei der linearen Schnelligkeit und der Gewandtheit, bei denen jeweils der schnellste Versuch aus mehreren Läufen (ca. 2-4) als Leistungsparameter erfasst wird, werden bei der Diagnostik der Sprintwiederholungsfähigkeit diverse Testparameter erfasst: der schnellste Lauf, der Mittelwert aus allen Läufen sowie ein Ermüdungsindex (schnellster Lauf dividiert durch den Mittelwert), welcher die Verschlechterung über die Anzahl der Versuche wiedergibt [11]. Tabelle 1 zeigt eine exemplarische Dokumentation einer Diagnostik der Sprintwiederholungsfähigkeit.
Besteht ein Zusammenhang zwischen der Schnelligkeitsleistung von Nachwuchsfußballspielern und ihrem späteren Erfolg?
Für den leistungsorientierten Nachwuchsfußball stellt sich die Frage, inwiefern die Erhebung der einzelnen Schnelligkeitskomponenten als mögliche Unterstützung zur Talentprognose beitragen können. Die diagnostischen Verfahren zur Messung einzelner Schnelligkeitskomponenten sind hierbei als eine objektive Ergänzung zu den meist subjektiven Urteilen eines Trainers über potentielle Talente zu verstehen. Eine aktuelle Analyse des internationalen Forschungsstandes bietet Hinweise darauf, dass die drei motorischen Komponenten der Schnelligkeit geeignete Prädiktoren für den zukünftigen Erfolg talentierter Spieler darstellen [12]. In der Analyse wurden Studien zugrunde gelegt, die anhand von Diagnostiken zur Schnelligkeit im Kindes- und Juniorenalter Aussagen über den zukünftigen Erfolg der Spieler treffen.
Die prognostische Bedeutung der linearen Sprintfähigkeit bestätigte sich in fünf Studien [20,13]. Für die im Spiel weniger vorkommenden längeren Sprintdistanzen über 20 m zeigte sich eine höhere Prognoserelevanz als für kürzere Streckenabschnitte. In Bezug auf die Gewandtheit ergab sich ein ähnliches Bild. In fünf von sechs Studien [14] erwies sich Gewandtheit für die Prognose bedeutsam. Die Sprintwiederholungsfähigkeit erhielt im Hinblick auf ihre Prognoserelevanz bis dato weniger Berücksichtigung in der Fußballforschung. Dennoch fanden die in diesem Zusammenhang durchgeführten Studien [9,15] eine gute Prognosekraft dieses Merkmals.
Aktuelle Studien der sportwissenschaftlichen Begleitung des DFB-Talentförderprogramms [16,17] bekräftigen die Ergebnisse von Murr et al. [12] zur Prognoserelevanz schnelligkeitsbezogener Fähigkeiten. Dabei zeigte sich, dass Spieler mit guten Fähigkeiten im Linearsprint wie auch der Gewandtheit im Kindesalter (Altersgruppe U12) mit höherer Wahrscheinlichkeit einen zeitnahen Erfolg im adoleszenten Alter (z. B. Berufung in die U16-U19-Juniorennationalmannschaft) sowie auch späteren Erfolg im Erwachsenenalter (z. B. Bundesligaspieler) aufzeigen können.
Kann ein Trainer anhand der Schnelligkeitsleistung den späteren Erfolg eines Talentes vorhersagen?
Die klare Antwort lautet: nein. Die vorliegenden Ergebnisse aus der Sportwissenschaft zur Beurteilung der Prognoserelevanz von Schnelligkeitsleistungen im Nachwuchsfußball basieren typischerweise auf Gruppenvergleichen zwischen später erfolgreichen und weniger erfolgreichen Spielern. Dabei zeigte sich, dass Spieler mit besseren Schnelligkeitsleistungen im Kindes- und Jugendalter eine höhere Chance auf späteren Erfolg haben als Spieler mit schwächeren Schnelligkeitsleistungen. Demnach ist die Schnelligkeit nachweislich ein bedeutsamer Talentprädiktor. Allerdings bedeutet dies nicht, dass im Einzelfall eine gute Schnelligkeit zwangsläufig zu späterem Erfolg führt. Zudem sollte bei der Beurteilung der Prognoserelevanz der Einfluss sogenannter Moderatorvariablen berücksichtigt werden. Dies sind durch das Studiendesign bedingte Merkmale wie etwa das Leistungsniveau zum Zeitpunkt der Merkmalserhebung, die Begriffsbestimmung des zukünftigen Erfolgs oder die Länge des Prognosezeitraums, die sich auf die prognostische Bedeutung einzelner Talentprädiktoren auswirken können. Darüber hinaus trägt der Einsatz eines geeigneten Messinstrumentes sowie die korrekte, standardisierte Testdurchführung entscheidend dazu bei, die gewonnenen Ergebnisse aus der Forschung praxisrelevant anzuwenden. Unabhängig jeglicher Diagnostik ist zudem anzumerken, dass die Erfassung der motorischen Schnelligkeit nicht als ein allein entscheidendes Instrument zur Talentselektion eingesetzt werden kann. So bildet die motorische Schnelligkeit nur einen kleinen Teil davon ab, was ein Talent und einen gegebenenfalls später erfolgreichen Spieler ausmacht. Hier spielt eine Vielfalt weiterer Faktoren (z. B. taktische, psychologische, entwicklungs- oder umweltbezogene Merkmale) eine große Rolle.
Autoren des Textes sind Dennis Murr und Daniel Leyhr von der Universität Tübingen. Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "The prognostic value of physiological and physical characteristics in youth soccer: A systematic review", die 2018 im "European Journal of Sport Science" veröffentlicht wurde.
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Literatur
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