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Welches Training beugt Muskelverletzungen wirksam vor?

Was Athletiktrainer von Elitemannschaften dazu sagen

Athletik
Medizin
Angreifer Marvin Ducksch wird nach einer Verletzung während des Bundesligaspiels zwischen dem SV Werder Bremen und dem 1. FSV Mainz 05 medizinisch behandelt.
    • Viele Trainingsarten können zur Vorbeugung von Muskelverletzungen bei männlichen Elite-Fußballern wirksam sein, wobei der Schwerpunkt auf maximalen bzw. submaximalen Läufen und exzentrischen Übungen liegt.
    • Die angewandten Strategien hängen von der Anzahl der Spiele pro Woche und den geplanten Inhalten der vorangegangenen und nachfolgenden Fußballaktivitäten ab.
    • Übungsbasierte Präventionsstrategien sind dann besonders wirksam, wenn sie mit nicht-bewegungsbasierten Strategien in einem Gesamtkonzept kombiniert werden.
    • Zu den besten nicht-bewegungsbasierten Strategien gehören das kontinuierliche Monitoring der Trainingsbelastung, die Berücksichtigung von Vorverletzungen, die Bereitschaft zur Zusammenarbeit, die Teamkommunikation sowie die Einbeziehung effektiver Regenerationsmaßnahmen.
Abstract

Muskelverletzungen führen häufig zu langen Ausfallzeiten im Profifußball. Ein Forschungsteam hat die Meinung von 21 Athletiktrainern aus 18 Mannschaften der fünf europäischen Top-Ligen zur Verletzungsprävention eingeholt, um die effektivsten trainingsbasierten Strategien zur Prävention von Muskelverletzungen bei männlichen Elite-Fußballern zu ermitteln. Das Ergebnis: In der Trainingspraxis werden Übungen mit maximalen bzw. submaximalen Laufgeschwindigkeiten als wirksamste und exzentrische Übungen als zweitwirksamste Präventionsmaßnahmen eingeschätzt.

Der „blinde Fleck“ der Präventionsprogramme

Muskelverletzungen nehmen im Elite-Fußball zu. Die Ausfallzeiten haben sich nach Angaben der Elite Club Injury Study der UEFA in den letzten 21 Saisons von 2001/02 bis 2021/22 verdoppelt und auch der Schweregrad ist deutlich angestiegen [1]. Jeder fünfte Spieler verletzt sich während einer Saison mindestens einmal an der hinteren Oberschenkelmuskulatur. Pro Saison fallen in einem 25-köpfigen Mannschaftskader in der Regel sechs bis sieben Hamstringverletzungen an [2]. Hoch ist auch die Wiederverletzungsrate mit 13 bis 18 Prozent innerhalb derselben Saison [3].

Die Sportmedizin hat deshalb diverse Präventionsprogramme entwickelt. Zu den vorgeschlagenen Maßnahmen gehören Sprinttraining und exzentrisches Muskeltraining. In der Trainingspraxis werden die Empfehlungen häufig aber nicht befolgt, insbesondere hinsichtlich des exzentrischen Trainings, kritisieren Sportwissenschaftler [4]. Der Grund: Der wissenschaftlichen Programmentwicklung fehle bei der Auswahl wirksamer Präventionsstrategien die praktische Einschätzung aus dem Trainingsalltag [5, 6]. Weil zudem viele Studien zum Thema methodische Schwächen haben, steht der Nachweis der Wirksamkeit auf wackeligen Füßen. Deshalb ist derzeit die Präventionspraxis zur Vorbeugung von Muskelverletzungen mit einem erheblichen Maß an Unsicherheit behaftet.

Um den „blinden Fleck“ der Verletzungsprävention zu beleuchten, hat eine britische Forschungsgruppe in einem Delphi-Verfahren 21 Trainer und Fachkräfte von 18 Mannschaften aus den fünf großen europäischen Fußballligen (England, Frankreich, Deutschland, Italien, Spanien) zum Thema befragt, um die gängige Praxis zu beschreiben und um die effektivsten trainingsbasierten Strategien zur Prävention von Muskelverletzungen bei männlichen Elite-Fußballern zu ermitteln.

Zur Methode

Die Umfragemethode eignet sich besonders gut dazu, ein breit gefächertes Meinungsspektrum einzuholen. Dafür wurde die Gruppe in mehreren Runden in einem schriftlichen strukturierten Verfahren befragt, welche Übungen sie für besonders wichtig und besonders wirksam zur Vorbeugung von Muskelverletzungen erachtet. Weil das Verfahren auf einen Konsens aller Beteiligten abzielt, zeichnet die Methode ein wesentlich genaueres Bild zur Verletzungsprävention als Einzelmeinungen.

Insgesamt gab es zwischen Dezember 2017 und März 2018 vier Befragungsrunden, an denen die gesamte Gruppe bis zum Schluss teilgenommen hat. Nur solche Antworten, die zu 70 oder mehr Prozent mit denen anderer Antwortenden übereinstimmten, wurden als Konsens gewertet.

Die Ergebnisse
  • „Hochgeschwindigkeitsläufe“ und Sprints sind „besonders wirksame“ Präventionsstrategien

Die befragten Experten aus der Trainingspraxis stuften Sprinten (Laufgeschwindigkeiten > 25,1 km/h) und High-Speed-Running (HSR, > 19,8 km/h) als „sehr effektiv“ zur Verletzungsvorbeugung ein, wobei die genannten Geschwindigkeiten den in der Forschungsliteratur genannten Schwellenwerten entsprachen. Allerdings kamen die Experten überein, dass sich Umfang und Intensität von Sprint- und HSR-Einheiten an individuellen Höchstgeschwindigkeiten orientieren sollten statt auf absoluten Schwellenwerten, wie sie in der Literatur definiert werden, weil so langsamere Spieler gefordert werden, größere Distanzen in ihrem individuellen Maximalbereich durchzuführen als schnellere Spieler, die im Vergleich zu absoluten Schwellenwerten weniger leisten [7].

Sprint- und HSR-Übungen sollten auch in isolierter Form regelmäßig und richtig dosiert in den Trainingsplan integriert werden. So werde sichergestellt, dass die Spieler maximale und nahezu maximale Geschwindigkeiten erreichen, die sie während der meist technisch-taktisch orientieren Trainingsformen (z. B. in kleinen Spielformen) möglicherweise nicht erreichen können. Diese Übungen sollten allerdings nicht nur die Laufprofile von Spielern replizieren, sondern auch den Kontext berücksichtigen. Bradley et al. [8] empfehlen beispielsweise einen integrierten Ansatz auf der Grundlage einer Spielanalyse, bei der die Lauftypen berücksichtigt werden, wenn die Mannschaft in Ballbesitz ist und wenn sie nicht in Ballbesitz ist. Weiterhin zeigte Buchheit [9, 10], wie HSR-Übungen programmiert werden können, um insbesondere für Auswechselspieler eine stabile wöchentliche HSR-Belastung aufrechtzuerhalten. Einig waren sich die Experten in Bezug auf den besten Zeitpunkt für Sprint- und HSR-Einheiten. Bei einem Abstand von fünf oder mehr Erholungstagen zwischen Spielen sollten entsprechende Einheiten bevorzugt am Tag 3 vor einem Spiel (MD-3) angesetzt werden. Bei dichteren Spielplänen mit weniger als vier Erholungstagen halten die Experten kein spezielles Sprint- und HSR-Training für notwendig, da die entsprechenden Ziele höchstwahrscheinlich während der Spiele erreicht werden. Ersatzspieler sollten zusätzliche Sprint- und HSR-Trainingseinheiten entweder am Tag MD+1 oder am Tag MD+2 absolvieren, aber nicht an beiden Tagen.

  • Exzentrisches Training ist eine „wirksame“ Präventionsstrategie

Als „effektiv“ werteten die Experten Übungen mit einem exzentrischen Schwerpunkt. Sie stellen auf verschiedene modifizierbare Risikofaktoren für Muskelverletzungen ab [11], darunter die exzentrische Kraftfähigkeit, der optimale Winkel des Spitzendrehmoments und die Muskelarchitektur, z. B. die Faszikellänge.

Wann exzentrische Trainingseinheiten am besten in die Trainingswoche eingebaut werden sollten, bleibt im dichten Trainings- und Spielplan schwer zu bestimmen. Bei einem Abstand von mehr als fünf Tagen Erholung zwischen Spielen empfehlen die Experten den Tag 3 nach einem Spiel (MD+3) als besten Tag für eine exzentrische Trainingseinheit in der Woche. Allerdings würde bei einer Woche mit fünf Erholungstagen MD+3 mit MD-3 zusammenfallen, der im gleichen Zyklus der bevorzugte Tag für Sprint- und HSR-Übungen ist. Uneinig waren sich die Experten, ob beide Übungsformen in derselben Trainingseinheit durchgeführt werden sollten. Ob die Zusammenlegung von Sprint- und HSR-Übungen mit exzentrischem Training sinnvoll ist, scheint kontextabhängig und sollte von Art und Umfang der geplanten Sprint- und HSR-Einheit abhängen. In Trainingswochen mit weniger als vier Tagen zwischen Spielen sollten exzentrische Übungen mit geringer Intensität – definiert als „geringe Belastung, geringes Volumen“ - eingesetzt werden. Ob ein solche Übungseinheit zu Muskelkater oder gar Muskelschädigung führen, wurde wissenschaftlich noch nicht nachgewiesen.

Ob das exzentrische Training besser vor oder nach dem Fußballtraining angesetzt werden sollte, sollte in Abhängigkeit von den Inhalten der Hauptfußballeinheit und den durchgeführten oder geplanten Sprint- und HSR-Einheiten geplant werden. Je nach Beanspruchung können die Einheiten vor oder nach dem Training durchgeführt werden. Keine Einigung gab es aus Expertensicht in Bezug auf die optimale Anzahl von Übungen oder die ideale Anzahl von Sätzen und Wiederholungen pro Übung.

  • „Einigermaßen wirksame“ und „ineffektive“ Präventionsstrategien 

Weitere acht Übungsformen wurden als „einigermaßen wirksam“ eingestuft: horizontale und vertikale plyometrische Übungen, Übungen zur dynamischen und statischen Flexibilität, Rumpfstabilisierung sowie konzentrische und isometrische Übungen. Als wenig effektiv werteten die Experten unter anderem Mehrgelenkübungen (z. B. Kniebeugen, olympisches Heben usw.), einbeinige Kraft- und Stabilisierungsübungen sowie Sprints mit Widerstand, ohne dass dazu ein Konsens gefunden werden konnte.

  • Präventives Training sollte von nicht-bewegungsbasierten Faktoren ergänzt werden

Um Muskelverletzungen gezielt vorzubeugen, sollten sich die Praktiker nicht nur auf trainingsbasierte Übungen konzentrieren. Einig waren sich die Experten darin, dass die Präventionsarbeit auf mehreren Ebenen ansetzen sollte. Dazu gehören auch das Monitoring der wöchentlichen Trainingsbelastung („sehr effektiv“), gefolgt von der Berücksichtigung früherer Verletzungen („wirksam“) und der Bereitschaft zur Zusammenarbeit im Team („wirksam“), der Teamkommunikation („wirksam“) sowie den Erholungsstrategien („wirksam“).

Fazit

Die Autoren weisen in ihrer Darstellung der Umfrageergebnisse darauf hin, dass die Aussagen der befragten Expertengruppe bestenfalls eine Momentaufnahme darstellt und durch einen größeren Teilnehmerkreis abgesichert werden müsste. Deutlich werde jedoch, dass die in der Forschungsliteratur empfohlenen Präventionsstrategien nicht unbedingt der Arbeitsweise der Trainingspraxis entgegenkommen. Derzeit werden die Trainingsprogramme eher auf Basis von praktischer Erfahrung und persönlichen Überzeugungen angesetzt.

Die Inhalte basieren auf der Studie „Exercise-based strategies to prevent muscle injury in male elite footballers: An expert-led delphi survey of 21 practitioners belonging to 18 Teams from the Big-5 European leagues“, die 2020 in der Fachzeitschrift „Sports Medicine” veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. McCall, A., Pruna, R., Van der Horst, N., Dupont, G., Buchheit, M., Coutts, A. J., Impellizzeri, F. M., Fanchini, M., & EFP-Group (2020). Exercise-based strategies to prevent muscle injury in male elite footballers: An expert-led delphi survey of 21 practitioners belonging to 18 teams from the Big-5 European leagues. Sports Medicine, 50(9), 1667-1681.
    Studie lesen
    1. Ekstrand, J., Bengtsson, H., Waldén, M., Davison, M., Khan, K. M., & Hägglund, M. (2023). Hamstring injury rates have increased during recent seasons and now constitute 24% of all injuries in men’s professional football: The UEFA Elite Club Injury Study from 2001/02 to 2021/22. British Journal of Sports Medicine, 57(5), 292-298.

    2. Ekstrand, J., Waldén, M., & Hägglund, M. (2016). Hamstring injuries have increased by 4% annually in men's professional football, since 2001: A 13-year longitudinal analysis of the UEFA Elite Club injury study. British Journal of Sports Medicine, 50(12), 731-737.

    3. Hägglund, M., Waldén, M., & Ekstrand, J. (2016). Injury recurrence is lower at the highest professional football level than at national and amateur levels: Does sports medicine and sports physiotherapy deliver? British Journal of Sports Medicine, 50(12), 751-758.

    4. Bahr, R., Thorborg, K., & Ekstrand, J. (2015). Evidence-based hamstring injury prevention is not adopted by the majority of Champions League or Norwegian Premier League football teams: The Nordic Hamstring survey. British Journal of Sports Medicine, 49(22), 1466-1471.

    5. Klein, C., Henke, T., Luig, P., & Platen, P. (2018). Leaving injury prevention theoretical? Ask the coach! - A survey of 1012 football coaches in Germany. German Journal of Exercise and Sport Research, 48(4), 489-497.

    6. Coutts, A. J. (2017). Challenges in developing evidence-based practice in high-performance sport. International Journal of Sports Physiology and Performance, 12(6), 717-718.

    7. Murray, N. B., Gabbett, T. J., Townshend, A. D., Hulin, B. T., & McLellan, C. P. (2017). Individual and combined effects of acute and chronic running loads on injury risk in elite Australian footballers. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 27(9), 990-998.

    8. Bradley, P. S., & Ade, J. D. (2018). Are current physical match performance metrics in elite soccer fit for purpose or is the adoption of an integrated approach needed? International Journal of Sports Physiology and Performance, 13(5), 656-664.

    9. Buchheit, M. (2019). Managing high-speed running load in professional soccer players: The benefit of high-intensity interval training supplementation. Sport Perform Sci Rep, 53, 1-5.

    10. Buchheit, M. (2019). Programming high-speed running and mechanical work in relation to technical contents and match schedule in professional soccer. Sport Perform Sci Rep, 64, v1.

    11. Butler S. (2019). Running fast: The cause, the cure and a vaccine.

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