Wissen
Training im „Home Office“: Wie Spieler sich zuhause fit halten können
Mit häuslichem Individualtraining dem körperlichen Leistungsverfall entgegenwirken
- Der Detraining-Effekt bezeichnet die Minderung der sportlichen Leistungsfähigkeit während einer Trainingsunterbrechung (bspw. in einer Saisonpause).
- Spieler, die über mehrere Wochen nicht trainieren, verlieren an Sprintleistung sowie Muskelkraft und der Anteil der Fettfreie Masse im Körper reduziert sich.
- Herzfrequenz- und Atemgasanalysen zeigen: Ohne Training büßen die Spieler an Ausdauer ein und sind schneller erschöpft.
- Um einen Totalverlust der sportlichen Leistungsfähigkeit durch die derzeitige Zwangspause zu verhindern, ist ein Individualtraining mit mindestens zwei Einheiten pro Woche (z. B. 1 x Cardio & 1 x Kraft/Schnellkraft) notwendig.
- Die Belastungsintensität sollte 80 % der maximalen Herzfrequenz nicht überschreiten.
- Die Spieler sollten Übergangsphasen bis zum nächsten Mannschaftstraining als Gelegenheit sehen, an bisher unbehandelten muskulären Dysbalancen individuell arbeiten zu können.
- Bei Wiederaufnahme des Teamtrainings sollte der Trainer damit rechnen, dass interne Beanspruchung und externe Belastung im Missverhältnis stehen.
Abstract
Das Coronavirus zwingt die meisten Fußballprofis derzeit dazu, vom Teamtraining Abstand zu nehmen. In der Zwangspause müssen sich die Spieler zuhause mit einem individuellen Training fit halten. Wer nicht entsprechend trainiert, dem droht ein schneller Verlust der körperlichen Leistungsfähigkeit. Was mit dem Körper passiert, wenn Leistungssportler über mehrere Wochen nicht oder zu unterschwellig trainieren, zeigen Forscher in einer Übersichtsarbeit. Aus den Ergebnissen der untersuchten Studien leiten sie anschließend einige praktische Handlungsempfehlungen ab, was bei dem häuslichen Individualtraining zu beachten ist.
Wie schnell baut der Körper ohne Training ab? Der Detraining-Effekt
Außergewöhnliche Umstände erfordern außergewöhnliche Trainingsmaßnahmen. Wenn in Zeiten der Coronavirus-Pandemie Ausgangssperren und Kontaktverbote reguläre Teamtrainings nicht ermöglichen, sollten Fußballprofis die Zwangspause zuhause für individuelle Trainings- und Fitnesseinheiten nutzen. Denn schon kürzere inaktive Phasen (= Detraining) können die körperliche Leistungsfähigkeit reduzieren. Spieler, die während einer Zwangs- bzw. Sommer-/Winterpause nicht ein Minimum an individuellen Sporteinheiten absolvieren, werden bis zur Wiederaufnahme des Teamtrainings Leistungseinbußen erfahren und riskieren Verletzungen, wenn der Körper an die erhöhten Intensitäten nicht angepasst ist.
Was mit dem Körper von Leistungssportlern passiert, wenn diese über einige Wochen nicht trainieren, haben Sportwissenschaftler um Joao Silva in einer Übersichtsstudie zusammengetragen. Je nach Dauer der Trainingsunterbrechung unterscheidet man zwischen einem kürzeren (< 4 Wochen) und einem längeren (> 4 Wochen) Detraining [1].
Der Fettanteil steigt
Das Detraining macht sich nach einiger Zeit in einer veränderten Körperzusammensetzung bemerkbar. Das prozentuale Verhältnis von Körperfett (Body Fat BF), Magermasse (Lean Body Mass LBM = Körpergewicht minus Speicherfett) und Fettfreier Masse (Fat-Free Mass FFM = Körpergewicht minus Masse des Körperfetts) wandelt sich. In Studien, in denen Profis vor und nach einer etwa 4-6-wöchigen inaktiven Phase untersucht worden waren, konnten Forscher folgende Beobachtungen machen:
- a) der Anteil des Körperfetts stieg geringfügig,
- b) der Anteil der Magermasse ging moderat zurück und
- c) der Prozentsatz der Fettfreien Masse reduzierte sich teilweise deutlich [2, 3].
Die Schnellkraft schwindet
Auch die neuromuskuläre Leistungsfähigkeit leidet nach einem Aussetzen des regulären Trainings. Selbst wenn Profifußballer in einer kurzen Detrainingsphase (vier Wochen) drei Mal pro Woche ein leichtes Joggingprogramm beibehalten (30 Minuten bei ca. 60% der maximalen Herzfrequenz), büßen sie etwas an Schnellkraft ein [4]. Sechs bis acht Wochen Detraining ging in Studien außerdem mit einer geringeren Sprunghöhe bei Counter Movement Jumps (CMJ) und Squat Jumps (Hocksprüngen) einher [3]. Darüber hinaus litt die Sprintleistung von Profifußballern auf kürzeren und längeren Distanzen nach 3-6 Wochen Detraining.
Die Fitness nimmt ab
Mehrwöchige inaktive Phasen wirken sich negativ auf den Fitnesszustand von Fußballprofis aus. In einer Studie machte sich das Detraining durch eine erhöhte Herzfrequenz bei Laufgeschwindigkeiten von 10 bis 17 km/h bemerkbar [5]. Atemgasmessungen bestätigen, dass Profifußballer ihr Fitnesslevel nach Aussetzen des regulären Teamtrainings nicht auf hohem Niveau halten können, selbst wenn sie ein Trainingsprogramm zu Hause durchführten.
Dass sich eigenständiges individuelles Training dennoch lohnen kann, zeigen
Studien, die die maximale Sauerstoffaufnahme (VO2max) als Fitnessindikator genutzt haben. Denn je nachdem, ob die Spieler gar nicht trainierten oder ein moderat intensives individuelles Training absolvierten, ging der VO2max-Wert stärker oder eben weniger stark zurück [3, 5, 6]. Mit dem derzeitigen „Home-Training“ lässt sich der Rückgang der Fitness offenbar verlangsamen, auch wenn sich ein Fitnessverlust wohl nicht ganz aufhalten lässt.
Angesichts der gesunkenen Fitnesswerte der Spieler sollten Trainer bei Wiederaufnahme des Teamtrainings mit einem veränderten Verhältnis zwischen externer Belastung (Vorgaben des Trainers, z. B. Länge einer Sprintstrecke) und interner Beanspruchung (subjektiv empfundene Anstrengung) der Spieler rechnen. Da zu erwarten ist, dass zu Beginn des Teamtrainings schon moderate bis intensive Belastungen die Spieler stark beanspruchen und erschöpfen werden, ist es ratsam:
- a) die Belastungen behutsam an den veränderten Fitnesszustand der Spieler anzupassen,
- b) sehr hohe Belastungen gut vorauszuplanen und
- c) vor der Wiederaufnahme des Mannschaftstrainings Leistungstests zur körperlichen Verfassung durchzuführen.
Der Abstand zwischen dem Wiedereinstieg in das Mannschaftstraining und dem nächsten Wettkampf spielt hierbei eine entscheidende Rolle.
Auch die Chemie des Körpers ändert sich
Längeres Detraining verändert den Körper nachweislich auch auf zellulärer und biochemischer Ebene. Kurze inaktive Phasen (ca. 2 Wochen) verringerten die muskuläre Sauerstoffkapazität [7]. Ist die muskuläre Sauerstoffkapazität verringert, kann die Leistungs- sowie Regenerationsfähigkeit der Athleten bei bzw. nach intensiven Trainingseinheiten eingeschränkt sein. Da der Phosphatspeicher Phosphokreatin häufig nicht schnell genug aufgebaut wird, erhöht sich der Anteil anaerober Energiequellen [7, 8, 9].
Was also tun? Praktische Handlungsempfehlungen für Zuhause
Um den Verlust der Fitness während längerer Übergangsphasen (in der präsentierten Studie von einer Wettkampfperiode zur nächsten) so moderat wie möglich zu halten, haben die Autoren aus den untersuchten Studien einige Handlungsempfehlungen für ein „Heim“-Training für Fußballprofis abgeleitet. Das Training sollte mindestens zwei Einheiten pro Woche (im Abstand von 48 bis 72 Stunden) beinhalten, um einen Totalverlust der sportlichen Form zu verhindern. Typischerweise dient die gewöhnliche Übergangsperiode der Erholung der Spieler und kann somit nicht direkt mit der gegenwärtigen Situation verglichen werden.
Studien zu genauen Trainingsempfehlungen in Zeiten der Corona-Pandemie sind noch rar. Erste Publikationen gehen für einen zufriedenstellenden Erhalt der sportlichen Leistungsfähigkeit im Leistungsfußball von
- 3-4 Herz-Kreislauf-Trainingseinheiten,
- 2 Kraft- und Schnellkrafteinheiten und
- 2-3 Stretchingeinheiten
pro Woche aus [14]. Dabei wird deutlich, dass ein Heimtraining das Mannschaftstraining nicht gänzlich ersezten kann.
Trainingsintensität
Um den negativen körperlichen Veränderungen (z. B. Verlust der Ausdauer, Anstieg des Körperfettanteils, verminderter Magerfettanteil), die in einer klassischen Detrainingsphase auftreten entgegenzuwirken, wird im Allgemeinen ein HIT-Training (High Intensive Interval Training) empfohlen. Ein zu intensives Training kann jedoch das Immunsystem schwächen und das Risiko erhöhen, mit COVID-19 infiziert zu werden. Aus diesen Gründen wird empfohlen, während der Pandemieperiode ein zu intensives Training (> 80 % der maximalen Herzfrequenz) zu vermeiden [14].
Herz-Kreislauf-Training
Die Dauer einer Herz-Kreislauf-Trainingseinheit sollte 60 Minuten nicht überschreiten [14]. Hierfür kann das Training auf zwei Einheiten mit je maximal 30 Minuten aufgeteilt werden. Es ist wichtig, zwischen den beiden Trainingseinheiten ausreichend Flüssigkeit zu sich zu nehmen und eine Erholungszeit von mindestens drei Stunden zu gewährleisten. Die Intensität des Cardio-Trainings sollte auf 80 % der maximalen Herzfrequenz begrenzt werden und kann unter Beibehaltung der angegeben Intensitätsobergrenze in Form von Intervall- oder Dauerbelastung durchgeführt werden. Wenn es die Gegebenheiten erlauben, sollten Trainingsformen mit Ball gewählt werden. Einen Überblick über mögliche Dribbel- und Passformen sowie Ballan- und Mitnahme zur gleichzeitigen Schulung von technischen Fertigkeiten im Eigentraining ist HIER dargestellt.
Kraft- und Schnellkrafttraining
Für ein Kraft- und Schnellkrafttraining ist eine Kombination aus Widerstandstraining (z. B. Bankdrücken, Push-Ups, Sit-Ups), Plyometrie (reaktive Sprungübungen) und sportartspezifischen Be- und Entschleunigungsübungen (z. B Antritte) zur Schulung des Kraft-Geschwindigkeitsprofils der Muskulatur denkbar. Viele der Übungen können mit dem eigenen Körpergewicht und ohne zusätzliches Trainingsgerät durchgeführt werden.
Um die Abläufe und Koordination der für das Fußballspiel spezifischen Muskelgruppen zu erhalten, kann man sich an "FIFA 11+“ orientieren ein Aufwärmprogramm, das die FIFA zur Verletzungsprävention entwickelt hat [12]. Das Wissenschaftlerteam um Joao Silva empfiehlt, zu „11+“ Übungen zu ergänzen, die mehrere Gelenke und das neuromuskuläre System gleichzeitig trainiert (z. B. Kniebeugen mit Gewichten, >70-80% Einer-Wiederholungs-Maximum, 3-4 Sätze, 4-8 Wiederholungen). Die Dauer einer Kraft- und Schnellkrafttrainingseinheit sollte nicht länger als 60 Minuten sein. Da die Infektion mit dem Coronavirus asymptomatisch verlaufen kann, ist es sicherer mit submaximalen Intensitäten zu trainieren [14].
Zwangspause als Chance
Saisonale Trainingsunterbrechungen und Zwangspausen, wie sie durch die Coronavirus-Pandemie entstanden sind, können Sportler durchaus auch als Chance begreifen. Denn solche Übergangsphasen bieten Zeitfenster, die es ihnen erlauben, an eigenen Schwächen individuell zu arbeiten. Eine Schwäche, die auch im Hinblick auf Verletzungsrisiken relevant ist, bezieht sich auf muskuläre Dysbalancen (häufig in der hinteren Oberschenkelmuskulatur). Spieler, bei denen eine solche Dysbalance besteht, erleiden vier bis fünf Mal häufiger eine Verletzung an der Oberschenkelmuskulatur als ausbalancierte Spieler [13]. Um einen Kräfte-Ausgleich vor Wiederbeginn des Teamtrainings herzustellen, können Spieler mit solchen bisher unbehandelten Schwächen die Zeit sinnvoll nutzen, indem sie zuhause geeignete individuelle Trainingseinheiten durchführen.
Die Inhalte basieren auf der Studie "The Transition Period in Soccer: A Window of Opportunity", die 2016 im „Sports Medicine" veröffentlicht wurde.
Weiterführendes Wissen
Covid-19: Allgemeine Trainingsempfehlungen (externe Infografik)
Wie man die Muskelmasse während der Quarantäne erhält (externe Infografik)
Zehn Tipps für einen gesunden Schlaf während der Quarantäne (externe Infografik)
Täglich neustes Wissen zum Umgang mit Corona im Sport (externe Literatur-Datenbank des IAT)
Übersicht zu Trainingsformen mit Ball für Zuhause (Videos)
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Literatur
- Silva, J. R., Brito, J., Akenhead, R., & Nassis, G. P. (2016). The transition period in soccer: a window of opportunity. Sports Medicine, 46(3), 305-313.Studie lesen
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