Wissen

Training unter Sichteinschränkung

Verbessern Stroboskopbrillen kognitive Fähigkeiten?

Technologie & Equipment
Psychologie
Torwart Alexander Nübel (FC Schalke 04) trainiert im Trainingslager in Spanien mit einer Stroboskopbrille.
    • Training mit einer Stroboskopbrille kann sich kurzfristig positiv auf visuelle, perzeptive und kognitive Fähigkeiten auswirken.
    • Insbesondere das schnelle zentrale Sehen kann mit dieser Methode trainiert werden.
    • Langzeiteffekte und das periphere Sehen scheinen davon nicht zu profitieren.
    • Die Studienlage in diesem Forschungsfeld ist noch gering und variiert in der Untersuchungsmethodik.
    • Vorteile sind u. a. eine Anwendung in realen Spiel-/Trainingsumgebungen und eine einfache Handhabung. 
Abstract

Das Training mit Stroboskopbrillen, zielt darauf ab, die Wahrnehmung und die kognitiven Leistungsfaktoren von Fußballspielern zu verbessern. Stroboskopbrillen sind spezielle Brillen, die abwechselnd Licht durchlassen oder lichtundurchlässig sind. Durch die Anwendung dieser Brillen soll die sportartspezifische Leistungsfähigkeit gesteigert werden. Eine qualitative Literaturstudie hat erstmals den derzeitigen Forschungsstand über existierende Trainings- und Testprotokolle zusammengetragen und die Wirksamkeit des stroboskopischen Trainings im Sport untersucht.

Die Stroboskopbrille: Ein permanenter Wechsel zwischen durchsichtig und undurchsichtig

Seit geraumer Zeit werden sie auch im Profi-Fußball eingesetzt: Stroboskopbrillen. Was auf den ersten Blick aussieht wie eine Sonnenbrille, ist ein modernes Trainingsgerät. Es soll über visuelle Reize die Wahrnehmungs- und Reaktionsfähigkeit zum Beispiel eines Torhüters schulen, indem wiederholt, für den Bruchteil einer Sekunde, die Sicht genommen wird und sich das Blickfeld verdunkelt. Möglich macht das die Technologie, die darin steckt: Die Brillengläser bestehen aus Flüssigkristallen, ähnlich wie bei Flachbildschirmen. Durch elektrischen Strom wird die Dichte der Kristalle so verändert, dass sie entweder Licht durchlassen oder die Brillengläser in unterschiedlichen Stufen abdunkeln. Der stroboskopische Flimmer- oder Verlangsamungseffekt entsteht, wenn der Strom alternierend blitzschnell an- und ausgeschaltet wird und so das Licht zwischen hell und dunkel wechselt (Beispielvideos sind u. a. auf YouTube zu finden).

Durch die Verdunkelung reduziert die stroboskopische Brille die Menge an visuellen Informationen schlagartig. Dadurch soll das Gehirn dazu angeregt werden, die noch zur Verfügung stehenden Informationen effektiver zu nutzen und/oder zusätzlich Input durch andere Sinne – wie das Gehör oder den Bewegungssinn – zu verarbeiten. Diese Kompensationsleistung macht sich die Trainingsmethode mit stroboskopischen Brillen zunutze. Sie basiert auf der Annahme, dass diese Art des Gehirntrainings die Leistungsfähigkeit unter normalen visuellen Bedingungen verbessert. Das Gehirn – eines Torhüters zum Beispiel – soll so lernen, die Geschwindigkeit und Bewegungsrichtung des Balls vorausschauend abzuschätzen. Nicht nur die Antizipation, sondern auch die Widerstandsfähigkeit gegenüber Ablenkungen soll so trainiert werden. Das Gehirn kann ablenkende Reize möglicherweise besser ausblenden; der Torhüter ist womöglich wachsamer und reaktionsschneller.

Bewusste, kurzzeitige Mehrbelastung für das Gehirn

Den Trainingseffekt beschreiben Nutzer der Brille ähnlich wie Jogger, die mit Gewichten an den Knöcheln laufen, oder Schwimmer, die im Wasser einen Widerstandsanzug tragen: Fällt die zusätzliche Belastung weg, fühlt sich die Bewegung viel leichter an [1]. Allerdings ist über die Wirksamkeit der Methode und die Trainingssteuerung aktuell noch relativ wenig bekannt.
Eine britisch-amerikanische Literaturstudie gibt nun erstmalig einen qualitativen Überblick über den derzeitigen Forschungsstand. Grundsätzlich kann ein positiver Effekt des stroboskopischen Trainings auf eine Vielzahl von visuellen, perzeptiven und kognitiven Fähigkeiten belegt werden. Insbesondere das schnelle zentrale Sehen (foveale Wahrnehmung), das zusammen mit dem peripheren Sehen die Wahrnehmungsfähigkeit ausmacht, kann mit dieser Methode trainiert werden [1,2,3]. Allerdings scheint dieser Effekt nicht länger als 10 Minuten anzuhalten und sich nicht auf eine Verbesserung des peripheren Sehens zu beziehen. Darüber hinaus fußen die derzeitigen Erkenntnisse auf lediglich sieben eingeschlossene Studien, die in ihrer Untersuchungsmethodik stark variieren. 

Anwendungen im Sport

Eine Pilotstudie mit Profi-Eishockeyspielern hat zum Beispiel gezeigt, dass stroboskopisch trainierte Spieler im Vergleich zur Kontrollgruppe ohne ein solches Training ihre Schuss- und Passpräzision verbessern konnten [4]. Die Probanden haben 16 Tage lang mit der Stroboskopbrille trainiert. Im Vorher-Nachher-Vergleich zeigte sich, dass die Probanden ihre Schlagpräzision um 18 Prozentpunkte steigern konnten, während die der Kontrollgruppe ohne Brille sich nicht verändert hatte. So verbesserten sich Offensivspieler in der Präzision ihrer Schüsse, also ob sie das Tor trafen oder nicht, im Schnitt um ca. 2 Treffer pro 20 Schüsse auf das leere Tor, beispielsweise von 12 von 20 Schüssen vor dem Training, auf 14 von 20 Schüssen 24h nach dem Training. Die Pilotstudie ist ein gutes Beispiel für einen positiven Transfereffekt der Trainingsmethode auf die sportliche Leistungsfähigkeit im realen Trainingsumfeld. Einschränkend muss allerdings berücksichtigt werden, dass die Stichprobe mit sechs Spielern in der Test- und fünf Spielern in der Kontrollgruppe sehr klein ist.

Eine neuere Studie mit drei Elite-Nachwuchstorwarten, die ein siebenwöchiges stroboskopisches Training durchlaufen hatten, ergänzt die Messdaten um qualitative Interviews mit den Testpersonen [5]. Die Probanden glaubten demnach, dass 1) ihre Seh- und Wahrnehmungsfähigkeit durch das Training besser wurden, 2) sich ihre Leistungsfähigkeit im Torwartspiel steigerte und 3) das Training fordernd und unterhaltsam war.

Was diese beiden Studien zeigen, wird durch den vorliegenden wissenschaftlichen Erkenntnisstand gestützt. Künftige Forschungsarbeiten müssen dahin gehen, den Einsatz der Stroboskopbrille an größeren Untersuchungsgruppen zu testen, um statistisch verlässlich zu belegen, dass das Gehirn mit der Trainingsmethode lernt, Situationen im Training oder Wettspiel besser wahrzunehmen und zu antizipieren.

Wie lässt sich die Stroboskopbrille im Training nutzen?

Die Trainingsmethode hat den großen Vorteil, dass sie sich direkt auf dem Platz im gewohnten Trainingsumfeld anwenden lässt, ohne eine künstliche Trainingsumgebung schaffen zu müssen. Dass die Brille als Trainingsgerät in der realen Spielsituation genutzt werden kann, wirkt sich positiv auf den Lerntransfer aus. Ihr Einsatz kann variabel an das Trainingsprogramm angepasst werden:

  • Die Dauer einer einzelnen Anwendung wie auch der gesamten Einheit kann flexibel gestaltet werden.
  • Der Einsatz kann auf die spezifischen Aktivitäten eines Sportlers ausgerichtet werden.
  • Die stroboskopische Frequenz kann an den individuellen Trainingsbedarf angepasst werden
Trainer, die die Technologie in der Praxis eingesetzt haben, berichten, dass sich die Stroboskopbrille einfach in das Trainingsprogramm einbauen lässt, unkompliziert zu nutzen ist, dabei dem Anwender eigenen Raum lässt und kaum erklärende Begleitung erfordert.

Medizinische Sicherheitshinweise

Die Stroboskopbrille arbeitet mit einer Frequenz der Hell-Dunkel-Wechsel unter der photo-epileptischen Sensitivitätsgrenze. Dennoch sollten Menschen, die an Migräne, Epilepsie leiden oder Schlaganfälle hatten, das Trainingsgerät nicht nutzen. Allerdings ist die Risikogruppe für Epilepsie klein; laut der Weltgesundheitsorganisation liegt ihr Anteil bei 49 pro 100.000 Personen im Jahr [6]. Potenziell könnten Stroboskopbrillen auch zur Rehabilitation nach neuromuskulären Verletzungen eingesetzt werden, um den Fokus von visuellen Informationen auf das Körpereigenempfinden zu lenken [7].

Die Inhalte basieren auf der Studie "An early review of stroboscopic visual training: insights, challenges and accomplishments to guide future studies", die 2019 im „International Review of Sport and Exercise Psychology" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Wilkins, L., & Appelbaum, L. G. (2019). An early review of stroboscopic visual training: insights, challenges and accomplishments to guide future studies. International Review of Sport and Exercise Psychology, 1-16.
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    1. Smith, T. Q., & Mitroff, S. R. (2012). Stroboscopic training enhances anticipatory timing. International journal of exercise science, 5(4), 344.

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    2. Appelbaum, L. G., Schroeder, J. E., Cain, M. S., & Mitroff, S. R. (2011). Improved visual cognition through stroboscopic training. Frontiers in psychology, 2, 276.

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    3. Wilkins, L., & Gray, R. (2015). Effects of stroboscopic visual training on visual attention, motion perception, and catching performance. Perceptual and motor skills, 121(1), 57-79.

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    4. Mitroff, S. R., Friesen, P., Bennett, D., Yoo, H., & Reichow, A. W. (2013). Enhancing ice hockey skills through stroboscopic visual training: a pilot study. Athletic Training and Sports Health Care, 5(6), 261-264.

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    5. Wilkins, L., Nelson, C., & Tweddle, S. (2018). Stroboscopic visual training: A pilot study with three elite youth football goalkeepers. Journal of Cognitive Enhancement, 2(1), 3-11.

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    6. World Health Organisation. Epilepsy (2017).

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    7. Grooms, D., Appelbaum, G., & Onate, J. (2015). Neuroplasticity following anterior cruciate ligament injury: a framework for visual-motor training approaches in rehabilitation. journal of orthopaedic & sports physical therapy, 45(5), 381-393.

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