Wissen
Visuell-motorische Fähigkeiten und sportliche Leistung
Studie bestätigt: Hochleistungssportler sehen besser und reagieren schneller
- Standardisierte Testbatterie der visuell-motorischen Fähigkeiten von über 2.300 Athleten.
- Hochleistungssportler zeigen insbesondere bei anspruchsvollen Anforderungen an die Visuomotorik besser Testergebnisse als Athleten mit niedrigerem Leistungsniveau.
- Die Befunde liefern einen quantitativen Hinweis für sportart-spezifische visuell-motorische Fähigkeiten von Athleten.
- Bei Fußball- und Basketballspielern ist die Fähigkeit sich an visuelle Muster zu erinnern und diese nachzubilden am ausgeprägtesten (räumliches Arbeitsgedächtnis), während bei Tennis- und Baseballspielern höhere Werte für Sehschärfe, Kontrastempfindlichkeit und Reaktionszeit gemessen wurden.
Abstract
Wie beeinflusst das Seh- und Reaktionsvermögen die sportliche Leistung? Haben Leistungssportler bessere visuell-motorische Fähigkeiten als Amateure oder Nicht-Sportler? Und wenn ja, wie sind ihre Fähigkeiten genau ausgeprägt? Wissenschaftler haben die Beziehung zwischen visuell-motorischen Fähigkeiten und sportlicher Leistung für verschiedene Sportarten quantitativ beschrieben und erstmals mit einer sehr viel größeren Stichprobe als bisherige Studien gearbeitet. Grundlage waren Datensätze von 2.317 Athleten aus der sensomotorischen Testbatterie der Nike SPARQ Sensory Station. Das digitale Testinstrument umfasst neun verschiedene psychometrische Wahrnehmungsaufgaben zur Messung der visuell-motorischen Leistungsfähigkeit.
Hochleistungssportler sind visuelle Mehrkämpfer
Über 80 Prozent der Umweltreize werden über die Augen wahrgenommen. Athleten sind gefordert, diesen visuellen Input in Sekundenbruchteilen zu verstehen und blitzschnell zu reagieren. Ob in komplexen Sportspielarten wie Fußball oder Rückschlagsportarten wie Tennis – die Spieler müssen aus dem Augenwinkel wahrnehmen, wie sich die Mit- und Gegenspieler gerade verhalten, oder die Ballbewegung möglichst genau antizipieren und richtig entscheiden. Je nach sportartspezifischem Anforderungsprofil sind dynamische Sehschärfe, räumliches Sehen, Bewegungswahrnehmung und peripheres Sehen entscheidend, um nachfolgend adäquat reagieren zu können. Die Hirnforschung hat die komplexe Arbeitsteilung zwischen Augen und Gehirn noch nicht bis ins letzte Detail verstanden. Sportwissenschaftliche Studien zeigen jedoch, dass Elitesportler im Vergleich zu Amateuren oder Nicht-Sportlern besser in der Lage sind, Schlüsselsignale zu erkennen, ihre Augen effizient zu bewegen, Informationen schnell zu verarbeiten und die Aufmerksamkeit aufrecht zu erhalten [1, 2].
Trainer im Hochleistungssport beschäftigten vor allem zwei Fragen: Lässt sich die visuelle Wahrnehmung systematisch trainieren? Und: Führen überlegene visuelle Fähigkeiten in der Folge auch zu besseren sportlichen Leistungen? Erstmals haben amerikanische Wissenschaftler die Beziehung zwischen visuell-motorischen Fähigkeiten und sportlicher Leistung über verschiedene Sportarten hinweg sowohl für Männer als auch für Frauen quantitativ beschrieben.
Sensomotorische Testbatterie: Visuell-motorische Fähigkeiten messen
Grundlage der Studie waren Datensätze von 2.317 Athleten aus der sensomotorischen Testbatterie der Nike SPARQ Sensory Station. Das Gerät misst visuell-motorische Fähigkeiten mittels einer digitalen Testserie. Sie umfasst neun computergestützte psychometrische Wahrnehmungsaufgaben, die unter standardisierten Testbedingungen einheitlich durchgeführt werden (s. ABB. 01). Auf diese Weise entsteht ein Profil der visuell-motorischen Leistungsfähigkeit eines Athleten, das mit den Daten von Athleten einer Vergleichsgruppe derselben Sportart und desselben oder eines anderen Leistungsniveaus verglichen werden kann.
Die untersuchte Gesamtstichprobe setzt sich aus 1.871 Männer und 446 Frauen zusammen. Die Daten stammen von 28 Testcentern in Kanada, den USA und England. Die untersuchten Athleten wurden nach dem US-amerikanischen Bildungssystem in Altersgruppen (Middle School bis College), Leistungsniveau, Sportart und Geschlecht geordnet und miteinander verglichen.
Während die bisherige sportwissenschaftliche Forschung diesen Zusammenhang überwiegend mit vergleichsweise kleinen Stichprobengrößen und unterschiedlichen Tests zur Messung der visuellen Wahrnehmung untersucht hat, wie die jüngeren Meta-Studien von Mann et al. [1] und Voss et al. [2] gezeigt haben, verspricht die vorliegende Studie aufgrund ihrer großen Stichprobe erstmals mehr Aussagekraft und differenziertere Ergebnisse.
Hängen überlegene visuell-motorische Fähigkeiten und höhere sportliche Leistung zusammen?
Ja, bestätigen die Studienautoren. Über die verschiedenen Leistungsniveaus hinweg waren die Werte der Athleten mit höherem Leistungsniveau bei allen Aufgaben der Testbatterie – mit Ausnahme der Aufgabe 5 Target Capture – am höchsten. Besonders deutlich wurde der Unterschied bei Aufgaben, die eine größere motorische Kontrolle erfordern. Für visuell determinierte Aufgaben (z. B. Visual Clarity und Contrast Sensitivity) wurden geringere Unterschiede festgestellt. Die Studienautoren fügen an dieser Stelle an, dass Athleten mit höherem Leistungsniveau auch durchschnittlich älter waren, als Athleten mit weniger hohem Leistungsniveau. Somit kann das Lebensalter einen Einfluss auf die erzielten Ergebnisse haben.
In Bezug auf die Sportart stellen die Autoren der Studie fest, dass Athleten, die Rückschlag- und Schlagballsportarten wie Tennis und Baseball ausüben, bessere Werte in der visuellen Wahrnehmung und Kontrast-Sensitivität (Visual Clarity und Contrast Sensitivity) aufweisen. Auch die Reaktionszeit mit der Hand (Hand Response Time) und die Anzahl an identifizierten Objekten in der Nähe und Ferne (Near-Far Quickness) fallen höher aus als bei Athleten, die Tor-, Mal- und Korbspiele wie z. B. Fußball ausführen. Umgekehrt haben die Tor-, Mal- und Korbspieler mehr Punkte in der Aufgabe Perception Span erzielt, die die Fähigkeit misst, sich an visuelle Muster zu erinnern und diese nachzubilden. Gerade Fußballspieler müssen gleichzeitig eine Reihe von Informationen über Mitspieler, Gegner und den Ball aufrechterhalten. Spieler mit einem ausgeprägten räumlichen Denken und einer hohen Wahrnehmungsfähigkeit können schnell räumliche Informationen kodieren, bewahren und abrufen. So haben diese einen Leistungsvorteil bei der Mustererkennung und bei der Entscheidungsschnelligkeit.
Dass die visuell-motorischen Fähigkeiten je nach Sportspielart unterschiedlich ausgeprägt sind, lässt die Studienautoren schlussfolgern, dass die visuell-motorische Leistungsfähigkeit von Athleten von der ausgeübten Sportspielart abhängt. Die spezifischen visuell-motorischen Fähigkeiten werden dabei durch die situationsbedingten Anforderungen je nach Sportart in unterschiedlichem Maße beansprucht und ausgeprägt.
Auch das Geschlecht spielt eine Rolle
Unterschiede verzeichnet die Studie auch zwischen Frauen und Männern. Zwar waren sie wesentlich geringer als die zwischen den verschiedenen Leistungsklassen. Es gab aber signifikante geschlechtsspezifische Unterschiede in der Testaufgabenausführung. Insbesondere bei Rückschlag- und Schlagballsportarten rangierten die Männer bei der Aufgabe zur Near-Far Quickness höher als die Frauen. Die Frauen erzielten bei der Augen-Hand-Koordination und der Aufgabe sich an visuelle Muster zu erinnern und diese nachzubilden (Perception Span) bessere Ergebnisse.
Die Inhalte basieren auf der Studie “Visual-motor expertise in athletes: Insights from semiparametric modelling of 2317 athletes tested on the Nike SPARQ Sensory Station”, die 2020 im “Journal of Sports Sciences” veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Burris, K., Liu, S., Appelbaum, L. (2020): Visual-motor expertise in athletes: Insights from semiparametric modelling of 2317 athletes tested on the Nike SPARQ Sensory Station. Journal of Sports Sciences, 38 (3): 320-329Studie lesen
Mann D, Williams A, Ward P, Janelle C (2007). Perceptual-cognitive expertise in sport: A metaanalysis. Journal of Sport and Exercise Psychology, 29: 457–478
Studie lesenVoss M, Kramer A, Basak C, Parkash R, Roberts B (2010). Are expert athletes expert in the cognitive laboratory? A meta-analytic review of cognition and sport expertise. Applied Cognitive Psychology, 24(6): 812–826
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