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Warum beschleunigen Sprinter immer noch, während Fußballer bei hohem Tempo „stagnieren“?

Ein biomechanischer Vergleich der Bodenreaktionskräfte zwischen männlichen Sprintern und Fußballspielern beim 60-Meter-Sprint

Sonstiges
Bewegungsanalyse & Biomechanik
Mönchengladbachs Florian Neuhaus, Marvin Friedrich und Jonas Hofmann (von links) bei einer Sprintübung.
    • Sprinter generierten eine höhere durchschnittliche horizontale Leistung (15,7-17,9 W/kg) als Fußballspieler (7,9-11,9 W/kg).
    • Sprinter dämpften die exzentrische Kraft in der späten Bremsphase stärker ab und erzeugten eine höhere horizontale Kraftkomponente während der Beschleunigungsphase.
    • Die Kraft-Zeit-Verläufe zu Beginn der Bremsphase unterschieden sich hingegen nicht zwischen den Sprintern und Fußballspielern.
    • Ebenso waren die Bodenkontaktzeiten bei beiden Gruppen in den analysierten Stützphasen ähnlich.
Abstract

Die vorliegende Studie vergleicht Bodenreaktionskräfte zwischen 28 Sprintspezialisten und 24 Fußballspielern bei einem maximalen 60-Meter-Sprint. Die Studienautoren wollen anhand der gemessenen Kraft-Zeit-Verläufe der Frage nachgehen, warum es einigen der Probanden gelingt, über das Geschwindigkeitsplateau der anderen hinaus zu beschleunigen. Die Ergebnisse zeigen, dass es bestimmte kinetische Variablen und Abschnitte in den Kraft-Zeit-Verläufen der Bodenreaktionskräfte gibt, die die Gruppen in der Stützphase voneinander unterscheiden.

Der lineare Sprint gehört zur häufigsten Aktion vor einer Torerzielung

Kraft- und Schnelligkeitsfähigkeiten kommen im Fußball einer hohen Bedeutung zu. Beispielsweise wurde gezeigt, dass die häufigste Aktion eines Torschützen oder eines Vorlagengebers unmittelbar vor der Torerzielung der lineare Sprint ist [1] und die Ausprägung der Hochgeschwindigkeitsphase beim Sprintlauf das Spielniveau von Fußballspielern unterscheiden kann [2]. Dementsprechend sind biomechanische Aspekte – wie z. B. die Bodenreaktionskraft – die den Körper eines Spielers beim Sprinten beschleunigen, von Interesse und Gegenstand wissenschaftlicher Untersuchungen.

Jede Bewegung bedarf einer Kraft als Ursache

Damit sich Spieler in Bewegung versetzen bzw. ihre Laufgeschwindigkeit verändern können, muss die von ihnen erzeugte Kraft gegen den Boden gerichtet werden, um nach dem dritten Newton’schen Gesetz (Wechselwirkungsprinzip: actio et reactio) eine Reaktion auf die von ihnen erzeugten Kräfte erfahren zu können. Mittels spezieller in den Untergrund eingelassener Kraftmessplatten können die entstehenden Bodenreaktionskräfte gemessen werden. Bei Laufanalysen unterscheidet man im Wesentlichen drei Richtungen der Bodenreaktionskräfte:

  • Horizontal (entlang der Laufbahn),
  • Lateral (quer zur Laufbahn),
  • Vertikal (hoch und tief).

Beim Sprinten ist insbesondere die Fähigkeit, möglichst stark in horizontaler Richtung zu beschleunigen und somit eine hohe horizontale Laufgeschwindigkeit zu erzeugen, leistungsbestimmend.  

Merkmale des Schrittzyklus beim Sprinten 

Das Sprinten ist durch eine Aufeinanderfolge von Stütz- und Schwungphasen der Beine gekennzeichnet. Die Stützphase lässt sich wiederum in eine bremsende und eine beschleunigende Phase unterteilen. Während der bremsenden Phase, die zu Beginn des Fußaufsatzes erfolgt, werden negative Kraftwerte in horizontaler Richtung produziert [3]. Hingegen werden in der beschleunigenden Abdruckphase positive Kraftwerte erzielt. Um eine Steigerung der Horizontalgeschwindigkeit zu erreichen, sollte das Verhältnis aus negativen und positiven Kräften (Netto-Bodenreaktionskraft) einen positiven Wert annehmen. Demnach wäre ein „guter“ Sprinter auch noch bei hohen Geschwindigkeiten in der Lage, positive horizontale Kraftwerte zu erzeugen, während weniger gute Sprinter vielleicht schon ein Geschwindigkeitsplateau erreicht haben. 

Die Forschungsfrage 

In der vorliegenden Studie von Colyer et al. (2018) wurden die Bodenreaktionskräfte von 28 männlichen Sprintspezialisten (100 Meter unter 11,96 Sekunden) und 24 männlichen Fußballspielern bei einem maximalen 60-Meter-Sprint verglichen, um detaillierte Erkenntnisse zu erhalten, warum es einigen Sprintspezialisten gelingt, über das Geschwindigkeitsplateau der anderen hinaus zu beschleunigen. Um eine Vergleichbarkeit zwischen den beiden Gruppen herzustellen, wurden nur die Bodenreaktionskräfte bei einer Landegeschwindigkeit von 8,0 und 8,5 m/s analysiert. 

Welche Unterschiede bestehen zwischen Sprintern und Fußballspielern?

Beim statistischen Gruppenvergleich zeigte sich, dass die Sprinter eine 50% (17,9 ± 4,8 W/kg vs. 11,9 ± 2,6 W/kg; bei 8,0 m/s Landegeschwindigkeit) und 99% (15,7 ± 5,2 W/kg vs. 7,9 ± 3,4 W/kg; bei 8,5 m/s Landegeschwindigkeit) höhere durchschnittliche horizontale Leistung bei den untersuchten Bodenkontakten erzielten als die Fußballspieler. Erreicht wurde dies durch einen höheren Impuls während der Beschleunigungsphase (15-19%) und einen niedrigeren Impuls während der initialen Bremsphase (17-21%) bei nahezu gleicher Bodenkontaktzeit. Im zeitlichen Verlauf der Stützphase wurde ersichtlich, dass die Sprinter ab der späten Bremsphase bis zum Ende der Beschleunigungsphase (Fuß verliert den Bodenkontakt erneut) höhere Bodenreaktionskräfte erzeugten (ABB. 01). Darüber hinaus besaßen die Sprinter einen stärker horizontal orientierten Kraftvektor in der frühen (30-60% der Stützphase) und späten Beschleunigungsphase (95-98% der Stützphase). In der frühen initialen Bremsphase (0-20% der Stützphase) wurden keine statistisch signifikanten Unterschiede zwischen den Gruppen festgestellt.

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Was bedeuten die Ergebnisse?

Die Studienautoren vermuten, dass die identifizierten Unterschiede in den Bodenreaktionskräften zwischen den beiden Gruppen auf Unterschiede in der muskulären Leistungsfähigkeit zurückzuführen sind. Insbesondere eine höhere exzentrische Kraftproduktion und die Aktivierung der Kniebeuger (Hamstrings) werden mit einer besseren Beschleunigungsleistung in Verbindung gebracht. Eine weitere mögliche Ursache könnten Unterschiede in der Muskelfaserzusammensetzung und den kontraktilen Elementen zwischen schnelleren und langsameren Läufern sein. Ebenso könnten Unterschiede in der Sprunggelenkssteifigkeit für die gefundenen Muster verantwortlich sein. Zumindest ist bekannt, dass eine schnelle Kraftentwicklung innerhalb einer kurzen Bodenkontaktzeit ein limitierender Faktor der Laufgeschwindigkeit ist. Wenn es also darum geht, exzentrische Bremskräfte schnell umzukehren, hat die Sprunggelenkssteifigkeit auch ihren Einfluss darauf. 

Perspektiven

Während diese Studie neue Erkenntnisse zu kinetischen Unterschieden beim Sprinten zwischen einer Stichprobe aus Sprintern und Fußballern liefert, könnte die Hinzunahme von kinematischen Analysen weitere Anhaltspunkte geben. Insbesondere, da ein wesentlicher Unterschied zwischen dem leichtathletischen Sprint und dem fußballspezifischen Sprint im Laufstil bzw. in der Körperpositionierung besteht [4]. Charakteristisch für das Bewegungs- und Sprintverhalten von Fußballspielern sind vor allem der relativ niedrigere Körperschwerpunkt und der geringere Kniehub. Beides scheint Vorteile im Hinblick auf die ständige Bereitschaft zur schnellen Richtungsänderung bzw. Änderung der aktuellen Situation (Balleroberung, Ballverlust, Gegnerkontakt etc.) zu haben [4].    

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie „How sprinters accelerate beyond the velocity plateau of soccer players: waveform analysis of ground reaction forces”, die 2018 in der Fachtzeitschrift “Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports” veröffentlicht wurde.

Weiterführendes Wissen:

  • Externe Infografik zur Zusammenfassung der analysierten Studie

Literatur

  1. Colyer, S. L., Nagahara, R., Takai, Y., & Salo, A. I. (2018). How sprinters accelerate beyond the velocity plateau of soccer players: Waveform analysis of ground reaction forces. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 28(12), 2527-2535.
    Studie lesen
    1. Faude, O., Koch, T., & Meyer, T. (2012). Straight sprinting is the most frequent action in goal situations in professional football. Journal of sports sciences, 30(7), 625-631.

    2. Haugen, T. A., Tønnessen, E., Hisdal, J., & Seiler, S. (2014). The role and development of sprinting speed in soccer. International Journal of Sports Physiology and Performance, 9(3), 432‐441.

    3. Wank, V. (2021). Einführung in die Biomechanik der Sportarten. In Biomechanik der Sportarten. Springer, Berlin, Heidelberg.

    4. Schlumberger, A. (2006). Sprint- und Sprungkrafttraining bei Fußballspielern. Deutsche Zeitschrift für Sportmedizin, 57(5), 125-131.