Wissen
Welche Rolle spielt die mentale Ermüdung im Fußball?
Wenn der Kopf nicht mehr mitspielt
- Mentale Ermüdung beeinträchtigt die sportliche Leistungsfähigkeit.
- Unter Laborbedingungen wurden negative Effekte der mentalen Ermüdung auf konditionelle Parameter festgestellt. In realen Spielsituationen kann dieser Zusammenhang bisher nicht eindeutig nachgewiesen werden.
- Mentale Ermüdung beeinflusst technische Fertigkeiten und taktische Fähigkeiten.
- Forschungsbedarf besteht hinsichtlich der Mechanismen, die zu mentaler Ermüdung im Fußball führen.
Abstract
Wie sich die kognitiven Anforderungen in Wettkampfsituationen im Fußball auf die Leistungsfähigkeit eines Spielers auswirken und welche Rolle dabei die mentale Ermüdung spielt, ist bislang noch wenig untersucht. Mental ermüdete Spieler reagieren langsamer und ihre Bewegungsabläufe werden unkoordinierter, wie erste wissenschaftliche Untersuchungen zum Thema belegen. Eine selektive Literaturstudie hat den derzeitigen Forschungsstand in Sportmedizin und Sportwissenschaft zusammengetragen, beschreibt die Zusammenhänge zwischen kognitiven Anforderungen sowie fußballerischer Leistung und zeigt den weiteren Forschungsbedarf auf, um Trainingsmethoden zu verbessern.
Erfolg ist Kopfsache
Ermüdung ist im Fußball ein großes Thema. „Vor allem die letzten 20 Minuten eines Spiels beanspruchen den Körper unglaublich“, weiß DFB-Athletiktrainer Nicklas Dietrich. „Die Spieler werden fahriger und bekommen Probleme mit der Koordination.“ Die physische Muskelermüdung, mit den bekannten Ursachen im Energiestoffwechsel, ist nicht der alleinige Grund für die nachlassende Leistungsfähigkeit: Auch die mentale Belastung ist ein wichtiger Einflussfaktor. „Total geplättet“ oder „Es ging vom Kopf her nicht“ – solche Aussagen von Spitzenfußballern nach einem aufreibenden Wettkampf zeigen, dass der Kopf mitspielt. Wissenschaftliche Untersuchungen belegen, dass es im Sport nicht nur auf die körperliche Fitness, sondern auch auf die geistige Frische ankommt.
Was ist mentale Ermüdung?
Wenn sich Sportler nach einer längeren Phase kognitiver Beanspruchung „müde“ und „ausgepowert“ fühlen, bezeichnet die Sportwissenschaft diesen Zustand als „mentale Ermüdung“. Wissenschaftliche Untersuchungen zeigen, dass ein Nachlassen der mentalen Wachsamkeit die Wahrnehmungs- [1, 2] und Leistungsfähigkeit [3, 4] beeinträchtigt und die empfundene Anstrengung steigert [5]. Mental ermüdete Sportler sind weniger alert, zeigen verlangsamte Reaktionszeiten und ungenauere Bewegungsabläufe [1, 6, 2]. Wie aber wirkt sich die nachlassende mentale Stärke auf die sportliche Leistungsfähigkeit speziell im Fußball aus? Führen die kognitiven Belastungen der Spieler in den komplexen Wettkampfsituationen nachweislich zur mentalen Ermüdung, die die beobachteten Leistungseinbußen während und nach Fußballspielen erklären könnte?
Die Zusammenhänge zwischen kognitiver Beanspruchung und den fußballspezifischen physischen und psychischen Komponenten der Ermüdung sind in der Sportmedizin und -wissenschaft erst lückenhaft beschrieben. Das Thema ist noch neu im Fußball, heißt es in einer Literaturstudie, die den aktuellen Wissensstand zu den Auswirkungen der mentalen Ermüdung auf die Leistungs- und Reaktionsfähigkeit im Fußball zusammengetragen hat.
Negative Effekte von mentaler Ermüdung auf physische Leistungsfähigkeit
Ermüdung im Zuge eines Fußballspiels ist ein von vielen Faktoren abhängiger Prozess. Sportwissenschaftler haben in verschiedenen Tests untersucht, wie sich mentale Ermüdung auf die fußballspezifischen physischen Leistungsparameter auswirkt. Ein Forschungsteam ließ zehn Mannschaftsportathleten 45 Minuten lang auf einem Laufband mit wechselnden Geschwindigkeiten laufen, nachdem sie einen anderthalbstündigen Test am Computer absolviert hatten [7]. Das Ergebnis im Vergleich mit der Kontrollgruppe, die keiner kognitiven Belastung ausgesetzt war: Im niedrigen Intensitätsbereich liefen die Probanden, die zuvor mental belastet worden waren, langsamer, während sich bei kurzen schnellen Läufen und Sprints keine Unterschiede zwischen den Gruppen zeigten. Die beobachtete Leistungseinbuße sei eher mit der höher wahrgenommenen Anstrengung nach der mentalen Belastung zu erklären als mit den physiologischen Unterschieden zwischen den Probanden, schlossen die Forscher [7]. Dass bei mental ermüdeten Athleten die Ausdauerleistungsfähigkeit abnimmt, bestätigt auch eine Folgestudie: 12 Amateurfußballspieler absolvierten einen Yo-Yo IR1 (Intermittent Recovery Test Level 1), nachdem sie zuvor 30 Minuten lang einen mental fordernden Stroop-Interferenz-Test aus der Experimentalpsychologie zur Ermittlung der durchschnittlichen kognitiven Reaktionszeit gemacht hatten. Auch hier wirkte sich eine vorhergehende mentale Belastung negativ auf konditionelle Parameter aus. Die mental geforderten Probanden liefen kürzere Distanzen als die Vergleichsgruppe.
Was sich in einer kontrollierten Testumgebung nachweisen ließ, konnte aber in echten Spielsituationen auf dem Platz nicht eindeutig bestätigt werden. Verschiedenen Studien [8, 13, 15] suchten einen Zusammenhang zwischen mentaler Ermüdung und einem Abbau der Leistungsfähigkeit in Kleinfeldspielen (Small Sided Games (SSG)) nachzuweisen. Zwar empfanden mental ermüdete Spieler die Belastung als anstrengender. Allerdings ließ sich ein solcher Einfluss von mentaler Ermüdung auf die physischen Leistungsparameter wie gelaufene Distanz, Beschleunigung und Laufintensität aus dem Vergleich mit den per GPS gemessenen Daten nicht eindeutig herauslesen. Grund dafür könnte sein, dass auf dem Platz in einer Wettkampfsituation eine Reihe weiterer Faktoren wie technisches Können und taktische Fähigkeiten die Reaktionen der Spieler auf das gegnerische Team beeinflussen als nur die subjektiv wahrgenommene Anstrengung.
Technische Fertigkeiten können durch mentale Ermüdung beeinflusst werden
Untersuchungen zeigen, dass Athleten im Laufe eines Spiels auch motorisch abbauen. Was man typischerweise der physischen Ermüdung zugeschrieben hat, könnte auch eine nachlassende mentalen Stärke verursachen. Das stützen jüngste Forschungsergebnisse [8, 9, 10]. So schnitten 14 Profifußballspieler nach einem 30 minütigem Stroop-Test in zwei technischen Kontrollformen, dem Loughborough Soccer Passing Test (LSPT) und dem Shooting Test (LSST) schlechter ab: Ihre Pässe waren weniger genau; ihre Torschüsse langsamer und weniger exakt in der Ausführung [9, 10]. Zwar steht der LSPT-Test hinsichtlich seiner Validität in der Kritik. In einer echten Spielsituation ließ sich aber ein Zusammenhang zwischen mentaler Ermüdung und nachlassenden technischen Fertigkeiten nachweisen [8]: Während eines Kleinfeldspiels (SSG) ließ die Passgenauigkeit mental ermüdeter Spieler nach. Auch hatten sie weniger Anbindung ans Spielgeschehen, weniger Ballbesitz und verloren häufiger den Ball.
Geistig frische Spieler reagieren schneller
Dass sich eine mentale Ermüdung auf die Wahrnehmungsfähigkeit und die kognitive Leistung in Computer-gestützten Tests negativ niederschlägt, ist wissenschaftlich erwiesen. Erste ähnlich angelegte Tests mit Profifußballern [11] deuten darauf hin, dass dies auch für das Entscheidungshandeln auf dem Platz gilt: Mentale Ermüdung hat die Probanden nachweislich sowohl in der Schnelligkeit als auch in der Korrektheit ihrer Entscheidungen beeinträchtigt [11]. Ihr optisches Suchverhalten hingegen war nur minimal beeinflusst.
Nächste Schritte in der Forschung
Die mentale Ermüdung präzise zu messen und somit vergleichbar zu machen, stellt nach wie vor eine große Herausforderung für die Wissenschaft dar. Vor allem im fußballspezifischen Kontext zeigt sich, dass die Erkenntnisse aus einer kontrollierten Testumgebung nicht ohne weiteres auf die reale Wettkampfsituation auf dem Spielfeld übertragen werden können. Hier besteht nach Ansicht der Studienautoren noch erheblicher Forschungsbedarf. Weitere Herausforderungen sind:
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Noch wurde die mentale Ermüdung während eines Spiels empirisch gar nicht erfasst. Dafür fehle es an geeigneten Instrumenten. Ein Fragebogen zur Ermüdung, der Profile of Mood State (POMS), den eine japanische Forschungsgruppe im Rugby Sport eingesetzt hat [12], sei unzulänglich, schreiben die Studienautoren. Er sei im Fußballsport nicht anwendbar, weil das Fragendesign nicht ausreichend zwischen mentaler und physischer Ermüdung unterscheidet.
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Wie stellt man mentale Ermüdung zu Forschungszwecken her? Bislang vorliegende Untersuchungen – wie auch die eingangs geschilderten Tests – haben kognitive Ansprüche computer-gestützt oder durch Fragebögen simuliert. Das komme aber der Realität vor einem Wettkampf kaum nahe, kritisieren die Studienautoren. Lediglich im Forschungsansatz von Continho [13] wurde mentale Ermüdung durch eine motorische Übung herbeigeführt: Die Probanden mussten über 20 Minuten eine Serie von Beinarbeitsübungen mit der Koordinationsleiter absolvieren und dabei einen Tennisball jonglieren. Künftige Forschungsarbeiten sollten darauf setzen, möglichst fußballnahe Aufgaben zur Provokation der mentalen Ermüdung einzusetzen.
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Künftige Forschungsansätze sollten noch gezielter zwischen Profifußballspielern, die einem hohen emotionalen Druck besser gewachsen sind, und Nachwuchsspielern unterscheiden. Das verspricht höhere Erkenntnisse für die Trainingsplanung, die Belastungssteuerung und die Bemessung von Erholungszeiten zur Regeneration [14].
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Derzeit weiß man noch zu wenig darüber, welche Mechanismen den negativen Einfluss von mentaler Ermüdung auf die sportliche Leistungsfähigkeit im Fußball genau steuern. Ein klareres Bild, welche kognitiv anspruchsvolle Aufgaben in einer Wettkampfsituation Fußballspieler mental besonders fordern, könnte helfen, die beobachteten Leistungseinbußen während und nach dem Spiel besser zu verstehen [15]. Aus den Erkenntnissen könnte schließlich abgeleitet werden, wie sich mentale Stärke konditionieren lässt und damit die Leistungsfähigkeit verlängern lässt.
Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Mental Fatigue and Soccer: Current Knowledge and Future Directions.", die 2018 in "Sports Medicine" veröffentlicht wurde.
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Literatur
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