Wissen
Zurück aufs Spielfeld nach Langzeitverletzung
Wie gelingt die Rehabilitation zum Wiedereinstieg auf optimalem Leistungsniveau?
- Die Anzahl der Primärverletzungen scheint zu sinken, aber das Risiko für wiederkehrende oder schwere Muskel- und Bandverletzungen bleibt hoch.
- Eine individualisierte und indikationsspezifische On-Field Rehabilitation (OFR) ist für die sichere Rückkehr zum Sport entscheidend.
- OFR-Modelle liefern Praktikern Vorschläge und Vorgaben, wie Mobilität und Stabilität stufenweise wiederaufgebaut und die Trainingsbelastung risikoarm gesteigert werden können.
Abstract
Schwere Verletzungen wie der Riss des vorderen Kreuzbandes führen nicht nur zu langen Ausfallzeiten, sondern häufig auch zu Wieder- bzw. Folgeverletzungen. Damit verletzte Spieler*innen optimal austherapiert ihr früheres Leistungsniveau möglichst ohne Rückfälle wiedererlangen, setzen Rehabilitationspläne auf einen schrittweisen Prozess. Ein zentraler Meilenstein ist die sogenannte On-Field Rehabilitation (OFR), bei der die Spieler*innen sich in ihrer gewohnten Sport- und Trainingsumgebung befinden und ihre Rehabilitationsmaßnamen auf dem Feld absolvieren. Hohe Rückfallquoten zeigen, dass deren Bedeutung für die Minderung des Wiederverletzungsrisikos in der Trainingspraxis noch unterschätzt wird. Zwei OFR-Modelle schlagen Verfahren für die Rehabilitationssteuerung vor.
Hohe Rückfallgefahr nach Muskel- und Bänderverletzungen
Die Verletzungsstatistik für die Bundesligasaison 2022/2023 zeigt: Der Oberschenkel bleibt das am häufigsten betroffene Körperteil bei Verletzungen im Fußball. Es folgen das Knie- und das Sprunggelenk. Schwere Verletzungen wie der Riss des vorderen Kreuzbandes führen im Profifußball zu langen Ausfallzeiten – durchschnittlich 6,6 Monate bis zur Rückkehr ins Mannschaftstraining und 7,4 Monate bis zur Wiedererlangung der vollständigen Spielfähigkeit [1]. Zwar scheinen Präventionsstrategien Wirkung zu zeigen: Jüngere Fallstudien [2, 3] deuten einen Rückgang der Verletzungshäufigkeiten in den letzten 18 Jahren um circa drei Prozent pro Jahr an – jedoch bleibt das Verletzungsrisiko bei wiederkehrenden oder schweren Muskel- und Bandverletzungen unverändert hoch.
Zu früh zurück aufs Feld
Am Ende einer erfolgreichen Rehabilitation steht die Rückkehr zum Spielbetrieb, bzw. das Return-to-Play (RTP). Obwohl die RTP-Quoten für Muskel- und Bandverletzungen im Profifußball hoch sind, kehren Spieler*innen oft nicht vollständig austherapiert und häufig zu früh zurück – und gefährden dadurch das Erreichen des Leistungsniveaus vor der Verletzung. Wie eine schwedische Langzeitstudie von Verletzungsdaten von 78 Spitzenvereinen aus 16 Ländern zeigt, scheiden mehr als ein Drittel der männlichen Spieler drei Jahre nach erlittenem Kreuzbandriss aus der höchsten Spielklasse aus [1]. Angesichts der höheren Belastung infolge dichterer Spiel- und Trainingskalender und der intensiveren Gangart in heutigen Wettkämpfen, gelten aber auch Muskel- und Bandverletzungen als besonders anfällig für ein erneutes Auftreten.
In der Forschung ist gut belegt, dass frühere Verletzungen einer der entscheidende Risikofaktoren für Verletzungen sind. Außerdem beobachten Sportmediziner, dass Rückfälle oder Wiederverletzungen an derselben Stelle und Folgeverletzungen oder Sekundärverletzungen an einer anderen Körperregion oftmals früh im RTP-Prozess auftreten [5]. Damit rückt neben der Umsetzung von Präventionsstrategien zur Verhinderung von Primärverletzungen auch der Rehabilitationsprozess in den Fokus. Aber wie sieht ein wirksamer Rehabilitationsprozess mitsamt erfolgreicher RTP-Strategie aus, der verletzte Spieler*innen schnellstmöglich in den Spielbetrieb zurückführt und gleichzeitig die Wiederverletzungsgefahr minimiert?
Kein Goldstandard für die Rehabilitationssteuerung
In der Trainingspraxis und in der Sportmedizin ist es umstritten, wann Profifußballer*innen nach einer Verletzung in den Spielbetrieb zurückkehren können. Es fehlt an einem Konsens über den Goldstandard für Beurteilungsverfahren und RTP-Testbatterien. Zudem ist die Beurteilung der Spieltauglichkeit ist keine einmalige Entscheidung zu einem bestimmten Zeitpunkt, sondern hängt von der Gesamtschau vieler Einzelfaktoren ab, die den Heilungsprozess bestimmen: darunter Muskelkraft, kardiovaskuläre Fitness, Koordination und psychologische Bereitschaft [6]. Einig ist sich die sportmedizinische Forschung, dass die Rehabilitation bis zum Wiedereinstieg in den Wettkampf ein kontinuierlicher Prozess ist, der auf die individuelle Entwicklung der Leistungs- und Funktionsfähigkeit eines jeden Patienten abgestimmt sein sollte. Im Idealfall unabhängig von zeitlichen Faktoren und ohne den Druck, zeitnah in den Spielbetrieb zurückkehren zu müssen. Unterschieden wird dieses Kontinuum in verschiedene Rehabilitationsphasen, die einen schrittweisen Übergang von der Rehabilitation abseits des Fußballplatzes (z. B. im Kraftraum) über das (un)eingeschränkte Mannschafttraining bis hin zur Rückkehr in den Spielbetrieb markieren (vgl. ABB. 01).
Im Verlauf dieses Kontinuums nimmt die Komplexität und Intensität der entsprechenden Übungen zu und die Trainingsbelastung wird kontinuierlich gesteigert, um das frühere Leistungsniveau wiederaufzubauen:
On-Field-Rehabilitation (OFR): Spieler*innen absolvieren ein individuell angepasstes, indikationsspezifisches funktionelles Training ohne dynamische Belastung und können an Teilen des Mannschaftstrainings teilnehmen.
Return to Team Training (RTT): Die Spieler*innen haben keine funktionellen Einschränkungen mehr und können uneingeschränkt am Mannschaftstraining teilnehmen.
Return to Competition (RTC): Die Spieler*innen können in vollem Umfang und voller Länge an Wettkämpfen teilnehmen.
Return to Performance (RTPer): Die Spieler*innen können in vollem Umfang und voller Länge an Wettkämpfen teilnehmen und erreichen dabei im Idealfall das Leistungsniveau, welches sie vor der Verletzung hatten.
Verletzungen beim Wiedereinstieg richtig austherapieren
Die Forschung zur optimalen Rehabilitationspraxis sieht die OFR-Phase als zentralen Meilenstein, denn Mobilität, Kraft und neuromuskuläre Kontrolle werden wieder aufgebaut und die Trainingsbelastung wird schrittweise gesteigert. Langzeitauswertungen von Verletzungsdaten zeigen, dass fünf von neun Wiederverletzungen vor dem ersten Spiel auftreten und die übrigen innerhalb der ersten drei Monate nach dem ersten Spiel [1]. Dies deute auf ein erhöhtes Risiko während der gesteigerten Trainingsbelastung bei der Rückkehr aufs Spielfeld hin und unterstreiche die Bedeutung einer gezielten Rehabilitationssteuerung. Vor allem die On-Field Rehabilitation weist Potential auf, wenn sie einer individualisierten, indikationsspezifischen Strategie folgt – statt einem „One fits all“-Gedanken.
Zwei Modelle für die Rehabilitationssteuerung
Die Sportwissenschaft hat dafür zwei Modelle zur Quantifizierung und Überwachung der Trainingsbelastung entwickelt. Sie unterteilen die OFR in Unterphasen und schlagen Kriterien-basierte Übungen und Testbatterien für die Belastungssteigerung vor:
- Das Modell nach Buckthorpe [7] schlägt vier Unterphasen einer qualitativ hochwertigen Rehabilitationsteuerung vor: (1) Wiederherstellung der Bewegungsqualität, (2) körperliche Konditionierung, (3) Wiederherstellung der sportartspezifischen Fähigkeiten und (4) schrittweise Entwicklung einer chronischen Trainingsbelastung. Eine nachfolgende fünfstufige Unterteilung, speziell für die Rehabilitation nach Kreuzbandriss, konnte bislang noch nicht wissenschaftlich überprüft werden – (1) lineare Bewegung, (2) multidirektionale Bewegung, (3) fußballspezifische technische Fertigkeiten, (4) fußballspezifische Bewegungen, (5) Wettkampfsimulation [9].
- Das Modell nach Taberner [9] setzt auf ein Spannungsfeld zwischen der quantitativen Steigerung der Trainingsbelastung und qualitativen Bewegungsmerkmalen im Wettkampf, die kaum planbar, hochgradig variabel, spontan und unerwartet sind. Das Modell versteht sich als Kontinuum zwischen Kontrolle und Chaos, das körperliche Konditionierung, technische Fertigkeiten und Bewegungsqualitäten fördert, wobei Umfang und Intensität systematisch erhöht werden: (1) hohe Kontrolle, (2) mäßige Kontrolle, (3) Kontrolle bis Chaos, (4) mäßiges Chaos, (5) hohes Chaos.
Beide Modelle orientieren sich nicht am Zeitablauf, sondern an den jeweils (wieder)erlangten funktionalen Fähigkeiten der verletzten Spieler*innen. Grundgedanke beider Modelle ist die zunehmende Gewöhnung der geschädigten Strukturen an die fußballspezifischen Bewegungsabläufe (Antritt, Abstoppen, Drehbewegungen, Zweikampfführung) und die sukzessive zunehmende psychische Überzeugung an die eigene Leistungsfähigkeit. Das Kontroll-Chaos-Modell legt einen größeren Schwerpunkt auf die kognitiven Anforderungen des Wiedereinstiegs in den Spielbetrieb - wohingegen beide Modelle Kriterien für die Steuerung der Belastungssteigerung vorgeben.
Empfehlungen für die Praxis
Beide OFR-Modelle sind aus der Praxis heraus entwickelt worden, aber wissenschaftlich nicht abschließend belegt. Auch gibt es derzeit noch keinen fundierten Konsens darüber, wie die Wiedererlangung der maximalen Leistungsfähigkeit in der OFR spezifisch zu messen und zu steigern ist. Derzeit sind mehrere unabhängige Messgrößen erforderlich, zum Beispiel Laufstrecke und -geschwindigkeit, Schrittfrequenz und -symmetrie, Herzfrequenz und Bewertung der wahrgenommenen Anstrengung.
Obwohl abschließende empirische Beweise noch ausstehen, lassen diverse Rehabilitationsprogramme auf eine hohe Wirksamkeit schließen. So berichtete eine kürzlich vorgelegte Studie zur Wirksamkeit des Hamstring-Protokolls, dass sich die untersuchten Spieler nach der Rehabilitation von ihrer Verletzung vollständig erholt hatten, einer höheren Spiel- und Trainingsbelastungen standhalten konnten und ein geringeres Wiederverletzungsrisiko aufwiesen [10].
Unabhängig davon, welchem Modell Trainer*innen und medizinisches Personal folgen, sollte die Rehabilitationssteuerung ganzheitlich konzipiert sein und darauf abzielen, systematisch die Belastungstoleranz der verletzten Körperregion zu entwickeln und die Spielfitness wiederherzustellen. Zudem bietet die Zwischenschaltung der On-Field Rehabilitation – zwischen klassischer Rehabilitation und Return-to-Play – eine systematische Annährung an das Spielfeld, von der die Spieler*innen mental profitieren. In der Forschung wird diskutiert, ob ein „zu früh zu viel“ bei der Belastungssteigerung das Risiko einer erneuten Verletzung erhöhen könnte. Deshalb empfiehlt eine australische Fallstudie Trainingsbelastungen während der Rehabilitation nicht zu hoch anzusetzen und stattdessen auf indikationsspezifischen, mäßig-hohen Sprint-Laufbelastungen zu setzen, die besser vor späteren Verletzungen schützen. Die Entscheidung, ob ein Spieler wettkampftauglich ist, sollte demnach auf Basis der akkumulierten Trainingsbelastungen getroffen werden – als Kompromiss zwischen einem schnellen Wiedereinstieg in den Wettkampf und einem geringeren Risiko für wiederkehrende Verletzungen [11].
Die Inhalte basieren auf der Studie „On-field rehabilitation in football: Current knowledge, applications and future directions“, die 2022 im Fachjournal „Frontiers in Sports and Active Living” veröffentlicht wurde.
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Literatur
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