Wissen
Wie gut arbeiten Trainer*innen und Wissenschaftler*innen zusammen?
So funktioniert der Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis
- Trainer*innen bevorzugen informelle Wege, um sich neues Wissen anzueignen.
- Ihr Interesse gilt vor allem technischem und taktischem Fachwissen sowie der mentalen Vorbereitung.
- Mitarbeitende in Trainerstäben beschäftigen sich vor allem mit Forschungswissen aus ihren Arbeitsbereichen.
- Um den Wissenstransfer zwischen Forschung und Praxis zu verbessern, braucht es eine bessere Koordination auf der Managementebene in Vereinen und Organisationen.
Abstract
Obwohl Trainer*innen Nutznießer des wissenschaftlichen Erkenntnisfortschritts sind, sind Forschung und Trainingspraxis nicht gut miteinander verzahnt. Das zeigt eine Literaturstudie, die den internationalen Erkenntnisstand zum Wissenstransfer zwischen Wissenschaft und Trainingspraxis im Hochleistungssport zusammengetragen hat. Nach Ansicht der Autoren sollten Forschungsfragen besser auf die Informationsbedürfnisse von Cheftrainerinnen und Cheftrainern abgestimmt werden und neues Wissen sollte besser vermittelt werden.
Forschung für den Fußball
Wie kann die Trainingsbelastung eines Spielers optimal dosiert werden? Erhöht der Kunstrasen die Verletzungsgefahr? Schaden Kopfbälle dem Gehirn? Gewinnt das Spiel, wer mehr läuft? Wissenschaftliche Erkenntnisse werden im Spitzenfußball immer wichtiger. Mediziner, Sportpsychologen, Kognitionsforscher, Statistiker, Informatiker, Biologen etc. liefern neues Forschungswissen, um den modernen Fußball voranzubringen. Sie helfen Trainer*innen, evidenzbasiert zu arbeiten. Der Begriff kommt aus der Medizin. Gemeint ist damit, die aktuell besten wissenschaftlichen Belege zu nutzen, um damit die Weiterentwicklung von Trainingskonzepten und -methoden zu untermauern. Spitzentrainer*innen verlassen sich längst nicht mehr allein auf ihre Erfahrung, sondern haben einen Kreis von akademisch ausgebildeten Expert*innen in ihren Stäben und arbeiten mit Universitäten und Forschungseinrichtungen zusammen. Forschung und Entwicklung im Fußball ist ein dynamischer Prozess (ABB. 01). Aber wie gut gelingt die Übersetzung neuer Forschungserkenntnisse in die tägliche Trainingspraxis?
Verzahnung von Forschung und Praxis im Fußball
„Unser Wissen darüber ist begrenzt“, stellt der Sportmediziner Hugh Fullagar fest. Er hat mit seinem Autorenteam die internationalen Forschungsarbeiten dazu gesichtet. Die Literaturstudie zeigt: Forschung und Praxis stehen sich wie zwei Mannschaften gegenüber, die nicht gut miteinander ins Spiel kommen. Der Wissenschaft auf der einen Seite fehle oft die Feldnähe und die nötige Wissensübersetzung, damit neue Erkenntnisse für Trainer*innen nutzbar werden. In der Trainingspraxis auf der anderen Seite werde neues Wissen aus der Forschung häufig nicht effektiv umgesetzt und gewinnbringend angewendet. Die Gründe dafür sind vielfältig.
Was Trainer*innen hindert, Forschungswissen anzuwenden
Eine Schwierigkeit besteht darin, dass Cheftrainer*innen häufig eine andere Sprache sprechen als ihre akademisch ausgebildeten Spezialtrainer*innen oder Assistent*innen. Fehlende Zeit und finanzielle Mittel, um wissenschaftliche Veröffentlichungen zu lesen, sind weitere Hindernisse. Trainer*innen bevorzugen informelle Wege, um sich neues Wissen anzueignen – etwa am Spielfeldrand, im Austausch mit Kolleg*innen oder in Teambesprechungen. Befragungen haben gezeigt [1, 2, 3], dass sie eher das persönliche Gespräch mit Sportwissenschaftler*innen oder Spezialtrainer*innen suchen als Fachartikel zu lesen, Konferenzen zu besuchen oder Lehrgänge oder Weiterbildungsprogramme zu belegen. Trainer*innen, die einen höheren Bildungsgrad haben, schätzen informelle und nicht formale Lernquellen mehr als Trainer*innen, die keine akademische Ausbildung haben.
Auch was ihren Informationsbedarf angeht, haben Trainer*innen klare Präferenzen: Während sie ihr technisches und taktisches Fachwissen als hoch einschätzen, geben sie in Befragungen Defizite vor allem in Sachen Leistungsdiagnostik, mentale Fähigkeiten und Verbesserung der technischen Effizienz an [3, 4]. Für eine Studie befragte Wissenschaftler*innen hielten dagegen das Forschungsfeld mentale Vorbereitung als einziges von 10 genannten Wissensbereichen für weniger wichtig als die befragten Trainer*innen [3]. Im Gegensatz dazu schätzt das Fachpersonal in den Trainerstäben körperliche Fitness als Forschungsthema als besonders wichtig ein. Was daran liegen mag, dass sich Fitnesstrainer*innen, Physiotherapeut*innen oder Sportmediziner*innen ohnehin primär auf diesen Wissensbereich fokussieren und meist entsprechend akademisch ausgebildet sind.
„Trainer*innen wünschen sich über alle Sportarten und kulturellen Hintergründe hinweg mehr Forschung in den Bereichen Taktik, Strategie und mentales Training“, fasst Fullagar den Erkenntnisstand zusammen. Von Interesse seien vor allem solche Forschungsfragen, die sich mit positiven Verhaltensänderungen zur Leistungssteigerung von Athlet*innen beschäftigen. Obwohl sie die Nutznießer neuer wissenschaftlicher Erkenntnisse sind und der positive Einfluss der Sportforschung auf die Trainingspraxis grundsätzlich bestätigt wird, bezweifeln dennoch viele Trainer*innen die Relevanz aktueller Forschungsergebnisse für ihre tägliche Arbeit und glauben, sie seien auf die Leistung ihrer Mannschaft nicht anwendbar [5]. Dabei spielen neben dem Bildungshintergrund auch die Sportart und das Wettkampfniveau eine Rolle, wie empfänglich Trainer*innen für wissenschaftliches Forschungswissen sind.
Die Sicht der Forschungspraxis
Während Trainer*innen nutzbarere Ergebnisse und für ihre Fragestellungen relevantere Themen anmahnen, deckt Fullagars Literaturstudie auch Hindernisse in Forschung und Entwicklung auf, die dem Wissenstransfer im Weg stehen. Eine Schwierigkeit ist, dass Wissenschaftler*innen, die an Universitäten und Instituten Forschungsarbeit leisten, ihre Ergebnisse innerhalb des akademischen Diskurses veröffentlichen, was zulasten der Übersetzung und einfachen Anwendung von neuen Erkenntnissen in der Trainingspraxis geht [5]. Was die Dynamik der wissenschaftlichen Arbeit zudem stört, ist die Ungleichzeitigkeit in der Arbeitsweise: Praktiker*innen in den Trainerstäben, die für ihr Themenfeld relevante aktuelle Forschungsergebnisse anwendungsorientiert nutzen, um Trainingskonzepte und -methoden weiterzuentwickeln oder zu optimieren, müssen schnell arbeiten, um Trainer*innen wie Sportler*innen bestmöglich zu unterstützen. Umso wichtiger ist es, dass Forschungsfragen und Informationsbedarfe gut auf das Umfeld abgestimmt sind. „Schlechte Kommunikation im Stab ist da ein häufig genanntes Hindernis“, sagt Fullagar.
Weitere Bremsen sind Aufwand, Finanzierung und Forschungsdesign. Laborstudien liefern aufgrund ihrer gut kontrollierbaren Rahmenbedingungen ein wesentlich höheres Maß an Evidenz als angewandte Studien, sind aber aufwendiger und komplexer. Im Feld durchgeführte Untersuchungen gelten zwar als anwendungsorientierter, sind aber methodisch sauber nicht einfach im Hochleistungssport umzusetzen [6]. Hinzu kommt, dass solche Studien die Zustimmung der Vereinsmanager*innen und der Mitarbeitenden in den Trainerstäben erfordern. Zu bedenken sei auch, dass die Vereins- oder organisationsgebundene Forschung schnell in den Verdacht geraten könne, interessengesteuert sein, zulasten des wissenschaftlichen Austauschs und der Validität von Ergebnissen.
So könnte die Wissenschaft besser mitspielen
Damit Forschung und praktische Anwendung in der Trainingspraxis besser ineinandergreifen, braucht es ein besseres Management der Interessen. Fullagar und sein Team schlagen die Bildung von Forschungs- und Entwicklungsabteilungen vor, die einerseits wissenschaftliches Wissen für die Bewertung von Fachwissen bereitstellen und die als Bindeglied dafür sorgen, dass die Forschung und Wissenschaft auf der einen und Trainer*innen auf der anderen Seite besser miteinander ins Spiel kommen. Auch gelte es, Spieler*innen und Vereine bzw. Organisationen besser einzubinden. Forschungsbemühungen sollten einer klar festgelegten Strategie folgen. Einerseits, um besser in die Trainingsarbeit integriert zu werden und nutzbarere Ergebnisse zu liefern, und andererseits, um gezielter und effizienter in die universitäre Forschungsarbeit eingebettet zu werden. Schließlich sollten Forschungsergebnisse besser „übersetzt“ und auf informellen Wegen vermittelt werden, die Trainer*innen entgegenkommen.
Die Inhalte basieren auf der Studie „The translation of sport science research to the field: a current opinion and overview on the perceptions of practitioners, researchers and coaches.”, die 2019 im Fachjournal „Sports Medicine” veröffentlicht wurde.
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Literatur
- Fullagar, H. H., McCall, A., Impellizzeri, F. M., Favero, T., & Coutts, A. J. (2019). The translation of sport science research to the field: a current opinion and overview on the perceptions of practitioners, researchers and coaches. Sports Medicine, 49(12), 1817-1824.Studie lesen
Brink, M. S., Kuyvenhoven, J. P., Toering, T., Jordet, G., & Frencken, W. G. (2018). What do football coaches want from sport science? Kinesiology, 50(1), 150-154.
Kilic, K., & Ince, M. L. (2015). Use of sports science knowledge by Turkish coaches. International Journal of Exercise Science, 8(1), 21.
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Jones, B., Till, K., Emmonds, S., Hendricks, S., Mackreth, P., Darrall-Jones, J., Roe, G., McGeechan, S. I., Mayhew, R., Hunwicks, R., Potts, N., Clarkson, M., & Rock, A. (2019). Accessing off-field brains in sport; an applied research model to develop practice. British Journal of Sports Medicine, 53(13), 791-793.
Ardern, C. L., Dupont, G., Impellizzeri, F. M., O’Driscoll, G., Reurink, G., Lewin, C., & McCall, A. (2019). Unravelling confusion in sports medicine and sports science practice: a systematic approach to using the best of research and practice-based evidence to make a quality decision. British Journal of Sports Medicine, 53(1), 50-56.
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