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Auswirkungen zusätzlicher Wechsel

Was bringt die Regeländerung für Spieler und Trainer?

    • Die Belastung der Spieler sank durch zwei zusätzliche Wechselmöglichkeiten um 46 %.
    • Die Regeländerung führte zu 45 % mehr Auswechslungen und damit zu einem größeren taktischen Einfluss der Trainer auf das Spielgeschehen und die Belastung der Spieler.
    • U21-Spieler gewannen bei fünf Wechseln 81 % mehr Spielzeit.
Abstract

Das International Football Association Board (IFAB) hat 2020 zwei zusätzliche Wechselmöglichkeiten im Profifußball eingeführt, um die körperliche Belastung der Spieler und somit das Verletzungsrisiko zu mindern. Wie sich diese Regeländerung auswirkt, hat eine Studie untersucht. Ausgewertet wurden die Spielzeiten der Einwechselspieler aus nationalen Spielen der europäischen Top-5-Ligen sowie den Elite-Vereinswettbewerben der UEFA (Champions League bzw. Europa League) in den Spielzeiten vor (Saison 2018/2019) bzw. nach der Regeländerung (Saison 2020/2021). Das Ergebnis: Die individuelle Belastung der Spieler sank und junge Spieler erhielten mehr Spielzeit.

Zwei zusätzliche Wechsel dauerhaft erlaubt

Während der Coronavirus-Pandemie war es erstmals möglich, fünf Auswechslungen pro Spiel vorzunehmen. Das International Football Association Boards (IFAB) hatte die vorläufige Regeländerung beschlossen, um mit Blick auf dicht gedrängte Spielpläne nach Wiederaufnahme des Spielbetriebs „das Wohl der Spieler schützen“, teilten die Regelhüter damals mit. Die Ausnahme wurde mehrmals verlängert und zum Auftakt der Saison 2022/23 ohne zeitliche Begrenzung in der Regelordnung fest verankert. Auch in der Bundesliga bleibt die neue Regelung weiterhin bestehen. Es kann also auch künftig fünf Mal in einer Partie gewechselt werden, verteilt auf die Halbzeitpause und drei Wechselfenster pro Mannschaft.

„Es haben sich sehr viele Verbände, Ligen und Klubs dafür ausgesprochen“, erklärte IFAB-Geschäftsführer Lukas Brud gegenüber der ARD-Sportschau. „Warum sollte das IFAB nein zu etwas sagen, das eine klare Mehrheit im Fußball als Option gerne hätte?“ Die Forderung nach zusätzlichen Auswechslungen im Profifußball ist nicht neu. Das Spiel wird immer schneller, die Spielpläne immer dichter. Damit steigt die körperliche Belastung der Spieler*innen. Forschungsergebnisse zeigen, dass die Leistungsfähigkeit der Spieler in der Verlängerung nachlässt [1, 2] und das Verletzungsrisiko steigt [3, 4], was sich auch in den Verletzungshäufigkeiten niederschlägt. Trainer*innen bleibt in Spielen neben häufigen Änderungen der Startaufstellung nur das taktische Wechseln, um ihre Elf zu entlasten. Die zusätzlichen Wechselmöglichkeiten sollen dafür mehr Spielraum schaffen. Aber hält die Neuerung auch, was sie verspricht?

Was bringt die Regeländerung?

Wie sich die geänderte Spielregel auf die Entlastung der Spieler und die taktische Einflussnahme der Trainer auswirkt, hat ein Forscherteam der Sporthochschule Köln in einem Vorher-Nachher-Vergleich untersucht. Gefragt wurde auch, ob junge Spieler von der erweiterten Wechselmöglichkeit profitieren. 

Grundlage waren Daten aus 3 652 nationalen Ligaspielen der Top-5-Ligen im UEFA-Ranking und 659 UEFA-Cup-Spielen (Champions League und Europa League) in zwei verschiedenen Spielzeiten 2018/2019 und 2020/2021, also vor und nach der Regeländerung des IFAB. Unter der Annahme eines einfachen linearen Anstiegs der Spielerbelastung während eines Spiels, wurden die Auswechslungszeiten aus den beiden Saisons (drei Wechsel vs. fünf Wechsel) verglichen. Verglichen wurden auch die Ligen, die zwei zusätzliche Auswechslungen eingeführt haben (deutsche Bundesliga, spanische Primera División, italienische Serie A und französische Ligue 1), mit denen der englischen Premier League, die der Regeländerung als einzige Topliga nicht gefolgt war.

Belastung der Spieler sinkt

Dass eingewechselte Spieler physisch im Vorteil sind, ist in der Forschung gut belegt. Sie legen bei Läufen mit hoher [5, 6] und mittlerer Intensität [7] größere Entfernungen zurück als Spieler, die von Anfang an im Spiel waren [8]. Einig ist man sich in Forschung und Praxis, dass Auswechslungen das Spielgeschehen erheblich beeinflussen können und für die Gesundheit der Spieler von zunehmender Bedeutung sind.

Die Studienergebnisse zeigen nun, dass mit zwei zusätzlichen Auswechslungen die Belastung der Spieler um 46 Prozent gesunken ist. Bei Spielen der englischen Premier League, die die Regeländerung nicht eingeführt hatte, änderte sich die Belastung jedoch nicht. Damit werden frühere Untersuchungen, die die Auswechslungszeiten von Bundesligaspielen (drei Wechsel erlaubt) mit Spielen der deutschen U19-Bundesliga (vier Wechsel erlaubt) verglichen haben und ähnliche Effekte zeigen konnten, bestätigt [9]. „Betrachtet man unsere Ergebnisse im Kontext früherer Studien, ist anzunehmen, dass die geringere Belastung der Spieler zu einer Verringerung der Verletzungen führt“, schreiben die Studienautoren.

Trainer schöpfen die Wechselmöglichkeiten nicht voll aus

Dabei haben Trainer bei Spielen, bei denen fünf Wechsel zulässig waren, durchschnittlich 1,31-mal mehr Auswechslungen pro Spiel vorgenommen als in Spielen ohne Regeländerung. Während in der englischen Premier League, die bei drei Wechseln geblieben war, die durchschnittliche Anzahl der Auswechslungen eher leicht zurückging, nahm die Wechselbereitschaft in den Spielen mit fünf erlaubten Wechseln in der regulären Spielzeit im Schnitt um annähernd 45 Prozent zu. 

Damit werde das volle Entlastungspotenzial aber noch nicht vollends ausgeschöpft, stellen die Studienautoren fest. Die Analyse des Zeitpunkts, wann Trainer die Auswechslungen vornahmen, zeigt zwar, dass die ersten drei Auswechslungen nach der Regeländerung häufiger und früher vorgenommen wurden. Dennoch wurden die beiden zusätzlichen Wechselmöglichkeiten weniger häufig in Anspruch genommen: Etwa 75 Prozent aller vierten Wechsel, aber nur die Hälfte aller fünften Wechselmöglichkeiten wurden auch genutzt, was aber immer noch zu einem Gesamtanstieg der Auswechslungen um etwa 45 Prozent in Pokalwettbewerben und nationalen Ligen geführt hat.

Da es beim Spielerwechsel auch auf das richtige Timing ankommt, könnten Trainer die zusätzlichen Wechselmöglichkeiten womöglich noch taktisch flexibler nutzen, um die Belastung ihrer Startelf zu verringern, schlussfolgern die Studienautoren. Bei einem Spielstand mit großer Tordifferenz zum Beispiel könnten sie Schlüsselspieler aus dem Spiel nehmen und ihnen so mehr Erholungszeit verschaffen. Dass Trainer besser auf Verletzungen reagieren können, werde auch durch die Studienergebnisse gestützt: Keine der Mannschaften in den Spielen mit zusätzlichen Auswechslungen musste ein Spiel in Unterzahl beenden, weil sich ein Spieler verletzte, nachdem das Auswechselkontingent voll ausgeschöpft worden war.

U21-Spieler bekommen mehr Spielzeit

Außerdem hat die Regeländerung einen weiteren Effekt: Junge Spieler gewinnen dadurch 81 Prozent mehr Spielzeit. Durchschnittlich standen U21-Spieler in Spielen mit fünf Wechselmöglichkeiten 5,26 Minuten länger auf dem Platz als in Spielen mit drei erlaubten Auswechslungen. Interessant dürfte sein, dass im Vergleich mit der Gesamtspielzeit aller Auswechselspieler die Zunahme der Spielminuten der U21-Spieler die aller Auswechselspieler übersteigt. „Das bedeutet, dass die zusätzlichen Spielminuten der Auswechselspieler überproportional an die jungen Spieler gingen“, schreiben die Studienautoren. Allerdings müsse bei der Interpretation der Ergebnisse berücksichtigt werden, dass sich die Daten auf unterschiedliche Alterskohorten beziehen.

Fazit

Die Ergebnisse unterstreichen die Vorteile eines höheren Auswechselkontingents, so die Studienautoren. Die Daten zeigten, dass dieses Potenzial für das Management der Spielerbelastung nicht voll ausgeschöpft werde. Allerdings müsse berücksichtigt werden, dass zum Zeitpunkt der Erhebung die Trainer zum ersten Mal mit den zusätzlichen Auswechslungen konfrontiert waren und sie ihre Strategie möglicherweise noch nicht an die neuen Möglichkeiten angepasst hatten.

Wie sich die zusätzlichen Auswechslungen künftig auf die Verletzungshäufigkeit auswirken wird, bleibt abzuwarten. Weiteren Forschungsbedarf zur Auswirkung von zusätzlichen Wechseln gibt es auch hinsichtlich weiterer Leistungsparameter wie Laufdistanz, Sprints, Packing-Rate und erarbeitete Chancen auswirken. Auch fehlen noch Untersuchungen für den professionellen Frauenfußball.

Die Inhalte basieren auf der Studie „Additional substitutions in elite European football“, die 2023 im „International Journal of Sports Science & Coaching“ veröffentlicht wurde

Literatur

  1. Meyer, J., & Klatt, S. (2023). Additional substitutions in elite European football. International Journal of Sports Science & Coaching, 17479541231164090.
    Studie lesen
    1. Harper, L. D., Fothergill, M., West, D. J., Stevenson, E., & Russell, M. (2016). Practitioners' perceptions of the soccer extra-time period: Implications for future research. PloS ONE, 11(7), e0157687.

    2. Peñas, C. L., Dellal, A., Owen, A. L., & Gómez-Ruano, M. Á. (2015). The influence of the extra-time period on physical performance in elite soccer. International Journal of Performance Analysis in Sport, 15(3), 830-839.

    3. Jaspers, A., Kuyvenhoven, J. P., Staes, F., Frencken, W. G., Helsen, W. F., & Brink, M. S. (2018). Examination of the external and internal load indicators’ association with overuse injuries in professional soccer players. Journal of Science and Medicine in Sport, 21(6), 579-585.

    4. Hägglund, M., Waldén, M., & Ekstrand, J. (2009). Injuries among male and female elite football players. Scandinavian Journal of Medicine & Science in Sports, 19(6), 819-827.

    5. Bradley, P. S., Carling, C., Gomez Diaz, A., Hood, P., Barnes, C., Ade, J., Boddy, M., Krustrup, P., & Mohr, M. (2013). Match performance and physical capacity of players in the top three competitive standards of English professional soccer. Human Movement Science, 32(4), 808-821.

    6. Bradley, P. S., Lago-Peñas, C., & Rey, E. (2014). Evaluation of the match performances of substitution players in elite soccer. International Journal of Sports Physiology and Performance, 9(3), 415-424.

    7. Padrón-Cabo, A., Rey, E., Vidal, B., & García-Nuñez, J. (2018). Work-rate analysis of substitute players in professional soccer: Analysis of seasonal variations. Journal of Human Kinetics, 65, 165.

    8. Mohr, M., Krustrup, P., & Bangsbo, J. (2003). Match performance of high-standard soccer players with special reference to development of fatigue. Journal of Sports Sciences, 21(7), 519-528.

    9. Meyer, J., & Klatt, S. (2021). Impact of one additional substitution on player load and coaching tactics in elite football. Applied Sciences, 11(16), 7676.