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Futsal – für eine höhere Passgenauigkeit im Fußball

Das Passspiel im Fußball lässt sich verbessern, wenn es unter Futsal-Bedingungen trainiert wird

Bewegungsanalyse & Biomechanik
Der deutsche Futsal-Nationalspieler Jonas Hoffmann hält den Ball am Eckpunkt bei einem Freundschaftsspiel gegen die Schweiz. (Photo by Christian Kaspar-Bartke/Bongarts/Getty Images)
    • Das beim Futsal erlernte Passspiel lässt sich besser auf den Fußball übertragen als das Passspiel, das unter Fußballbedingungen trainiert wurde, auf den Futsal.
    • Die Passgenauigkeit von Futsalspielern erhöht sich vom Futsal zum Fußball hin.
    • Die Passgenauigkeit von Fußballspielern änderte sich vom Fußball zum Futsal hin nicht entscheidend.
    • Die von den Futsalspielern antrainierte schnelle Anpassung des Wahrnehmungsvermögens, könnte einer der Hauptfaktoren sein, die den Transfer der erlernten Fertigkeiten beschleunigen.
    • Futsalspiele oder Kleinfeldspiele sollten häufiger ins Fußballtraining integriert werden.
Abstract

Futsal ist eine vom Weltfußballverband FIFA anerkannte Variante des Fußballs, die in der Halle mit fünf Spielern pro Team gespielt wird. Die Originalstudie (experimentelle Kontrollstudie) legt nahe, dass sich Futsalspiele für das Fußballtraining eignen. Denn Fertigkeiten, die unter Futsal-Bedingungen (kleinere Spielfläche, weniger Zeit für eine Spielaktion) erlernt werden, lassen sich leichter auf Bedingungen übertragen, wie sie der Fußball vorgibt (größeres Spielfeld, mehr Zeit für eine Spielaktion) als umgekehrt. Futsalspieler zeigten eine höhere Passgenauigkeit im Fußballspiel als im Futsalspiel. Einen nennenswerten Transfer von unter Fußballbedingungen erlernten Fertigkeiten in Richtung Futsal konnten die Forscher dagegen nicht feststellen. 

Unter welchen Bedingungen läuft das Passspiel ab? Der "Constraints-led approach"

In welcher Weise beeinflusst das Erlernen des Passspiels unter den Bedingungen einer Fußballvariante (z.B. Futsal) den Transfer in eine verwandte, andere Sportart (z.B. Fußball)? Können Fußballspieler ihr Passspiel verbessern, wenn sie unter Bedingungen trainieren, wie sie beim Futsal vorkommen, einer Indoor-Variante des Fußballs? Diesen Fragen sind die Forscher der Originalstudie nachgegangen. Dabei haben sie sich an dem so genannten Constraints-led approach orientiert. Nach diesem Lehransatz entstehen Bewegungskontrolle und Bewegungssteuerung aus den Wechselbeziehungen der verschiedenen äußeren sowie inneren Faktoren, die zu einem bestimmten Moment auf das Individuum einwirken [1]. Die Bedingungen (engl. constraints), die das Bewegungsverhalten in ihrer Wechselwirkung formen, lassen sich nach dem Modell in personale, umwelt- und aufgabenbezogene constraints unterteilen: Mit personalen Bedingungen sind körperliche Voraussetzungen einschließlich bisher gesammelter Bewegungserfahrungen gemeint, während die Umweltbedingungen sämtliche soziale und kulturelle Aspekte betreffen, die die Handlung mitbestimmen. Unter den Rahmenbedingungen (engl. task constraints) versteht man die spezifischen Aspekte der jeweiligen sportlichen Aufgabe im Hinblick auf Spielregeln, Spielfeld oder Sportgeräte. Task constraints tauchen im deutschen Sprachgebrauch (in der Sportwissenschaft) hin und wieder unter dem Begriff der „Übung mit methodischen Zwängen“ auf. Schränkt der Trainer beispielsweise das Sichtfeld von Fußballspielern mit speziellen Brillen nach unten hin ein, lässt sich die „blinde“ Ballkontrolle trainieren, bei der der ballführende Spieler gleichzeitig den Kopf oben hält, um den Blick für den freien Nebenmann zu haben. Das Beispiel dieser „erzwungenen Übung“ ist dann erfolgreich, wenn die Spieler später im regulären Spiel ohne eingeschränkte Sicht viel selbstverständlicher mit dem Ball am Fuß und dem freien Blick für die Mitspieler agieren [11].

Rahmenbedingungen beim Futsal und beim Fußball

Die Rahmenbedingungen, die in dieser Originalstudie eine Rolle spielen, ergeben sich durch die Unterschiede zwischen Futsal-und Fußballspiel. Futsal ist eine Variante des Fußballs, die in der Halle mit fünf Spielern pro Team gespielt wird. Entsprechend ist das Futsal-Spielfeld im Vergleich zum regulären Fußballfeld kleiner. Auch der Futsal-Ball ist etwas kleiner und im Vergleich zum Fußball sprungreduziert (vgl. Tabelle 1).

Es ist eine Tabelle zu sehen, die die Rahmenbedingungen von Futsal und Fußball aufzeigt.
Es ist eine Tabelle zu sehen, die die Rahmenbedingungen von Futsal und Fußball aufzeigt.

Sowohl beim Futsal als auch beim Fußball gehört das Passspiel zu den wichtigsten Fertigkeiten [2, 3]. Passen besitzt komplexe Anforderungen, bei der die Spieler gleichzeitig ihre Umgebung im Auge behalten und eine koordinierte Bewegung durchführen müssen, um den Ball zu einem Mitspieler zu bringen. Räumliche und zeitliche Informationen des Wechselspiels von sich bewegenden Angreifern und Verteidigern kreieren ständig neue Muster und Zusammenhänge. Die Fähigkeit eines Spielers, die eigene Wahrnehmung auf die sich ständig ändernden Winkel und Abstände zwischen Ball, Mitspielern sowie nächsten Verteidigern schnell anzupassen, bedingt erfolgreiche Leistungen im Passspiel [4, 5].Auch wenn die Informationen, die ein Spieler beim Passspiel verarbeiten muss, sowohl beim Fußball als auch beim Futsal grundsätzlich recht ähnlich sind, unterliegt das Passspiel in den beiden Bereichen unterschiedlichen Bedingungen: Durch die kleinere Spielfläche pro Spieler beim Futsal ändern sich die Abstände und Winkel zwischen den einzelnen Spielern häufiger und schneller als beim Fußball. Das könnte dazu führen, dass sich Spieler die Informationen, die für ein erfolgreiches Passspiel wichtig sind, schneller aneignen. Die speziellen Eigenschaften des Futsal-Balls (z.B. geringere Sprungelastizität) vereinfachen dagegen grundsätzlich die Ballkontrolle. Studien haben bereits gezeigt, dass Futsal-Spieler unterschiedlich auftretende Informationen (z. B. Ballgeschwindigkeit, Laufrichtungen) schneller verarbeiten und die Aufmerksamkeit länger auf die Bewegungen der anderen Spieler, während des eigenen Passspiels, richten können als Fußballspieler [6]. 

Voll im Bilde: Passgenauigkeit und Aufmerksamkeit

Die Autoren der Originalstudie wollten nun herausfinden, ob und wie sich das Erlernen des Passspiels unter den Rahmenbedingungen des Futsals bzw. des Fußballs auf die Rahmenbedingungen der jeweils anderen Sportart übertragen lässt und ob bestimmte Wahrneh­mungsleistungen diesen Transfer verstärken.Sie ließen jugendliche Futsal- und Fußballspieler, die auf Vereinsebene noch keine Erfahrungen in der anderen Sportart hatten, nach einem dreistufigen Schema trainieren: Bei einer ersten Trainingssession gewöhnten sich die Futsalspieler in mehreren kurzen Spieleinheiten an die Bedingungen des Fußballspiels, während die Fußballspieler sich mit den Bedingungen des Futsalspiels vertraut machten. Dann absolvierten die Spieler in einer zweiten Session einige Trainingsspiele „ihrer“ Sportart, um am Ende in einer dritten Session wieder die ihnen „fremde“ Sportart zu spielen. Zwischen den drei Sessions mit je sechs Spielen á fünf Minuten lagen 48 Stunden Pause. Während der Spiele erfasste eine Kamera am Spielfeldrand sämtliche Pässe. In jeder Einheit trugen zudem zwei Spieler mobile Kameras, die mit einem Eye-Tracking-System ausgerüstet waren, um deren Blickrichtung und Aufmerksamkeitsspannen aufzuzeichnen. Bei der Auswertung der Videosequenzen wurde vor allem auf das Merkmal „Passgenauigkeit“ geachtet. Weiterhin werteten die Forscher aus, wie lange die Spieler auf den Ball schauten oder in Richtung anderer Spieler blickten und wie häufig die Aufmerksamkeit des Spielers zwischen Ball und anderen Spielern hin und her wechselte. Auch einige Faktoren, die die Spieldynamik charakterisieren, wurden überprüft: technische Faktoren (z. B. die Zahl der gespielten Pässe pro Minute), Spielfeldbereich des ballführenden Spielers (das gesamte Spielfeld war in Quadranten unterteilt) und Ballannahmezeit (Zeit, die der Ball benötigte, um von einem Mitspieler zum Spieler mit Eye-Tracking-System zu kommen und von ihm kontrolliert zu werden).

Das kommt gut an: Futsalspieler passen beim Fußball genauer

Nach Auswertung der Daten zeigten sich einige Auffälligkeiten: Während Futsalspieler ihre Passgenauigkeit vom Futsal- zum Fußballspiel hin deutlich verbessern konnten, blieben die entsprechenden Werte der Fußballspieler in beiden Sportarten stabil. Mit anderen Worten: Die Passspiel-Fertigkeiten, die durch das Futsalspiel trainiert wurden, haben sich positiv auf das Fußballspiel übertragen. Beim Fußballspiel brachten die „Futsaler“ den Ball sogar noch unter höheren Spielintensitäten genauer zum eigenen Mitspieler als Fußballer beim Fußballspiel. Die Fußballer zeigten im Futsalspiel eine ähnliche Passgenauigkeit wie die Futsalspieler, allerdings war die Intensität des Spiels bei den Fußballern insgesamt geringer als bei den Futsalern.    Eine Transferleistung lässt sich als Anpassungsprozess eines erlernten Verhaltens auf neue Bedingungen verstehen [7, 8]. Die Ergebnisse lassen sich demnach so deuten, dass das Trainieren des Passspiels auf einer kleineren Fläche und unter kurzen Aktionszeiten (Futsal-Rahmenbedingungen) den Transfer in Richtung einer größeren Spielfläche und bei einem vergleichsweise größeren Aktionszeitrahmen (Fußball-Rahmenbedingungen) erleichterte. In die andere Richtung fand kein nennenswerter Transfer statt. Es fiel außerdem auf, dass sich die Aufmerksamkeit der Futsalspieler beim Fußballspiel kurz vor und bei der Ballkontrolle im Hinblick auf den Ball nach und nach erhöhte bis die Aufmerksamkeit denen von Fußballern im Fußballspiel ähnelte. Bei Fußballspielern, die Futsal spielten, blieb das Aufmerksamkeitslevel in Richtung des Balls nahezu unverändert. Da die Futsalgruppe eine so gute Passgenauigkeitsleistung beim Fußballspiel aufwies, folgern die Forscher, dass die Futsalspieler eher in der Lage gewesen sein mussten, die Informationen aufzunehmen und zu verarbeiten, die die spezifischen Erfordernisse unter Fußball-Bedingungen anzeigen. Nur so konnten sich die „Futsaler“ entsprechend anpassen und die Passaktionen derart genau ausführen. Die Forscher glauben, dass die schnellere Informationsaufnahme und Anpassung bei den Futsalspielern durch die anspruchsvolleren Futsalbedingungen gefördert wird. Denn Futsal erfordert ein ständiges und neues Abstimmen auf Informationen, die das erfolgreiche Passspiel bedingen. Beim vermeintlich weniger anspruchsvollen Fußballspiel könnte dies den Futsalern geholfen haben, die richtigen Informationen schnell aufzunehmen und in geeignete Aktionen umzusetzen. 

Folgerungen für die Praxis: Ein Plädoyer fürs Kleinfeldspiel

Die Ergebnisse dieser Originalstudie sollten Trainer generell dazu ermutigen, Rahmen­bedingungen während des Trainings zu verändern, um das Lernverhalten und den Transfer von Fertigkeiten zu fördern. Die Anzahl der Spieler und die Spielfeldgröße sind wichtige, wenn nicht gar die entscheidenden Bedingungen, die den Transfer von Fertigkeiten im Mannschaftsballsport verbessern können. Da im Kleinfeldspiel sowohl die Spielerzahl als auch die Spielfeldgröße reduziert [9] sind und das Spiel auf einer kleineren Spielfläche die Passleistungen bei nachfolgenden Spielen auf größerer Fläche verbessert, empfehlen die Autoren, häufiger im Kleinfeld zu trainieren. Eine andere Möglichkeit wäre es, neben der Spielerzahl und Spielfeldgröße weitere Futsal-Rahmenbedingungen (z. B. Futsal-Ball, Untergrund) in das Fußballtraining einzubinden. Eine aktuelle Studie, die das Kurzpassspiel unter Futsal-Rahmenbedingungen untersucht hat, kommt zu dem Schluss, dass Futsal-Training die Entwicklung fußballerischer Fertigkeiten beschleunigen kann [10].

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Futsal task constraints promote transfer of passing skill to soccer task constraints.", die 2018 im "European journal of sport science" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Oppici, L., Panchuk, D., Serpiello, F. R., & Farrow, D. (2018). Futsal task constraints promote transfer of passing skill to soccer task constraints. European journal of sport science, 1-8.
    Studie lesen
    1. Newell, K. M. (1986). Constraints on the Development of Coordination. In M. G. Wade, & H. T. A. Whiting (Eds.), Motor Development in Children: Aspects of Coordination and Control, 341-360.

    2. Mohammed, A., Shafizadeh, M., & Platt, K.J. (2014). Effects of the level of expertise on the physical and technical demands in futsal. International Journal of Performance Analysis in Sport, 14, 473-481.

    3. Rampini, E., Impellizzeri, F. M., Castagna, C., Coutts, A. J., & Wisloff, U. (2009). Technical performance during soccer matches of the Italian Serie A league: Effect of fatigue and competitive level. Journal of Science and Medicine in Sport, 12(1), 227-233.

    4. Correa, U. C., Vilar, L., Davids, K., & Renshaw, I. (2014). Informational constraints on the emergence of passing direction in the team sport of futsal. European Journal of Sport Science, 14(2), 169-176.

    5. Travassos, B. Araujo, D., Davids, K., Esteves, P. T., & Fernandes, O. (2012). Improving passing actions in team sports by developing interpersonal interactions between players. International Journal of Sports Science & Coaching, 7(4), 677-688.

    6. Oppici, L., Panchuk, D., Serpiello, F. R., & Farrow, D. (2017). Long-term practice with domain-specific task constraints influences perceptual skills. Frontiers in Psychology, 8(1387), doi: 10.3389/fpsyg.2017.01387

    7. Newell, K. M. (1996). Change in movement and skill: Learning, retention, and transfer. In M. L. Latash, M. T. Turvey, & N. A. Bernstein (Eds.), Dexterity and its development, 393-429.

    8. Rosalie, S. M., & Müller, S. (2012). A model for the transfer of perceptual-motor skill learning in human behaviors. Research Quarterly for Exercise and Sport, 83(3), 413-421.

    9. Davids, K, Araújo, D., Correia, V., & Vilar, L. (2013). How small-sided and conditioned games enhance acquisition of movement and decision-making skills. Exercise and Sport Sciences Reviews, 41(3), 154-161.

    10. Travassos, B. Araújo, D. & Davids, K. (2018). Is futsal a donor sport for football? Exploiting complementarity for early diversification in talent development. Science and Medicine in Football. Advance online publication, 2, 66-70.

    11. Güllich, A., & Krüger, M. (Eds.). (2013). Sport: das Lehrbuch für das Sportstudium. Springer-Verlag.