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Klare Maßstäbe unterstützen „Return-to-play”

Grundlage von Rehabilitationsprogrammen sollte das physiologische Anforderungsprofil des Wettkampfs sein

Bewegungsanalyse & Biomechanik
Der Spieler des FC Augsburgs während eines Spiels gegen den FC Bayern München.  (Photo by Alexander Hassenstein/Bongarts/Getty Images)
    • Laufaktivität während des Spiels variiert stark je nach Alter, Geschlecht und Position.
    • Rehabilitationsprogramme benötigen aus dem Wettkampf abgeleitete Maßstäbe.
    • Risikomodelle können zur Bestimmung eines geeigneten Zeitpunkts des „Return-to-Plays“ beitragen.
Abstract

Fitness- und Rehabilitationstraining haben zum Ziel, Spieler für die Anforderungen im Wettkampf fit zu halten bzw. die Leistungsfähigkeit wiederherzustellen. Einige Athletikprogramme vernachlässigen jedoch die Berücksichtigung von fußballspezifischen Bewegungsabläufen und deren Vorkommen (Häufigkeit und Intensität) im Wettkampf. Die systematische Literaturrecherche von Taylor und Kollegen (2017) zeigt, wie häufig, wie lange und wie intensiv Fußballer (getrennt aufgezeigt für Männer, Frauen und Nachwuchsspieler) während eines Spiels laufen, sprinten, springen oder Richtungswechsel durchführen. Diese Daten sind auch eine verlässliche Grundlage für „Return-to-Play“-Entscheidungen von Sportmedizinern.  

Reale Anforderungen werden in Reha-Programmen häufig vernachlässigt

Wie viel läuft und sprintet ein Fußballspieler eigentlich während eines Spiels? Wie viele Richtungswechsel muss er absolvieren? Wie groß sind die Unterschiede zwischen  männlichen und weiblichen Spielern, zwischen Nachwuchs und Profis? Die Entwicklung digitaler und tragbarer Messgeräte (Wearables) wie Beschleunigungssensoren, Multisensorsysteme (IMU) oder GPS machen die Erfassung von Bewegungen einfacher, schneller und präziser. Sie unterstützen heutzutage Trainer dabei, den Umfang spezifischer Bewegungsabläufe im Wettkampf zu quantifizieren [1]. Die ermittelten Anforderungen sollten daher immer Teil von sportmedizinischen „Return-to-Play“-Entscheidungen sein [2]. Vielfach werden sie leider vor allem bei Rehabilitationsprogrammen nicht genügend berücksichtigt. Eine mögliche Folge davon ist die beobachtete höhere Zahl von Verletzungen der vorderen Kreuzbänder, der Achillessehne oder der Leiste bei Untersuchungen verschiedener Sportarten [3]. 

Was wurde untersucht?

Zum physiologischen Anforderungsprofil im Wettkampf gibt es zahlreiche Erhebungen. Bei der durchgeführten Datenbankrecherche wurden knapp 700 Studien identifiziert, die entsprechende Daten aus Wettkämpfen zusammengetragen haben. Diese wurden anhand mehrerer Kriterien gefiltert – dazu gehörten: englische Sprache, multidirektionale Sportart, Bewegungsdaten über die gesamte Dauer des Spiels und über verschiedene Bewegungsarten, Transparenz und ausreichende Qualität der Daten. Letztendlich blieben 70 Studien übrig. Durch manuelle Recherche kamen weitere 22 hinzu. Basis der systematischen Analyse sind also 92 Veröffentlichungen, davon beziehen sich 54 auf Fußball, 13 auf Basketball, zehn auf Handball, sieben auf Feldhockey, vier auf Hallenfußball (Futsal) und vier auf Volleyball. Die Daten wurden nach Sportart, Alter und Geschlecht der Spieler und dem Spielniveau geordnet. Zudem wurden Umfang, Intensität, Dauer und Häufigkeit von charakteristischen Bewegungsabläufen herausgezogen und ausgewertet.Zwar nutzte die Mehrzahl der Veröffentlichungen eine hinreichend aussagekräftige Methodik bei der Erhebung der Daten. Allerdings gaben die Autoren nur in 63 % der Fälle an, wie genau die Daten ermittelt wurden, in 94 % der Untersuchungen fehlen Angaben zu den verwendeten Erhebungsbedingungen oder zum Gesundheitszustand und der Verletzungshistorie der beobachteten Athleten. Eine weitere Einschränkung liegt darin, dass die ausgewiesenen Daten das Laufpensum nur bei Wettkämpfen und nicht während der gesamten sportlichen Belastung (Wettkämpfe + Training) wiedergeben. 

Ergebnisse der Auswertung für den Fußball

Fußball als Disziplin bildete den Schwerpunkt der Veröffentlichungen. Nachfolgend die wichtigsten Ergebnisse (siehe auch Tabelle 1).Laufpensum: Von den insgesamt 54 Erhebungen beschäftigen sich 21 mit dem Laufpensum. Die zurückgelegte Strecke lag im Wettkampf zwischen 9.000 und 12.000 Metern pro Spieler - das ist nahezu doppelt so viel wie im Basketball, Handball und Futsal. Junioren laufen weniger: zwischen 2.186 und 9.900 m. Fünf Untersuchungen haben weibliche Fußballspieler beobachtet. Demnach lag hier das Pensum mit 9.600 bis 10.440 m nur unwesentlich niedriger als bei Männern. Auch im Frauenfußball liefen Juniorinnen weniger: die Strecke lag im Durchschnitt bei 6.900 m bei den unter 15-Jährigen und bei 8.500 m bei den unter 17-Jährigen. Fußballspieler legen im Wettkampf deutlich größere Strecken im schnellen Lauf als im Sprint zurück. Im Durchschnitt lagen die Distanzen im schnellen Lauf bei männlichen Profis zwischen 222 und 1.900 m, bei Junioren zwischen 468 und 1740 m, bei Profispielerinnen zwischen 608 und 2.452 m, bei Juniorinnen zwischen 458 bis 658 m.Sprints: Die Gesamtdistanz durch Sprints variiert in den einzelnen Erhebungen nahezu ebenso stark wie die beim Laufen. Bei Männern ist die Varianz kleiner als bei Frauen, bei erwachsenen Spielern kleiner als beim Nachwuchs. Erhebungen auf Basis von Modellen mit Geschwindigkeitsschwellen kommen zu einer Sprintdistanz von 117 bis 831 m bei männlichen Profispielern. Wurden Sprints dagegen auf Basis subjektiver Kriterien (z. B. Bewegung mit größter Streckung des Unterschenkels) erfasst, waren die Ergebnisse mit Distanzen zwischen 194 und 1.100 m weitaus variabler. Bei Junioren lagen die Sprintdistanzen bei 114–325 m, bei Juniorinnen bei 76–235 m, bei Profifußballerinnen bei 160–615 m. Die Anzahl der Sprints lag bei allen untersuchten Gruppen zwischen 7 und 61 pro Spiel. Die Gesamtdistanzen durch Sprints entsprechen 4 bis 12,3 % der gesamten Laufdistanz eines Wettkampfs bzw. 0,3 bis 3,4 % der gesamten Spielzeit. Im Durchschnitt dauerte ein Sprint zwei Sekunden und erfasste eine Strecke von 15,2 m (Männer) und 19 bis 29 m (Frauen).Bewegungsänderung: Im Verlauf eines Spiels ändern sowohl weibliche als auch männliche Spieler die Bewegungsart im Durchschnitt alle 4 bis 4,5 Sekunden – während der gesamten Spielzeit also 1.379 bis 1.459 Mal. Die Gesamtzahl der Beschleunigungsvorgänge (Beschleunigung größer als 2,5 m/s2) lag zwischen 52 und 100 bei Männern und war deutlich niedriger als im Frauenfußball, bei dem 423 Beschleunigungen gezählt wurden. Eine der Veröffentlichungen zeigt auf, dass abrupte Bremsmanöver (16 bis 32 pro Spiel) deutlich häufiger waren als extreme Beschleunigungen (4,8 bis 8 pro Spiel), wobei Mittelfeldspieler die häufigsten Wechsel, Stürmer die wenigsten aufwiesen [4].Richtungswechsel: Drei der 92 Veröffentlichungen enthalten Daten zu Richtungswechseln während eines Wettkampfs. Bloomfield et al. [5] präsentiert eine sorgfältige Analyse. Sie zeigt, dass männliche Profispieler mehr als 300 Richtungswechsel (< 90 °) absolvierten, und zwar sowohl nach rechts als auch nach links. Daneben gab es 45 bis 49 Wechsel mit einer Drehung von 90 bis 180 °, zwei bis drei mit Drehungen zwischen 180 und 270 °, eine Drehung zwischen 270 und 360 ° und sieben bis acht Wendungen kurz nacheinander in beide Richtungen. Generell vollführten Mittelfeldspieler mehr Richtungswechsel als Spieler im Sturm oder als Verteidiger. Durch Seitwärtsbewegungen legten Spieler eine Distanz zwischen 217 und 549 m zurück. Richtungswechsel machten im Wettkampf 3 bis 5,6 % der gesamten zurückgelegten Strecke und 3,9 bis 4,5 % der gesamten Spielzeit aus.Sprünge: Sprünge spielen in den analysierten Veröffentlichungen eine untergeordnete Rolle. Nur zwei Studien beschäftigen sich mit Sprungbewegungen von Fußballspielern [6,7]. Demnach absolvierten männliche Profispieler im Durchschnitt 10,4 ± 5,4 Sprünge pro Spiel, während Junioren 0,9 bis 3,6 Sprünge ausführten.

Es wird ein Überblick auf die Bewegungsarten: Gesamtlaufdistanzen, Tempoläufe, Sprints, Bewegungen seitwärts und Sprünge aufgezeigt. Es wird jeweils eine Spannweite (von - bis) pro Spiel aller eingeschlossenen Studien dargestellt.
Es wird ein Überblick auf die Bewegungsarten: Gesamtlaufdistanzen, Tempoläufe, Sprints, Bewegungen seitwärts und Sprünge aufgezeigt. Es wird jeweils eine Spannweite (von - bis) pro Spiel aller eingeschlossenen Studien dargestellt.
Was bedeuten die Ergebnisse für Fitness- und Rehabilitationstraining?

Das systematische Review zeigt, dass Fußballspieler etwa alle zwei bis vier Sekunden die Bewegungsart bzw. Bewegungsrichtung ändern, insgesamt summiert sich das auf bis zu 3.000 Wechsel im Spiel. Vielfach ist damit eine Änderung der Geschwindigkeit verbunden, was das Verletzungsrisiko besonders der unteren Extremitäten erhöhen kann [8,9]. Dazu gehören Überdehnungen und Stauchungen, aber auch starke Belastungen von Gelenken und Geweben, die wiederum Verletzungen begünstigen. Richtungswechsel beispielsweise beanspruchen den gesamten Bewegungsapparat, insbesondere Gesäßmuskel und Quadrizeps, vor allem durch die exzentrische Belastung während des Abstoppens. Um das Verletzungsrisiko zu minimieren, sollte eine Rehabilitation sowohl Häufigkeit als auch Ausmaß der Aktivitäten aus realen Spielen nachbilden.Ein Modell, um den Weg „Return-to-Play“ effizient zu gestalten, ist das „Strategic Assessment of Risk and Risk Tolerance“ (StARRT). Es identifiziert die Wiederherstellung sportspezifischer Fertigkeiten, die Funktionalität des Muskel-Skelettsystems, der Herz-Lungen-Funktion und psychologischer Funktionen als primäre Indikatoren für Entscheidungen über einen Wiedereinsatz im Spiel [10]. Auch die Leitstudie hat dieses Modell angewandt. Demnach sollte ein Rehabilitationstraining im Profifußball mindestens 10.000 m Laufstrecke, 30 Sprints mit einer Gesamtlänge von 300 m, 100 schnelle Tempoläufe mit einer Gesamtdistanz bis 1.000 m und 300 m seitliche Bewegungen umfassen. Den Autoren erscheint ein Paradigmenwechsel als notwendig, der weniger auf monotone Wiederholungen und isolierte Übungen in einer kontrollierten Umgebung setzt, sondern vielmehr auf ein sportmedizinisches Konzept, das Umfang und Häufigkeit der spezifischen Bewegungen und Bewegungsänderungen aus dem realen Spielgeschehen integriert.

Resümee: Return-to-Play-Entscheidungen brauchen reale Basis

Wer weiß, welche Anforderungen im Wettkampf zu bewältigen sind, kann einzelne Spieler nach längerer Spiel- oder Verletzungspause gezielter wieder fit machen. Return-to-play-Entscheidungen werden sicherer und verlässlicher. Wie in der Allgemeinmedizin bestimmt auch hier die Dosis den Erfolg: Konkrete Werte und Angaben als Benchmark geben Rehabilitationsprogrammen ein geschärftes Profil, sie verhindern sowohl Überlastung als auch Unterforderung und beugen neuen Verletzungen vor. Die systematische Auswertung des Bewegungspensums in Wettkämpfen soll als Ergänzung zum Modell von akuten und dauerhaften Belastungen (engl. acute to chronic workload) dienen [11,12].Das Laufpensum im Fußball ist gut untersucht. Im Vergleich damit beschäftigen sich weit weniger Veröffentlichungen mit anderen Bewegungsabläufen, beispielsweise mit Richtungswechseln (nur drei von 92 Veröffentlichungen) oder Sprüngen. Die Autoren gehen davon aus, dass sich die Forschung in Zukunft stärker mit der Häufigkeit und Bedeutung von Richtungswechseln, Beschleunigungs- und Abstoppbewegungen beschäftigen wird, da dreidimensional Beschleunigungssensoren in der Praxis immer häufiger zum Einsatz kommen und die Datenerhebung vereinfachen.Die Übersichtsstudie zeigt auch, dass eine Vergleichbarkeit der einzelnen Erhebungen bislang nur bedingt gegeben ist. So wurden beispielsweise Sprints von den Autoren unterschiedlich definiert und die zu Grunde gelegte Mindestgeschwindigkeit schwankt von 19 km/h bis 30 km/h, andere definierten Sprints anhand von biomechanischen Größen. Mit der wachsenden Bedeutung von Wearables und der damit wachsenden Datenfülle wird es umso bedeutender, die Methoden zur Erhebung und Bewertung von Daten stärker zu standardisieren und so ihre Vergleichbarkeit zu erhöhen. 

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "Activity demands during multi-directional team sports: a systematic review", die 2017 im "Sports Medicine" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Taylor, J. B., Wright, A. A., Dischiavi, S. L., Townsend, M. A., & Marmon, A. R. (2017). Activity demands during multi-directional team sports: a systematic review. Sports Medicine, 47(12), 2533-2551.
    Studie lesen
    1. Chambers R, Gabbett TJ, Cole MH, et al. The use of wearable microsensors to quantify sport-specific movements. Sports Med. 2015; 45:1065–81.

    2. Buchheit M, Simpson BM. Player-tracking technology: half-full or half-empty glass? Int J Sports Physiol Perform. 2017; 12:S235–41.

    3. Fulton J, Wright K, Kelly M, et al. Injury risk is altered by previous injury: a systematic review of the literature and presentation of causative. Int J Sports Phys Ther. 2014; 9:583–95.

    4. Wehbe GM, Hartwig TB, Duncan CS. Movement analysis of Australian National League soccer players using global positioning system technology. J Strength Cond Res. 2014; 28:834–42.

    5. Bloomfield J, Polman R, O’Donoghue P. Physical demands of different positions in FA Premier League soccer. J Sports Sci Med. 2007; 6:63–70.

    6. Nedelec M, McCall A, Carling C, et al. The influence of soccer playing actions on the recovery kinetics after a soccer match. J Strength Cond Res. 2014; 28:1517–23.

    7. Stroyer J, Hansen L, Klausen K. Physiological profile and activity pattern of young soccer players during match play. Med Sci Sports Exerc. 2004; 36:168–74.

    8. Boden BP, Torg JS, Knowles SB, et al. Video analysis of anterior cruciate ligament injury: abnormalities in hip and ankle kinematics. Am J Sports Med. 2009; 37:252–9.

    9. LaStayo PC, Woolf JM, Lewek MD, et al. Eccentric muscle contractions: their contribution to injury, prevention, rehabilitation, and sport. J Orthop Sports Phys Ther. 2003; 33:557–71.

    10. Shrier I. Strategic Assessment of Risk and Risk Tolerance (StARRT) framework for return-to-play decision-making. Br J Sports Med. 2015; 49:1311–5.

    11. Gabbett TJ. The training-injury prevention paradox: should athletes be training smarter and harder? Br J Sports Med. 2016; 50:273–80.

    12. Gabbett TJ, Hulin BT, Blanch P, et al. High training workloads alone do not cause sports injuries: how you get there is the real issue. Br J Sports Med. 2016; 50:444–5.