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Macht der Hormone: Beeinflusst der weibliche Zyklus die Leistung?

Individuelle Unterschiede zwischen Frauen müssen berücksichtigt werden

Athletik
Medizin
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    • Im Laufe des Menstruationszyklus ändern sich beispielsweise Blutwerte, Ruhepuls und Körpergewicht.
    • Die maximale Sauerstoffaufnahme, die aerobe Kapazität und die Kraftfähigkeit ändern sich im Verlauf des weiblichen Zyklus jedoch wenig bis gar nicht.
    • Bei hohen Außentemperaturen mit hoher Luftfeuchtigkeit kann der Anstieg der Aufwachtemperatur (gerade nach dem Eisprung) die Leistungsfähigkeit beeinflussen.
    • Die Einnahme der Pille kann erwünschte und unerwünschte Nebenwirkungen haben.
    • Individuelle Unterschiede müssen berücksichtigt werden.
Abstract

Den Schwankungen der Hormone im weiblichen Zyklus wird ein großer Einfluss auf die Leistungsfähigkeit nachgesagt. Tatsächlich ändern sich im Verlauf einige Parameter der Physiologie und des Stoffwechsels. Es gibt jedoch so große Unterschiede zwischen den Zyklen von Frauen, dass ein genereller Einfluss auf die Leistungsfähigkeit kaum nachweisbar ist. 

Die Macht der Hormone

Seit Jahrzehnten geistert das Gerücht durch die Sportwelt, dass russische Athletinnen in den 70er Jahren systematisch schwanger geworden sein sollen, um nach der anschließenden Abtreibung leistungsfähiger zu sein. Obwohl wahrscheinlich dem Reich der Mythen entsprungen, zeigt dieses Beispiel doch, wie viel Einfluss den Hormonen auf die sportliche Leistung nachgesagt wird. In verschiedenen Studien kommen Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler jedoch zu dem Schluss, dass dieser Einfluss individuell äußerst verschieden ist.
Tatsächlich kann der Zyklus einen großen Einfluss auf den Stoffwechsel und die Physiologie von Frauen haben. In einer Übersichtsstudie aus dem Jahr 2013 weisen Guiseppe Fischetto und Anik Sax darauf hin, dass beispielsweise Blutwerte oder der Ruhepuls mit dem Zyklus schwanken [2]. Durch eine Änderung des Stoffwechsels kann sich auch das Körpergewicht im Verlauf des Zyklus um mehrere Kilogramm ändern. In der lutealen Phase, dies ist die Phase zwischen Eisprung und Beginn der Regelblutung, nehmen Wassereinlagerungen und damit auch das Gewicht häufig, aber mit großen individuellen Variationen, zu.

Leistung und der Zyklus

Inwieweit diese Änderungen im Stoffwechsel jedoch tatsächlich die Leistungsfähigkeit beeinflussen, ist umstritten. Naama Constantini und Kollegen berichten in einer weiteren Übersichtsstudie aus dem Jahr 2005 beispielsweise, dass die jeweilige Zyklusphase keinen oder nur wenig Einfluss auf die maximale Sauerstoffaufnahme, die aerobe Kapazität und die Kraft von Sportlerinnen hat [1]. Bezogen auf letzteres scheint es sich jedoch auszuzahlen, das Krafttraining vermehrt in der sogenannten follikulären Phase durchzuführen. Als diese bezeichnet man die Phase zwischen dem ersten Tag der Regelblutung und dem nächsten Eisprung. Gerade zum Ende dieser Phase sind die Konzentrationen von Östradiol hoch. Dieses Sexualhormon fördert das muskuläre Wachstum und könnte dadurch einen Kraftzuwachs bedingen.
Auch die Schwankung der basalen Körpertemperatur (Aufwachtemperatur) über den Zyklus kann laut Constantini und Kollegen einen größeren Einfluss haben: Da die Temperatur nach dem Eisprung im Schnitt um 0,3-0,5 °C ansteigt, kann dies die Leistungsfähigkeit von Sportlerinnen gerade in heißen Umgebungen mit hoher Luftfeuchtigkeit beeinträchtigen.

Der Einfluss der Pille

Orale Verhütungsmittel – im Volksmund auch als „Pille“ bezeichnet – können ebenfalls einen Einfluss auf die Leistungsfähigkeit haben. Dabei können sowohl erwünschte (verringerte Menstruationsbeschwerden, geringerer Blutverlust, planbarer Zyklus, verbesserter Mineralienhaushalt, verbesserte neuromuskuläre Koordination) als auch unerwünschte Effekte (Gewichtszunahme, Unwohlsein, depressive Verstimmungen) auftreten. Die jeweiligen Nebenwirkungen (neben der eigentlichen Wirkung, der Verhütung) sind auch hier von Frau zu Frau sehr verschieden. Fischetto und Sax empfehlen allen Ausdauersportlerinnen in ihrer Studie jedoch, wenn eingenommen, sich auf sogenannte niedrigdosierte monophasische Pillen zu beschränken. Diese haben über die gesamte Anwendungsdauer dieselbe, niedrige Konzentration an den Hormonen Östrogen und Progesteron. Bei Variationen der Konzentrationen in der Pillendosis über den Zyklus zeigten sich Einbußen in der aeroben Leistungsfähigkeit. Über andere hormonelle Verhütungsmittel wird in der Studie nichts erwähnt.

Jeder Zyklus ist anders

Insgesamt schlussfolgern alle Autorinnen und Autoren, dass es nötig ist, die großen individuellen Unterschiede im weiblichen Zyklus zu berücksichtigen. Nicht nur Zykluslängen können stark variieren. Auch ob überhaupt ein Eisprung stattfindet und wie stark sich die verschiedenen Hormonkonzentrationen im Laufe des Zyklus verändern, ist von Athletin zu Athletin verschieden. Zudem sollten die individuell unterschiedlichen Auswirkungen der Hormone auf die Leistungsfähigkeit der Sportlerinnen und die Einnahme von hormonellen Verhütungsmitteln im Einzelfall im Training berücksichtigt werden. Constantini und Kollegen weisen letztendlich darauf hin, dass der Einfluss der Hormone nicht überbewertet werden sollte. Goldmedaillen und Weltrekorde seien von Athletinnen schließlich während jeder Zyklusphase erzielt worden.

Die Inhalte basieren auf der Originalstudie "The menstrual cycle and sport performance.", die 2005 im "Clinics in sports medicine" veröffentlicht wurde.

Literatur

  1. Constantini, N. W., Dubnov, G., & Lebrun, C. M. (2005). The menstrual cycle and sport performance. Clinics in sports medicine, 24(2), e51-e82.
    Studie lesen
    1. Constantini NW, Dubnov G, Lebrun CM. The menstrual cycle and sport performance. Clin Sports Med. 2005;24(2):51–82.

    2. Fischetto G, Sax A. The menstrual cycle and sport performance. New Stud Athl. 2013;28(3/4):57–69.