Wissen
Mit reiner Vorstellungskraft trainieren. Was bringt‘s?
Mentaltraining verbessert mehr als nur die motorische Leistung
- Wer eine Bewegung oder einen Handlungsablauf wiederholt mental trainiert, kann diese später besser und präziser ausführen.
- Bildhafte Vorstellungen verbessern die motorische Leistung und haben zudem motivierende und selbststärkende Effekte.
- Wie wirksam das Mentaltraining ist, hängt auch davon ab, wie regelmäßig und lang geübt wird.
Abstract
Wenn Sportler Bewegungsabläufe im Geist durchgehen und mental trainieren, verbessert das ihre körperliche Leistung. Das bestätigt eine Metastudie, die die aktuelle Forschungslage zur Nutzung der bildhaften Vorstellungskraft als Mentaltrainingsansatz evaluiert hat. Was sie auch gezeigt hat: Die Trainingsdosis macht’s. Regelmäßige mentale Übungseinheiten verbessern nicht nur die motorische Leistungsfähigkeit, sondern wirken auch positiv auf Motivation und Psyche.
Im Gehirn joggen statt auf dem Platz
Aus der Hirnforschung wissen wir: Wenn wir eine Bewegung im Kopf durchgehen und uns den Ablauf bildhaft vorstellen, sind Areale im Gehirn aktiv, die auch bei der tatsächlichen Ausführung der Bewegung beteiligt sind. Im Hochleistungssport gehört deshalb das Mentaltraining längst zum Methodenrepertoire. Spitzenathleten nutzen die Kraft des Geistes, um ihre körperliche Leistung zu verbessern. Leichtathleten stellen sich einen fehlerfreien Durchlauf im Kopf vor. Rad- oder Skirennfahrer gehen kurz vor dem Start die Strecke noch mal gedanklich ab. Fußballspieler spielen die perfekte Ausführung des Elfmeters im Geist durch. Gerade in Situationen, die Höchstleistung unter Stress erfordern und Fehler gravierende Folgen haben können, hilft das Mentaltraining. Doch was bewirkt es, wenn Sportler*innen sich die Bewegungsausführung wiederholt bildhaft vorstellen?
Das Training im Kopf gilt als bewährte Methode in der Sportpsychologie [1]. Es gibt vielfältige Ansätze, darunter die Imagination. Gemeint ist damit die bewusst durchgeführte Vorstellung einer Bewegung oder eines Handlungsablaufs, ohne sie gleichzeitig praktisch auszuführen [2]. „Ich visualisierte jeden Schritt des 400-Meter-Laufs so lange, bis ich jeden Schritt sah, den ich machen würde“, berichtete der Olympiasieger von 1968, Lee Evans, aus seiner Erfahrung.
Metastudie untersucht Forschungsstand
Dass das mentale Durchgehen von Bewegungen dazu verhilft, diese später besser und präziser auszuführen, ist durch Studien in verschiedenen Disziplinen in unterschiedlichen Forschungsdesigns sportwissenschaftlich gut belegt. Ob sich aus den vorliegenden Erkenntnissen auch die Wirksamkeit des Mentaltrainings wissenschaftlich fundiert ableiten lässt, hat eine Metastudie kürzlich untersucht. Evaluiert wurden 55 Studien mit über 1 400 Teilnehmern, insgesamt 401 ermittelte Effektgrößen – ein Maß zur Beurteilung der Wirksamkeit von Interventionen – wurden statistisch überprüft, um die Stärke des Effekts von Mentaltraining im Sport über alle Studien hinweg zu vergleichen.
Positiver Gesamteffekt
Über verschiedene Studiendesigns, Altersgruppen und Imaginationstypen hinweg ergab die Auswertung einen positiven, mittleren und statistisch signifikanten Gesamteffekt. Damit gibt es nachweislich einen kausalen Effekt zwischen Mentaltraining und verbesserter Leistungsfähigkeit. Das belegen auch die in verschiedenen Studien angelegten Vergleiche mit passiven und aktiven Kontrollgruppen. Mögliche Einflüsse dritter Variablen können ausgeschlossen werden. Wer zusätzlich zum praktischen Training Bewegungsabläufe mental übt, verbessert seine motorische Leistung (Effektgröße d = 0,47) deutlich besser, als wenn er nur körperlich trainieren würde – und das dauerhaft. Denn die Überprüfungen durch Post- und Retentionstests zeigten einen Lernzuwachs, was für nachhaltige Veränderungen durch das mentale Üben spricht.
Mentales Training macht nicht nur den Körper stärker
Auch das kann die Überprüfung über verschiedene Studien hinweg nachweisen: Das Training im Kopf verbessert nicht nur die motorische Leistungsfähigkeit, sondern auch die Motivation und das psychische Befinden. Das hat auch damit zu tun, dass der Trainierende die Bewegungen beim Vorstellen im Kopf nachempfindet und beispielsweise die Aufregung fühlen kann wie vor einem Start oder den Erfolg des Gelingens. Das Üben mit der Vorstellungskraft wirkt motivierend (Effektgröße d = 0,35) und affektiv-selbststärkend (Effektgröße d = 0,27).
Die Dosis macht‘s
Es zeigt sich, dass das Üben mit der Vorstellungskraft umso effektiver ist, je öfter man das Mentaltraining praktiziert. Dieses Ergebnis bestätigt früherer Metaanalysen und Studien, die sich mit der dosisabhängigen Wirkung von mentalen Übungen beschäftigt haben [3, 4, 5]. Am effektivsten sind regelmäßige Übungseinheiten, die etwa 20 Minuten dauern [3, 5].
Wie trainiert man eine Bewegung im Kopf?
Wie man die täuschend echte Vorstellung im Kopf am besten erzeugt, welche Visualisierungstechniken besonders wirksam sind, konnte die Forschungsarbeit nicht aussagekräftig nachweisen, weil in nur wenigen der überprüften Studien die Art des bildhaften Mentaltrainings thematisiert wurde. Grundsätzlich unterscheiden Sportpsychologen fünf Haupttypen: Übungen, die auf die Fähigkeiten fokussieren (kognitiv-spezifischer Ansatz) und Übungen, die sich auf individuelle Strategien beziehen (kognitiv-allgemeiner Ansatz). Übungen, die die Energie auf ein bestimmtes Ziel lenken (motivational-spezifischer Ansatz und Übungen, die physiologische Erregung und Emotionen auslösen, die aufputschend wirken (motivational-allgemeiner Ansatz) sowie Übungen, die auf die Stärkung des Selbstvertrauens und der Resilienz abzielen [6].
Was wissenschaftlich noch nicht bewiesen ist
Offen bleibt, ob sich die Wirksamkeit von mentalem Training unterscheidet, je nachdem, wie viel Vorerfahrung ein Sportler damit hat oder welche spezifischen Techniken praktiziert werden. Wenig Belege gibt es, die sich mit dem besten Zeitpunkt für das Training im Kopf beschäftigen oder mit der Fähigkeit, sich gedanklich bestimmte Bewegungsabläufe vorzustellen. Es braucht weitere Forschung, um Unterschiede in der Wirksamkeit verschiedener Visualisierungstechniken und verschiedener Umsetzungsstrategien systematisch zu testen.
Die Inhalte basieren auf der Studie „The effects of imagery interventions in sports: A meta-analysis”, die 2020 in der Fachzeitschrift „International Review of Sport and Exercise Psychology” veröffentlicht wurde.
Diese Studie teilen:
Literatur
- Simonsmeier, B. A., Andronie, M., Buecker, S., & Frank, C. (2021). The effects of imagery interventions in sports: A meta-analysis. International Review of Sport and Exercise Psychology, 14(1), 186-207.Studie lesen
Cumming, J., & Williams, S. E. (2013). Introducing the revised applied model of deliberate imagery use for sport, dance, exercise, and rehabilitation. Movement & Sport Sciences - Science & Motricité, (82), 69-81.
Morris, T., Spittle, M., & Watt, A. P. (2005). Imagery in sport. Human Kinetics.
Driskell, J. E., Copper, C., & Moran, A. (1994). Does mental practice enhance performance? Journal of Applied Psychology, 79(4), 481.
Hinshaw, K. E. (1991). The effects of mental practice on motor skill performance: Critical evaluation and meta-analysis. Imagination, Cognition and Personality, 11(1), 3-35.
Toth, A. J., McNeill, E., Hayes, K., Moran, A. P., & Campbell, M. (2020). Does mental practice still enhance performance? A 24 Year follow-up and meta-analytic replication and extension. Psychology of Sport and Exercise, 48, 101672.
Paivio, A. (1985). Cognitive and motivational functions of imagery in human performance. Canadian Journal of Applied Sport Sciences, 10(4), 22-28.
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